Kûkai (Saeki Mao oder Tôtomono; Henjô Kongô; Posthum: Kôbô Daishi), jap. Mönch, Dichter, Kalligraf, *27.7.774 Byobugaura (Sanuki Prov.) (heutiges Zentsûji/Kagawa Präf.), †22.4.835 Kôyasan/Wakayama Präf.
Kûkai
K. stammt aus einer alten, aber zu seiner Zeit nicht mehr einflussreichen Adels-Fam. aus Shikoku, die als Provinzverwalter tätig war. Als Jugendlicher wird er von dem kaiserlichen Hoflehrer Atô Ôtari, einem Onkel mütterlicherseits, in Chinesisch, Konfuzianismus und Gesch. unterrichtet, um sich auf eine Karriere als Hofbeamter vorzubereiten. Um 791 Beginn des Stud. des Konfuzianismus an der kaiserlichen Univ. in der Hauptstadt Nagaoka. Desillusioniert zieht K. sich aber bald zum Stud. buddh. Lehren und der Ausübung asketischer und esoterischer Praktiken in die Berge Shikokus zurück. 793 wird K. Novize im Iwabuchi-Tempel unter Abt Gonzô. 798 voll. er seine erste Abh., das Sangô shiiki ("Essenz der Drei Lehren"), in der er die drei Lehren von Konfuzianismus, Daoismus und Buddhismus vergleicht. Darin beschreibt er auch seine ersten Erfahrungen mit esoterischen Meditationspraktiken, die zum zentralen Bestandteil des später vom ihm gegründeten Shingon-Buddhismus mit seiner Betonung von Ritual und Kunst werden. Zugleich kritisiert er die rein exegetische Auslegung der buddh. Schr. ohne Bezug zu rituellen Praktiken durch die orthodoxen Schulen in Nara. Bis zum Alter von 30 Jahren verbringt K. sein Leben als wandernder Asket mit dem Stud. der versch. buddh. Schulen und Schr. (u.a. Dainichikyô (Mahâvairocana sutra), M. 7.Jh.). Um in der Gefolgschaft des Fujiwara no Kadonomaru an einer Gesandtschaft nach China teilnehmen zu können, wird K. 804 im Tôdaiji (Nara) zum Mönch geweiht und nimmt den Namen "Meer der Leere" (Kukai) an. K. hat die Absicht, 20 Jahre in China zu bleiben. In der Metropole Chang'an wird K. der Hauptschüler des Zhenyan-Patriarchen Huiguo, zugleich stud. er indischen Buddhismus, Hindu, Sanskrit und die Siddham-Schr. bei zwei indischen Mönchen. Darüber hinaus stud. K. chin. Dichtkunst und lernt Kalligrafie. Bereits nach drei Monaten initiiert Huiguo kurz vor seinem Tod K. als Nachf. in der Dharma-Lehrlinie des Zhenyan (Shingon) (v.a. Vajradhâtu Mandala, Garbha Mandala), damit wird dieser der 8. Patriarch des Shingon-Buddhismus. Mit der Absicht, die neue Lehre in Japan und am Hofe bek. zu machen, bringt K. bei seiner Heimkehr (806) zahlr. Sutren, Schr. (u.a. zur Dichtkunst), Gem. (Mandalas) und Ritualobjekte aus China mit. Aufgrund politischer Unruhen erhält K. für drei Jahre keine Erlaubnis, die neue Hauptstadt Kyôto zu betreten. In Kyûshû verf. er das Shôrai mokuroku (Tôji), das neben den Schilderungen seines Aufenthaltes in China auch eine Liste der mitgebrachten Objekte enthält. 809 gewinnt K. das Vertrauen des neuen Kaisers Saga, der ihn zum Abt des Takaosanji (heute Jingoji) bei Kyôto bestellt (bis 823); dort führt K. erstmals das Kanjô-Ritual durch (Kanjô rekimei, 812, Jingoji). 810 erfolgt auch die Ernennung zum Administrator des Riesentempels Tôdaiji. Seine Bed. als eminenter relig. Führer wird damit anerkannt. Durch öff. Ausf. von esoterischen Ritualen zum Schutze der Nation und Massen-Initiationen gelingt K. die erfolgreiche Implementierung des esoterischen Shingon-Buddhismus am Hof und im Volk. Während seiner Zeit am Takaosanji verf. K. einige seiner wichtigsten Schr. über die Unterschiede zw. esoterischem und exoterischem Buddhismus (Benkenmitsu nikkyôron, um 814) sowie die Bed. und Systematisierung von Ritualwesen zur Erlangung der Buddhaschaft (Sanbushô, Konvolut von Schr. in den 820er Jahren). Die Lehre gipfelt in dem Satz Sokushin jôbutsu ("In diesem deinem Körper sollst du Buddha werden"). 816 erhält K. die kaiserliche Erlaubnis, auf dem Berg Kôya südöstlich von Ôsaka den Tempel Kongôbuji als Zentrum der neuen Richtung zu errichten. Bereits 823 wird er durch Saga-tennô als Abt des Tôji (Kyôôgokokuji) nach Kyôto zurückgerufen, um den Staatstempel in eine Shingon-Plattform zu transformieren. In der nach Plänen von K. errichteten Lehrhalle (Kôdô) befindet sich ein Mandala aus 21 Skulpturen, die formal und ikonogr. eine Synthese aus indischer Trad. und esoterischer Shingon-Doktrin reflektieren (heutiger Bau von 1598; Skulpturen teilw. original, dat. 839). K. kehrt noch 823 auf den Kôyasan zurück. 828 gründet er eine gemeinnützige Schule in Kyôto, die allerdings zehn Jahre nach seinem Tod wieder geschlossen wird. Seine letzten Lebensjahre verbringt K. fast durchgehend auf dem Koyasan und voll. sein schriftstellerisches Hw. (Himitsu mandara jûjûshinron, 830, zehn Bde.; Kurzfassung Hizô hôyaku, 3 Bde). 834 führt K. das Schutzritual mishûhô für den Kaiser Nimmyô durch (Errichtung der Shingon-Kapelle im Kaiserpalast). 835 stirbt K., nachdem er in zunehmender Askese Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahmen verringert hat, um meditierend auf der Schwelle von Leben und Tod nach Shingon-Auffassung mit dem diesseitigen Körper die Buddhaschaft zu erreichen. Zum Zeitpunkt seines Todes ist der Shingon-Buddhismus bereits zu einer dominanten relig. Kraft (insbesondere innerhalb der Aristokratie) geworden. 921 erhält K. durch den Kaiser Daigo den Ehrentitel Kôbô Daishi ("Meister der Verbreitung des Gesetzes"). Sein Mausoleum auf dem Kôyasan bildet bis heute eine bed. Pilgerstätte. - K. gilt als eine herausragende Persönlichkeit der jap. Geistesgeschichte. Er begründete die Shingon-Schule des esoterischen Buddhismus Ihm werden zahlr. bed. künstlerische und kulturelle Errungenschaften zugeschr. Angeblich war er Maler (Repr. von chin. Gem.) und Bildhauer (Skulpturen im Tôji). Die Mandalas, ikonogr. Zchngn, Sutren und Ritualobjekte (Makura no honzon, China, 8. Jh., Kongôbuji), die K. aus China nach Japan mitgebracht hat, wurden zur Quelle einer neuen, weithin prägenden Ikonogr. in der buddh. Kunst Japans (Ryôkai mandara, Takao Version, um 829, Jingoji). Nach Auffassung von K. können esoterische, d.h. geheime Wahrheiten der buddh. Lehre durch Kunst dargestellt bzw. transportiert werden. Die Legende schreibt ihm weiterhin die Erfindung der Kana-Silbenschrift zu. Er soll Teiche angelegt und Teepflanzen eingeführt haben. Auf ihn geht der Shikoku-Pilgerweg zu den 88 Tempeln von Shikoku zurück. Belegt sind sein hoher Rang als Dichter sowie Schriftkünstler im chin. orthodoxen Stil des Wang Xizhi (4. Jh.) sowie des Yan Zhenqing (8. Jh.). Zus. mit Saga-tennô und Tachibana no Hayanari gehört er zu den Drei Pinselkünstlern (sanpitsu) der frühen Heian-Zeit. Sein Ruhm als Schreibkünstler und Dichter war bereits zu Lebzeiten etabliert. 809 erhielt K. die erste von zahlr. Auftragsarbeiten durch den Kaiser Saga, kalligrafische Gedichte für ein Paar Stellschirme. K. ist bek. für seine schöpferische Interpretation der Kursiv- und Grasschrift (gyôsho/sôsho). Die Hs. der Fragm. des Kongô Hannyakyô kaidai/Aufschlüsselung des Titels des Kongô Hannyakyô, 1.H. 9.Jh., Tusche/Papier, u.a. Nezu Mus., Nara NM) gilt als persönliche Hs. des K. und ist in einer flüssigen, eleganten Grasschrift im orthodoxen chin. Stil geschrieben, wie er in der frühen Tang-Zeit als Renaiss. des als klassisch empfundenen Stils des Wang Xizhi gepflegt wurde. K. hat sich während seines China-Aufenthaltes in Chang'an intensiv mit dem Wang-Stil auseinandergesetzt. Die leichthändige Eleganz der Sôsho-Zeichen sowie das weitgehende Fehlen von Bindungen mehrerer Zeichen aneinander, entsprechen frappierend dem Stil des Wang Xizhi. K. experimentierte mit ungewöhnlichen kalligrafischen Schr. und Stilen. Zu den bedeutendsten Werken von K. zählen das Kanjô rekimei (s.o.) sowie Briefe im Austausch mit Saichô, dem ebenso berühmten Patriarchen des Tendai-Buddhismus, der zweiten bed. Strömung des esoterischen Buddhismus (Fûshinjô, 812-13, 3 Briefe, Tôji). K.s Vorstellungen von Kalligrafie sind in einer von seinem Schüler Shinzei posthum zusammengestellten Slg von Gedichten und Essays überliefert (Henjô hakki) Seireishû/Gesammelte Werke von Kukais Prosa und Gedichten, 9.Jh., auch als Shôryôshû bek.). Darin betont K. sowohl den Wert der Trad. als auch die individuelle "Antwort" des Kalligrafen auf die Natur und bestehende Werke. Wie sehr K. mit der chin. Trad. der Kalligrafie vertraut war, zeigen die von ihm abgeschrieben Merksprüche des Han-zeitlichen Pioniers der Konzeptschrift Cui Ziyu, die einen ungezwungenen Schreibstil mit ungewöhnlich großen Schriftzeichen zeigen. Sie schlagen eine stilistische Brücke zu den berühmten Schriftkünstlern der späten Tang-Zeit, Zhang Xu und Huaisu, die für eine expressiv-unkonventionelle, geradezu "verrückte" Konzeptschrift stehen (Sai Shigyoku zayûmei, frühes 9.Jh., Fragm. einer Querrolle, Hôkiin). K.s einzigartiger Stil des "Fliegenden Weiß" (hihaku) ist durch seine Aufschriften zu den Shingon Shichisozô/Porträts der Sieben Shingon Patriarchen, frühes 9.Jh., Tôji) nachzuvollziehen. Weitere repräsentative Werke: Roko shiiki/Lehren für Taube und Blinde (8.-9.Jh., Kongôbuji). Die Goyuigô nijûgokajô /Abschiedsworte gelten als apokryph. K.s lit. Werke umfassen: Bunkyo hifuron/Secret Treasury of Poetic Mirrors (819), eine Slg von Exerpten chin. Dichtkunst des 3.-9.Jh. sowie Bunpitsu genjinshô/The Essentials of Poetry and Prose (820). Zw. 830 und 835 kompilierte K. das Tenrei banshô myôgi, das früheste jap. Wörterbuch mit rund 1000 chin. Schriftzeichen.
Einzelausstellungen:
2002 Kyôto, Tôji Schatzhaus (K). -
Gruppenausstellungen:
Tokio: 1973 Takashimaya: Masterpieces of Vajyarana (K); 2002 Metrop. Mus. of Photogr.: Shikoku's 88 sacred sites (K); NM: 2004 Treasures of a Sacred Mountain (K), 2011 Kukai's World: The Arts of Esoteric Buddhism (K) / 1975 Köln, KH: Sho. Pinselschrift und Malerei aus Japan vom 7.-19.Jh. (K) / Kyôto, NM: 1983 K.D. and the Art of Esoteric Buddhisms (K), 2006 Calligraphy by Eminent Priests and Founders of Jap. Buddhism (K), 2012 Ultimate Beauty: Calligraphy by Jap. Emperors (K); 1987 Tôji, Schatzhaus: Kôbô Daishi no sho to sono shûhen (K) / 2002 Honolulu, Honolulu Acad. of Arts: Sacred Treasures of Mount Kôya (K).
Thieme-Becker, Vollmer und AKL:
ThB22, 1928
Weitere Lexika:
MűvLex II, 1966 (s.v. Kobo-Daishi); Roberts, DJA, 1976; Tazawa, 1981; DA XVIII, 1996.
Gedruckte Nachweise:
H.Onoue, Wayô shodôshi, To. 1934; William Th.de Bary (Ed.), Sources of Jap. Trad., Vol. 2: 1600-1868, N.Y. 1958; Y.Inaba, Kôbô Daishi zenshû, Kôyasan 1965;M.Hirayama, Kôbô Taishi no shozô, To. 1965; Y.Nakata/I.Yasushi, Shodô geijutsu, vol. 12, To. 1971; Y.S. Hakeda, K. Major Works, To. 1972; T.Hayashiya, Fudômyôô no shosô, Saichô to K. no shofû ni tsuite, Kyôto 1981; Tseng Yuho, A hist. of Chin. calligraphy, Hong Kong 1993; N.Kimoto, Kôbô Daishi. K. hito to sho, Ôsaka 2003; T.Katô, K. hitsu fûshinjô no katachi o yomu, To. 2004; C.J. Bogel, With a Single Glance. Buddhist Icon and Early Mikkyo Vision, Seattle 2009; R.Abe, The Weaving of Mantra: K. and the Construction of Esoteric Buddhist Discourse, N.Y. 2013.