Gerhaert (Gerhart), Nikolaus (Nicolaus; von Ley[d]en; Gerhaert von Leiden, Nicolaus; Nicolaus Gerhaert von Leyden), Bildhauer wahrsch. niederl. Herkunft, *um 1430, †28.6.1473 wohl Wiener Neustadt (begr. ebd., Liebfrauendom), tätig in Straßburg und für den Röm. Kaiser Friedrich III.
Gerhaert, Nikolaus
Der in Quellen und Sign. mehrfach verwendete Namenszusatz "von Leiden" könnte den Ort der Geburt nennen, eher jedoch den der Ausb. oder eines längeren Aufenthalts vor der Übersiedlung nach Straßburg (Eis, 1960). Zuerst bringt G. diesen Zusatz selbst inschriftl. am Grabmal des Trierer Erzbischofs und Kurfürsten Jakob von Sierck (†1456) an, ehem. im Chor der dortigen Liebfrauenkirche, heute ebd., Erzbischöfl. Dom- und Diözesan-Mus.: "nicola(us) gerardi de leyd(en) (per)egit 1462" (Wertheimer, 1929; Söding, 2002). Daraus geht auch hervor, daß Gerhaert (nach niederl. Schreibweise und Sitte) zunächst der Vatername war. Noch bevor G. in Straßburg eingebürgert wurde, bittet am 2.12.1463 Kaiser Friedrich III. den Rat der Reichsstadt um Unterstützung, da er "Niclas Pildhaver" an seinen Hof ziehen möchte (Maier, 1910; Wertheimer, 1929). Dieser zögert die Annahme des Auftrags hinaus; am 31.8.1464 erhält "Meister Niclaus von Leiden" das Straßburger Bürgerrecht (Wertheimer, 1929). Im selben Jahr wird G.s Ehefrau erw., mit der er mindestens zwei Kinder hatte: Apollonia, verh. mit dem Goldschmied Georg (Jörg) Schongauer (Maier, 1910), und Peter, der 1487 das Straßburger Bürgerrecht aufgab (Maier, 1910). Die diesbezügl. Quelle belegt, daß G. nun Familienname geworden und die Fam. in Straßburg ansässig geblieben ist, nachdem G. 1468 in den Hofdienst Kaiser Friedrichs III. getreten war. Gearbeitet hat G. seitdem wahrsch. in Passau. Zwar wird am 19.2.1472 "Niclas, Steinmetz" als Besitzer eines Weinguts in Wiener Neustadt, dem Lieblingssitz des Kaisers, erw. (Maier, 1910), doch war G. nie Bürger dieser Stadt. Wo er, vermutl. in mittleren Jahren, starb, bleibt unklar. Im 18. Jh. war G.s Grabplatte noch erhalten, deren Inschr. zuerst Raimundus Duellius 1733 in verderbter Form publizierte. In einer Hs. (Cod. 9221) der Österr. NB ist sie getreuer überliefert: "Anno Dom(ini) 1473 den 28 Juny starb der kunstreich / Maister Nicolas Von Leiten, der Kayser Fridrichs grab- / stein gehauen hatt, und erwöhlter Werckmeister / ahm grosen Baw zu Straßburg und daselbst / Burger waß" (Kohn, 1993). Über sein wichtigstes Werk für den Kaiser und das Todesdatum hinaus belegt die Inschr., daß G. in Straßburg zum Werkmeister des Münsters gewählt worden war. Dies deutet auf eine klass. Steinmetzen-Ausb. hin, die G. auch zur Übernahme von archit. Aufgaben befähigte (Söding, 2002); aus unbek. Gründen hat er aber wohl das Amt nicht angetreten. - I. Werke nach den Quellen: Aufgrund von Sign. und Quellen lassen sich G. mehrere Werke zuweisen, die jeweils eine Fülle von Fragen über Ort, genauen Zeitpunkt und die Umstände ihrer Erschaffung aufwerfen: 1. Das erw. Grabmal des Trierer Kurfürsten Jakob von Sierck, inschriftl. dat. 1462. Da der Auftraggeber in einem Test.-Entwurf von 1456 die Grabanlage (urspr. mit transi und gisant, d.h. Figuren des Verstorbenen in seiner ird. Amtstracht und des verwesenden Leichnams) samt ihren Inschr. noch selbst umrissen hat (Söding, 2002), wird er wohl auch selbst an den Künstler, der bereits einen gewissen Ruf besessen haben muß, herangetreten sein. Es ist nicht gewiß, ob G. damals noch in den Niederlanden arbeitete, nach Trier geholt wurde oder bereits nach Straßburg gezogen war. Jedoch enthält der 1462 dat. Nördlinger Hochaltar Figuren Straßburger Provenienz, die zwar nicht unmittelbar von der Hand G.s stammen (vgl. unten), doch eine enge Berührung mit seinen Werken vermuten lassen; daher ist es wahrsch., daß G. das Trierer Grabmal bereits in Straßburg oder von dort aus gefertigt hat. 2. Portal der Neuen Kanzlei (1793 abgerissen) am Straßburger Gutenbergplatz: Am 14.6.1464 wird "Niclaus von Leiden, der Bildehouwer zu Straßburg", vom Rat der Stadt Straßburg für "an ir nuwen Kantzelien ein stein werk mit ir Statt Wopen vnd mit ander Zierunge" mit 234 fl. bezahlt, wofür er 20 Jahre Garantie gibt. Nach Maier (1910) zeigte das angehängte (verlorene) Siegel drei Hifthörner auf kleinen Schildchen und die Umschrift "N(icolaus) Gerhaert", nach Rott (III, 1936) hingegen: "S(igillum) . Claes . (G)erhaert . soen". Dieser städt. Auftrag deutet darauf hin, daß G. als Werkmeister auch archit. Aufgaben übernehmen konnte. Es sind nur zwei Halbfigurenbildnisse (1870 teilw. zerst.) bzw. Kopffragmente und Gipsabgüsse erh., die wohl Graf Jakob von Lichtenberg und dessen Konkubine Bärbel von Ottenheim darstellen. Wahrsch. gehört zu dem Ensemble auch eine weitere, die berühmte Büste eines nachdenklich das Haupt aufstützenden Mannes, vermutl. das Selbstbildnis von G. 3. Das Epitaph eines Domherren - wahrsch. des Konrad von Bus(n)ang (†1471) - in der Johannis-Kap. am Nordquerhaus des Straßburger Münsters ist sign.: "mcccclxiiii n(icolaus) v(on) l(eiden)". Das unterhalb einer archit. gerahmten Nische mit den halbfigurigen Darst. der Madonna und des Stifters angebrachte Wappen nebst Inschrifttafel wurde abgemeißelt. In derselben Kap. befand sich zudem ein Grabmal (verloren) mit der ganzfigurigen Darst. Busnangs (Schad, 1617), möglicherweise dem erh. Relief zugeordnet (Recht, 1987). 4. Hochaltar und Chorgestühl des Konstanzer Münsters: Diesen Auftrag übernimmt G. 1465/66 (oder noch etwas früher) zus. mit dem Tischler Simon Haider in Konstanz (Deutsch, 1964). Am 17.4.1467 wurde der Vertrag mit G. nach Abschluß der Arbeiten am Retabel, für das G. bereits 100 oder 200 fl. erh. hatte (Deutsch, 1964), durch Vermittlung des Straßburger Rats gelöst: Der zw. dem Domkapitel und "meister Niclaus von leyden, dem Bildesnyder, seshaft zu Strasburg" entstandene Zwist wird beigelegt, G. erhält für Taf. und Gestühl 50 fl., wobei der Vertrag über das Gestühl gelöst wird (Wertheimer, 1929). Die Aufgabenteilung in der Zusammenarbeit mit S.Haider, der als Auftragnehmer z.B. das Westportal des Münsters signierte, ist belegt durch den Spruchbrief des Bürgermeisters und Rates von Konstanz, mit dem 1490 eine Auseinandersetzung zw. versch. Zünften beendet wurde (Maier, 1910; Wertheimer, 1929). 5. Das steinerne Kruzifix vom Friedhof im Rotenbachtal (heute: Pfarrk. [ehem. Stiftskirche]) in Baden-Baden ist bez. "1467 niclaus von leyen" (Wertheimer, 1929). Das Wappen auf der Vorderseite bezeichnet den Stifter, den markgräfl.-bad. Arzt Hans Ulrich (der) Scherer. 6. Das Grabmal für Kaiser Friedrich III. ist G.s repräsentativster Auftrag. Dem Ruf des Kaisers 1463 hatte sich G. wohl wegen der guten Auftragslage in Straßburg und Konstanz zunächst entzogen. Offenbar trug das Drängen des Kaisers beim Straßburger Rat in einem Schreiben vom 5.6.1467 zur Auflösung des Konstanzer Kontrakts bei: Der Kaiser habe beim Steinmetz Niclas bereits mehrere Grabsteine in Auftrag gegeben (Maier, 1910; Wertheimer, 1929) und sichere zu, die Arbeit angemessen zu bezahlen. G. verspricht am 3.8., sich binnen eines Monats zum Kaiser zu verfügen (Wertheimer, 1929). 1468 wird das Mat. für die geplanten Grabsteine, gescheckter Adneter Marmor, beschafft: Der Mautner Caspar Smutzer in Rottenmann/Stmk wird zweimal angewiesen, dem Friedrich Majr Geld für des Kaisers Grabstein(e) auszuzahlen (Wertheimer, 1929; Schmid, 1938). Neben dem Mat. für das Kaisergrab wird der Block für das der 1467 plötzl. verstorbenen Kaiserin Eleonore gemeint sein. Der Marmor wurde nun in G.s Wkst. transportiert. Wo diese sich befand, ist eine der am meisten diskutierten Fragen der G.-Forschung. Eine Zahlungsanweisung vom 2.6.1469 bestimmt, daß "Maister Niclasen pildhawer von Strasburg" 200 fl. als Bezahlung für geleistete und noch zu leistende Arbeit vom Passauer Bischof Ulrich von Nussdorf einfordern dürfe, der als Reichskanzler dem Kaiser abgabepflichtig war (Schmid, 1938). Daher nahm ein Teil der Forscher an, G. habe in Passau seine Arbeit ausgef., ja es sei Sitz einer "G.-Wkst." gewesen. Nun scheint ein längerer Aufenthalt G.s in Passau eher unwahrscheinl., weil man ihn in der Nähe des kaiserl. Hofs in Wien oder Wiener Neustadt vermuten möchte. Andererseits wird aber am 8.8.1479 berichtet, man habe den Grabstein des Kaisers nach Wiener Neustadt überführt (Jb. der K.K. Kunsthist. Slgn 17, Reg. 15444; Wimmer/Klebel, 1924), d.h., daß sich G.s Wkst. nicht dort befunden hat. Die Annahme von W.M. Schmid (1938), wonach das in dieser Quelle erw. Holz für die Verstärkung der Brücken auf dem Wege von Wien nach Wiener Neustadt verwendet worden sei, bestätigt ein Schreiben vom 28.7.1479, in dem der Wiener Stadtkommandant eine Geschützlafette für den Straßentransport von Krems nach Wien beordert (Hertlein, 1977; Krone-Balcke, 1999), und zwar lt. Quelle "newlich", d.h. Jahre nach G.s Tod. Damit bleiben nur wenige Möglichkeiten für den Standort der G.-Wkst., so Krems oder Passau, wobei letzterem der Vorzug zu geben ist. Krone-Balcke (1999) hat darauf verwiesen, daß in der dortigen bed. Dombauhütte Wkstn ansässig waren, die Rotmarmor zu bearbeiten verstanden, eine Technik, die auch G. sich wohl erst aneignen mußte. In den Quellen in Wiener Neustadt findet sich kein Hinweis auf einen längeren Aufenthalt G.s. Daß er aber zum Hofgesinde gezählt wurde, zeigt sein ehrenvolles Begräbnis im Dom. Vielleicht starb G. während eines seiner Aufenthalte bei Hofe oder auf seinem Weingut. Die Einnahme Wiens durch König Matthias Corvinus bewirkte dann, daß die Grabplatte erst kurz vor Kaiser Friedrichs III. Tod im Jahre 1493 nach Wien transferiert werden konnte. Die von G. wohl noch selbst entworfenen Pleurants, Putten und Fürstenfiguren der Tumba wurden vom sog. Meister der Passauer Dom-Madonna ausgef., während Max Volmer (früher irrig Valmet gen.; Perger, 1999, 78) und ein Mitarb. die stilist. versch. Tumbenreliefs fertigten, die keine Rücksicht auf das Rankenwerk darüber nehmen. So wird Volmer vom Kaiser 1478 als "unser steinmess" bezeichnet und erhält 90 Pfund Pfennig "zu Notdurft unser Grabstein" (Schultes, 2003). Nach der Überführung nach Wien hat Meister Michael Tichter die Voll. des Grabmals und seine Aufstellung im Südchor des Stefansdoms über Jahre geleitet; eine Bronzeplakette im Innern der Tumba nennt das Datum der Voll., 1512 (oder 1517?). 1513 konnte Friedrich III. endgültig darin beigesetzt werden. - II. Charakterisierung der erh. Werke: 1. Das Grabmal des Trierer Kurfürsten Jakob von Sierck, urspr. ein "Doppeldeckergrabmal", ist stark beschädigt, bes. das Gesicht des für sich gearbeiteten Gisants auf einer Platte aus lothring. Jaumont-Kalkstein. Dadurch ist die für G. sonst typ. subtile Durcharbeitung der Epidermis nicht mehr vollst. erh.; kennzeichnend bleiben die betonte Plastizität der Liegefigur vor der glatten Fläche der Platte mit den wie im Stehen nach vorn geschobenen betenden Händen sowie die subtile Wiedergabe verschiedenster Stoffqualitäten, von den feingefältelten Handschuhen bis zum großzügig brechenden festen Stoff der Kasel. 2. Die drei Büsten von der Straßburger Neuen Kanzlei, zu deren urspr. Anbringung und richtiger Deutung die Historiographen nur vage Angaben machen (Recht, 1987), sind der niederl. Porträtmalerei verpflichtet, die zu dieser Zeit in Deutschland noch wenig rezipiert wurde. Im Zentrum des Portals im Innenhof stand eine Madonna (verloren), gekrönt von einem herabfliegenden Engel, darüber ein Baldachin, auf dessen Spitze sich ein Storch befand. Auch seitl. der Maria schwebten zwei Engel, unter ihr war das von zwei Geharnischten gehaltene Stadtwappen angebracht (Will, 1959). Die beiden fragm. Büsten im Frankfurter Liebieghaus und im Straßburger Frauenhaus (Mus. de l'Œuvre Notre-Dame), die schon von Daniel Specklin (1587; vgl. Reuss, 1890) als Jakob von Lichtenberg und dessen Konkubine Bärbel von Ottenheim bez. wurden, waren wohl so angebracht, daß sie, in derselben Höhe wie die Engel die Madonna flankierend, aufeinander bezogen waren (Will, 1959). Die Deutung der Büsten als stadtbekanntes Liebespaar entspricht dem Char. der beiden Dargestellten als "ungleiches Paar" (Söding, 2002). Sie wird durch eine weitere, durch Künast (vgl. Will, 1959) überlieferte verlorene Büste gestützt, die ebenfalls eine Figur der Straßburger Stadtgeschichte zeigte, näml. einen bek. Laufboten. Außerdem erwähnt Künast (vgl. Will, 1959) ein in Stein gehauenes und auf einem Postament ruhendes Bildnis des Baumeisters mit der Inschr. "Vigilia Pasche MCCCCLXIII". Dabei dürfte es sich um die (freil. in Zabern aufgefundene) Halbfigur eines nachdenkl. Mannes im Straßburger Frauenhaus handeln, die damit, wie von jeher angenommen, als G.s Selbstbildnis ausgewiesen wäre (Schreiber, 2004). An and. Stelle wird zudem vor der Datumsangabe die Sign. "Nicolaus von Leiden" überliefert (Ingold, 1900). Die Bildwerke der Kanzlei waren gerahmt von weiteren meisterhaft ausgef. "Bildern, Thieren, Vögeln und dergleichen" (Künast; zit. in: Will, 1959). Die Körperhaltung aller Büsten betont(e) das räuml. Vorstoßen, die Einzelheiten (z.B. die den Kopf des Selbstbildnisses stützende Hand) zelebrieren die Plastizität bei zugleich höchster Subtilität der Oberflächengestaltung. Dies ist die konzentrierte Fortführung der Vorgaben von Claus Sluter, zugleich die Antwort auf die niederl. Porträtkunst von Jan van Eyck und anderen. Dabei sind gewisse Unterschiede spürbar; die Bärbel-Büste steht in ihrer weniger detailfreudigen Plastizität, die wohl auch einer geschlechtsspezifischen Darst. geschuldet ist, Figuren wie den Reliquienbüsten aus Weißenburg oder der Dangolsheimer Madonna (s.u.) nahe, was als Argument für deren Zuschr. an G. verwendet wurde. Zu fragen wäre, ob hier nicht - schon um den Auftrag in der denkbar kurzen Zeit von einem Jahr abschließen zu können - ein qualifizierter Mitarb. beschäftigt war, der nach G.s Vorgaben arbeitete. Die außerordentl. Qualität der Baumeisterbüste erreichen die beiden and. Büsten nicht vollständig. 3. Die Figurengruppe des Busnang-Epitaphs zeigt alle Züge der Meisterschaft G.s: Die trotz geringer Tiefe fast vollplast. herausgearbeiteten Figuren besetzen eine perfekt komponierte archit. Nische; sie sind von einer bis dahin ungekannten Lebendigkeit, bes. in der Natürlichkeit des spieler. die betenden Hände des Stifters berührenden Jesuskindes, das die unterschiedl. Realitätsebenen des Beters und der ihm gegenübertretenden Madonna überspielt; schließl. die präzise Herausarbeitung von Details und stoffl. Qualitäten bei gleichzeitiger Großzügigkeit in der Formgebung, wie etwa bei den Haaren. 4. Diese Eigenschaften kennzeichnen auch das Baden-Badener Kruzifix (Höhe des Kreuzes 541 cm, des Korpus 220 cm), bei dem G. den gestreckten Typus des Gekreuzigten, wie er zuvor schon beim Nördlinger Holzkruzifix von 1462 gestaltet worden war, aufgreift. Vor dem wuchtigen Hintergrund des naturalist. gestalteten Holzbalkens gestaltet G. de Körper zarter und entspannter und erreicht eine geradezu klass. Ausgewogenheit von subtiler Körperbeobachtung und abgemildertem Ausdruck des Leidens. Hier wird nicht das krasse Passionsgeschehen in den Vordergrund gestellt, sondern der im Tode (die Seitenwunde ist bereits geöffnet) ruhige Ausdruck des durch eine bes. ausladende Dornenkrone ausgezeichneten, nur leicht nach vorn geneigten Hauptes. Dieses Kruzifix hatte eine ungeheure Wirkung in der ganzen Region (vgl. Werke u.a. in Molsheim, Maulbronn, Offenburg; Ohnmacht, 1973) bis hin zum Slacker-Kruzifix des Veit Stoß in der Marienkirche zu Krakau. 5. Während die Deckplatte des Grabmals Kaiser Friedrichs III. G. zugeschr. wird, ist für die kleineren Figurengruppen und Tumbenreliefs höchstens sein Entwurf anzunehmen; die Voll. lag bei Max Volmer (Valmet) und Michael Tichter. Die entsprechend dem Rang des Verstorbenen reich angelegte, aus geschecktem Rotmarmor (wohl einer Anspielung auf den purpurfarbenen Porphyr als kaiserl. Mat.) gefertigte Platte gehört zu den Meisterwerken der europ. Grabmalkunst. Der Kaiser in vollem Ornat scheint aus einer baldachinbekrönten Architekturnische herauszutreten, ist aber rings von sieben Wappen samt zugehöriger Zier und einem Spruchband mit Friedrichs Devise "aeiou" gleichsam eingeschlossen. Das schwer zu bearbeitende Mat. ist meisterl. beherrscht, auch hier erreicht G. die Darst. versch. Stofflichkeiten bei hoher Wirklichkeitsnähe. In seiner Art als riesiges, auf einer Brückenkonstruktion zu Betrachtung und kult. Handlung umgehbares Tumbengrab ist das Friedrichsmonument einzigartig (die Platte diente Veit Stoß als Vorbild für das Grabmal König Kasimirs IV. Jagiello in der Kathedrale von Krakau).
Thieme-Becker, Vollmer und AKL:
ThB25, 1931 (s.v. Nikolaus Gerhaert von Leyden)
Weitere Lexika:
Lami, 1898 (s.v. Gerhart); NDB VI, 1964; Beaulieu/Beyer, 1992 (s.v. Gerhaert de Leyde, Nicolas); DA XII, 1996
Gedruckte Nachweise:
O.Schad, Summum Argentoratensium Templum, Straßburg 1617; R.Duellius, Dissertatio de fundatione templi cathedralis Austriaco-Neapolitani (vulgo Wiennerisch-Neustatt), Nü. 1733, 32; A.Essenwein, Anz. für Kunde der dt. Vorzeit 1881, 65-78; R.Reuss (Ed.), Les collectanées de Daniel Specklin. Chronique strasbourgeoise du seizième s., Strasbourg 1890 (Fragm. des anciennes chroniques d'Alsace II); A.M.P. Ingold (Einl.), Nouvelles œuvres inédites de Grandidier, V: Ordres militaires et mélanges hist., Colmar 1900; A.R. Maier, Niclaus Gerhaert von Leiden, Strassburg 1910 (Stud. zur dt. Kunstgesch., 131); F.Wimmer/E.Klebel, Das Grabmal Friedrichs des Dritten im Wiener Stephansdom, W. 1924 (Österreichs KD, 1); O.Wertheimer, Nicolaus Gerhaert. Seine Kunst und seine Wirkung, B. 1929; Rott I (Text), 1933, 99-101, 105, 110; I (Quellen), 1933, 21, 67, 73, 82, 85, 86; III (Quellen I), 1936, 221, 257-259, 269; III (Text), 1938, 55, 114, 117-119, 141; W.M. Schmid, MüJb 13:1938, 18-35; L.Fischel, N.G. und die Bildhauer der dt. Spätgotik, M. 1944; R.Will, Cah. alsaciens d'archéologie, d'art et d'hist. 1959, 63-70; G.Eis, Arch. für Kultur-Gesch. 42:1960, 294-303; W.Deutsch, Schr. des Ver. für Gesch. des Bodensees und seiner Umgebung 81:1963, 11-129; 82:1964, 1-113; E.D. Schmid, Der Nördlinger Hochaltar und sein Bildhauerwerk. Rekonstr., Stil, Frage des Meisters (N.G. von Leiden), Diss. Univ. München 1971; M.Ohnmacht, Das Kruzifix des Niclaus Gerhaert von Leyden in Baden-Baden von 1467, Bern/Ffm. 1973; A.Schädler, JbBerlMus, N.F., 16:1974, 46-82; E.Hertlein, Pantheon 35:1977, 294-305, 334 s.; R.Recht, Nicolas de Leyde et la sculpt. à Strasbourg, 1460-1525, Strasbourg 1987; H.Krohm, JbBerlMus, N.F., 33:1991, 185-208; L.Schultes, in: Vídenská gotika (K Prag), W. 1991, 83 s.; id., Kunst-Jb. der Stadt Linz 1992/93, 160-181; R.Kohn, Wiener Gesch.-Bll. 48:1993, 164-170; H.Scholz, JbBerlMus, N.F., 36:1994, 93-140; U.Krone-Balcke, Der Kefermarkter Altar, sein Meister und seine Wkst., M. u.a. 1999 (Kunstwiss. Stud., 78); R.Perger, Ostbair. Grenzmarken 41:1999, 75-80; U.Söding, in: S.Durian-Ress/H.Smolinsky (Ed.), Habsburg und der Oberrhein. Ges. Wandel in einem hist. Raum, Waldkirch 2002, 33-50; L.Schultes, in: A.Rosenauer (Ed.), Spätmittelalter und Renaiss., M. 2003 (Gesch. der bild. Kunst in Österreich, 3), 319-324, Kat. 94-100; S.Schreiber, Stud. zum bildhauer. Werk des Niclaus (Gerhaert) von Leiden, Ffm./B. 2004; R.Suckale, in: K.Corsepius u.a. (Ed.), Opus Tessellatum. Modi und Grenzgänge der Kunstwiss. Festschr. für Peter Cornelius Claussen, Hildesheim u.a. 2004, 327-340; R.Kahsnitz, Die großen Schnitzaltäre. Spätgotik in Süddeutschland, Österreich, Südtirol, M. 2005; J.Fajt, in: id./M.Hörsch (Ed.), Künstler. Wechselwirkungen in Mitteleuropa, Ostfildern 2006 (Studia Jagellonica Lipsiensia, 1), 289-324
Nikolaus Gerhaert von Leyden, Bildhauer u. Bildschnitzer, ca. 1462/73 in Trier, Straßburg u. Wien tätig, "ein Meister von wahrhaft europäischem Ausmaße" (Pinder). A. Name und Leben. Die urkundl. Nachrichten sehr spärlich. Nur für die letzten 12 Jahre s. Lebens sind uns Aufenthaltsort u. Werke N. G.s bezeugt. Geburtsjahr u. -ort unbekannt. Der sich mehrfach wiederholende Zusatz zu s. Namen "von Leyden" weist darauf hin, daß N. G. vor seiner Tätigkeit in Trier (also vor spätestens 1462) in Holland war; holl. Anregungen sind auch in s. Werk beobachtet worden (Vöge 1930). Daß er Holländer von Geburt war, ist damit noch nicht gesagt, doch läßt sich auch das Gegenteil einstweilen nicht beweisen. Das zweimalige Vorkommen der Schreibweise "von Leyen" (am Kruzifix in Baden-Baden u. in der Konfirmation der Straßburger Maler- u. Bildhauerzunft von 1516, Maier, 1910, p. 102, Wertheimer, 1929 p. 95) fällt gegenüber der fünfmal bezeugten Angabe "von Leyden" nicht allzu schwer ins Gewicht; jedenfalls besteht vorerst keine ernsthafte Möglichkeit, N. G. mit einer von Hans Rott in Koblenz nachgewiesenen Familie von Leyen (briefl. Mitt.) in Verbindung zu bringen. Die Namensform Lerch kommt erst im 18. Jh. auf u. scheint auf falscher Lesung der Grabschrift N. G.s durch Duellius (1733) zu beruhen (Lerch statt Leyen oder Leyden). Gerhaert ist Vatersname, wie die latein. Inschrift "Nicola' Gerardi" am Trierer Bischofsgrab von 1462 beweist. Auf dem Siegel des Meisters am (verschwundenen) Garantievertrag von 1464 (s. u.) fand sich nach Seyboth (1893) u. Maier p. 6 die (holl.?) Schreibart "Gerhaert"; der Sohn des Meisters, Peter, wird 1487 in d. Schreibweise "Gerhart" erwähnt ("peter gerhart, meister Niclaus des Bildhouwer seligen sun, hat das burgrecht abgeseit 9xta post laurentium" [Maier p. 59]). - Vermutlich ist N. G. im 1. Drittel des 15. Jahrh. geboren; die uns bekannten Werke (seit 1462) zeigen ausnahmslos einen reifen u. höchst persönlichen Stil. Was wir über s. Familienverhältnisse wissen, würde zu einem derartigen Geburtsjahr passen: 1464 wird seine Hausfrau erwähnt, 1487 seine Tochter Apollonia als Gattin des Goldschmieds Georg Schongauer (Maier p. 60). Für die Jahre 1462/73 haben wir folg. urkundl. Nachrichten (größtenteils, aber mangelhaft gedruckt bei A. R. Maier, 1910, und nach ihm bei Wertheimer, 1929): 1462: Signatur am Grabmal des Erzbisch. Jakob v. Sierck in Trier, Diözesan-Mus.: Nicola'. Gerardi. de. Leyd'. egit. 1462 (Back 1913, Wertheimer p. 93). - 1463, 2. 12.: Kaiser Friedrich III. bittet den Rat der Stadt Straßburg um Unterstützung seiner Bemühungen, den Meister ("Niclas Pilhaver") an seinen Hof zu ziehen (Maier p. 62, Wertheimer p. 93). N. G. ist also 1462 od. 1463 von Trier nach Straßburg übergesiedelt. - 1464, 31. 8.: "Meister Niclaus von Leiden" erwirbt das Straßb. Burgerrecht (Maier p. 13, Wertheimer p. 93). - 1464, 14. 6.: "Niclaus von Leiden, der Bildehouwer zu Straßburg", bekennt, vom Rat der Stadt Straßburg Bezahlung für "ein stein werk mit ir Statt Wopen und mit ander Zierunge" an der neuen Kanzlei erhalten zu haben und gelobt "werschafft" (d. h. er garantiert Bestand) für einen Zeitraum von 20 Jahren. Das Original der Urkunde ist in neuerer Zeit aus dem Straßb. Stadtarchiv verschwunden u. mit ihm das angehängte Siegel, das nach Maier p. 6 drei Hörner auf kleinen Schildchen u. die Umschrift "N... Gerhaert" zeigte. - 1464: Inschrift am Epitaph eines Kanonikers in der Johanniskap. des Straßb. Münsters: mcccclxiiii n. v. I. (Schmitt 1924 p. 55). - 1465 oder 1466: N. G. übernimmt zus. mit dem Tischler Simon Haider in Konstanz die Ausführung eines Altars u. des Chorgestuhls für den dort. Dom. N. G. führt die Skulpturen des Altars aus. Die Tätigkeit N. G.s für das Konstanzer Münster u. seine Zusammenarbeit mit Simon Haider (vgl. Thieme-Becker XV 484) erhellt aus einer Auseinandersetzung zwischen der Zunft der Schmiede u. Tischler auf der einen und der Zunft der Kaufleute u. Bildhauer auf der anderen Seite, die 1490 zu einer Entscheidung des Konstanzer Rates führt (Maier p. 46ff., Wertheimer p. 94f.). Der Altar, der wahrscheinl. identisch ist mit dem nach der Konstanzer Chronik zu Pfingsten 1466 aufgestellten Fronaltar (Maier p. 35), ist verschollen; von der Ausführung des (begonnenen?) Chorgestühls trat N. G. zurück; vgl. die folg. Urkunde. - 1467, 17. 4.: Durch Vermittlung des Rates der Stadt Straßburg wird ein zwischen dem Konstanzer Domkapitel und "meister Niclaus von leyden, dem Bildesnyder, seshaft zu Strasburg" (die 3 letzten Worte durchgestrichen), ausgebrochener Zwist beigelegt u. vereinbart, daß N. G. "fur sin vorgemelten forderungen, der tofeln (d. h. des Altars) und des gestüles" 50 fl. erhält, daß aber der Vertrag über die Ausführung des Chorgestühls gelöst sein solle ("die verdinge des gestüles halb abesin"). Die nur im Konzept erhaltene Vereinbarung (Maier p. 36, Wertheimer p. 93) ist nicht ganz klar. Wahrscheinlich bekam N. G. für den Altar außer der akkordierten u. bereits bezahlten Summe von 200 fl. noch weitere 50 fl. - 1467: Inschrift am Kruzifix in Baden-Baden: 1467 niclaus. von. Ieyen (Schmitt 1924, p. 3 der Anm.; Wertheimer p.10).-1467, 5. 6.: Kaiser Friedrich III. drängt den Rat der Stadt Straßburg, dafür zu sorgen, daß der Steinmetz Niclas, dem er etliche Grabsteine in Auftrag gegeben und Anzahlung dafür geleistet habe, nun endlich zu ihm komme (Maier p. 63, Wertheimer p. 94). - 1467, 3. 8.: N. G. verspricht, sich innerhalb eines Monats zum Kaiser zu begeben (Maier p. 63, Wertheimer p. 94). - 1469, 2. 6.: "Maister Nielasen pildhawer von Straspurg" erhält im Namen des Kaisers eine Anweisung nach Passau über 200 fl. für bereits geleistete u. noch zu leistende Arbeit. - 1472, 19. 2.: "Niclas Steinmetz" wird als Besitzer eines Weingutes in Wiener-Neustadt erwähnt. - Wahrscheinl. 1473, 21. od. 22. 11., ist N. G. gestorben; er wird in Wiener-Neustadt beigesetzt, wo Duellius (1733) den Grabstein noch sah; seine Lesung des Todesdatums auf 1493 muß aber falsch sein, da N. G. in der oben erwähnten Straßb. Urkunde von 1487 als tot erwähnt wird. Die von Wimmer u. Klebei (1924) vorgeschlagene Konjektur: 1473, hat viel für sich. Aus diesen Nachrichten ergibt sich, daß N. G. 1462 in Trier und seit spätestens 1463 in Straßburg ansässig ist, wo er 1464 Bürger wird; er bleibt in Straßburg (mit Unterbrechung durch einen Konstanzer Aufenthalt) bis 1467. Dann folgt er einem Ruf Friedrichs III. nach Wien, dem er sich 1463 entzogen hatte. Vermutlich arbeitet er zunächst in Passau, dann in Wiener-Neustadt. B. Die sicheren (urkundlich oder durch Signatur bezeugten) Werke. Es handelt sich um 5 Stücke, sämtl. Steinskulpturen. Entstanden sind sie allem Anschein nach in einem Zeitraum von höchstens 1 Jahrzehnt, nämlich von1462 bis um1470.In derReihenfolge der Entstehung: 1. Trier, Diözesan-Mus., Grabplatte des Trierer Erzbisch. Jakob v. Sierck †1456, ursprüngl. vor dem Hochaltar der Trierer Liebfrauenkirche u. zu einer offenen Tumbaanlage gehörend, deren Bodenplatte den Körper des Erzbischofs im Zustand der Verwesung darstellte. Hochrelief aus Kalkstein, Länge 250 cm; am abgeschrägten Rand die Grabschrift, darunter die verstümmelte Signatur (s. o.), vermutlich zu ergänzen: Nicolaus Gerardi de Leyden peregit 1462 (Back 1913, Wertheimer p. 39 u. Taf. 6/9). - 2. Büsten von der ehemal. Straßb. Kanzlei. Im Original erhalten nur der Kopf der männl. (Straßburg, Mus. Nr 1005, Sandstein, 26 cm); die ganze Büste (H. 49 cm) und ihr weibl. Gegenstück sind in Abgüssen des Münsterbildhauers Stienne aus der Zeit um 1860 erhalten. Die beiden Büsten waren zus. mit dem Stadtwappen am Hofportal der 1463/64 erbauten Kanzlei (beim jetzigen Gutenbergplatz) angebracht. Auch nach dem Brand der Kanzlei i. J. 1686 blieben sie zunächst an Ort u. Stelle. Erst während der franz. Revolution kamen die Büsten in die Stadtbibl., die 1870 zerstört wurde. Die weibl. Büste ist seitdem verschollen; der Kopf der männl. gelangte in das Mus. Hanau a. M., wo ihn Back entdeckte, und 1915 durch Tausch nach Straßburg zurück. Die alte volkstüml. Deutung der beiden Büsten als Bildnisse eines Grafen v. Lichtenberg u. seiner Geliebten, der Bärbel von Ottenheim, ist in neuerer Zeit der Erklärung als Prophet u. Sibylle gewichen. Abzulehnen ist der Vorschlag Majors, der in den Büsten den Zauberer Virgil u. die röm. Kaiserstochter sehen will und annimmt, daß sie übereinander am Treppenturm der Kanzlei angebracht waren. Beachtung verdient der Hinweis Wertheimers (p. 41) auf das Motiv des "ungleichen Paares", das allerdings erst im 16. Jh. Verbreitung findet, sich aber gut mit der volkstüml. Deutung kombinieren ließe. Auf die beiden Büsten u. den übrigen Portalschmuck bezieht sich der oben erwähnte Garantievertrag vom 14. 7. 1464; Specklin (1587), Wencker (1713) u. Grandidier (1778) erwähnen die Büsten ausdrücklich. Ihre Entstehung muß in das Jahr 1463 oder in die 1. Hälfte des J. 1464 fallen. (Back 1914, Wertheimer p. 40ff. u. Taf. 10/12.) - Straßburg, Münster, Johanniskap., Epitaph eines Geistlichen, der in einer got. Nische die Madonna mit dem Kinde verehrt; diese u. der Adorant in halber Figur. Wappen u. Schrifttafel unterhalb der Nischenbank in der franz. Revolution zerstört; doch haben sich das Künstlermonogramm n. v. 1. u. die Jahreszahl 1464 erhalten. Nach I. Clauß, Straßb. Münsterbl., II (1905) 14, Epitaph des 1471 † Kanonikus Konrad v. Busaug (Busnang). Sandstein, Figuren lebensgr. (Wertheimer p. 42 u. Tal. 14/15). über Beziehungen zur holl. (Utrechter) Steinplastik s. Vöge 1930. - Baden-Baden, Alter Friedhof, Kruzifix, Sandstein, überlebensgr., rückseitig bez. u. dat. 1467. (Wertheimer p. 46 u. Taf. 20/21.) - 5. Wien, St. Stephan, Deckplatte vom Grabmal Friedrichs III. mit der lebensgr. Hochrelieffigur des Kaisers, umgeben von Wappen, überdacht von einem Baldachin. Roter Marmor. Vermuti. um 1469 in Passau ausgeführt, wohin in diesem Jahr eine Zahlungsanweisung für N. G. gerichtet ist (s. o.). Die Platte kam 1479 nach Wiener-Neustadt, 1493 nach Wien. Vollendung des Grabmals ca. 1513. Von N. G. nur die Deckplatte; alle übrigen Teile von Max Valmet, der spätestens seit 1478 die Leitung hat, und von anderen. (Wertheimer p. 48ff. mit Taf. 22/25; Monographie von Wimmer u. Klebe!, 1924.) C. Zuschreibungen. Die außerordentlich geringe Zahl von verbürgt eigenhändigen Werken N.G.s hat zu so zahlreichen Attributionen geführt, daß in den Monographien von Maier u. Wertheimer die authentischen Arbeiten hinter der Masse der apokryphen und ganz zusammenhanglosen fast verschwinden. Der Neigung zur Ergänzung und Abrundung des Werkes N. G.s leistete die Tatsache Vorschub, daß N. G. eine so starke Anziehungs- u. Ausstrahlungskraft ausübte, wie kaum ein anderer Künstler seiner Zeit. Selbst große Begabungen gerieten überall, wo er tätig war, unter seinen Einfluß. Um so sorgsamer muß die Frage geprüft werden, inwieweit sich unter verwandten Stücken eigenhändige Arbeiten verbergen. Die Qualität der sicheren Werke zwingt, bei Zuschreibung von nicht signierten u. urkundlich nicht belegbaren Arbeiten den höchsten Maßstab anzulegen. Unter dieser Voraussetzung lassen sich von den seitherigen Attributionen nur die wenigsten aufrechterhalten. Im folgenden erwähnen wir nur diejenigen Zuschreibungen, die überhaupt ernsthaft diskutabel sind. 1. Trier, Madonna im Dom-Kreuzgang auf Engelkonsole (Demmler 1921, Wertheimer p. 35ff. u. Taf. 2/3). Unter unmittelbarem Einfluß N. G.s, aber nicht eigenhändig. 2. Köln, St. Maria im Kapitol, Maria u. Christus in der Hardenrath-Kap. (Pinder p. 358, Wertheimer p. 73 u. Tal. 56). Niederrheinisch unter dem Einfluß N. G.s 3. Straßburg, Frauenhaus, Köpfchen einer trauernden Maria; Fragment von einem Sandsteinhochrelief einer Kreuzigung oder Kreuzabnahme (Schmitt, Lustrum 1924, Wertheimer p. 44 u. Taf. 13). N.G. sehr nahestehend, wahrscheinlich eigenhändig. 4. Vier weibl. Reliquienbüsten (Holz) aus St. Peter u. Paul in Weißenburg i. E., 2 davon im Metrop. Mus. New York, die beiden anderen verschollen; Abgüsse von allen im Straßb. Frauenhaus. Die Büsten der hl. Barbara u. der hl. Genovefa stehen N. G. am nächsten. (Vöge 1913: "Meister aus der Richtung des N. G."; Schmitt 1924, Taf. 16/18; Wertheimer Taf. 60 u. 62/63.) 5. Berlin, Deutsches Mus., Anna Selbdritt; angeblich aus Trimbach bei Weißenburg i. E.(Demmler 1921, C. Sommer 1927, Wertheimer p. 37 u. Taf. 4/5). Von einem Schüler N. G.s 6. Straßburg, Frauenhaus, Kopf eines Gelähmten (Wertheimer p. 44, Abb. 10 u. Taf. 16). Schulwerk. 7. Zabern f. E., Privatbes. (M. R. Reuß, z. Z. als Leihgabe im Straßburger Mus.), Bildnisbüste (?) eines Mannes; aus Straßburg; Abguß im Frauenhaus. (C. Sommer 1929/30, Wertheimer p. 45f. u. Taf. 17/19.) Höchstwahrscheinlich eigenhändiges Werk der Straßburger Spätzeit (ca. 1467). B. Konstanz, Münster, Chorgestühl Vgl. o. die Regesten zu 1465/66 u. 1467. An der Ausführung ist N. G. nicht beteiligt; doch läßt sich sein Einfluß nicht verkennen. Vielleicht lagen Entwürfe von ihm vor; möglicherweise blieben auch einige seiner Mitarbeiter in Konstanz zurück (Wertheimer p. 57ff.). 9. Thyrnau b. Passau, Thronende Mad. (C. Sommer 1926/27, Wertheimer p. 66 u. Taf. 46). Schulwerk. 10. Wien, St. Stephan. Einzelne Teile des Kaisergrabes (Wertheimer p. 62ff. u. Taf. 39ff.), ein Christophorus an einem Chorpfeiler (Wertheimer p. 52f. u. Taf. 28/29) u. die Grabplatte der Kaiserin Eleonore in Wiener-Neustadt (Wertheimer p. 65 u. Taf. 43) stehen in mehr oder weniger engen Beziehungen zu N. G. Eigenhändige Arbeiten finden sich außer der Deckplatte nicht (Wimmer u. Klebel). 11. Preßburg, Dom, Grabmal des Georg Schomberg, 1470 (L. Aber 1914). Schulwerk. über weitere Zuschreibungen an N. G. vgl. die Lit. unter Demmler, Divald, Futterer, Kentenich, Leonhardt, Loßnitzer, Lückger, Maier, Wertheimer, Wimmer. Die außerordentlich zahlreichen Werke, die in irgendeiner Weise von N. G. angeregt sind, können hier nicht erwähnt werden; wir begnügen uns mit dem Hinweis, daß so bedeutende Künstler wie der Meister der Dangolsheimer Madonna, Simon Lainherger, Heinr. Yselin, Jörg Syrlin d. Ä., Veit Stoss u. selbst noch Nikolaus Hagenauer von N. G. bestimmend beeinflußt, zum Teil vielleicht seine unmittelbaren Schüler sind. Vgl. tdarüber Wertheimer. D. Man hat N. G. mehrfach als den Bahnbrecher des spätgot. Stiles in der deutschen Plastik bezeichnet. In der Tat hat er, wohin er immer kam und weit über seine Aufenthaltsorte hinaus, der deutschen Bildhauerkunst stärkste Impulse gegeben. Was ihn gegenüber den meisten seiner Zeitgenossen u. vor allen Vorgängern auszeichnet, sind die Frische u. Unmittelbarkeit seines Naturgefühls, die urwüchsige, nie durch artistische Spekulationen getrübte, daher nie spielerische Freude an der Welt als sinnlicher Erscheinung. Sein Empfinden für die dinghafte Greifbarkeit u. räumliche Existenz der menschl. Figur steht innerhalb des 15. Jh. im Norden ganz vereinzelt da. Es kommt hinzu ein erstaunliches Gefühl für die Besonderheit der Materie, das sich in einer beispiellos stofflichen Wiedergabe alles Sichtbaren äußert und zu einer Oberflächenbehandlung von größter Subtilität führt. Auch im geistigen Ausdruck seiner Figuren überrascht das unkonventionelle, frische, gelegentlich zum Momentanen gesteigerte Leben. Die Unmittelbarkeit, bis zu einem gewissen Grade Unkompliziertheit seines Wesens erinnert immer wieder an (seinen Landsmann?) Jan van Eyck, dessen Werke für die künstlerische Entwicklung N. G.s sicher von entscheidender Bedeutung gewesen sind. In N. G. und nur in ihm erreicht die nord. Bildhauerkunst des Quattrocento ein Maß von Naturnähe u. Lebenswärme, das die Malerei (in Jan van Eyck) ein Menschenalter früher erreicht, aber bald wieder aufgegeben hatte. Dem abstrakteren, zeichnerisch-pretiösen Stil des späten 15. Jh., der letztlich nicht auf der Kunst des J. v. Eyck, sondern auf Roger v. d. Weyden aufbaut, steht N. G. ebenso fern wie der "barocken" Welle der 70er u. 80er Jahre. Von hier aus gesehen, darf N. G. nur sehr bedingt als Bahnbrecher der Spätgotik bezeichnet werden; erst einzelne Bildhauer der Generation um 1500 führen die künstlerische Linie des N. G. weiter. Ob N. G. auch als Architekt tätig war, läßt sich mit Sicherheit nicht entscheiden. Immerhin verdient es Beachtung, daß Hans Schmuttermayer in seinem Fialenbüchlein (Anz. f. Kunde d. deutschen Vorzeit, N. F. 28 [1881] 65ff.; vgl. Thieme-Becker XIX 338) unter seinen Lehrmeistern "Niclas von straspurck" nennt, "der dan am meinsten die new art an das licht gepracht". Karel Chytil (Rozpravy Ceski Akademie I, 11, ééslo 2, Prag 1903, p. 7ff. bzw. 70/71) bezieht diese Bemerkung wohl mit Recht auf N. G. Dagegen ist die Angabe der Grabschrift N. G.s, er sei "Werchmeister detz großen baus (d. h. des Münsters) zu Straspurg" gewesen, sicher falsch. Auch die Zuschreibung des Brunnens von 1464 im Straßb. Priesterseminar an N. G. durch Rob. Bruck (1908) besteht nicht zu Recht. Lit.: Raym. Duellius, De fundatione templi cathedralis Austriaco-Neapolitani, Nürnb. 1733. - Ch. Gerard, Les artistes de l'Alsace pend. le moyen áge, II (1873) 372. - Ad. Seyboth, Une sculpture du XVe s., in: Mitt. d. Ges. für Erhaltung der gesch. Denkmal. im Elsaß, II. Folge 16, 1893, p. 90. - Rob. Bruck, N. G.s Brunnen im Priesterseminar in Straßburg i. E., in: Die Denkmalpflege, 10 (1908) 55. - A. R. Maier, N. G. v. Leiden (Studien z. deutsch. Kstgesch. 131), Straßb. 1910 (dazu Besprechungen von M. Loßnitzer in Kstgesch. Anzeigen, 1910 p. 110, u. von J. Baum in Monatsh. f. Kstwiss., 4 [1911] 421). - K. Fr. Leonhardt, N. v. L. u. seine Nachfolge in Bayern, in Monatsh. f. Kstwiss., 4 (1911) 550. - M. Loßnitzer, Veit Stoss, Lpzg 1912, p. 671f. - Wilh. Vöge, Über N. G. u. Nik. von Hagenau (?), in Zeitschr. f. bild. Kst, N. F. 24 (1913) 97ff. - Fr. Back, Ein nicht beachtetes Werk des N. G. v. L., in Münchner Jahrb., 8 (1913) 200ff.; ders., Ein wiedergefund. Werk des N. G. v. L., ebda 9 (1914/15) 298ff. - L. Éber, Das Grabdenkmal Georg Schombergs, in Kunst u. Ksthandwerk, 17 (1914) 90ff. - Emil Major, Die 2 Halbfig. der ehem. Kanzlei in Straßburg, in Monatsh. f. Kstwiss., 7 (1914) 346; 8 (1915) 253. - Otto Schmitt, Die Speyerer Verkündigung, in Pfalz. Museum, 35 (1918) 42ff. - Th. Demmler, Beitr. zur Kenntnis des Bildh. N. G. v. L., in Jahrb. d. Pr. Kstsamml., 42 (1921) 20ff. - Otto Schmitt, Oberrhein. Plastik im ausgeh. Mittelalter, Freiburg i. B. 1924; ders. (Köpfchen einer trauernden Maria im Straßburger Frauenhaus), in Das Lustruin (5 Jahre Frankf. Verlagsanstalt), Frankf. a. M. 1924. - Fr. Wimmer u. E. Kleb el, Das Grabmal Friedrichs III. im Wiener Stephansdom, Wien 1924. - W. Pinder, Die deutsche Plastik (Handb. der Kstwiss.), p. 354ff. - Fr. Wimmer, N. G. v. L. u. einige Figuren am Wiener Stephansdom, in Belvedere 1925 p. 104ff. - Ch. Schneegans, Catal. d. sculpt. goth. du Musée des B.-Arts de Strasbourg, in Archives Alsac. d'hist. de l'art, 5 (1926) 22ff. - E. Polaczek, Straßburg (Berühmte I ststätten 76), Lpzg 1926, p. 88ff. - Ciem. Sommer, Ein Werk der Passauer Zeit des N. G. v. L., in Oberrhein. Kunst, 2 (1926/27) 29; ders., Zur Anna-Selbdritt-Gruppe des N. G. v. L., in Berliner Museen, 48 (1927) 112ff. - K. Divald, Magyarország müv. emlékei, 1927 p. 109. - Hans Lückger, Zur got. Plastik in Trier, in Wallraf-Richartz-Jahrb., 5 (1928) 27ff. - Ilse Futterer, N. G. in Konstanz u. Regensburg, in Oberrhein. Kunst, 3 (1928) 157. - Clem. Sommer, Die sog. Johannesbüste in Zabern, in Zeitschr. f. bild. Kst, 63 (1929/30) 143ff. - Jacques Hatt, Une ville du X Ve s., Strasbourg, Straßbg 1929, p. 74. - Otto Wertheimer, N. G., Berl. 1929. - Wilh. Vöge, N. v. L.s Straßb. Epitaph u. die holl. Steinplastik, in Oberrhein. Kst, 4 (1930) 35ff. - Kentenich, Kanzel der Pfarrkirche zu St. Wendel, in Trier. Volksfreund, Nr. 97, vom 28. 4. 1931.