Kelly, Ellsworth, US-amer. Maler, Bildhauer, Zeichner, Grafiker, *31.5.1923 Newburgh/N.Y., †27.12.2015 Spencertown/N.Y.
Kelly, Ellsworth
Ausb.: 1941-42 Stud. am Pratt Inst., New York. 1943-45 Militärdienst, auch in Frankreich. 1946-47 Stud. an der School of the MFA, Boston. 1948 Umzug nach Paris, dort Stud. an der ENSBA. Bekanntschaft mit John Cage, Merce Cunningham sowie Jean Arp, Constantin Brancusi, Alexander Calder, Alberto Giacometti, Alberto Magnelli, Joan Miró, Francis Picabia, Michel Seuphor, Georges Vantongerloo. 1954 Rückkehr nach New York. 1970 Umzug nach Spencertown/N.Y. Ausz.: 1963 Brandeis Creative Arts Award, Waltham; 1964 Carnegie Prize, Pittsburgh; 1974 Malerei-Preis des Art Inst. of Chicago; 1974 Mitgl. des Nat. Inst. of Arts and Letters, USA; 1987 Chevalier de l'Ordre des Arts et des Lettres, Frankreich; 2000 Praemium Imperiale für Malerei, Japan Art Assoc., Tokio; 2010 Alexej von Jawlensky-Preis, Wiesbaden. - K. entwickelt seinen Stil maßgeblich in Paris unter dem Einfluss europ. geometrisch-abstrakter Malerei (z.B. der Gruppen Cercle et Carré sowie Abstraction-Création). Darin unterscheidet er sich von den damals in New York tätigen Künstlern, die stärker vom Surrealismus ausgehend zur Abstraktion im Großformat finden. Haben 1948 noch die byz. Kunst sowie die Porträtmalerei von Pablo Picasso und Henri Matisse K.s Gem. angeregt, nutzt er bald Materialien und Techniken des Kubismus für eine Ser. achsensymmetrischer, unbunter Reliefs aus Holz und Kordel, die kaum Figürliches konnotieren (Wood Cutout with String I-III, 1949). Noch im selben Jahr übernimmt er archit. Formen aus der Pariser Stadtkultur in seine Werke, die als frühe Beispiele nicht eigenhändig komponierter Abstraktionen eines US-amer. Künstlers gelten (Window, Museum of Modern Art, Paris, 1949). 1950-51 entsteht die Ser. La Combe, die Geländerschatten auf Treppenstufen verarbeitet. K. abstrahiert und verfremdet das von der Sonneneinstrahlung abhängige Muster, indem er die einzelnen Stufen in Aufsicht darstellt, z.T. zufällig arrangiert und sie zudem nicht horizontal und somit dem Blick der Treppensteigenden entsprechend, sondern in vertikaler Anordnung in Malerei überführt. K. spielt zudem mit dem Wechsel zw. Bild- und Objekthaftigkeit, als er etwa La Combe II als bemalten Paravent im Raum platziert. Experimente im Medium der Zchng und der Collage aus Buntpapieren gehen K.s als "Anti-Kompositionen" beschriebene Werken voraus, ohne dass sie einen Status als Vorlagen annehmen. Seine Gem. Colors for a Large Wall (1951), ein Quadrat mit einer Seitenlänge von 292,3cm aus 64 ebenfalls quadratischen Einzeltafeln in bunten wie unbunten Farben, und Painting for a White Wall (1952), ein querrechteckiges Werk aus fünf gleichgroßen, verschiedenfarbigen Hochformaten, tragen exemplarisch die Kennzeichen seiner Produktion in Frankreich: Monochrome Farbflächen fügen sich nach aleatorischen Prinzipien zu einem Format zus., das in der Kombination von Größe, betonter Objekthaftigkeit und Verweigerung einer absichtsvoll erscheinenden Bildanlage über europ. Vorbilder – etwa die Konkrete Kunst – hinausgeht. In das Jahr nach K.s Rückkehr nach New York, wo der Abstrakte Expressionismus erste Erfolge feiert, fällt die Voll. von White Plaque: Bridge Arch and Reflection (1952-55). Mit den runden Konturen des horizontal wie vertikal achsensymmetrischen Bildes, das laut Titel als Binnenfeld eines typisierten Brückenbogens über der Seine, samt der Lichtreflexe im weißen Kreissegment darunter, zu verstehen ist, gilt es als frühes Beispiel für eine "shaped canvas", obschon die Materialität aus bemaltem Holz eher auf J.Arps Reliefs zurückweist. So bildet das Gem. auch im metaphorischen Sinne eine Brücke zw. zwei Jh.-Hälften, die zudem für die Ablösung von Paris durch New York als Kunsthauptstadt steht. Konfrontiert mit der abstrakt-expressionistischen Malerei in New York, behält K. in Frankreich entwickelte Kennzeichen bei, betonte jedoch innerhalb eines Werks die Kontraste der nun zahlenmäßig reduzierten und stärker leuchtenden Farbflächen auf Leinwänden, die deutlich über die Maße des menschlichen Körpers hinausgingen. Im zweiteiligen Querformat Atlantic (1956) kontrastiert je eine weiße, schweifartige Form, die auf jeder Tafel die mittige Horizontale umspielt, mit dem das Bild von seiner Umgebung trennenden Schwarz. Die beiden schwungvollen Figuren legen sich nebeneinander über den dunklen Grund und erinnern an Wellenbewegungen des Ozeans oder an Zchngn floraler Motive, die K.s Schaffen zeitlebens begleiten. In diesem Fall gibt K. allerdings das Schattenspiel beim Umblättern von Buchseiten als Inspirationsquelle an und bereichert somit das Konnotationsspektrum des Werks um das Persönlich-Anekdotische, das schon bei seinen Pariser Abstraktionen im Spiel ist. Red Blue Green (1963) verweist hingegen kaum auf eine außerkünstlerische Wirklichkeit: Ein rotes Hochrechteck schwebt links, eine blaue, nach unten abgerundete Fläche rechts über einem optischen Fundament in Grün, wobei weder die Farbwerte noch die Flächengrößen zw. Figur und Grund innerhalb der drei Zonen zu unterscheiden erlauben. So verdeutlichen K.s Werke das Vermögen der Abstraktion, zw. Fremd- und Selbstreferenz unentschieden zu bleiben. Führt Orange Red Relief (1959) den Weg zur "shaped canvas" weiter, indem K. eine in Orange bemalte Lw. mit einer etwas kürzeren, roten verbindet, so nutzen die Gem., die E. der 1960er Jahre entstehen, die Irritationen dieser Unregelmäßigkeiten produktiv. K.s Œuvre verdeutlicht weiterhin das Spiel mit der Wahrnehmung zw. zweiter und dritter Dimension, auf das es generell abzielt, indem die Andeutungen perspektivischer Zuschnitte durch ihre nicht-orthogonale Rahmung nun annähernd Effekte von Kippfiguren erzielten (Blue Green, 1968, Red Green, 1968). Nachdem er 1970 ein größeres Atelier nördlich von New York City bezogen hat, arbeitet K. im Sinne dieser Fragen der Dimensionalität und Ansichtigkeit verstärkt an Skulpturen, die maßgeblich aus Faltungen verschieden konturierter Farbflächen bestehen und die er aus Stahl oder Aluminium zunehmend für den Außenraum fertigen lässt. Während Reliefs schon früh zu seiner künstlerischen Produktion gehören, schafft K. ab 1959 erste freistehende Plastiken. Auch sie oszillieren zw. Zwei- und Dreidimensionalität: Die gebogenen oder beschnittenen, jedenfalls auffällig konturierten, zweidimensionalen Formen, die zusammengesetzt an Volumen gewinnen und den Boden oft nur punktuell berühren, treten gegenüber der Farbe, die v.a. die Flächigkeit betont, in den Vordergrund. In Pony wie in Gate (beide 1959) liefern die Titel einfache, oft autobiografisch überlieferte Verweise auf den funktionalen Zusammenhang mit einem Schaukelpferd oder Tor. Totemähnliche oder segelförmige Stelen gehören seit 1973 zunehmend zu K.s plastischem Repertoire (White Curves, 2002, The Barnes Totem, 2012). Die große, flache Bodenarbeit Yellow Curve, die 1990 als liegendes Bild den Frankfurter Portikus zum Großteil unbegehbar macht, zeigt beispielhaft die große Schnittmenge von K.s malerischer und skulpturaler Auffassung. Hier lenkt der leuchtende Gelbton des Kreissegments, das an zwei Stellen die Wände berührt, das Augenmerk zugleich auf die Konturen und damit die Umgebung des Werks. So gibt sich die raumgreifende, abstrakte Farbform als Vermittler zw. Abstraktion und außerkünstlerischer Wirklichkeit zu erkennen. Seit den 1990er Jahren erhält K. wiederholt Aufträge für Kunst-am-Bau-Projekte, so für Firmenzentralen und Regierungsgebäude (UNESCO, Paris; Dt. Bundestag, Berlin) oder Mus.-Neubauten, auch von Renzo Piano (Basel, Chicago, Houston). - K.s Werke stehen in Verbindung mit den Termini Hard Edge, Colorfield Paint. oder Post-painterly Abstraction. Gemeinsam bezeichnen diese eine großformatige, ungegenständliche Malerei aus leuchtenden, voneinander abgegrenzten Farbflächen, die E. der 1950er Jahre den Abstrakten Expressionismus weiterführt und Pop-Art sowie Minimal Art vorbereitet. K.s Erfolg und schnell wachsende Bekanntheit führen dazu, dass sein Werk mit Beginn der 1960er Jahre als typische Weiterführung der abstrakten Malerei verstanden wird. Obwohl Jules Langster und Peter Selz Hard Edge und Clement Greenberg Colorfield Paint. nicht im Hinblick auf K. prägen, wird sein Werk, wie auch das von John McLaughlin oder Kenneth Noland, bald zum Paradebeispiel für die jeweiligen Begriffe. Die Vermeidung einer künstlerischen Handschrift im Farbauftrag, der Einsatz des Zufalls in der Komp. sowie oft anekdotische Referenzen auf die Alltagswelt, v.a. auf Pflanzenformen und auf Motive der Großstadt, unterscheiden K.s Vorgehen trotz vergleichbarer Flächenhaftigkeit, Bildgröße und Materialien von demjenigen der Abstrakten Expressionisten, die durch ihre jeweilige malerische Individualität auch auf Metaphysisches und Undarstellbares verweisen wollen. Im diesseitig Nicht-Individuellen, auf das K. mit Bezug auf europ. Vorläufer hinarbeitet, finden Minimal und Pop-Art zu Beginn der 1960er Jahre gemeinsame Wurzeln.
Drawings on a Bus. Sketchbook 23. 1954, Göttingen 2006.
Einzelausstellungen:
Paris: 1951 Gal. Arnaud; 1958; Gal. Maeght (K); 1992 Jeu de Paume (Wander-Ausst.; K) / New York: 1956-63 Betty Parsons Gall.; 1965-71 Sidney Janis Gall.; 1973 (Wander-Ausst.; K: E.C.Goosen), 2012 MMA; 1979 Metrop. Mus. (K); 1982 Whitney (Wander-Ausst.; K) / Washington: 1963 Gall. of Mod. Art (Wander-Ausst.; K); 1996 Guggenheim (Wander-Ausst.; K: D.Waldman u.a.); 2002 The Drawing Center (Wander-Ausst.; K: Y.-A.Bois); 2011 Matthew Marks Gall. (K: R.Storr); 2012 The Morgan Libr. / 1972 Düsseldorf, Gal. D.René H.Mayer / 1979 Amsterdam, Sted. Mus. (Wander-Ausst.; K) / 1987 Boston, MFA (Wander-Ausst.; K); Detroit, Inst. of Art (Wander-Ausst.; K); Fort Worth, Art Mus. (Wander-Ausst.; K) / 1990 Frankfurt, Portikus (K: G.Boehm) / 1994 London, Anthony d'Offay Gall. (Wander-Auss.; K: Y.-A.Bois) / 1999 Harvard, Univ. AM (Wander-Ausst.; K: Y.-A.Bois) / 2002 Basel, Fond. Beyeler (K: G.Boehm u.a.) / 2004 Dallas, Mus. of Art (K: C.Wylie/Y.-A.Bois) / 2006 St. Ives, Tate (K: S. D.McElroy/C.Grunenberg) / 2011 München: Haus der Kunst (Wander-Ausst.; K: J.Daur u.a.); PM (Wander-Ausst.; K: M.Semff/M.Prather); Boston, Mus. of Art (K: B.Richardson) / 2012 Los Angeles: County Mus. of Art – Matthew Marks Gall.; Washington, NG. -
Gruppenausstellungen:
1948 Boston, Boris Mirski AG (K) / 1950 Paris, Pal. des BA: 5ème salon des réalités nouvelles (K); Gal. des BA: Premier salon des jeunes peintres (K) / New York: 1957 Whitney: Young America (K); MMA: 1959 Sixteen Americans (K); 1968 Art of the Real 1948-68 (Wander-Ausst.; K); 1966 Jewish Mus.: Primary Structures; Guggenheim: Systemic Paint. (K); 1979, '81, '91 Whitney Bienn. (K) / 1958, '64, '67 Pittsburgh, Carnegie Internat. (K); Brüssel: WA, Pavillon der USA / 1961 São Paulo: Bien. / 1964 Los Angeles, LACMA: Post-Painterly Abstraction (Wander-Ausst.; K); 1964, '68, '77, '92 Kassel: documenta (K) / 1966 Venedig: Bienn. (K) / 2007 Baden-Baden, KH: Who's afraid of red, yellow and blue? (K) / 2009-10 Barcelona, MAC: Die Anarchie der Stille / 2011 Bochum, Situation Kunst: Aufbruch (K Wander-Ausst.) / 2012 Düsseldorf, KS NRW: Fresh Window (K)/ 2016-17 München, Haus der Kunst: Postwar - Kunst zw. Pazifik und Atlantik 1945-1965 (K).
Thieme-Becker, Vollmer und AKL:
Vo6, 1962
Weitere Lexika:
ELU IV, 1966 (Nachtr.); CatBolaffiArtMod, 1966; Bauer, GEM V, 1977; Thomas/de Vries, 1981; ComtempArtist, 1983; Opitz, 1984; Marks, World Artists, 1984; GEA, Sculptors, 1985; EAPD, 1989; L.Romain/D.Blümer (Ed.), Künstler. Kritisches Lex. der Gegenwartskunst, Ausg. 14, M. 1991; WWAA, 1991/92; WWAA, 1993/94; DA XVII, 1996; I.F.Walther, Künstler-Lex., in: Kunst des 20. Jh., II, Köln u.a. 1998; R.Kostelanetz, A dict. of the Avant-Gardes, N.Y. 22000; Delarge, 2001, Bénézit, VII, 2006; WWAA, 2012.
Gedruckte Nachweise:
R.Axsom, The prints of E.K. A Cat. raisonné 1949-1985, N.Y. 1987; M.Plante, Amer. Art 9:1995(1)36-53; B.Epperlein, Monochrome Malerei. Zur Unterschiedlichkeit des vermeintlich Ähnlichen, Diss. Berlin, Nü. 1997; H.Cooper, An Intense Detachment. E.K.s Line, Form, Color, Chicago u.a. 1999; B.Fer, Parkett 1999(56)32-43; T.Kellein, ibid., 16-29; S.Maurer, ibid., 46-60; D.Rimanelli, ibid., 64-73; R.Storr/E.K., MoMA 2:1999(5)2-7; M.d'Orgeval, Les cahiers du MNAM, 79:2002, 54-81; N.Ebbinghausen, Die Tendenz zum Farbobjekt, Diss. B. 2004; D.Anfam, The Burlington Mag. 148:2006(1239)433-434; C.Bedford, The Burlington Mag. 148:2006(1245)843-845; H.U.Obrist/E.K., Thumbing through the Folder. A dialogue on art and archit., Köln 2009; Y.Manolopoulou, The j. of archit. 14:2009(3)407-420; M.G.di Monte, E.K. La Forma è il Contenuto, Rom 2010; C.Gockel, in: Kunstforum internat. 212:2011(11/12)327: I.Graw, Artforum internat. 50:2012(10)310-311; J.Davis u.a., Kunst der Vereinigten Staaten 1750-2000, B. 2024.
Onlinequellen:
Gemini G.E.L. Cat. raisonné, NG of Art, Washington/D.C. (WV von K.s Druckgrafik); Matthew Marks Gall.
Kelly, Ellsworth, amer. Maler, *1923 Newburgh, ansässig in New York. Stud. in Englewood u. Brooklyn, N. Y., dann bei Carl Zerbe am Mus. in Boston. 1948 nach Paris, stud. dort byzantin. Kst. Wechselte in Paris unter Einwirkung von Arp u. Seuphor zur geometr. Abstraktion über. Beteiligt 1950 u. 51 am Salon des Réalités Nouvelles. 1954 zurück nach den USA. Sonderausst.: 1951 in d. Gal. Arnaud in Paris, 1956, 57 u. 59 in d. Betty Parsons Gall. in New York, 1958 in d. Gal. Maeght in Paris, 1959 in d. Usis Gall. in London. Lit.: Seuphor. - Apollo (London), 68 (1958) 220, m. Abb. - Architect. Revięw, 125 (1959) 355. - Art in Amer., 45 (1957) 21 (Abb.). - The Art News, 55 (1956) Juni p. 51; 56 (1957) Okt. p. 17; 58 (1959) Okt. p. 13. - Art Internat. (Zürich), 3 (1959) H. 1/2 p. 23 (Abb.), H. 9 p. 35, m. Abb.; 4 (1960) H. 1 p. 30, m. Abb., H. 7 p. 48 (Abb.); 5 (1961) H. 2 p. 51, m. Abb. - Arts, 30 (1956) Juni p. 52; 32 (1957) Okt. p. 56; 34 (1959) Okt. p. 48/50. - Arts a. Architect., 76 (1959) Dez. p. 7, m. Abb. - The Burlington Magaz., 102 (1960) 197, m. Abb. - The 1958 Pittsburgh Bicent. Intern. Exh. of Contemp. Paint. a. Sculpt., Departm. of F. Arts, Carnegie Inst., 1958/59, Kat. m. Abb.