Newman, Barnett

Newman, Barnett (eigtl. Baruch), US-amer. Maler, Bildhauer, Zeichner, Grafiker, Kunstkritiker, *29.1.1905 New York, †4.7.1970 ebd.

N. war der älteste Sohn einer jüdischen Fam. aus dem russ. Teil Polens, die fünf Jahre vor seiner Geburt in die USA immigrierte. Der Vater Abraham gründet eine Manufaktur für Männerbekleidung, die Mutter Anna ist Hausfrau. 1936 Heirat mit Annalee Greenhouse, Kunstlehrerin; die Ehe bleibt kinderlos. - 1919-27 Zeichenunterricht an der Art Students League, New York, wo er auch Adolph Gottlieb kennenlernt. 1923-27 Stud. der Phil. am City College of New York in Harlem. Beginn seiner Veröff. zu Kunst und Ästhetik in The Campus und The Lavender. Nach dem BA of Fine Art 1927 Mitarb. in der Firma seines Vaters. 1931-40 unterrichtet N. als Hilfslehrer an versch. High Schools in New York. Er teilt das Atelier mit Gottlieb und lernt Mark Rothko kennen. Mehrfach fällt N. durch die Lehramtsprüfung für Kunstlehrer. Als Reaktion darauf kuratiert er die Ausst. "Can We Draw? The Board of Examiners Says - No!". 1940 unterrichtet er Sieb- und Batikdruck an einer Abendschule. 1940-41 Stud. der Ornithologie am Amer. Mus. of Nat. Hist. der Cornell Univ. Ithaca/N.Y. Ab 1943 schreibt N. Kunstkritiken für versch. Mus.- und Gal.-Kat. sowie Kunstmagazine. Er lernt die Galeristin Betty Parsons kennen und kuratiert für sie Ausstellungen. Ab 1946 zählt er zu Parsons Gal.-Künstlern, wo er Jackson Pollock, Lee Krasner und Clyfford Still kennenlernt. 1947 verkauft er sein erstes Werk an das Sammlerpaar Burton und Emily Tremaine. 1947-48 Veröff. seiner grundlegenden kunsttheoretischen Schriften The First Man Was an Artist und The Sublime Is Now im Kunst-Mag. The Tiger's Eye. 1948 Gründung der Schule Subjects of the Artist zus. mit William Baziotes, David Hare, Robert Motherwell und Rothko. 1957 N.s erster Herzinfarkt. 1968 Honorarprofessur für Zchng an der Univ. of Bridgeport/Connecticut. 1970 erhält N. die Creative Arts Medal in Malerei von der Brandeis Univ. in Waltham/Montana. Im gleichen Jahr stirbt N. an seinem zweiten Herzinfarkt. 1979 wird von Annallee N. die B.N. Found. in New York gegründet. - N. zählt zu den Hauptvertretern des US-amer. Abstrakten Expressionismus der 2. H. des 20. Jahrhunderts. Zus. mit Rothko, Still, Motherwell u.a. entwickelt er die Farbfeld- und Hard-edge-Malerei. Radikal reduziert er das trad. Formen- und Farbvokabular. Nicht nur seine Kunst, auch seine kunsttheoretischen Schriften üben einen großen Einfluss auf jüngere Zeitgen. aus, so dass er auch zur Entstehung der Minimal Art beiträgt. Sein vergleichsweise kleines Œuvre mit gut 120 Gem., 80 Zchngn, zwei Grafikfolgen und acht Skulpturen zählt zu den radikalsten Schöpfungen der Nachkriegskunst: Gem. wie Onement I und Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue haben Künstler und Schriftsteller wie Frank Stella, Donald Judd, Ian Wilson und Robert Irwin inspiriert. Das Frühwerk der 1920er und 30er Jahre hat er selbst zerstört. Sein Œuvre beginnt für ihn erst mit den Werken seit der M. der 1940er Jahre. Der sich zu dieser Zeit vollziehende Abstraktions- und Reduktionsschritt ist an zwei gleichgroßen Öl-Zchngn deutlich zu erkennen: Gea (1944-45) zeigt noch versch. geometrische und florale Formen in mehreren Farben, während bereits Euclidian Abyss (1946-47) nur noch zwei größere schwarze Farbflächen aufweist, die zweimal durch vertikale gelbe Linien unterbrochen werden. Das erste Gem., in dem N. eine grundlegende Komponente seiner Idee der radikal neuen Malerei des Sublimen zeigt, ist das noch kleinformatige Öl-Gem. Onement I (1948, 69 x 41 cm), das erste aus der Ser. von insgesamt sechs Bildern, die bis 1953 entstehen. Hier malt N. erstmals das von ihm später als zip bez. formale Element der vertikalen, über die gesamte Bildfläche verlaufenden dünnen Linie. Der orangefarbene zip ist als erkennbarer Pinselstrich malerisch auf die dunkelrote Farbfläche aufgesetzt. Der zip ist hier nicht als teilende, sondern als das Bild vereinende Substanz zu verstehen. N. kürzt im Bildtitel das urspr. Wort atonement (engl. Buße, Reue) ab. Mit dem Bezug zum Day of Atonement bzw. Jom Kippur, dem höchsten religiösen Feiertag im Judentum, der die Zeit der Reue und Umkehr abschließt, verweist N. gleichzeitig auf die jüdische Kultur. Mit dem neuen, reduzierten Begriff ist der Zustand gemeint, in dem etwas zu einem Ganzen (one) zusammengefügt wird. Mit diesem Bildtitel schafft N. einen Neologismus, der seine Idee von der Kunst der Vereinigung ausdrückt. Er beabsichtigt sowohl eine Einheit innerhalb des Bildes, wie auch zw. Betrachter und Bild zu erreichen. Zu seinen Werktiteln äußert er: "In Titeln versuche ich den emotionalen und komplexen Zustand zu evozieren, in dem ich das Werk geschaffen habe." (N., 1965) Der Betrachter soll eine physische und emotionale Erfahrung mit seinen Bildern erleben. Bei seiner zweiten Einzel-Ausst. 1951 in der Betty Parsons Gall. fordert N. in Zetteln neben den Bildern den Betrachter auf, möglichst nah an seine Gem. heranzutreten, um diese in Gänze zu erfahren. In seinem grundlegenden kunsttheoretischen Aufsatz The Sublime Is Now ruft N. die Künstler seiner Zeit auf, sich aus den bisherigen Trad. zu befreien und so zu malen, als ob es vor ihnen noch keine Malerei gegeben hätte. Kunst soll ein gesteigertes Bewusstsein schaffen und es dem Betrachter ermöglichen, in den Farbraum einzudringen und mit diesem eins zu werden. Er soll sich dabei dem Sublimen, dem Erhabenen sinnlich öffnen. Das Bild Vir Heroicus Sublimus (1950/51) ist in seiner Farbintensität - einem alles durchdringenden Rot im mon. Format (242 x 542 cm) - ein prägnantes Beispiel für N.s Umsetzung dieses Gedankens, vergleichbar dem Gem. The Wild (1950), das in seinem schmalen Format (240 x 2 cm) an das Äußerste geht und im Wesentlichen nur aus dem zip besteht. Nach den beiden von Kritikern und Sammlern mehrheitlich negativ aufgenommenen Einzel-Ausst. bei Parsons zieht N. sich bis M. der 1950er Jahre in sein Atelier zurück. Ein neuer Gem.-Zyklus entsteht erst 1958. Bis 1966 schafft er die Ser. The Stations of the Cross - Lema Sabachthani, deren 14 Werke vorrangig in den Kontrasten Weiß und Schwarz gehalten sind. N. trägt die pastose schwarze Farbe auf die rohe, unbehandelte Leinwand auf. Seit der ersten Präsentation wird auch das gleichformatige Gem. Be II (1961) als Bestandteil der Reihe betrachtet. Hier wird das zentrale weiße Farbfeld in der Mitte jeweils rechts und links von einem schmalen rotorangen bzw. schwarzen zip begrenzt. Inhaltlich bildet Be II den Abschluss der Kreuzigungs-Ser., die in ihrer Konzentration auf zwei Farben (Schwarz und Weiß) und in ihrem an den menschlichen Körper angelehnten Format (je 198 x 152 cm) ästhetisch und physisch einen menschlichen Leidensweg darstellt. Die Werke sind in ihrer Farb- und Formenreduktion radikal, die Wirkung auf den Betrachter durchdringend. In diesem erneuten Bezug auf ein religiöses Thema zitiert N. im Titel die letzten Worte Jesu am Kreuz nach der Überlieferung des NT: "Der Aufschrei 'Lema' - das Wozu - das ist die Passion, und das ist es, was ich in diesen Gem. hervorzuholen suchte." (N., 1966) Zu dem zentralen Zyklus äußert sich N.: "Warum hast du mich verlassen? […] Diese nach keiner Antwort heischende Frage ist schon sehr alt - sie existiert seit Jesus - seit Abraham - seit Adam - es ist die Urfrage überhaupt." (N., 1966) Die nächste bed. Werkgruppe entsteht 1966-70. Insgesamt vier Bilder tragen den Titel Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue, der auch auf Edward Albees Theaterstück Who’s Afraid of Virginia Woolf (1962) Bezug nimmt. N. reduziert die Palette auf die Primärfarben Rot, Gelb und Blau. Größere Farbfelder in den Primärfarben werden in den teils riesigen Formaten von mehreren Metern von einzelnen schmaleren zips vertikal durchzogen. Insbesondere in der letzten querformatigen und größten Version IV von 1969/70 kann sich der Betrachter dem sinnlichen, sublimen Eindruck kaum entziehen. Das in 17 Schichten überlagerte Rot erreicht eine extreme Intensität, das einen eig. Bildraum schafft. In den Gem. seiner letzten Jahre ist der malerische Pinselduktus einer homogenen Farbfläche gewichen. Auch in den beiden riesigen Werken Voice of Fire (1967, 543,6 x 234,8 cm) und Anna’s Light (1968, 274,3 x 609,6 cm), N.s größtem Bild, steht der Betrachter vor einem reinen Farbraum. Der Betrachter wird in Voice of Fire durch den zentralen roten Streifen, der links und rechts gleichmäßig von einem blauen Streifen begrenzt wird, in einen geradezu meditativ-sinnlichen Zustand versetzt, während er sich in dem extremen Querformat des rot-weißen Anna’s Light zu verlieren scheint. Mit den beiden Gem. Jericho und Chartres (1969) schafft N. am E. seines Lebens Gem. in Dreiecksform, die mit ihrer scharfen Abgrenzung zum Raum als wichtige Beispiele der Hard-edge-Malerei gelten, in der trad. Bildformate aufgehoben werden. Auch in dem Medium Skulptur schafft N. herausragende Beispiele des Abstrakten Expressionismus. Die Reihe der drei Here -Skulpturen (beg. 1950, 1962-66 in Bronze und Stahl gegossen) erscheinen wie in die Dreidimensionalität übertragene zips. Ein, zwei oder drei wie Kantenpfeiler wirkende Stelen ragen vertikal in die Höhe. Allansichtig sind sie auf einer gemeinsamen Basis miteinander verbunden. Auch die dreiteilige Ser. der Broken Obelisk (1963-69) - eine vierte Ed. wurde posthum 2005 gegossen - zeigt einfache geometrische Formen: Ein Obelisk steht kopfüber auf der Spitze einer Pyramide. Fast schwebend bilden diese beiden archaischen Urformen, die in der ägyptischen, griech. und röm. Antike ihren A. und ihre größte Vielfalt hatten, eine Einheit. Der Gegensatz des schweren Mat. und der schwebenden Konstruktion beeindruckt den Betrachter ebenso wie das riesige Format (7,62 m Höhe). Erneut findet N. eine Ausdrucksform für seine Forderung nach sublimer Kunst. Von den wenigen Papierarbeiten variiert N. im lithogr. Mappenwerk Cantos von 1963-64 18-fach kleine Hochformate mit jeweils zwei Farben. Das Blatt weist entweder zwei gleichwertige Farbfelder auf oder es wird durch einen zip gegliedert. Wichtig ist für N., dass das einzelne für sich stehen kann, aber mit den anderen zus. ein Ganzes bildet. Im Vorwort der Mappe erklärt er: „Jeder Canto fügt sein eig. Lied dem Chor hinzu.“ N. versucht auch hier, in seiner Kunst das Einswerden zu versinnbildlichen. Dieses soll nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb eines Werkes geschehen: Der Betrachter soll mit der Kunst verschmelzen; er soll emotional und physisch betroffen sein. Die Grenzen von Kunst werden aufgelöst. N. ist mit diesem radikalen Anspruch ein Hauptvertreter des US-amer. Abstrakten Expressionismus und der Farbfeldmalerei. Nur dank der Loslösung von bisherigen Trad. ist diese Erneuerung in der Kunst möglich. Religiöse und spirituelle Elemente und Gedankengut setzt N. in einen neuen Kontext. Seine Kunst zeigt dabei in großer Intensität seine Suche nach dem Erhabenen und einem gesteigerten Bewusstsein des Selbst. Wenn N.s Œuvre bei seinen Betrachtern eine transzendentale Erfahrung bewirkt, hat es sein Ziel erreicht.

Andover/Mont., Addison Gall. of Amer. Art. Amsterdam, Sted. Mus. Basel , Fondation Beyeler. - KM. Berlin, Neue NG. Chicago, Art Inst. Cleveland, Mus. of Art. Dallas, Nasher Sc. Center. Houston, Menil Coll. Hartford/Conn., Wadsworth Atheneum. Indianapolis, Mus. of Art. Köln, Mus. Ludwig. London, Tate. Los Angeles, LACMA. Madrid, CARS. Minneapolis, Frederick R. Weisman AM. - Walker Art Center. New York, Guggenheim. - Metrop. Mus. - MoMA. - Whitney. Ottawa, NG of Canada. Paris, Centre Pompidou. Pittsburgh, The Carnegie Mus. of Art. Roslyn Harbor/N.Y., Nassau County Mus. of Art. Salzburg, Mus. der Moderne. San Francisco, MMA. Sakura, Kawamura Memorial Mus. of Art. Stuttgart, SG. Washington/D.C., Hirshhorn Mus. - NG of Art. - Smithsonian Amer. AM.

N.A. Levine, Artnews 1965(Sept.)38-41, 55-56; Newsweek 76:1966(19), 100; Artnews 1966(Mai)27; Artnews 1968(Jan.); Schriften und Interviews 1925-1970, Bern/Berlin 1996 (=Selected Writings, Berkeley/L.A. 1990).