Frei zugänglich

Runge, Philipp Otto

Geboren
Wolgast, 23. Juli 1777
Gestorben
Hamburg, 2. Dezember 1810
Land
Deutschland
Geschlecht
männlich
GND-ID
Weitere Namen
Runge, Philipp Otto
Berufe
Maler*in; Zeichner*in; Scherenschnittkünstler*in; Dichter; Kunsttheoretiker
Wirkungsorte
Hamburg
Zur Karte
Von
Lange, Thomas
Zuletzt geändert
19.12.2023
Veröffentlicht in
AKL C, 2018, 140; ThB XXIX, 1935, 209 ss

VITAZEILE

Runge, Philipp Otto, dt. Maler, Zeichner, Scherenschnittkünstler, Kunsttheoretiker, Dichter, *23.7.1777 Wolgast, †2.12.1810 Hamburg.

LEBEN UND WIRKEN

R. ist das elfte Kind des Schiffsreeders und Kaufmanns Daniel Niklaus R. und dessen Ehefrau Magdalena Dorothea, geb. Müller. Er erhält 1788 Zeichenunterricht und ab 1789 in der Stadtschule in Wolgast Unterricht beim Theologen und Dichter Ludwig Gotthard Kosegarten. Die zeichnerischen Versuche, v.a. die schon früh durch seine Mutter angeleitete, virtuos beherrschte Technik des Schattenrisses und des Scherenschnitts (Porträts der Fam., Genre-, Tier- und Kinderszenen, erh. ab 1788; erste erh. Zchng Blick auf die Burgstraße und den Chor der Petrikirche in Wolgast, 1792) veranlassen Kosegarten, die künstlerische Ausb. R.s anzuraten. 1795 siedelt er zu seinem Bruder Daniel Nicolaus nach Hamburg um (Mitarb. in dessen Kommissions- und Speditionshandlung). Durch Johann Michael Speckters umfangreiche Kunstsammlung und den intellektuellen, künstlerisch interessierten Freundeskreis von Daniel Nicolaus (Friedrich Christoph Perthes, Johann Heinrich Besser und Karl Friedrich Enoch Richter) macht R. Bekanntschaft mit Matthias Claudius und dessen "Wandsbecker Bothen", viell. auch mit Friedrich Gottlieb Klopstock, und ist beteiligt an Diskussionen aktueller Veröff. zu Kunst, Phil., Naturwissenschaft und Religion. R. erhält zunächst Unterricht im Zeichnen (1797-98 Heinrich Joachim Herterich, dann Gerdt Hardorff d.Ä.) und in Maltechnik (Jobst Eckhardt), Okt. 1799 bis März 1801 studiert er Malerei an der KA von Kopenhagen bei Nicolai Abilgaard, ab E. Mai 1800 Ölmalerei bei Jens Juel. Ebenso bildet sich R. in diesen Jahren umfassend an den lit. wie wiss. Schriften antiker und zeitgen. Autoren (Homer, Vergil, Ovid, Johann Wolfgang von Goethe, Johann Joachim Winckelmann, Friedrich Schiller, Gotthold Ephraim Lessing, Ludwig Tieck, Wilhelm Heinrich Wackenroder, Gebr. Schlegel), er betreibt mathematische Studien und nimmt an Anatomieübungen für Mediziner teil. R. macht praktische Übungen in darstellender Geometrie und Perspektivkonstruktion, die R., Leonardo und Albrecht Dürer folgend, in den ersten Jahren seiner Ausb. in Kopenhagen und später noch in Dresden als Schwerpunkt setzt. Daran setzt seine Kritik an der Akad. an, da sowohl in Kopenhagen als auch in Dresden dieses fundamentale Wissen nach R.s Ansicht kaum ausreichend vermittelt wird. Dafür sind für R. Johann Wilhelm Tischbeins Ill. zu Hamiltons Vasen, v.a. aber die Kpst. von John Flaxman zunächst bahnbrechende Vorbilder (HS II, 455; HS II, 54). In einem Brief an Daniel Nicolaus (HS II, 58-60) äußert R. wesentliche Kritikpunkte an Flaxmans Ill. zur "Odyssee". Er beanstandet die mangelnde Kommunikation der Handelnden im Bild, die durch Gesten und Blicke hätten verstärkt werden können (ebd., 58) oder dass die Handlung mancher Dargestellter nicht zu erkennen sei (ebd., 59). Hier zeigt sich erstmals R.s Interesse für eine Darst., die die narrativen Handlungsabläufe wiedergeben kann, die die zeitliche, räumliche wie auch die char. Dispositionen der Protagonistern bestimmen. Eine Umsetzung dieser Überlegungen wird seine Zchngn zum Ossian (1805-07) bestimmen. Nach E. des Stud. in Kopenhagen (1801) lernt er in Greifswald Caspar David Friedrich und dessen Zeichenlehrer Johann Gottfried Quistorp kennen, dem er in freundschaftlich-kritischer Auseinandersetzung lebenslang verbunden bleibt. Im selben Jahr zieht er nach Dresden um (20.6.1801) und setzt dort seine eigenständige´n Studien in der GG und Antikensammlung fort. Er macht die Bekanntschaft mit den Malern Christian Ferdinand Hartmann, Johann Joachim Faber, Carl Friedrich Demiani, Franz Gareis, dem Kupferstecher Philipp Veith und v.a. mit Anton Graff, für dessen Lsch. R. ein bes. Interesse entwickelt. Im Aug. 1801 beteiligt er sich mit einer Zchng zu Achill und Skamandros an den "Weimarer Preisaufgaben" von Goethe und Heinrich Meyer. Im Nov. 1801 erste Begegnung und Beginn der Freundschaft mit Tieck, der ihn mit dem Werk von Novalis, an dessen Nachlass Tieck arbeitet, vertraut und ihn mit den Schriften Jacob Böhmes bekannt macht. Aufgrund der negativen Kritik Goethes und Meyers zu Achill und Skamandros wendet sich R. im Febr. 1802 endgültig vom Klassizismus ab (Brief v. Febr. 1802, HS I, 5-7). Die Begegnung mit Friedrich Schlegel im März 1802 und dessen Lob der zweiten Fassung des Triumph des Amor (1801) auf der Dresdener Akademieausstellung kontrastiert mit Quistorps Kritik des Bildes und bestätigt den Bruch mit dem Klassizismus sowie seinen neuen Weg. Diesen nennt er provisorisch "Lsch.", dann aber konsequent "neue Kunst". Quistorp erkennt zunächst lobend den "Geist, der […] Griech. Kunst" und hebt das Eigene, Unnachgeahmte des Triumph des Amor hervor (HS II, 234-235, 234). Zur Verbesserung solle R. allerdings "den Gegenstand nicht bloß unter den Gestalten kindlicher Genien" darstellen, "sondern leicht jeder Figur, jeder Gruppe, ihr nach der Fabel und der Natur eigenthümliches Alter und ihren Char." geben (ebd., 235). Quistorp verkennt über dem "klassizistischen Blick" auf diese Arbeit, dass die formale Angleichung der Kinderkörper, der plastischen Rundungen, der Austausch von Körper, Kontur, Licht, Schatten und deren Einbindung in Fläche und Raum den anschaulichen Totalzusammenhang anstreben, den R. in den E. Dez. 1802 beg. Zeiten (Öl/Lw., 1808 voll., Hamburg, KH; ab zahlr. Kpst.-Aufl.) mit modifizierten Mitteln, nun ausgedehnt auf das Ineinandergreifen von Universum, Gesch. und Religion, realisieren will. Die Linie zeigt sich als wichtigstes Element seiner Bildsprache, das deutlich auch in der Malerei erh. bleibt und nicht in oder durch sie aufgelöst wird. R. erarbeitet sich ein Verständnis des Bildes und der Farbe aus Linie, Umriss und dem ihnen zugrundeliegenden Kontrast. Die Linie erzeugt eine Kontinuität, einen dem aktiv sehenden Auge notwendig nachvollziehbaren Zusammenhang, aus dem sich das Bildgesamt erschließt. R. erprobt damit, den "Bildgedanken" durch das Medium selbst zu zeigen. Im März 1803 besucht er Tieck in Ziebingen. Der Plan eines Kommentars zu den Zeiten wird nicht ausgeführt. Dagegen erscheinen gezeichnete Entwürfe von Vignetten zu Tiecks "Minneliedern" im Herbst als Kupferstiche. Die Erste Figur der Schöpfung findet sich erstmals im Apr. desselben Jahres als Zchng in einem Brief an Tieck (HS I, 39-42, 41). R. nennt sie eine "Figur, die sich selbst macht" und zeigt sein Interesse das Ornament mit Mitteln der darstellenden Geometrie abzuleiten. Aus der umfangreichen geometrischen Konstruktionsarbeit, die den Zeiten zugrunde liegt, nutzt R. die so mathematisch konstruierten Ornamente, um sie wiederum mit Bedeutung aufzuladen, etwa wenn mit ihnen ein nicht-anschaulicher Inhalt, wie die Organisierung von Raum und Zeit modellhaft dargestellt werden soll. R. verwendet dieses Diagramm 1806 in einem Brief an Goethe wieder, um ihm die Verhältnisse der Primär- und Sekundärfarben zu erläutern. Die Figur 5 in R.s Farbenlehre, die das Verhältnis der Farben zueinander als geometrische Konstruktion ausdrückt, enthält ebenfalls diese Diagrammatik. E. Juli 1803 stellt R. die vier Zchngn zu den Zeiten fertig. In ihnen erfasst er die aus der Arabeske entwickelte Linie einerseits als abstrakt-geometrisches, andererseits als konkret-organisches Bildelement und legt ihr eine doppelte Lesbarkeit zugrunde. Die Linie ahmt Dinge nicht mehr nur nach, sondern ist in der Lage, sowohl deren Genese als auch Zeitlichkeit zu zeigen. Darin zeigt sich eine inhaltliche Veränderung von relativ konkreten und trad. Konnotationen zu abstrakteren Konzepten von Zeit und Geschichte. Für Joseph von Görres ist es kein Widerspruch, darin Naturwissenschaftliches wie die kristallinen Formen in der "Nacht", Botanisches und Geologisches, Mathematisches und Chemisches, die Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde, Menschheits- und Erdgeschichte als Bausteine der einen Schöpfung vereint zu sehen. Im Aug. zeigt R. in Berlin August Wilhelm von Schlegel und Johann Gottlieb Fichte die Zeiten; Fichte zeigt sich bes. beeindruckt. 1803 heiratet R. Pauline Bassenge, die er zwei Jahr zuvor kennengelernt hat, in Dresden und siedelt nach Hamburg über (vier Kinder: Otto Sigismund, Maria Dorothea, Gustav Ludwig Bernhard, Philipp Otto). Im Sommer 1804 nimmt R. Malunterricht (Ölfarben) bei Johann Friedrich Eich in Altona und beginnt mit der praktisch-theoretischen Arbeit zur Farbenkugel. Im Juni entstehen Bildnis Pauline im grünen Kleid sowie Mutter an der Quelle (1931 beim Brand im Münchner Glaspalast zerst.), welches R. als "Quelle aller meiner zukünftigen Bilder" bezeichnet und die neue Bildsprache in der Spiralwindung der Hauptkompositionslinie erprobt. Die Bildanlage nutzt die zylindro-konische Spiralung, eine geometrische Bewegungsfigur, die durch exponentielle Drehung Flächen im Raum entfaltet und den in der Natur sichtbaren Wachstumsprozessen, z. B. von Schneckenhäusern, entspricht. So visualisiert R. die bildlogische Produktions- wie Leseweise und verknüpft damit auch die entwicklungsdynamische Dimension von Natur- und Menschheitsgeschichte. Konzeptuelle Arbeiten, die das raum-zeitliche Bildthema der Zeiten weiter entfaltend, folgen. Quelle und Dichter (Zchng, Herbst 1804, Hamburg, KH) und Ruhe auf der Flucht (Öl/Lw., Frühjahr 1805, ebd.) werden als "Doppelbilder" begriffen, in denen der "Abend des Abendlandes" und der "Morgen des Morgenlandes" über erste systematische Überlegungen zu Kalt-Warm-Kontrasten, Lichtführung aus den Himmelsrichtungen und Blickbewegungsführungen über Linien-, Form- und Farbkorrespondenzen in einer diese Elemente vermittelnden Bildsprache aufeinander bezogen werden. R.s "Gegenstücke" beziehen sich auf hist. und kulturelle Gegenüberstellungen und Veränderungen des Ostens und des Westens und zeigen auch Gesch. und Natur als Wandlungen. Daniel Nicolaus hat in diesem Doppelbild die R.s bildnerisches Denken bestimmende Tendenz erkannt, "versch. Darst. in fortschreitende Verbindungen (zu) bringen". Die Struktur ihrer Komp. eröffnet eine ellipsoide Anlage des Bildgesamts, in der die formale Trennung von Vorder- und Hintergrundzonen als geschlossener und offener Bildraum korrespondieren. Die Gegenüberstellungen von Joseph und Maria am vorderen Bildrand und entsprechend von Dichter und Nymphe wie auch der Kinder bzw. Genien verschränken beide Bilder in Komp., Darst. und Inhalt. Schon dieses Zusammensehen gelingt v.a. dadurch, dass R. über die gegenständlichen Details (und ihre thematischen, tradierten Bedeutungen) hinaus Ähnlichkeiten aufzeigt. Dadurch werden die gegensätzlichen Darst. als Doppelbild zu einem komplementären Ganzen. Im Herbst 1804 werden hist. Themen ausgearbeitet, zunächst zu den Heymonskindern (unvoll.), dann in einer konzeptuell auf über 80 Seiten schriftliche Vorarbeiten auf 356 Einzelbilder angelegten Arbeit zum Ossian (1804-07, unvoll., sieben Zchngn), in der sich für R. zum ersten Mal die wesentlichen Züge seiner Farbentheorie wie auch die Kernüberlegungen zum Wesen der neuen Kunst und ihrer Bildsprache in ihrem Potential zeigen. Mit den Ossian-Zchngn erkundet R. weitreichende Konsequenzen für seine "neue Kunst". V.a. seine Farbentheorie sowie konkrete Ergebnisse zu "Entdeckungen gewisser wiss. Elemente meiner Kunst" lässt er einfließen (Brief an Goethe v. 4.12.1806). Char., Kleidung und Ausrüstung der Protagonisten, Lsch., Wetter und Sternkonstellationen werden systematisiert und durch ein einheitliches Schema ins Bild gesetzt, das einerseits Zusammenhänge sichtbar macht, dabei aber auch die Eigendynamik der Ereignisse verdeutlicht. R. erfindet eine Geografie der Ereignisse und will auch Land-, Stern-, Wetterkarte und Kompass integrieren. Erd- und Menschheitsgeschichte werden darin gleichermaßen bildlich erfasst und eng aufeinander bezogen. Gesch. erscheint so als offenes, dynamisches Geschehen, das in einer alle Gegensätze umfassenden Kosmologie dargestellt wird. Die Ser. veranschaulicht das den Zchngn inhärente Grundprinzip der Wechselwirkungen von Linienführung und dynamischer Handlungsverläufe. In der Beschäftigung mit Ossian erweist sich die für R.s Kunsttheorie wichtige Durchdringung von Inhalt und Form. Gleichzeitig sind seine Ossian-Arbeiten eine wichtige theoretische Manifestation seiner Ideen, da R. wiederholt betont, dass seine wiss. Bemühungen als Maler visuell, nicht schriftlich formuliert werden. In den nun entstehenden Ölmalereien erkundet R. die Darstellungsmöglichkeiten der Farbe als "bewegliche Kraft" (Lehrstunde der Nachtigall, 2. Fassung; Selbstbildnis im Blauen Rock; Wir drei, Otto Sigismund im Klappstuhl). In Die kleine Perthes (Öl/Lw., 1805, Weimar, Klassikstiftung) wird "Weltbegreifen" zw. Subjekt (Innen) und Welt (Außen) thematisiert, vermittelt durch Erkenntnisse über die bedeutungserzeugende Farbe, die hier lasierend die kindliche Entwicklungskraft und das erwachende Bewusstsein mittels des durch das Fenster einfallenden Lichts sichtbar macht. In den Hülsenbeckschen Kindern (Öl/Lw., 1805/06, Hamburg, KH) parallelisiert R. die Entwicklungsstufen der Kinder mit den versch. Wachstumsstadien der Sonnenblumen. Maßstabsverzerrungen zw. der Welt der Kinder und der der Erwachsenen werden eingesetzt, um die Kinderwelt der verändernden Entwicklung sichtbar zu machen. Mittels der Beweglichkeit der Farbe zeigt R. einen dynamischen, expandierenden Raum, mit dem sich diese Welt kugelförmig wölbt. Aufgrund der Kontinentalsperre Napoleons gibt Daniel Nicolaus 1806 sein Geschäft auf, und R. siedelt nach Wolgast über, wo er seine Studien zur Farbenlehre fortsetzt. Mit dem Bildnis der Eltern kontinuiert er außerdem seine Arbeit am Thema der Lebensstufen und verknüpft sie mit Natur (Steine, Pflanzen) und Genealogie (Kinder-Großeltern). In Petrus auf dem Meer (Öl/Lw., 1806-07, Hamburg, KH) parallelisiert R. die Glaubenserfahrung Petri mit der realen Gefahr, der die Fischer auf Rügen ausgesetzt sind. Die Arbeit an dem Gem. führt außerdem die Farbenlehre zum zentralen "Indifferenzpunkt" Grau als Ausgangs- und Endpunkt aller Farben. R. setzt seine Arbeit an der Farbenlehre intensiv fort und korrespondiert mit Goethe ab Sommer darüber. E. Apr. kehrt R. nach Hamburg zurück, wo er stiller Teilhaber am neugegründeten Geschäft seines Bruders Daniel wird. 1807-09 arbeitet er intensiv an Zchngn und Scherenschnitten zu Pflanzen. Aus der kontinuierlich schneidenden Bewegung heraus entwickelt R. die Umrisslinie, die nunmehr als selbstständige Form das Fließen der Gestaltwerdung veranschaulicht. Die Kontinuität der Linie kann als Ornament charakterisiert werden, das R. als bildnerisches Mittel einsetzt. Diese Aufassung der Linie setzt eine and. Auffassung von Oberfläche, Umriss und Kontur voraus, indem sie in den neu erzeugten Bildflächen zeigt, was "dahinter" ansichtig wird: organisches Wachstum, Bewegung, Zeit. Er arbeitet weiter an der Farbenlehre und ist mit einer ersten Fassung zu einer geplanten vierteiligen Ausf. der Zeiten in Ölfarben beschäftigt (Der kleine Morgen). In diesen Gem. erprobt er in einer äußerst feinen Lasurtechnik weiterhin seine wiss. Bemühungen um die Farben und ihre Bedeutungserzeugung mit und im Licht sowie der optisch-inhaltlichen Korr. zw. Rahmen und Mittelbildern (Pflanzenwachstum, Bewegung des erscheinenden Lichts). Der Plan einer konzeptuellen Überführung in eine dafür entworfene Archit. (nicht ausgef.), in der die vier Bilder nach den Himmelsrichtungen ausgerichtet werden sollten, verdeutlicht R.s grundsätzliche Idee, Farbe und Licht, visuelle Darst. und physische Realität zu verbinden. R. intensiviert die Arbeit an seinem Tageszeiten-Zyklus: Im Frühjahr 1808 lässt er durch Carl Friedrich von Rumohr einen mit Feder lavierten Entwurf zum Großen Morgen für Friedrich Wilhelm Joseph Schelling nach München mitnehmen. In den "Heidelbergischen Jb. für Philologie, Historie, Lit. und Kunst" erscheint Görres' Kommentar zur Kpst.-Aufl. der Zeiten (1:1808[2]261-277). A. Okt. beendet R. mit dem Kleinen Morgen die einzige farbige Vorstudie, E. Okt. 1808 arbeitet er an der größeren vorbereitenden Ölstudie Der große Morgen. Er arbeitet weiterhin intensiv an der Farbenlehre, im Jan. 1810 erscheint sie schließlich im Verlag von Perthes. R. formuliert hierin die Grundlage einer Wiss. des Sehens, die es durch eine genaue Kenntnis von Farbe, Licht und Schatten ermöglicht auf der Lw. Körper, Raum und Materie plastisch darzustellen. Sie steht für einen didaktischen Anspruch, Wissen visuell zu vermitteln. Dies unternimmt R. in Form graf.-farbiger Darst. der Farbenkugel. Die Achsenneigung der Kugel in den Ill. stellt eine Analogie zur Weltkugel her und verortet R.s Theorie im theologisch-mythischen Kosmos, in dem R. auch die Arbeit des Malers und die Wiss. der Kunst sieht. Die gleichzeitig als diagrammatisch wie symbolisch zu verstehenden Kugeln postulieren einen mythischen wie wiss. Erkenntnisprozess, der sich aus einer kompromisslos gedachten Optik ableitet. R. bezeichnet dies als "Totaleindruck" (HS I, 137-141). "Totaleindruck" ist ein Schlüsselbegriff für das komplexe Ineinandergreifen von Natur- und Menschheitsgeschichte als dynamische Systeme, sichtbar gemacht mit den Mitteln einer Kunst. Daraus entwickelt R. die Methoden einer zukünftigen Kunst und damit ein Epochenbewusstsein, das sich über seine hist. Stellung bewusst ist und sie als notwendigen Teil der Weltgeschichte begreift. In diesem Geschichtsverständnis unterscheidet sich R. klar von dem der Klassizisten. Die Farbenkugel sendet R. an Schelling und Goethe, dessen im Mai erschienene Farbenlehre (mit dem er seit Sommer 1806 darüber in Korr. steht) kann er aufgrund seines zunehmend verschlechternden Gesundheitszustandes (Schwindsucht) kaum lesen. Am 2.Dez. 1810 stirbt R. mit 33 Jahren nachmittags im Kreis seiner Familie. - R.s Farbenlehre gilt seit A. des 20.Jh. als Standardwerk, das bis heute wesentliche, künstlerisch relevante Bedingungen und Probleme einschließlich einer Harmonielehre behandelt. Während R. zu Lebzeiten nur einem kleinen, doch bed. Kreis von Künstlern, Literaten, Philosophen und Intellektuellen bek. war (Achim von Arnim, Goethe, Schelling, Görres, Tieck), setzt 1840 mit der Publ. der "Hinterlassenen Schriften" die Rezeptionsgeschichte von Werk und Theorie ein. Seine Werke wurden von einer breiten Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen. Ausnahmen bilden die 1805 als Kpst.-Aufl. erscheinenden Zeiten, die von ihm an Goethe und wenige andere übermittelten Scherenschnitte und Zchngn, die Kpst. für Tiecks "Minnelieder" (1803) und die Umschlaggestaltungen "Not des Vaterlands" (hrsg. v. Perthes, "Vaterländischen Mus.", 1810), "Komische und tragische Lyra" (Carl Ludwig Costenobles drei Bde dramatischer Spiele) sowie zu W. G. Beckers "Taschenbuch zum geselligen Vergnügen" (Jg. 21, L. 1811). Erst die "Jahrhundertausstellung dt. Kunst" 1906 in Berlin, die 10 Arbeiten zeigte, machte R. bekannt. Priv. Schenkungen (u.a. durch Pauline R., 1856, 154 Zchngn, Richard Hülsenbeck, 1862) bildeten den Grundstock für die von Alfred Lichtwark ab 1886 in der KH Hamburg aufgebaute, bis heute größte und umfassendste öff. Slg der Werke R. bestehend aus Ankäufen, Schenkungen und Dauerleihgaben. Neben Caspar David Friedrich ist R. der wichtigste bild. Künstler der dt. Frühromantik. Markant ist die intensive intellektuelle Durchdringung seines kunst- wie bildtheoretischen und bildkünstlerischen Schaffens. Durch den geistigen Austausch mit führenden lit.-phil. Vertretern der Frühromantik arbeitet er während seines gesamten Lebens an der "neuen Kunst" (R.) in Abkehr vom Klassizismus wie auch späteren Kunstströmungen der Romantik (Nazarener, Gebr. Riepenhausen). Die von R.s Bruder und Förderer Daniel Nicolaus hrsg. "Hinterlassene Schriften" geben zu Bildern, kunsttheoretischen Überlegungen und lit. Arbeiten (z.B. die Märchen Von den Machandelbohm und Vom Fischer un sine Fru) einen umfassenden, detaillierten Einblick in R. künstlerisch-intellektuellen Werdegang.

WERKE

Berlin, Alte NG. - GG. - Kpst.-Kab. Dresden, GG NM. - Kpst.-Kab. Frankfurt am Main, Städel. Greifswald, Pommersches LM. Hamburg, KH. - Kpst.-Kab. - MKG. Lübeck, Mus. Behnhaus//Drägerhaus. - St. Annen-Mus. München, NP. Stuttgart, SG, GrS. Weimar, Klassik Stiftung. Wien, Belvedere. - KHM. Winterthur, Mus. Oskar Reinhart.

SELBSTZEUGNISSE

Märchen von dem Machandelbohm, Ztg für Einsiedler v. 9.7/12.7.1808 (Nrn 29/30); Farben-Kugel, oder Construction des Verhältnisses aller Mischungen der Farben zueinander und ihrer vollst. Affinität, Ha. 1810; K.F. Degner (Ed.), P.O. R., Briefe in der Urfassung, B. 1940; H.Freiherr von Maltzahn (Ed.), P.O. R.s Briefwechsel mit Goethe, Weimar 1940; Hinterlassene Schriften, 2 Bde, ed. D.Runge, Göttingen 1965 (Faks. der Erst-Ausg. Ha. 1840-41); K.Feilchenfeldt (Ed.), Clemens Brentano, P.O. R. Briefwechsel, Ffm. 1974.

AUSSTELLUNGEN

Einzelausstellungen:

(alle K): 1977, 2010-11 Hamburg, KH / 1996 Amsterdam, Van Gogh Mus. (mit Caspar David Friedrich). -

 

Gruppenausstellungen:

(alle K): Hamburg, KH: 1974: Ossian und die Kunst um 1800; Nicolai Abildgaard, Der Lehrer von Friedrich und R.; 2021-22 Futura / 1983 Zürich, Kunsthaus: Der Hang zum Gesamtkunstwerk: Europ. Utopien seit 1800 / 1995 München, Haus der Kunst: Ernste Spiele / 2010 Greifswald, Pommersches LM: Friedrch. R. Klinkowström.

 

QUELLEN

Thieme-Becker, Vollmer und AKL:

ThB29, 1935

 

Weitere Lexika:

Rump, 1912; ELU IV, 1966; Bauer, GEM VII, 1978; Kindler, ML XI 1982; DA XXVII, 1996; Weilbach VII, 1998

 

Gedruckte Nachweise:

J.v.Görres, Heidelbergische Jb. der Lit. 1:1808(2)261-277; C.Brentano, Berliner Abendblätter v. 19.12.1810; A.Lichtwark (Ed.), P.O. R., Pflanzenstudien mit Scheere und Papier, Ha. 1895; A.Aubert, R. und die Romantik, B. 1909; S.Krebs, P.O. R.s Entwicklung unter dem Einflusse Ludwig Tiecks, He. 1909; W.Roch, P.O. R.s Kunstanschauungen, B. 1909; G.Pauli, P.O. R.s Zchngn und Scherenschnitte in der Hamburger KH, B. 1916; id., Die Lit. Ges. 2:1916, 17-25; J.B.C. Grundy, Tieck and R., Straßburg 1930; O.Böttcher, P.O. R., Diss. Hamburg 1933; C.Hintze, Kopenhagen und die dt. Malerei um 1800, Diss. München, Nü. 1937; C.A. Isermeyer, P.O. R., B. 1940; O.v.Simson, ArtB 42:1942, 335-50; B.v.Ragué, Das Verhältnis von Kunst und Christentum bei P.O. R., Diss. Bonn 1950; S.Waetzoldt, P.O. R.s "Vier Zeiten", Diss. Hamburg 1951; G.Berefelt, Zs. für Ostforschung 9:1960, 14-30; id., P.O. R. zw. Aufbruch und Opposition, Sth. u.a. 1961; C.Grützmacher, Novalis und P.O. R., Diss. München, M. 1964; M.Vasella-Lüber, P.O. R.s Briefe, Z. 1967; J.Traeger, in: H.Koopmann/J.A. Schmoll gen. Eisenwerth (Ed.), Beitr. zur Theorie der Künste im 19. Jh., Ffm. 1971; D.Hoffmann, R. Spielkarten-Faks., M. 1972; id., Konsthistorik Tijdskrift 41:1972, 81-94; C.Brentano, P.O. R. Briefwechsel, ed. K.Feilchenfeldt, Ffm. 1974; C.Franke, P.O. R. und die Kunstansichten Wackenroders und Tiecks, Marburg 1974; J.Traeger, P.O. R. und sein Werk, M. 1975 (Lit.); J.C. Jensen, P.O. R. Leben und Werk, Köln 1977; W.Hofmann, in: R. in seiner Zeit (K Hamburg), M. 1977; H.Hohl, in: ibid. (zahlr. Beitr.); M.Lingner, Kunstforum Internat. 24:1977, 174-205; P.-K. Schuster/K.Feilchenfeldt, in: R.Brinkmann (Ed.), Romantik in Deutschland, St. 1978; N.Zaske, Wiss. Zs. der Ernst-Moritz-Arndt-Univ. Greifswald 28:1979(1-2)56-60; P.H. Feist, ibid. 18-20; F.Möbius, ibid. 122-126; H.Matile, Die Farbenlehre P.O. R.s, M./Mittenwald 1979; KH Hamburg (Ed.), R. Fragen und Antworten, M. 1979 (zahlr. Beitr.); M.Lingner, Zs. für Ästhetik und allg. Kunstwiss. 24:1979, 75-94; H.Börsch-Supan, Pommern 15:1977(3)1-7; P.Betthausen, in: id. (Ed.), Studien zur dt. Kunst und Archit. um 1800, Dd. 1981; K.Möseneder, P.O. R. und Jakob Böhme, Marburg/Lahn 1981; C.Richter, P.O. R. Ich weiß eine schöne Blume, M. 1981 (WV Scherenschnitte); H.Hohl, in: Luther und die Folgen für die Kunst (K Hamburg), M. 1983; W.Busch, Die notwendige Arabeske, B. 1985; H.Mildenberger, Jb. des Schleswigholsteinischen LM Schloss Gottorf NF 1:1986-1987, 31-87; T.Leinkauf, Kunst und Reflexion, M. 1987; J.Traeger, P.O. R. Die Hülsenbeckschen Kinder, Ffm. 1987; id., in: Wege zur Kunst und zum Menschen, Bonn 1987; C.Lichtenstern, Die Wirkungsgeschichte der Metamorphosenlehre Goethes, Weinheim 1990; C.Hertel, Word and Image 9:1993(4)320-348; H.Scheel, Die erlösende Kraft des Lichts, Bern u.a. 1993; J.J.K. Reusch, P.O. R. and the intellectual circles around Matthias Claudius, L.A. 1994; W.Hofmann, Das entzweite Jh., M. 1995; J.Traeger, in: Ernste Spiele (K Haus der Kunst), M. 1995; H.Hohl, in: P.O. R., Caspar David Friedrich (K Amsterdam), Zwolle 1996; id., Die Zeiten, Der Morgen, Ha. 1997; H.Mildenberger, J. of the Hist. of Coll. 9:1997(2)295-303; A.Haas, in: C.Bahr/G.Jain (Ed.), Zw. Askese und Sinnlichkeit, Dettelbach 1997; W.Hofmann (Ed.), P.O. R. Scherenschnitte, Ffm. 61998 (1977); J.Ramos, Hist. de l'art 45:1999, 71-84; J.Traeger, Dresdner Hefte 17:1999(58)62-69; S.Jacobs, Auf der Suche nach einer neuen Kunst, Weimar 2000; M.Baumgartner, in: A.Friedrich u.a. (Ed.), J.H.W. Tischbein (1751-1829), Petersberg 2001; T.Lange, in: ibid.; E.Hevers, in: R.Wegner (Ed.), Kunst - die and. Natur, Göttingen 2004; T.Lange, in: Hessisches LM (Ed.), Blinky Palermo, Da. 2006; id., Simulacrum14:2006(2) 9-11; id., ibid. 14:2006(3)8-12; C.Scholl, Romantische Malerei als neue Sinnbildkunst, B./M. 2007; R.Hoppe-Sailer, in: R.Hoeps (Ed.), Hb. der Bildtheologie, Bd 1, Paderborn 2007; P.Betthausen, P.O. R., L. 2008; P.Kintz, Alles was wir sehen, ist ein Bild, Delft 2009; C.Scholl, in: E.Kleinschmidt (Ed.), Die Lesbarkeit der Romantik, B. 2009; U.M. Schneede, P.O. R., Ha. 2010; P.Prange, Eutiner Jb. für Heimatkunde 44:2010, 79-121; T.Lange, in: M.Bertsch, Lsch. am Scheidepunkt, Göttingen 2010; T.Lange, Das bildnerische Denken P.O. R.s, B./M. 2010; F.Büttner, P.O. R., M. 2010; M.Bertsch u.a. (Ed.), P.O. R. und die Geburt der Romantik, M. 2013; R.Unruh, Kunstforum Internat. 280:2022(März-April)246-248

 

Onlinequellen:

S.Strasser-Klotz, R. und Ossian, Diss. Regensburg 1994 (2005 publ.)

 


THIEME-BECKER

Runge, Philipp Otto, Maler, *23. 7. 1777 Wolgast,†2. 12. 1810 Hamburg. Neuntes Kind des Schiffsreeders Daniel Niklaus R.; karn zunächst 1795 in kaufmännische Lehre nach Hamburg; seit 1797 dort Zeichenstunden bei Herterieh, später bei Hardorff. Okt. 1799 bis Mai 1801 an der Kopenhagener Akad. bei J. Juel. Juni 1801 bis Nov. 1803 an der Dresdner Akad.: die entscheidenden Jahre; Verkehr mit A. Graff, L. Tieck, Goethe (Weimar); die grundlegenden romantischen Bildideen konzipiert, vor allem die "Tageszeiten". Seit Ende 1803 in Hamburg ansässig, nahm hier abermals Malstunden, malte zahlreiche Porträts, meist von Familienangehörigen, religiöse Bilder u. Phantasie-Kompositionen, um sich für die monumentale Ausführung seiner "Tageszeiten" vorzubereiten, mußte aber 1807 seine künstler. Tätigkeit unterbrechen, um in das wankende Geschäft seines Bruders Daniel als Hilfskraft einzutreten. Dennoch malte er 1808 unter erschwerenden Umständen die 1. Fassung des "Morgen" und begann 1809 dessen veränderte Ausführung ins Große. Dazwischen vollendete er die farbentheoretische Schrift "Die Farbenkugel". Eine tödliche Lungenkrankheit verhinderte bald alle Arbeit. R.s Bedeutung für die deutsche Kunst beruht auf der innigen Zusammenwirkung von Theorie u. künstler. Praxis, die ihn zu dem eigentlichen Schöpfer der romantischen Malerei machen. Frühe Anregungen von L. Ohmacht, W. Blake u. Flaxman mit Kopenhagener Eindrücken des soliden Realismus von J. Juel bildeten die Grundlage, auf der R. seine Vorstellung einer neuen, von rein romantischer Empfindung getragenen Kunst aufbaute (in strengem Gegensatz zu dem vorherrschenden akademischen "Klassizismus" und bald auch bewußt zu Goethes u. der "Weimarer Kunstfreunde" dogmatischen Forderungen). Der Gedankenaustausch mit Ludwig Tieck in Dresden, der ihm die Mystik Jakob Böhmes vermittelte, brachte seine Ideen zum Reifen. Nach dem noch in Flaxmans Art gezeichneten "Triumph des Amor" und der schon als Gemälde begonnenen "Lehrstunde der Nachtigall" entwarf er 1802/3 die 4 großen "Tageszeiten", in denen er sein romantisches Bekenntnis zur Alleinheit der Welt u. ihrer Geschöpfe ablegte und ein Symbol pantheistischer Weltanschauung schuf, das umfassender, klarer u. anschaulicher war als alle Werke der romantischen Dichter. In den "Tageszeiten" treffen sich die Ideen religiöser Mystik von der Art Jakob Böhmes (vor allem aus seiner "Aurora") und der Naturromantik der Novalis, Wackenroder u. Tieck zu plastischer Darstellung. R. schuf in 4 Bildern Symbole zugleich für Tages- u. Jahreszeiten, für den Kosmos Gottes u. das Leben des Menschen. Ini "Morgen" erhebt sich die Welt zum Leben und zu einem neuen Tag, das Neugeborene streckt dem Licht seine Arme entgegen, Genien musizieren auf der Lilienblüte, die Symbol des reinen Lichtes u. der Urschöpfung ist, und Gottes "Werde" leuchtet über dem Ganzen. 1m "Mittag" runden sich Welt, Tag u. Menschenschicksal, im "Abend" sinkt die Welt unter zarter Musikbegleitung in Dämmerung, und in der "Nacht" steht sie still, bereit zum Wiedererwachen. In jedeni Bild ist zugleich eine der 3 Grundfarben Gelb, Blau u. Rot vorherrschend und sind christl. Symbole im umfassenden Rahmenwerk dargestellt. Gedacht waren die 4 Entwürfe als Raumdekoration in größtem Maßstab, und R. verwandte nun die Arbeit seines Lebens auf Erreichung dieses Ziels. Zur Übertragung der Umrißzeichnungen in Malerei gehörte nicht nur eine geistige Umformung zu realistischer Raumdarstellung, sondern auch eine weit umfassendere Beherrschung des Handwerks, als sie R. nach seiner akademischen Schulung zu Gebote stand. Diesem Plan verdanken wir sein eigentliches Malwerk an lebensgr. Bildnissen, religiösen u. symbolhaften Gemälden; R.s einzige Absicht dabei war, Hand u. Auge zu schulen und an großes Format zu gewöhnen, um - zunächst - seinen "Morgen" in gewaltigem Maßstab anzulegen. Tatsächlich widerlegen jene Bilder (die fast sämtlich der Hamburger Kunsthalle angehören) die früher oft aufgestellte Behauptung, R. sei nur als ein Theoretiker mit schwacher Begabung zur Malerei aufzufassen. Ihre strenge, große Form, bei der die Farbe wie das Licht nur zur plastischen Modellierung der Körper dienen, umspannt einen Gehalt an seelischer Größe, der in der deutschen Kunst seit Dürer nicht mehr erlebt wurde. Unter der Hülle eines plastischen u. herben Realismus offenbart sich das tiefe Gefühl des Romantischen, die Erhebung des Seienden zu ewigem Gehalt: in den Bildnissen als Monumentalisierung der Persönlichkeit in ihrem Seelenzustand, in den religiösen Bildern als Syrnbolisierung der christl. Vorgänge in der Deutung paralleler Naturerscheinungen, in den romantischen Friesen u. Aquarellen als zauberhaftes Spiel mit poetischen Vorstellungen. Aber vor der Vollendung auch nur des 1. Bildentwurfs der "Tageszeiten", mitten in der Arbeit für die 2. (wohl auch nicht endgültige) Fassung des "Morgen" starb R.; und dieses Bild wurde nach seinem Wunsch so zerschnitten, daß nur ein paar Reste übrig geblieben sind. Ein Verhängnis für die deutsche Kunst des 19. Jahrh. wurde es, daß nach dem Tode R.s, der sich durchaus als Lehrer einer großen neuen Malerei berufen fühlte, an seine Stelle Cornelius trat, mit weitausgreifender Wirkung, die an Stelle einer Weiterpflege romantischer Gesinnung u. Malweise die akademische Routine der Historienmalerei herauf führte. Auch als Farbentheoretiker (Ph. O. R., Farbenkugel oder Construktion des Verhältnisses aller Mischungen der Farben zueinander, Hbg 1810) wie als Dichter ist R. zu den bedeutenden Frühromantikern zu rechnen. Sein Bruder Daniel hat sein gesamtes Vermächtnis unter dem Titel: Hinterlassene Schriften, in 2 Bänden 1840/41 bei Perthes herausgegeben, vor allem R.s Briefe enthaltend, in denen er seine Pläne u. seine ganze Kunstauffassung nebst Farbenlehre entwickelt. Außerdem enthalten sie kleinere Schilderungen von Reisen, Gedichte u. die beiden in plattdeutscher Mundart verfaßten Märchen "Von dein Machandelboom" und "Von dein Fischer un syner Fru", die 1806 für die Sammlung der Brüder Grimm (nach volkstümlicher Überlieferung) niedergeschrieben wurden. Diese Märchen gehören in der konzentrierten Ausdruckskraft ihrer niederdeutschen Sprache zu den vollendetsten Dichtwerken der deutschen Romantik. In der Hamburger Kunsthalle: Gemälde: 1802/03: Lehrstunde d. Nachtigall (I. Fassung). 1804: Bildnis seiner Gattin. 1805: Die Hülsenbeckschen Kinder, Selbstbildnis (mit der aufgestützten Hand), Bildnis seines ältesten Söhnchens (im Kinderstuhl), Perthes' Töchterchen. 1806: Bildnis Daniel Runges, mehrere Selbstbildnisse, Bildnis seiner Eltern; dazu verschiedene Ölstudien des Ganzen und einzelne Köpfe. Ruhe auf der Flucht (unvoll.). 1807: Christus auf dem Meer, Bildnis der Schwiegermutter, Ölstudie zum "Mittag" (Gruppe der Mutter), Bildnis der 2 ältesten Kinder (Bruststück). 1808: Erste Fassung des "Morgen". 1809: Bildnis s. Frau (Brustbild); Fragmente der letzten Fassung des "Morgen": Kind auf der Morgenwiese, Schwebende Genien toit Blumen u. Lichtlilie. - 1931 vernichtet bei dem Brand des Münchner Glaspalastes: Mutter mit Kind an der Quelle, 1804; Lehrstunde der Nachtigall, 2. Fassung, 1805; Wir drei (Selbstbildnis mit Braut u. Bruder Daniel), 1805. - Aquarelle: Die Freuden der Jagd, 1808/9. Arvins Meerfahrt, 1809. Nachtigallengebüsch, 1810. - Zeichnungen (nur die selbständigen, nicht in Malerei ausgef. Kompositionen): Heimkehr der Söhne, 1800. Triumph Amors: 1. (Kopenh.) Fassung, 1800. 2. (Dresdner) Fassung, 1802. Szenen aus der Ilias, Athene mit Odysseus u. Diomedes, 1800. Achill ti. Skamander, 1801 (Wettbewerbsarbeit für die "Weimarer Kunstfreunde" - von Goethe abgelehnt). Die Freuden des Weins, mit besond. Rahmen, 1802. Die 4 Tageszeiten, 1802/3, Umrißzeichnungen von Morgen, Mittag, Abend,-Nacht, 1807 in großen Stichen herausgegeben. In der gleichen Weise sehr großer genauer Umrißzeichnungen sind die endgültigen Vorzeichnungen zu den Hülsenbeckschen Kindern und den meisten Kompositionen durchgeführt. - Zeichnungen zu Ossian, Fingals Leben darstellend, 1804/5. Dichter u. Quelle, 1805. Aussetzung des Moses, 1806. Umschlagzeichn. zum Perthesschen Journal (symbolisch, "Not des Vaterlandes"), 1809. Vorzeichnungen zu 4 Rad. kl. Formats, Motive der Tageszeiten variierend. Umschlagzeichn. für ein Taschenbuch 1810 (Jungfrau mit 4 Kindergenien). Zahlreiche Studien zu den gemalten u. gezeichneten Kompositionen. Kartenspiel (8 Bll.), Vorzeichngn zu den Holzschnitten von Gubitz (1809/10). - Scherenschnitte: in seiner Jugend und auch später mit höchstem Geschick hergestellt, vor allem Blumen u. Pflanzen, weiß auf schwarz, in großer Zahl erhalten, außer in Hamburg im Mus. Stettin u. Goethemus. Weimar. (Das große Familienbild, als erstes im Rungebuch von P. F. Schmidt abgeb., dürfte trotz der Signatur nicht R. gehören; dazu reicht es nach Stil u. Kostüm viel zu weit ins 18. Jahrh. zurück.) In Berlin, Nat.- Ga1.: Bildnis s. Frau mit Söhnchen (1808?), unvollendet. Zeichng: Allegor. Darstellg d. Schellingschen Philosophie. - Im Mus. Stettin: Bildn. s. Nichte, Wilhelmine Helwig, späteren Baronin v. Langermann (1806/07); Bildn. d.Herrn Mohnike. Zeichngn: Schlafendes Kind; Bildn. s. Bruders Karl Hermann. - In d. Gal. d. 19. Jahrh.s (Ob. Belvedere) in Wien: Bildn. d. Malers Fr. Aug. v. Klinkowström (1808) u. Kind mit Blume. Lit.: Ph. O. R., Hinterlass. Schriften, 2 Bde m. 7 Bildwerken, Hamb. 1840/41. - Ph. O. R.s ausgeschnittene Blumen und Thiere in Umrissen ... gravirt u. herausg. von Doris Lütkens, geb. v. Cossel, Hamb. 1843. - Ph. O. R., Pflanzenstudien mit Schere und Papier, mit 3 Holzschnittaf., Hamb. 1895 (als Ms. für die Gesellsch. Hamb. Kstfreunde gedr.). - Briefe von Ph. O. R., ausgew. v. Er. H an ck e, Berl. 1913. - Ph. O. R., 12 unveröffentl. Zeichngn zu Ossian, Berl. 1921.- Ph. O. R., Eine Auswahl Briefe u. Gedichte, herausg. v. Grete G lass, Hamb. 1922. - Ph. O. R., Betrachtungen über Est u. Leben. Eine Auswahl a. s. Schriften, Frkf. a. M. 1924.- P.Sc hnei - der, Ph. O. R., Berl. 1922. - P. F. Schmidt, Ph. O. R., Lpzg 1923.- R. Wölfle, Ph. O. R., Frkf. a. M. 1925. - L. Benninghoff, Ph. O. R., Hbg 1926. - Schlegels Deutsches Museum, 2 (1812) 92ff. - Goethe in Est u. Alterth., H. 2 (1817) p. 35f. - R a - czynski, Gesch. d. neueren dtsch. Kst, 3 (1841). - A. A. F. Milarch, über Ph. O. R.s 4 Zeiten, Berl. 1821. - A. Hagen, Dtsche Est i. uns. Jahrh., Berl. 1857, I 77ff. - Greifsw. Akad. Ztschr., II, H.1 (1826) p. 58f. (Schildener), 60ff. (Quistorp). - F. Reber, Gesch. d. neueren dtsch. Est, 1876. - Allg. Dtsche Biogr., 29 (1889). - A. Lieh twark, D. Bildnis in Hamburg, 1898; ders., Aus Ph. O. R.s Jugend, in Jahrb. d. Ges. Hbg. Kstfreunde, 9; ders., Hamburger Aufsätze, 1917 p. 72ff., 83ff., 87ff., 130 ff., 143. - Pyl in Beitr. z. Gesch. Pommerns, 1898 p. 195ff. - H. Petrich, ¡'omm. Lebens- u. Landesbilder, 11/1 235ff. - R. Steig, Zu O. R.s I.eben u. Schriften, in Euphorion, 9 (1902) 660ff. - Fr. Schultz, Ph. O. R., in Westermanns Monatsh., 91 (1902) 541 f1. - J. Meier-Graefe, Entwicklungs-Gesch. d. mod. Kst, 2. Aufl. Münch. 1913/15, I 116ff. - C. Gurlitt, D. dtsche Est d. 19. Jh., Berl. 1899; 4. Aufl. u. d. 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F. 3(1926) 159ff. - Belvedere (Wien), 9/10 (1926) Forum p.79, 154ff. - Unser Pominerland, 17 (1932) 17ff. (0. Hol tze, Goethes Beziehungen zu R. u. Friedrich). - D. Kunst, 63(1930-31) 329ff.; 67 (1932/3) 276ff. (O. Böttcher, Unbek. Werke v. R.; vgl. Erklär. d. Mus. Stettin in Weltkst, Nr 28 v. 9 7. 1933, p. 4). - Ztschr. f. Kstgesch., 2 (1933) 141. - J. Strzygowski-Festschr., Klagenfurt 1932, p. 79f. - G. H. Sieveking, Die Gesch. d. Hammerhofes, 3. T.: B. A. Müller, Die Bilder d. Fam. Sieveking, Hbg 1933, p. 87ff., 90. P. F. Schmidt.