Frei zugänglich

Oppenheim, Meret

Geboren
Berlin-Charlottenburg, 6. Oktober 1913
Gestorben
Basel, 15. November 1985
Land
Schweiz
Geschlecht
weiblich
GND-ID
Weitere Namen
Oppenheim, Meret; Oppenheim, Meret Elisabeth; La Roche-Oppenheim, Meret Elisabeth (Ehename)
Berufe
Maler*in; Zeichner*in; Objektkünstler*in
Wirkungsorte
Thun (Bern), Paris, Bern, Zürich, Basel, Carona (Tessin), Oberhofen (Bern), Hünibach (Bern)
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Mitglied von
Von
Bhattacharya-Stettler, Therese
Zuletzt geändert
13.03.2025
Veröffentlicht in
AKL XCIII, 2017, 411; Liebich; Vollmer VI, 1962, 319

VITAZEILE

Oppenheim, Meret (verh. La Roche-O., Meret Elisabeth), schweiz. Malerin, Zeichnerin, Objektkünstlerin, *6.10.1913 Berlin-Charlottenburg, †15.11.1985 Basel (begr. in Carona, Familiengrab).

LEBEN UND WIRKEN

Älteste Tochter des Arztes Erich Alphons O. und der Schweizerin Eva Wenger. Gottfried Kellers Meretlein aus dem Roman Der grüne Heinrich inspiriert die Eltern zum Namen. Die Kriegsjahre ab 1914 verbringt O. mit der Mutter bei deren Eltern in Delémont/Jura. Die Schule besucht sie v.a. in Basel und im süd-dt. Steinen. Häufig hält sie sich in Carona/Tessin im Haus der Großeltern mütterlicherseits auf. Hier kommt sie in Kontakt zu Künstlern wie Hugo Ball, Emmy Hennings oder Hermann Hesse, mit dem ihre Tante Ruth Wenger für kurze Zeit verh. war. Die Großmutter Lisa Wenger, Malerin, Autorin und Frauenrechtlerin, wird O.s Vorbild in künstlerischen und emanzipatorischen Belangen. Über ihren Vater lernt sie die Theorien von Carl Gustav Jung kennen, was sie dazu inspiriert, fortan ihre eig. Träume aufzuschreiben. In Basel macht sie die Bekanntschaft mit Künstlern wie Walter Bodmer, Otto Abt und Walter Kurt Wiemken. 1930 entsteht die Collage Das Schulheft mit der Gleichung x = Hase, Ausdruck ihrer Abneigung gegen Zahlen und Schule (1957 u.d.T. Le cahier d'une écolière in der Zs. Le Surréalisme même abgebildet). Nun folgen Zchngn, oft mit pessimistischen oder makabren Themen, von Selbstmördern und Ertrinkenden, Morphiumsüchtigen und Versteinerungen. Das Aqu. Votivbild (Würgengel) versinnbildlicht gar eine Absage der 18-jährigen an die Mutterschaft. 1932 entschließt sich O., Malerin zu werden und zieht mit der vier Jahre älteren Freundin, der Malerin und Tänzerin Irène Zurkinden, nach Paris. Unregelmäßiger Besuch der Acad. de la Grande Chaumière. Kontakt zu Hans Arp und Alberto Giacometti sowie dem Kreis der Surrealisten um André Breton. Die Pariser Zeit wird in ihrer Biogr. zur Legende. Von nun an wird O. immer wieder auf die Muse der Surrealisten und and. Künstler in Paris reduziert. Zur Legendenbildung tragen auch die Akt-Fotogr. von O. bei, die Man Ray 1933 im Druckatelier von Louis Marcoussis für den Bildzyklus Érotique voilée von ihr herstellt. Auf Einladung von Giacometti und Arp stellt sie 1933 im Salon des Surindépendants mit den Surrealisten aus. Es entsteht die Zchng Einer, der zuschaut, wie ein anderer stirbt, eine Idee, auf die sie wiederholt zurückgreift und 1976 zur Skulptur Der grüne Zuschauer (Duisburg, Wilhelm Lehmbruck Mus.) führen wird. 1934 Bekanntschaft und einjährige Beziehung mit Max Ernst. Sie fertigt neben Zchngn und Öl-Gem. auch Objekte sowie Assemblagen und Collagen. 1937 gibt O.s Vater die Praxis in Steinen auf, da er wegen seines jüdischen Namens Probleme erhält. In ihrer ersten Einzel-Ausst. (Basel, Gal. M.Schulthess) wird eines der wichtigsten Objekte O.s gezeigt: Ma Gouvernante - my nurse - mein Kindermädchen. Sie fertigt Armbänder aus pelzbezogenen Metallrohren. Als sie mit Dora Maar und Pablo Picasso im Café de Flore sitzt und eines davon trägt, macht dieser sie darauf aufmerksam, dass man eigtl. alles mit Pelz beziehen könnte. O. antwortet: "Auch diesen Teller und die Tasse ...". Darauf kreiert sie für eine Ausst. mit surrealistischen Objekten in der Gal. Charles Ratton eine Pelztasse, der Breton den Titel Déjeuner en fourrure gibt, einerseits an Eduard Manets Gem. "Déjeuner sur l’herbe" erinnernd, andererseits an Leopold von Sacher-Masochs Buch "Venus im Pelz". 1937 Ankauf der Pelztasse durch Dir. Alfred Barr jr. für das MoMA in New York. Von nun an werden O. und ihr Schaffen stets auf dieses eine Objekt reduziert. Mit Mode- und Schmuckentwürfen, u.a. für Elsa Schiaparelli, versucht sie, in Paris Geld zu verdienen. Auf Grund der finanziellen Schwierigkeiten ihrer Fam. zieht O. 1937 nach Basel ins Elternhaus im Klingenthal und arbeitet für kurze Zeit im Atelier eines Fotografen. Im selben Jahr beginnt zudem eine lange schöpferische Krise. Es entsteht das Gem. Das Leiden der Genoveva. Sie erkennt sich in der unverstandenen, aus der ma. Legende stammenden Protagonistin Genoveva wieder. 1938 entsteht die Steinfrau, in der die Erstarrung und die physische Ohnmacht noch dramatischer zum Ausdruck kommen. Das Gem. ist gleichsam ein metaphorisches Selbstbildnis und Schlüsselwerk zum Verständnis der lähmenden Krise, die bis 1954 währt. 1938-39 belegt sie an der Allg. Gewerbeschule in Basel Kurse für Farbstudien, Porträt-, Akt- und Perspektivzeichnen. Sie verdient Geld mit Modeentwürfen und erlernt das Rest. von Kunstwerken. O. findet Anschluss an die Gruppe 33 und die Künstlervereinigung Allianz. 1938 bereist sie gemeinsam mit Leonor Fini und André Pieyre de Mandiargues Oberitalien. 1939 erneuter Aufenthalt in Paris für eine Ausst. fantastischer Möbel in der Gal. René Drouin, an der u.a. auch Fini, Giacometti und Ernst teilnehmen; sie entwirft dafür den Tisch mit Vogelfüßen. 1940-50 bleibt sie Paris fern. 1943 schreibt O. das Drehbuch Kaspar Hauser oder die goldene Freiheit, das aber nie verfilmt wird (Bern/B. 1987). Das KM Basel kauft ihr Gem. Krieg und Frieden. 1945 lernt sie den Kaufmann Wolfgang La Roche kennen, den sie 1949 heiratet. Sie ziehen nach Bern, wohnen z.T. auch am Thunersee. Über Arnold Rüdlinger, Dir. der KH, findet sie langsam Zugang zum Berner Künstlerkreis. 1950 ist sie erstmals wieder in Paris und trifft ihre Freunde der 1930er Jahre, ist jedoch enttäuscht und fühlt einen Stillstand im Kreis um Breton. 1954 ist ihre Krise nach 17 Jahren plötzlich beendet. Sie mietet ein Atelier in Bern. In Picassos Stück Wie man Wünsche beim Schwanz packt, einer Inszenierung von Daniel Spoerri 1956, spielt sie mit und entwirft zus. mit Lilly Keller Masken und Kostüme. Zum Fundraising entsteht eine Ausst. diverser Berner Kunstschaffenden, wofür O. mit Le couple (das Paar), zwei aneinandergebundene Schuhe, zum ersten Mal wieder ein surreales Objekt herstellt. 1959 lädt sie zu einem Frühlingsfest ein, bei dem den Gästen das Essen auf dem Körper einer nackten Frau serviert wird und das einige Monate später in der Pariser Gal. Cordier aus Anlass der Expos. InteRnatiOnale de Surréalisme noch einmal veranstaltet wird. Vermehrt Bilder zum Motiv des Nebels. 1967 findet eine Retr. im Stockholmer Mod. Mus. statt, das ihr Objekt Ma Gouvernante - my nurse - mein Kindermädchen kauft. Damit beginnt ihre Wiederentdeckung. Im Dez. 1967 nach langer Krankheit Tod ihres Mannes. O. beteiligt sich rege an der feministischen Diskussion, die zu Beginn der 1970er Jahre entfacht. Das Objekt Die alte Schlange Natur mit vielfältigen Bezügen zur Natur und zu uralten Kräften entsteht (Paris, Centre Pompidou). Die Metamorphose, die O. hier, wie so oft in ihrem bildnerischen Werk, thematisiert, durchläuft sie selbst immer wieder neu. Am 16.1.1975 hält sie anlässlich der Verleihung des Kunstpreises der Stadt Basel eine viel beachtete Rede zum Thema des "weiblichen Künstlers". In Bern, Paris und Carona richtet sie sich so ein, dass jeder Ort zu einem Zuhause wird. 1982 erhält sie den Großen Preis der Stadt Berlin und nimmt an der documenta 7 in Kassel teil. Die Lektüre des Briefwechsels zw. Bettina Brentano und Karoline von Günderode inspiriert sie zu mehreren Werken. 1983 wird ihr kontrovers diskutierter Brunnen auf dem Waisenhaus-Pl. in Bern errichtet (in situ). 1984 zeigt die dortige KH eine nach O.s Plänen gestaltete Ausst., die anschl. im MAMVP in Paris zu sehen ist. 1985 arbeitet sie an einer Brunnenskulptur für die Jardins de l’ancienne éc. polytechnique in Paris (Fontaine de la Spirale, 1986, in situ). In der Ed. Fanal erscheint das Buch Caroline. Gedichte und Radierungen, Basel 1985). An ihrem 72. Geburtstag sagt sie: "Ich sterbe noch mit dem ersten Schnee". Am Tag der Buchpräsentation erliegt O. einem Herzinfarkt. - O. beginnt im Kreis der Surrealisten, distanziert sich indes mit der Zeit von deren Bewegung. Sie wird zu einer Leitfigur für Generationen, wehrt sich aber auch gegen eine Inanspruchnahme ihres Werkes als "weibliche Kunst", denn sie selbst spricht von der Androgynität des Geistes, die auch immer wieder in ihrem Werk zum Thema wird. Ihr Wille zum Experimentieren ist ungebrochen. Manche Idee lässt sie oft über Jahre hinweg reifen, bevor sie sie in variierter Form und mit komplexerem Mat. wieder in Angriff nimmt. Ideen bleiben im Gedächtnis haften, ein bestimmtes Ereignis, eine erneute Begegnung oder assoziative Anknüpfungspunkte können eine weitere Beschäftigung mit einer bestimmten Thematik auslösen. Der stilpluralistische Aspekt ihres Gesamtschaffens ist es, der eine einheitliche Interpretation und eine chronologische Abfolge erschwert.

WERKE

Aarau, Aargauer Kunsthaus. Basel, KM, Öff. KS. Bern, KM (Legat eines Drittels des künstlerischen Nachlasses). Houston/Tex., Menil Coll. New York, MoMA. Olten, KM. Paris, MNAM. San Francisco/Calif., Legion of Honor. Solothurn, KM. Stockholm, Mod. Mus. Ulm, Ulmer Mus. Wien, MMK Stiftung Ludwig. Winterthur, KM. Zürich, Kunsthaus.

SELBSTZEUGNISSE

Sansibar. Gedichte und Serigraphien, Basel 1981; Husch, husch, der schönste Vokal entleert sich, Ffm. 1984; O. Texte, Zchngn und ein Handschuh für Parkett, in: Parkett 4:1985, 46-49; O., Aufzeichnungen 1928-1985. Träume, Bern/B. 1986; Man könnte sagen, etwas stimme nicht, Gedichte 1933-1969, Köln 21986 (S-Press-Tonband); L.Wenger/M.Corgnati (Ed.), Worte nicht in giftige Buchstaben einwickeln, Z. 2013; erweiterte Neu-Ausg. 2015.

AUSSTELLUNGEN

Einzelausstellungen:

1936 New York, MoMA (K) / 1974-75 Solothurn, KM (Wander-Ausst., K) / 1987 (zum Legat, K), 2001 Bern, KM / Hamburg: 1987 Gal. Levy (K); 2000 Gal. Thomas Levy (K); 2003 MKG (Wander-Ausst., K) / 1991 Paris, Centre Cult. Suisse (K) / 1995 Mendrisio, Mus. d’Arte (K) / 1996 New York, Guggenheim (Wander-Ausst., K) / 1997 Darmstadt, KH (Wander-Ausst., K); Wien, Gal. Krinzinger (Wander-Ausst., K) / 1998 Steinen, Vogtshaus / 1999 Aarau, Aargauer Kunsthaus, und New York, Swiss Inst. (mit Louise Bourgeois und Ilse Weber, K) / 2004 Stockholm, Mod. Mus. (K) / 2006-08 Bern, KM, Oslo, Onstadt AC, und Ravensburg, StG (Retr.; K) / 2008 Meran, kunst (K) / 2013 Hannover, Sprengel Mus.; Wien, Bank Austria Kunstforum, und Berlin, Martin-Gropius-Bau (Retr., K) / 2014 Villeneuve d’Ascq, LaM (Retr., K) / 2016 Halmstad, Mjellby KM, und Hellerup (Kopenhagen), Øregaard Mus.; Ahlen, KM / 2021-22 Bern, KM (Wander-Aust.) und Solothurn, KM (K). -

 

Gruppenausstellungen:

Bern: 1980 KH, Berner Kunst-Ausst. (K); 2012 KM, Merets Funken (K) / 2020 Frankfurt am Main, Schirn: Fantastische Frauen - Surreale Welten (Wander-Ausst., K) / 2022-23 Aarau, Aargauer Kunsthaus: Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau … (K).

 

QUELLEN

Thieme-Becker, Vollmer und AKL:

Vo6, 1962

 

Weitere Lexika:

D.Gaze (Ed.), Dict. of women artists, I-II, Lo./Chicago 1997; BLSK II, 1998; NDB XIX, 1999.

 

Gedruckte Nachweise:

A.Breton u.a., O., P. 1934; W.Chadwick, Women artist and the Surrealist movement, Boston 1963; B.Curiger, O. Spuren durchstandener Freiheit (WV D.Bürgi), Z. 1982; 21984; 31989; B.Brandt, The coming of age of the child-woman. O. Surrealism and beyond, Diss. Harvard Univ. 1993; J.Helfenstein, O. und der Surrealismus, St. 1993; I.Schulz, Edelfuchs im Morgenrot, M. 1993; C.Meyer-Thoss, O., Buch der Ideen, Bern 1996 (engl.: O., book of ideas, Bern 1996); B.Zahnd, Mat. und Techniken im Werk von O., Bern 1997; W.Kupper, in: Georges-Bloch-Jb., Z. 2002/03, 191-221; O. Brunnengeschichten, ed. M.A. Bühler/S.Baur, Ostfildern 2010; O. Gedankenspiegel, ed. T.Levy, Bielefeld 2013; O. Eine Einf., ed. S.Baur/C.Fluri, Basel 2013; M.Corgnati, O. Afferrare la vita per la coda (Biogr.), Monza 2014. - Filme und Tonaufnahmen: Frühstück im Pelz, 17.11.1978 (NDR, Studio Hamburg); Gespräch mit Frank A.Meyer, in: Vis-à-vis, 31.8.1983 (Schweizer Fernsehen); L.Thron, Portr. der Künstlerin O., 1984 (Video, RTL, Paris, ARC MAMVP); S.Offenbach, Heut will ich meine Schatten begrüßen. Zum Tod von O., 1985 (Südfunk Stuttgart); P.Robertson-Pearce/A.Spoerri, Imago. O., 1988 (Film); E.Heinemann, Zum 20. Todestag von O. eine Sendung mit Gesprächen und Selbstzeugnissen, 2005 (WDR und DeutschlandRadio Kultur; CD); D.Schmidt-Langels, O., eine Surrealistin auf eig. Wegen, 2013 (DVD); D.v.Burg, Kunstforum Internat. 285:2022(Okt.-Dez.)281-283

 

Archive:

Bern, Schweiz. NB, Schweiz. Lit.-Arch.: schriftlicher Nachlass (seit 2009 dort); KM: O.-Arch.

 

Onlinequellen:

SIKART Lex. und Datenbank; Dict. universel des Créatrices, 2023

 


VOLLMER

Oppenheim, Meret, schweiz. (?) Malerin, Verfertigerin von Collagen u. Bildh., *1913 Berlin, ansässig in Thun. Stud. an d. Gewerbesch. in Basel. 6 Jahre Aufenthalt in Paris. Schloß sich 1933 dem Kreis der Pariser Surrealisten an. 6 Arbeiten auf der Ausst.: Kstler aus Thun, im Städt. Mus. Braunschweig 1961 (Kat. m. Abb. u. Biogr.). Sonderausst. 1959 im Atelier Riehentor in Basel. Lit.: Art News Annual, 21 (1951) 153 (Abb.). - Art Internat. (Zürich), 4 (1960) H. 1 p. 61, m. Abb.

 

LEXIKON DER KÜNSTLERINNEN

Oppenheim, Meret (?). Die nicht identifizierte Künstlerin wird 1854 im Verz. der 3. KA des KV Bremen genannt. Vermutlich ist der Vorname falsch, evtl. könnte es sich um Angela Clementine O. handeln, Tochter des bekannten jüd. Porträt- und Historienmalers Moritz Daniel O., eines Schülers v. Henriette →Westermayr in Hanau.

 

Bibliografie

KV Bremen