Kahlo (Kahlo de Rivera), Frida (geb. Kahlo y Calderón, Magdalena Carmen Frieda), mex. Malerin, *6.7.1907 Coyoacán/Mexiko-Stadt, †13.7.1954 ebd. K. gibt später ihr Geburtsdatum als 7.7.1910 an, um es mit der mex. Revolution in Einklang zu bringen. Tochter des Fotografen Guillermo K.
Kahlo, Frida
K. besucht ab 1922 als eines von nur sehr wenigen Mädchen die Escuela Nac. Preparatoria in Mexiko-Stadt. Sie plant, Medizin zu studieren, entwickelt aber ein Interesse für wiss. Ill. und beginnt 1925 eine Lehre beim Drucker Fernando Fernández, der ihr Zeichenunterricht erteilt. Nach einem Busunfall ist sie 1925 monatelang in Gips ans Bett gefesselt und leidet von nun an zeitlebens an schweren Problemen mit der Wirbelsäule und dem rechten Bein. Während der Bettlägrigkeit malt sie 1926 als Autodidaktin das erste Selbstbildnis Autorretrato con traje de terciopelo (Priv.-Slg). Dem folgen Porträts von Fam. und Freunden in Anlehnung an die Renaiss. mit distinguierten Posen und aussagekräftig platzierten Händen. Durch die Fotografin Tina Modotti trifft sie 1928 den mit sozialistischen Wandgemäldem erfolgreichen Diego Rivera, den sie um künstlerischen Rat bittet. Sie tritt in die kommunistische Partei Mexikos ein und heiratet 1929 den 20 Jahre älteren Rivera. Dessen Aufträge führen K. 1929 zunächst nach Cuernavaca, wo sie einen naiveren, folkloristischen Stil entwickelt (z.B. El autobús, 1929; Mexiko-Stadt, Mus. Dolores Olmedo), 1930-31 nach San Francisco, 1931, '33 New York und 1932 nach Detroit. Das in der San Francisco Soc. of Women Artists ausgestellte Frieda and Diego Rivera (1931; San Francisco, MMA) betont den Kontrast zwischen dem großgewachsenen, korpulenten Ehemann und K.s Zierlichkeit und bekundet ihre markante Vorliebe für trad. mex. Kleider. In grausig-traumhaften Bildwelten thematisiert sie bald Ehe- und Gesundheitsprobleme wie eine Fehlgeburt 1932 in Henry Ford Hospital (Mus. Olmedo) und Mi nacimiento (Priv.-Slg), das an trad. Darst. devotionaler Danksagung für eine göttliche Intervention anknüpft. Von Heimweh geleitet, übt sie auch Kritik am Kapitalismus, z.B. Autorretrato en la frontera entre Mexico y los Estados Unidos (Öl/Metall, 1932; New York, Slg Maria Rodriguez de Reyero) und Mi vestido cuelga aquí (Öl und Collage/Hartfaserplatte, 1933; Monterrey, Col. FEMSA). 1935 Rückkehr nach Mexiko. Um diese Zeit wählt sie statt des dt. Vornamens Frieda die mex. Schreibweise Frida. Ein aktives Sozialleben mit Künstlern und Intellektuellen führt nicht nur Rivera, sondern auch K. zu außerehelichen Liebschaften, u.a. lange Zeit mit dem Fotografen Nickolas Muray und 1935 mit dem Bildhauer Isamu Noguchi. Als sie jedoch von einer Affäre Riveras mit ihrer Schwester Cristina erfährt, reagiert sie energisch. Sie schneidet sich die Haare ab und malt 1935 Autorretrato con pelo rizado (Priv.-Slg) sowie Unos cuantos piquetitos (Mus. Olmedo), in dem das Blut zahlr. Stichwunden einer nackten Frau, die ihr von einem über ihr stehenden Mann zugefügt wurden, auch auf den Rahmen übergreift. In einer Mischung persönlicher Erfahrungen und mythologischer Darstellungsweisen ergründet K. die eig. Identität, z.B. ihre dt., span. und indianischen Wurzeln in Mis abuelos, mis padres y yo (Arbol genealógico) (1936; New York, MMA). Mi nana y yo (1937; Mus. Olmedo) verweist auf K.s frühe Kindheit, in der sie von einer indianischen Amme gestillt wurde; die Darst. greift, wie auch viele ihrer and. Bilder, auf althergebrachte Anschauungen der Eingeborenenkultur über Lebenserhaltung und Tod zurück. 1937 hat sie eine kurze Affäre mit dem exilierten Revolutionär Leo Trotzki, der als Gast in ihrem Haus lebt, und widmet diesem das Autorretrato dedicado a Léon Trotsky (Entre las cortinas) (1937; Washington, NM of Women in the Arts). 1938 organisiert Julien Levy in New York K.s erste Einzelausstellung, vor deren Eröffnung der Filmstar und Kunstsammler Edward G. Robinson vier ihrer Gem. erwirbt. Zunehmende kritische Aufmerksamkeit erfährt K., nachdem ihr Werk von André Breton 1938 als surrealistisch angesprochen wird und dieser 17 Bilder in die 1939 gemeinsam mit Marcel Duchamp organisierte Pariser Ausst. Mexique aufnimmt. Sie reist hierfür nach Paris und verkauft dort das Selbstbildnis The Frame an den Louvre (ca. 1937-38; heute Paris, MNAM). Nach der Rückkehr lässt sie sich 1939 von Rivera scheiden. Dies und extreme körperliche Schmerzen führen zu hohem Alkoholgenuss und dem erneuten Abschneiden der Haare. Drei Gem. des Jahres reflektieren diese Gemütsverfassung. El suicidio de Dorothy Hale (Phoenix/Ariz., AM) schockiert die Auftraggeberin durch die Simultan-Darst. des Todessprungs statt eines erwarteten Erinnerungsporträts. Las dos Fridas (Mexiko-Stadt, MAM) zeigt K. sowohl trad. angezogen als auch im Hochzeitskleid; die zur Schau gestellten Herzen beider Figuren sind durch eine Arterie verknüpft, aus derem offenen Ende Blut tropft, dessen Verlust die Braut zu stoppen trachtet. Dos desnudos en un bosque (La tierra misma) (Medina/Wash., Jon A. and Mary Shirley Coll.) alludiert wohl auf K.s Bedürfnis nach körperlicher Nähe und Zusprache, aber auch auf ihre rückhaltlose Promiskuität und Bisexualität. 1940 geht sie nach San Francisco, wo sie Rivera ein zweites Mal heiratet, kehrt aber bald alleine nach Mexiko zurück. Dort wie in den USA erfolgreich, erhält sie 1946 ein mex. Regierungsstipendium und Preise in den jährlichen Ausst. im Kunstpalast. Einer Lehrtätigkeit an der staatl. KS La Esmeralda kann sie aus gesundheitlichen Gründen kaum nachkommen. Nur vier als Los Fridos bek. Studenten verfolgen Kurse in K.s eig. Haus. Die quälende Abwesenheit Riveras äußert sich in Gem. wie Diego en mis pensamientos (1943; Mexiko-Stadt, Col. Jacques y Natasha Gelman), das sie als eingeborene Tehuana in einem extravaganten Kostüm und Haube zeigt, während ein Bildnis des Ehemanns auf ihrer Stirn erscheint. Zur Feier ihres 15. Hochzeitstags malt sie Diego y Frida 1929-1944 in zwei Versionen als Geschenk für Diego und für sich (beide Priv.-Slgn, Mexiko-Stadt). K. setzt die Verzweiflung über mehrere schwere Operationen in Gem. um wie La columna rota (1944), das sie nackt, mit einem orthopädischen Korsett und einer mehrfach gebrochenen ionischen Säule als Wirbelsäule zeigt, während sie in Sin esperanza (1945; beide Mus. Olmedo) zwangsernährt wird. Tränen ersetzen in beiden Bildern ihre bislang stoische Erscheinung. Der körperliche Verfall nimmt zu, Infektionen werden zur Regel und Schmerzmittel führen zur Medikamentenabhängigkeit. 1951 ist sie durch Komplikationen wie Gangrän in einen Rollstuhl gezwungen und malt nun eine R. von Stillleben, in denen Pflanzen und Früchte sexuelle Konnotationen besitzen. 1953 richten Lola Álvarez Bravo und Rivera K.s einzige Einzelausstellung in Mexiko zu Lebzeiten aus, zu deren Eröffnung sie entgegen ärztlichen Rat im Krankenwagen anreist. Im Okt. 1953 muss ihr rechter Unterschenkel amputiert werden. Ein dramatisch veränderter Malstil weist nun einen loseren Duktus auf. Im folgenden Jahr stirbt K. Als offizielle Todesursache gilt eine Lungenembolie, jedoch besteht der Verdacht einer Drogenüberdosis. Wenig später schenkt Rivera das von ihrem Vater gebaute Geburts- und Sterbehaus K.s, La Casa Azul in Coyoacán, dem mex. Volk; es beherbergt heute das F.K. Museum. - K.s Œuvre umfasst nur etwa 200 Gem., von denen etwa ein Drittel Selbstbildnisse sind. In diesen werden die Charakteristika eines unerschütterlichen Blicks, zusammengewachsener Augenbrauen und eines zarten Schnurrbarts fast zu einem Markenzeichen. Ihrer nationalistischen Einstellung verleiht sie durch die symbolische Beigabe mex. Flora und Fauna wie Papageien, Affen und mex. Nackthunden (Xoloitzcuintle) Ausdruck. Sie verknüpft die fast ständig dominante autobiogr. Dimension mit heimatlicher Folklore, nimmt daneben aber auch Anregungen zeitgen. internat. Kunstbewegungen auf. K.s atemberaubende Popularität seit den 1970er Jahren ist in der Kunst des 20.Jh. einzigartig. Interpretiert in zahllosen Filmen, Büchern und Ausst., rufen ihre Bildnisse mit Themen wie Leben, Tod, Geburt, Sexualität und Politik starke emotionale Reaktionen hervor. Viele ihrer Bewunderer fühlen sich v.a. durch ihre Widerstandsfähigkeit angesichts zahlr. persönlichen Krisen angezogen.
Retrato de Diego, in: Hoy 1949(622; 22.Jan.)18-21; Recuerdos, in: Novedades v. 10.6.1951; C.Fuentes (Einl.), The diary of F.K. An intimate self-port., N.Y./Méx. 1995; M.Zamora (Bearb.), The letters of F.K. Cartas Apasionadas, S.F. 1995; R.Tibol (Vorw. und Anm.), Frida by Frida. Selection of letters and texts, Méx. 2003.
Einzelausstellungen:
Ausst.-Verz. bis 2007 von M.C.Tavera in Ausst.-Kat. F.K., Minneapolis 2007. 2007, Minneapolis/Minn., Walker AC (Wander-Ausst.; K: E.Carpenter u.a.); Mexiko-Stadt, Mus. del Pal. de BA (Retr.; K) / 2010 Berlin, Martin-Gropius-Bau (Retr.; K) / 2023-24 Rüsselsheim, Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen (Fotografien).
Gruppenausstellungen:
2009-10 Singapur, Singapore AM: The Path to Modernity. Mexican Modern Painting / 2011 Chichester, Pallant House Gall.: Frida Kahlo and Diego Rivera. Masterpieces from the Gelman Coll. / 2012 Toronto, AG of Ontario: Frida & Diego. Passion, Politics and Painting (Wander-Ausst.) / 2020 Frankfurt am Main, Schirn: Fantastische Frauen - Surreale Welten (Wander-Ausst., K).
Thieme-Becker, Vollmer und AKL:
Vo4, 1958
Weitere Lexika:
ELU IV, 1966; DA XVII, 1996; G.Tovar de Teresa, Repert. de artistas en México, II, Méx. 1996; D.Gaze (Ed.), Dict. of women artists, II, Lo./Chicago 1997I.F. Walther, Künstler-Lex., in: Kunst des 20. Jh., II, Köln u.a. 1998; J.Turner (Ed.), Enc. of Latin Amer. & Caribbean art, Lo. u.a. 2000.
Gedruckte Nachweise:
Lit. bis 2007 in Ausst.-Kat. F.K., Minneapolis 2007. U.Felten (Ed.), F.K. Körper, Gender, Performance, B. 2008; S.Grimberg, F.K. The still lifes, Lo. 2008; ders., F.K., Bekenntnisse, M. u.a. 2009; G.Villegas Morales, Semblanza de una genealogía. Artistas plást. en el periodo posrevolucionario, Xalapa 2010; Mexicanidad. F.K., Diego Rivera, Rufino Tamayo, Francisco Toledo, Adolfo Riestra (K Schwäbisch Hall), Künzelsau 2012.
Onlinequellen:
Dict. universel des Créatrices, 2023