Noguchi, Isamu

Noguchi, Isamu (Gilmour, Isamu, bis 1922/23; Yo; Yosemite), jap.-US-amer. Bildhauer, Kunsthandwerker, Installationskünstler, Designer, Landschaftsarchitekt, Bühnen- und Kostümbildner, Maler, Zeichner, Keramiker, Fotograf, Kunstschriftsteller, *17.11.1904 Los Angeles/Cal., †30.12.1988 Long Island City/N.Y. Halbbruder des Fotografen Michio Noguchi.

Unehelicher Sohn des jap. Dichters, Essayisten, Kunstkritikers und späteren Engl.-Prof. an der Tokioter Keiō-Univ. Noguchi Yonejirō und der irisch-amer. Schriftstellerin, Übersetzerin und Pädagogin Léonie Gilmour. Ab 1907 in Japan; erhält dort vom Vater den Namen Isamu; verbringt Kindheit und frühe Jugend getrennt vom Vater zus. mit der Mutter und Halbschwester Ailes Gilmour. 1911-12 Grundschule in Chigasaki; 1913-17 internat. St.Joseph's College, Yokohama/beide Präf. Kanagawa. Ab 1918 in den USA: Internat (Interlaken School) und öff. Schule, beide Rolling Prairie/Ind.; 1919-22 LaPorte High School (ebd.). Über den Mentor Edward A. Rumely Bildhauerlehre bei Gutzon Borglum (Stamford/Conn.), der N. für unbegabt hält. Ab Febr. 1923 medizinisches Vorstudium an der Columbia Univ., New York. 1924 ermuntert von der Mutter und Rumely Abendstudium der Bildhauerei an der Leonardo da Vinci Art School, Manhattan, bei Onorio Ruotolo. Mitgl. der Nat. Sculpt. Society. Widmet sich fortan ganz der Bildhauerei. 1926 erste Guppenausstellung, Annual Exhib. der PAFA, Philadelphia. 1927-29 Guggenheim Fellowship für Studienreise nach Paris und Ostasien. 1927 Ass. im Studio von Constantin Brancusi (Paris); zugleich Stud. an den Acad. Grande Chaumière und Colarossi. 1929 erste Einzelausstellung, Eugene Schoen Gall., New York. 1930 Einf. in die chin. Tuschemalerei bei Qi Baishi. 1931 Japan-Besuch: Kontakte mit jap. Künstlern, Kennern und bed. Personen des öff. Lebens. In Kyōto Stud. von Zen-Gärten, Tempeln und Antiken, bes. haniwa (Grabfiguren der Kofun-Zeit); Töpferlehre bei Uno Ninmatsu. 1934 Förderung durch US-amer. Public Works of Art Project. Ab 1935 Bühnen- und Kostümgestaltung (mod. Tanz) für Martha Graham, Erick Hawkins, Merce Cunningham u.a. (1926 Erstlingswerk für den Tänzer und Choreografen Itō Michio). 1936 Hist. Mexico (Zementrelief) als Beitr. zur Fassadengestaltung der Markthalle Abelardo L. Rodríguez, Mexiko-Stadt (Ltg Diego Rivera). 1937 Erfolg mit The Radio Nurse (Produktdesign). 1938 erste bed. öff. Komm.: News (Hochrelief, Edelstahl, 1938-39), Assoc. Press Building, Rockefeller Center, New York. 1942 Gründungsmitglied der Nisei Writers and Artists Mobilization for Democracy; Freiwilliger im Internierungslager Poston/Ariz.; 1943 zus. mit Yasuo Kuniyoshi Ltg der Arts Council of Jap. Americans for Democracy. 1949-55 Bollingen Found. Fellowship (mehrfach verlängert) für Buchprojekt: bereist Europa, Nahen Osten und Asien zur Sondierung von Kunst und Kulturdenkmälern (bed. Foto-Dokumentation erh.). Beginn der Freundschaft mit Tange Kenzō und Saburō Hasegawa. 1950 Artist-in-residence am Tokioter Industrial Arts Research Inst. (Kōgei Shidōsho); erste Einzelausstellung in Japan bei Mitsukoshi, Tokio. 1951 Heirat mit der Schauspielerin Yoshiko Yamaguchi (Scheidung 1955). 1952-53 Studio in Kita-Kamakura/Präf. Kanagawa, am Ofen Kitaōji Rosanjins. Realisierung zahlr. Projekte in Japan: u.a. Garten für Reader's Digest Building (1951); Gedenkraum für den Vater (gest. 1947), Keiō Univ. (1951-52), beide Tokio; Tsukuru (Schaffen)- und Yuku (Vergehen)-Brücke (1952), Peace Park, Hiroshima. 1955-57 erste Gartenanlage (zus. mit Skidmore, Owings, and Merrill) in den USA, Gen. Life Insurance Company, Bloomfield Hills/Conn. 1962 Artist-in-residence an der Amer. Acad., Rom. Arbeitet 1964-88 jährlich in den Steinbrüchen von Querceta und Pietrasanta/beide b. Lucca. 1966 Gründung der Akari Found. (ab 1980 I.N. Found.). 1968 Auto-Biogr. A Sculptor's World (Vorw. R.B. Fuller). Ab 1969 Zweitstudio in Mure/Shikoku (Präf. Kagawa); pendelt fortan zw. New York, Mure und Pietrasanta. 1970 Metallbrunnen für Expo WA Ōsaka. 1985 Eröffnung des I.N. Garden Mus. (heute I.N. Found. and Garden Mus.; Entwurf und Ausf. zus. mit Shōji Sadao). 1986 US-amer. Repräsentant auf der Bienn. Venedig (u.a. Slide mantra). Zahlr. Ehrendoktorwürden; Ausz. und Preise: z.B. 1959 Logan Med. des Art Inst. of Chicago; Kyōto Prize der Inamori Found.; 1987 Nat. Med. of Arts; 1988 Orden des Hl. Schatzes 3.Verdienstklasse. - Als einer der bedeutendsten jap.-US-amer. Künstler des 20.Jh. mit über 2500 Werken in sieben Jahrzehnten verbindet N. das durch handwerkliche Akkuratesse und Experimentierfreude char. bildhauerische Werk in versch. Mat. (Stein, Bronze, Stahl, Holz, Ton, Papier u.a.) mit der Arbeit als Bühnen- und Kostümbildner, Requisiteur, Designer (für Hans Knoll, Herman Miller u.a.) und Gestalter öff. Räume. Beginnt im akad. Stil mit figuralen Skulpturen, überwiegend Porträtköpfe und Büsten, die nach Beschäftigung mit Avantgarde-Kunst, bes. Konstruktivisten, Pablo Picasso und Brancusi, bereits vor der Pariser Zeit zu organisch-biomorpher Abstraktion tendieren. N. bekennt sich zu vielfältigen Einflüssen, neben Brancusi bes. Alexander Calder, Marcel Duchamp, Henri Gaudier-Brzeska, Hans Arp, Alberto Giacometti, Joan Miró, Yves Tanguy, Mateo Hernández, Wassily Kandinsky, Henri Moore, Franz Kline u.a., deren inspirative Kraft mit indigener jap., ab den 1930er Jahren deutlich vom Zenbuddhismus geprägte ästhetische Auffassung zu einer bevorzugt im öff. Raum wirksamen Kunst synthetisiert werden. Erprobt neue naturwissenschaftlich-technische Erkenntnisse und Verfahren wie Edelstahlguss und Hochglanzverchromung (z.B. R. Buckminster Fuller, Porträtkopf, 1929; Los Angeles, Buckminster Fuller Inst.). Kombinatorische Methode, Überschreitung der Gattungsgrenzen und kulturübergreifende Referenzen werden zu konstituierenden Bestandteilen seines Schaffens. Stilistisch bleibt N. wandelbar. Bewegt sich über abstrakte Arbeiten (z.B. Sphere section, 1927, verloren; Globular, 1928), Gouachen und Drahtobjekte (z.B. Power house, 1928; beide New York, I.N. Found. and Garden Mus.) zu totemistischen Ser. mehrteiliger Steckskulpturen wie Kouros (1945; ebd., Metrop. Mus. of Art), Humpty Dumpty (1946; ebd., Whitney Mus. of Amer. Art) und Avatar (1947), die mehrdeutig zw. Primitivismus und Tanguys apokalyptischen Szenarien gebleichter Knochen changieren. Die Formensprache des Archetypisch-Symbolischen unter Anleihe antiker mythischer und magisch-religiösen Trad. der Weltkulturen mit den Universalzeichen Kreis (z.B. Mu/Nothingness, 1950-51; Ser. Black sun, 1960-69; alle New York, I.N. Found. and Garden Mus.) und Viereck (z.B. Red cube, 1968; ebd., 123 Broadway) sowie deren Formvarianten (oft erotisch konnotiert) aus geometrischen Operationen (Verzerrung, Drehung, Stülpung usw.) und schließlich das mikro-makrokosmische Spiegelungsverhältnis (z.B. Sculpt. to be seen from Mars, Modell, 1947) bleiben bis in den abstrakten Expressionismus des Spätwerkes bestimmend. Synergetische Effekte aus der Kooperation mit Architekten, Keramikern, Malern, Kalligrafen, Designern, Tänzern, Choreografen u.a. entsprechen N.s vom damaligen Diskurs über die Beschaffenheit von Materie und Raum getragenes Interesse am energetischen und kinetischen Potenzial der Werkstoffe, bes. Stein (z.B. Void-, Walking void-, Energy void-Ser., 1970-74), Schwerkraft und Schwerelosigkeit (z.B. The cry, 1959; alle New York, I.N. Found. and Garden Mus.; Stone of spiritual understanding, 1962; ebd., MoMA) sowie den expressiven Effekten von Licht und Schatten (z.B. reliefartige Lichtskulpturen wie Lunar landscape, 1943-44; Akari-Lampen, 1951-66; ebd., I.N. Found. and Garden Mus.). Als Apologet einer Kunst für Alle entstehen weltweit Garten- und Platzanlagen (z.B. Jardin jap., 1956-58, Paris, UNESCO-Hauptquartier; Sunken garden, 1961-64; New York, Chase Manhattan Bank Pl.), Skulpturenparks (z.B. Billy Rose art garden, 1960–65; Jerusalem, Israel Mus.), Spielplätze (z.B. Kodomo no kuni/Kinderland, 1965-66; Yokohama), Brunnen und Denkmäler. N.s Werk wird kontrovers diskutiert. Während die technisch durchdachte, psychologisierende Bildhauerei, das skulpturale Design und die Projekte für den öff. Raum in Ost und West ein überw. positives Echo fanden, konnten v.a. die in den frühen 1950er Jahren entstandenen primitiven figurativen und abstrakten Keramiken nicht überzeugen. Auch die Beurteilung der mon. asketisch, animistisch-dunklen Granitskulpturen im Spätwerk des Grenzgängers zw. den Kult., der dem breiten Publikum v.a. durch Billigimitate der Akari-Lampen bek. wurde, ist geteilt, sein Einfluss bes. auf die jap. Nachkriegs-Avantgarde jedoch unbestritten.

Buffalo/N.Y., AKG AM. Chicago, Art Inst. Dallas/Tex., Nasher Sculpt. Garden. Fort Worth/Tex., Kimbell AM. Honolulu, Acad. of Arts. Kansas City/Mo., Nelson-Atkins MoA. Lincoln/Mass., DeCordova Mus. and Sculpt. Park. Los Angeles, LACMA. Minneapolis/Minn., Walker AC. New Britain/Conn., Mus. of Amer. Art. New York, Guggenheim Mus. San Francisco, MMA. Washington/D.C., Nat. Portr. Gall. - SI. Weil am Rhein, Vitra Design Mus. Yokohama, MoA.

B.Altshuler/D.Apostolos-Cappadona (Ed.), I.N. Essays and conversations, N.Y. 1994.