Horta, Victor, belg. Architekt, *6.1.1861 Gent, †8.9.1947 Brüssel. 4.Kind aus der 2.Ehe seines Vaters, des Schuhmachermeisters Petrus Jacobus Joannes H. (*31.8.1795 Brügge, †12.6.1880), mit der Henrica Coppieters (*1824, †1902; Heirat am 6.3.1851).
Horta, Victor
Stud.: 1874-77 Koninkl. Acad. voor Schone Kunsten in Gent. 1878 geht H. nach Paris und arbeitet bei dem Dekorationsmaler Jules Debuysson. Der Tod seines Vaters veranlaßt ihn 1880 zur Rückkehr nach Gent. 1881 Heirat mit Pauline Heyse; läßt sich in Brüssel nieder; im selben Jahr Geburt der Tochter Marguerite (†1882), 1890 folgt Simone (†1939). Ab 1881 Forts. des Stud. an der ABA in Brüssel, die H. 1884 mit einem Grand Prix für Archit. abschließt. Im selben Jahr erhält er den 1.Prix Godecharles für Archit. und reist mit dem damit verbundenen Stip. nach Frankreich und Deutschland. Anschl. Praktikant im Büro des Architekten Alphonse Hubert François Balat in Brüssel, bei dem H. mit Unterbrechungen arbeitet: V.a. verbringt er 1888 einige Monate bei dem Architekten Henri Beyaert, wo er dem ihm bereits von der ABA bek. Paul Hankar als Atelierleiter wiederbegegnet. Dieser gehört zu den ganz wenigen Berufskollegen, mit denen H. privat freundschaftlich verbunden ist. Ab 1884 ist er Mitgl., 1894/95 Präs. der Soc. centrale d'Archit. de Belgique. Dieses Amt legt er vorfristig nieder infolge eines Konfliktes im Zusammenhang mit dem Auftrag zum Bau einer Schule in Brüssel (Rue Saint-Ghislain) und kehrt erst 1910 auf diesen Posten zurück. 1885 errichtet H. in Gent (Rue des Douze Chambres) seine ersten Häuser in einer klassizistischen Auffassung, die er auch beim ersten bed. Auftrag, dem Bau des Edicule Lambeaux gen. Gebäudes in Brüssel (1889-1905) beibehält. Diese Aufgabe vermittelt ihm Balat, dem H. zeitlebens große Bewunderung entgegenbringt. Zwischenzeitlich wird er 1888 in die Brüsseler Freimaurerloge der "Amis Philanthropes" aufgenommen, wo er seine beiden ersten Kunden wiedertrifft. Sie lassen ihm die Freiheit, persönliche Stilmerkmale zu entwickeln und so mit dem Historismus zu brechen. Die aus Stein (für ein Haus der bürgerlichen Mittelschicht selten verwendeter Baustoff) errichtete Maison Autrique (1893) weist zum einen klassische, neugotische und ägyptisierende Merkmale auf und verdeutlicht zum anderen H.s Streben nach einer neuartigen Formensprache (Glasfenster, Mosaike, Treppe). Er verwendet dort auch erstmals für die Fassadenkonstruktion Stützen aus Eisen, die die Herstellung großer Maueröffnungen ermöglichen. Der Einfluß der von Eugène Emmanuel Viollet-le-Duc in der Abh. Entretiens sur l'Archit. entwickelten Theorien ist prägnant. Außerdem ist H. ab 1892 an der Fac. Polytechnique der Univ. Libre in Brüssel Ass. des Architekten Ernest-Jean Hendrickx, dessen Nachf. als Prof. er 1893 antritt. Die zweckmäßige Verwendung von Eisen- und Glaskonstruktionen durch Hendrickx (der in Paris im Atelier von Viollet-le-Duc gearbeitet hatte) beim Bau seiner Modellschule und der Univ. Libre in Brüssel wird für H. zum Vorbild. 1893 baut er in das Hôtel Tassel zwei Oberlichter ein, die in der Kombination mit Eisensäulen die Schaffung offener, lichtdurchfluteter Räume ermöglichen und zugleich zur Überwindung der einengenden Raumverhältnisse des trad. Brüsseler Hauses beitragen. Bei diesem sind drei über einen Korridor zugängliche Zimmer auf einer Etage hintereinander angeordnet, die durch die im Souterrain auf der Fassadenseite untergebrachte Küche erhöht ist. H. paßt seine Häuser an die Lebensweise der jeweiligen Besitzer an, entwirft praktische Garderoben und Gästezimmer im Erdgeschoß, gestaltet zum Treppenhaus hin offene Zwischengeschosse zur Nutzung als Raucher- oder Billardzimmer, bricht mit dem Prinzip der Symmetrie und öffnet die Fassade durch Fenster, deren Abmessungen er in Abhängigkeit vom Bedarf in den zu belichtenden Räumen wählt. Mit der von ihm in die bürgerliche Archit. eingeführten Eisenkonstruktion ist er nicht mehr gezwungen, geschlossene Partien und Mauerdurchbrüche genau übereinander anzuordnen. Bei der Behandlung des Metalls bemüht er sich um eine Formgebung, die die Geschmeidigkeit des Mat. zum Ausdruck bringt, und entwirft abwechslungsreiche Komp. mit Arabesken für schmiedeiserne Arbeiten, Fenster, Mosaike und Wandmalereien. Die gesamte Dekoration ist im harmonischen Gleichgewicht. H. läßt sich von der Natur inspirieren und versucht, die Lebendigkeit vegetabiler Elemente wiederzugeben, ohne daß die Quelle genau identifizierbar ist. Sein Bemühen um ein kohärentes Erscheinungsbild veranlaßt ihn auch, selbst Möbel zu entwerfen. Er baut für die aufstrebende Bürgerschicht, die Nutznießer des wirtschaftlichen Wohlstandes E. des 19. Jh. ist und zu der Industrielle, Ing. und Anwälte gehören, die sich selten mit über Generationen in der Fam. vererbten Möbeln umgeben. H.s Archit. entspricht dem Wunsch nach Modernität und ist zugleich mit den progressiven politischen Tendenzen vereinbar, so daß er 1895 von der belg. Arbeiterpartei mit dem Bau der Maison du Peuple (Volkshaus) beauftragt wird. In dem Gebäude am Rand des Arbeiterviertels Les Marolles sollen ein Café, Büro, Geschäfte, eine Ambulanz, eine Bibl. und ein großer Veranstaltungssaal untergebracht werden. Die perfekt an das schwierige Baugrundstück und das Programm angepaßte Maison du Peuple, die eine gelungene Verbindung einer rationalistischen und ästhetisch anspruchsvollen Bauweise darstellt, wird 1965 kurz vor Beginn der Rehabilitierung des Art nouv. abgebrochen. Zeitgleich mit diesem Gebäude errichtet H. repräsentative Herrenhäuser für den Industriellen Armand Solvay (1894) und den unabhängigen Staatssekretär des Kongo, Edmond Van Eetvelde (1895), bei denen sehr hochwertige Mat. mit Metallkonstruktionen kontrastieren. In beiden Häusern sind alle Zimmer in dem für den Empfang von Besuchern bestimmten Geschoß von einem zentralen Raum aus erreichbar, der mit einem Glasdach versehen ist, dessen Scheiben das von oben einfallende Licht färben. H. stattet die Räume mit einer Vielzahl elektrischer Leuchten aus (eine der großen Neuerungen der Zeit), die für eine gleichmäßige Helligkeit sorgen und die Wirkung der raffinierten Farbharmonien noch verstärken, deren Schattierungen an jap. Graphik erinnern. Wie die meisten innovativen Künstler seiner Generation ist H. von jap. Kunst fasziniert und sammelt sie. Zur Ausstattung seiner Gebäude gehören auch Zentralheizung, ein optimal funktionierendes Belüftungssystem und Badezimmer. 1894 erhält er von der Stadt Brüssel den Auftrag zu einem Kindergarten (40 rue Saint-Ghislain), dessen ansprechende Fassade und schmucklose Leichtmetallkonstruktion im überdachten Teils des Hofes bes. bemerkenswert sind. Auf der Ausst. des Kunstkreises La Libre Esthétique 1897 erhält H. erstmals die Gelegenheit, Möbel und dekorative Dinge öff. zu präsentieren, was ihm einen Artikel in der 1. Nr der frz. Zs. Art et Décoration einbringt. Die Teiln. an der WA 1902 in Turin mit einer Büroeinrichtung und einem Speisezimmer bringt ihm europaweite Anerkennung. 1898 ist H. endlich finanziell in der Lage, für sich ein Atelier und ein Wohnhaus zu bauen (Saint-Gilles/Brüssel, 23-25 rue Américaine), seit 1969 Sitz des Mus. Horta. Die Eigenständigkeit der beiden Gebäude wird durch unterschiedliche Fassaden betont. Im Inneren ist das Treppenhaus, dem zugleich die Funktion eines Lichtschachtes zukommt, in den Musiksalon integriert und beansprucht so viel Platz, daß es dem Gebäude die Würde eines großen Herrenhauses verleiht. H. sieht sich nun auf dem Höhepunkt seiner Schöpferkraft. A. des 20.Jh. erteilen ihm Kaufhausbesitzer, denen die spektakuläre Wirkung seiner Bauweise und die Fähigkeit, den Anforderungen der Archit. von Handelseinrichtungen gerecht zu werden, bewußt sind, die Aufträge zum Bau der Häuser L'Innovation (rue Neuve, 1900, und Chaussée d'Ixelles, 1903, beide Brüssel; Meir, Antwerpen, 1906), le Grand Bazar Anspach (Brüssel und Frankfurt am Main) und Magasins Hiclet (Rue Neuve, 1906). Die Gebäude sind allerdings entweder nicht erh. oder nicht mehr wiederzuerkennen mit Ausnahme des Kaufhauses Waucquez (1906; 1986 umgestaltet zum Centre Belge de la Bande Dessinée). Um die gleiche Zeit errichtet H. in Brüssel als seine letzten großen Privathäuser je ein Herrenhaus mit drei Schauseiten für den wallonischen Industriellen Octave Aubecq (1899) und dessen Schwiegervater, den Notar Charles Roger, ein Atelierhaus für den befreundeten Bildhauer Fernand Dubois (beide 1901) und ein Herrenhaus für den Anwalt und Politiker Max Hallet (1902). Die beiden ersten Bauten haben noch belebte Fassaden mit reichem Gesims, das markante Licht- und Schattenspiele hervorruft, während beim dritten Haus mit asymmetrischer Fassade die Formen der durch Bänder miteinander verbundenen Fenster auf die Anordnung der unterschiedlich geschnittenen Fenster im Treppenhaus abgestimmt sind. Das letzte Gebäude besitzt eine einheitliche, dezent gegliederte Fassade, die horizontal durch einen durchbrochenen Balkon betont wird. Nach seiner Scheidung 1906 geht H. 1908 eine zweite Ehe mit der Schwedin Julia Carlsson (*1876, †1966) ein. Nun folgen repräsentative öff. Bauten: 1907 liefert er die ersten Pläne für das MBA in Tournai, das für die Slgn von Henri Van Cutsem, einem seiner ersten Auftraggeber, bestimmt ist. Die für die Ausschreibung 1911 vorbereiteten fast fertigen Pläne werden 1912 überarbeitet im Hinblick auf die Senkung der zu erwartenden Baukosten für das Gebäude, das von einer mächtigen durchbrochenen, zur Belichtung der zentralen Halle bestimmten Kuppel dominiert wird. Die auf bescheidenere Abmessungen reduzierte, von seitlichen Anbauten flankierte Zentralhalle ermöglicht die Einsicht in vier diagonal angeordnete Flügel. Die Räume werden durch ein Glasdach großzügig belichtet. Bei der Raumgestaltung bevorzugt H. bewegte Elemente und die im großen Saal durch einen Balkon und Deckengesimse hervorgehobene Wellenlinie. Die 1913 beg. Arbeiten werden durch den 1.WK unterbrochen, und das Gebäude wird erst 1928 eingeweiht und damit während des Siegeszuges des Art Déco, dessen Einfluß zu einer gemäßigten Variante des Art nouv. führt. 1906 wird H. mit einer gewissen Unterstützung durch die befreundeten Auftraggeber Maurice Frison und M.Hallet von der Stadt Brüssel als Architekt für den Bau eines neuen Hospitals in Jette/Brüssel ausgewählt. Die Entscheidung fällt für einen Pavillonkomplex. Das im Juni 1909 genehmigte Projekt wird jedoch schon kurz danach reduziert. Nach der Grundsteinlegung 1911 wird auch im 1.WK weitergearbeitet bis zur Einweihung des Hospitals 1923. Die nur durch das Farbenspiel der Ziegel schlicht dekorierten Pavillons hatten unterschiedliche Formen und entsprachen den fortschrittlichsten Hygienenormen. In einem weitläufigen Garten verteilt, wirkten sie einladend und bildeten damit einen krassen Unterschied zu den kasernenartigen Hospitälern in der Stadt. 1912 folgt ein Auftrag der Soc. Nat. des Chemins de Fer zum Neubau eines Hauptbahnhofs an der Verbindungsstrecke zw. den Gares du Nord und du Midi in Brüssel. Auch hierbei zieht sich die Projektentwicklung lange hin, die endgültigen Pläne liegen erst kurz vor Ausbruch des 2.WK vor, und die Fertigstellung des 1952 eingeweihten Bahnhofs erlebt H. nicht mehr. Offenbar entspricht auch die Position als Prof. an der Univ. Libre seinen Neigungen, die er bis 1911 inne hat. 1912 wird er Prof., dann Dir. der ABA der Stadt Brüssel. Von dieser Aufgabe ist er begeistert und nimmt die Reformierung der Lehre in Angriff. Nach einer Unterbrechung dieser Tätigkeit wegen eines Aufenthaltes in den USA amtiert er 1922-31 wieder als Dir. (mit weiteren Pausen 1925/26 und 1929/30). Außerdem nimmt er 1919-27 einen Lehrauftrag am Inst. supérieur des BA in Antwerpen an. H. wird 1913 korr. Mitgl., 1919 Mitgl. und 1925 Dir. der Cl. des BA der Acad. royale de Belgique. 1925 hält er an der Akad. einen bed. Vortrag als Zusammenfassung seiner Vorstellungen von der Lehre u.d.T. L'enseignement archit. et l'archit. moderne. In den Bull. de la Cl. des BA der Akad. werden weitere Vorträge veröff., z.B. Le dipl. d'architecte (1936) und L'Exposé des motifs pour le choix définitif d'un emplacement pour la Bibl. Albertine (1939). In den 20er und 30er Jahren betreut H. die Bebauungsprojekte am Mont-des-Arts in Brüssel und befaßt sich mit städtebaulichen Fragen. Am 19.12.1921 legt er der Comm. royale des Mon. et des Sites den Ber. Les Applications de l'Urbanisme à l'entourage des Mon. vor. Im Febr. 1915 folgt er einer Einladung nach London zur Teiln. an einer Konferenz zum Wiederaufbau von Belgien. Er gelangt zwar unerkannt dorthin, wird aber dann von einem Journalisten entdeckt. Die Rückkehr nach Belgien ist nun nicht mehr möglich, und im Dez. 1915 begibt sich H. nach New York, wo er seinen Lebensunterhalt mit Vorträgen unter den Auspizien des Archaeol. Inst. of America und Kursen, bes. 1917/18 an der Univ. in Washington/D.C., verdient. Die wesentlichen Lehren, die er aus diesem Aufenthalt zieht, betreffen die Notwendigkeit des Zusammenschlusses der Architekten und die Standardisierung von Bauabläufen. Außerdem veröffentlicht er 1929 den für die Comm. royale d'Art et d'Archéologie bestimmten Berichtsentwurf Le sky-scraper. A. 1919 zurück in Belgien, verkauft H. sein Haus und Atelier in Brüssel und erwirbt dort ein klassizistisches Herrenhaus (136 av. Louise), das er 1920/21 grundlegend umgestaltet; von diesem bed. Bauwerk sind nur Pläne und Zchngn erh. (bis 1945 lebt H. dort, dann bis zum Tod im Haus 76 rue Saint-Bernard). Um die gleiche Zeit nimmt er das Projekt für einen Pal. des BA auf einem schwierigen Terrain unterhalb der Pl. Royale in Brüssel in Angriff. Bei der von ihm gewählten Lösung liegen v.a. die Säle zur Ausst. von bild. und angew. Kunst, die durch eine Gruppe unterschiedlich gestalteter Fenster belichtet werden, und der große ovale Konzertsaal mit außergewöhnlicher Akustik nebeneinander hinter Fassaden mit Schaufenstern und einem Restaurant. Damit kehrt H. zu klassizistischen Merkmalen zurück; die Strenge der von ihm miteinander kombinierten geometrischen Formen mildert er etwas durch Bogenlinien. 1925 erhält er von der belg. Reg. den Auftrag zum Entwurf des Pavillon d'Honneur de la Belgique für die Expos. des Arts décoratifs mod. in Paris. Einige Kritiker sprechen in diesem Zusammenhang von einem "kleinen Justizpalast", womit sie wahrsch. auf den undefinierbaren Stil und das pompöse Aussehen des Brüsseler Justizpalastes von Joseph Poelaert anspielen. 1926 Vors. der Wettb.-Jury für den Bau des Völkerbundpalastes in Genf. 1928 Einweihung des Pal. des BA. Die nachfolgenden Jahre widmet H. vorrangig dem Hauptbahnhof, dessen endgültiges Projekt von 1937 stammt. Er wird geadelt und am 23.3.1932 Baron. 1939 verfaßt er seine Memoiren. Seit 2000 gehören vier Gebäude H.s zum Weltkulturerbe der UNESCO (Tassel, Van Eetvelde, Solvay und H.s Privathaus). Außer Gebäuden errichtet H. in Zusammenarbeit mit den angesehensten zeitgen. belg. Bildhauern (Godefroid Devreese, Pierre Braecke, Guillaume Charlier, Charles van der Stappen, Thomas Vinçotte, Constantin Meunier) auch Denkmäler, deren Hw. das 1902/03 in Tournai errichtete Denkmal für Jules Bara ist (Bildhauer G.Charlier). Die Zusammenarbeit mit C.Meunier an einem Mon. au Travail (Denkmal für die Arbeit) um 1901 endet ergebnislos. Bei seinen Gebäuden achtet H. darauf, Platz für Skulpt. frei zu lassen, mit deren Ausf. er befreundete Künstler beauftragt, z.B. C.van der Stappen mit einer "Vague" für den Kamin im Salon des Hôtel Solvay. Dazu kommen einige Grabmäler, bes. für die Fam. Solvay auf dem Friedhof in Ixelles/Brüssel (1894) und für François Verheven auf dem der Stadt Brüssel in Evere (1911). Weitere Ausz.: grand officier de l'Ordre de Léopold; grand officier de l'Ordre de la Couronne; grand officier de l'Ordre de Léopold II; Ritter der Ehrenlegion; Offizier der Ital. Krone. - Zwei prägnante, aber widersprüchliche Fakten sind noch erwähnenswert: ab 1939 verfaßt H. die seiner in diesem Jahr verstorbenen Tochter Simone gewidmeten Memoiren, veranlaßt aber zugleich die Zerstörung eines großen Teils seines Arch., der 1946 eine weitere Vernichtungsaktion folgt. H. kümmert sich in keiner Weise um die Verbreitung der Dokumentation seines Schaffens, und es gibt nur wenige Fotos mit Bauwerken von ihm im Originalzustand. Mehrere bed. Gebäude wie das Hôtel Aubecq wurden abgebrochen, ohne darauf zu achten, die Erinnerung daran durch eine vollst. fotogr. Dokumentation zu bewahren. Dank der Fond. Jean et Renée Delhaye besitzt das Mus. Horta Archivalien (Mss., Ausschnitte aus der Presse, Originalpläne, alte Fotos), die der Zerstörung entgingen. Zudem lagert im Museumsdepot eine Slg mit 339 vorbereitenden Gipsabgüssen, die J.Delhaye den Mus. royaux d'Art et d'Hist. in Brüssel zur Verfügung gestellt hat. - H. ist einer der Pioniere des Art nouveau in Europa und entwickelt als erster eine Archit. ohne Anleihen an hist. Stilrichtungen bei gleichzeitiger Nutzung industrieller Bautechniken. Beim Hôtel Tassel (1893) führt er ein auf der Arabeske basierendes kohärentes Dekorationsschema ein, das Konstruktion und Bauschmuck symbiotisch miteinander verbindet. Er ist um größtmöglichen Lichteinfall in die Innenräume bemüht, die fließend ineinander übergehen und damit die offene Konzeption der Archit. des 20. Jh. ankündigen. H.s abstraktes, sog. Peitschenhiebmotiv (en coup de fouet) findet um 1900 in ganz Europa Verbreitung durch Fotos, die in neuen Zss. wie der frz. Publ. "Art et Décoration" oder in Slgn mit Archit.-Blättern wie der bei Baumgärtner in Leipzig hrsg. Reihe "Die Archit. der neuen freien Schule" von Wilhelm Rehme erscheinen.
Hw.:
V.H. Mémoires, ed. C.Dulière, Br. 1985 (Typoskript im Mus. Horta, Arch., Fond. J.et R.Delhaye).
Einzelausstellungen:
1971 Paris, MAD (mit Hector Guimard und Henry van de Velde (K) / 1973 Saint-Gilles, Rathaus (K) / 1992 Ferrara, Gall. Civ. del Pal. dei Diamanti / 1997 Brüssel, Pal. des BA.
Thieme-Becker, Vollmer und AKL:
ThB17, 1924; Vo2, 1955
Weitere Lexika:
F.Aubry, in: Enc. universalis, XI, P. 2008
Gedruckte Nachweise:
F.Borsi/P.Portoghesi, V.H., Br. 1970 (Nachdruck mit neuer Ikonogr. und einigen Ergänzungen, s.l. 1990); A.Hoppenbrouwers u.a., V.H., Architectonografie Br. 1975; Y.Oostens-Wittamer, V.H. L'hôtel Solvay. The Solvay House, I-II, Louvain-la-Neuve 1980 (Publ. d'hist. de l'art et d'archéologie de l'Univ. catholique de Louvain, 20); A.Cools/R.Vandendaele, Les croisades de V.H., Br. [ca. 1984]; Y.Oostens-Wittamer, H. en Amérique. Décembre 1915-janvier 1919, Br./Ha. 1986; F.Dierkens-Aubry, V.H. Architecte de Mon. civils et funéraires, Bull. de la Comm. royale des mon. et des sites 13:1986, 37-101; J.Delhaye/F.Aubry, La Maison du Peuple de V.H., Br. 1987; D.Dernie/A.Carew-Cox, V.H., Lo. 1995; F.Aubry/J.Vandenbreeden (Ed.), H. Naissance et dépassement de l'Art nouv., Gand 1996 (Buch zur Ausst. 1997 in Brüssel, Pal. des BA). - Weitere Lit. zur Ergänzung der Bibliogr. in: F.Aubry, V.H. ou la passion de l'archit., Gand 2005, 220-223: Colloque H. (Kolloquium Europalia 1996, Brüssel), Br. 1997; F.Aubry, in: Art nouv. 1890-1914, ed. P.Greenhalgh, in: V & A Publications, Lo. 2000, 274-285; V.Montens, Le Pal. des BA. La création d'un haut lieu de culture à Bruxelles (1928-1945), Br. 2000; F.Aubry, Le mus. Horta, Saint-Gilles, Br./Gand 2001; F.Schuiten/B.Peeters (Ed.). La Maison Autrique. Métamorphoses d'une maison Art nouv., Renaix 2004; P.Devos u.a., Villa Carpentier. V.H. in Ronse, Br. 2004; F.Aubry, Le Bruxelles de H., Gand 2007; M.Goslar, Franc-Maçonnerie et BA. La pensée et les hommes (Br.) 50:2007(62/63)27-54; B.van der Wee, in: Bozar LXXX, Br. 2008 (Bazarbooks), 329-383; F.Aubry, Lettre de Maredsous 2008(4)190-194; D.Misonne, ibid. (Juli/Sept.)130-143; Les grands maîtres de l'Art nouv. en Europe. Barcelona. Brussels. Budapest. Gaudi, H., Lechner, Bp. 2011, 63-68; G.Conde-Reis u.a., V.H. Hôtel Aubecq, Br. 2011; J.Vandenbreeden/A.Clauwers, V.H. revisited! The art of living and shopping, Br. 2011 (Begleitbuch zur gleichnamigen Ausst. in Brüssel, Mus. BELvue); M.Goslar, Hôtel Hallet signé H., Br. 2011; ead., V.H. 1861-1947. L'homme. L'architecte. L'art nouv., Br. 2012; W.Nerdinger, Archit. in Deutschland im 20.Jh., M. 2023
Horta, Victor, Architekt in Brüssel, geb. in Gent 6. 1. 1861, gehört mit Paul Hankar, Léon Goovaerts u. Jules Barbier zu den Pionieren der modernen belg. Baukunst. Schüler von Alph. Balat, einem Archit. streng klassischer Observanz, dessen Bureau H. nach Balat's Tode (1895) einige Jahre leitete. Schon 1893 hatte er sein erstes Aufsehen erregendes Haus gebaut, das kleine Palais Tassel in der rue de Turin 12, das bereits die graziöse Linienführung und die originelle Flächenverteilung seiner späteren Bauten zeigt. Es folgten die Häuser in der rue Lebeau 37 u. in der avenue Palmerston, das Hôtel Solvay in der avenue Louise 24, das Haus in der rue Hôtel des Monnaies, die Reparaturwerkstätten in der rue neuve, die Einrichtung des Schlosses von La Hulpe, das Eigenhaus des Künstlers in der rue américaine und schließlich sein bisheriges Hauptwerk: die 1899 eingeweihte Maison du Peuple an der Place de la Chapelle in Brüssel. Ferner hat er den architekton. Teil der Denkmäler des Staatsmannes Jules Bara (mit Guill. Charlier) und des Malers Louis Gallait (mit Charlier), beide in Tournai, entworfen. In einer der Kongo-Kolonien Belgiens hat er ganze Dörfer und kleine Städte errichtet. Dennoch blieb die Bauaufgabe von monumentalem Ausmaß lange aus. Nachdem er viele Jahre seine große Begabung in Bauaufgaben von meist recht kleinen Verhältnissen auszugeben genötigt war, wurde ihm 1914 mit der Übertragung des Projektes für den Bau des geplanten Palais des Beaux-Arts in Brüssel ein wirklich monumentaler Auftrag zuteil. Der Krieg verhinderte die Realisierung dieses großartigen Planes, den man 1923 wieder aufgenommen hat und mit aller Energie auszuführen bestrebt ist. - H. hat als einer der ersten Archit. in Belgien sämtliche Details seiner Bauten selbst gezeichnet, z. T. sogar eigenhändig modelliert, was seinen Schöpfungen ihren einheitlichen Stilcharakter gibt. Die Kunst der Linie, jene von England ausgehende, durch van de Velde in Deutschland popularisierte Kurve des "Jugendstiles", wird von H. namentlich in seinen Innendekorationen (Träger, Gitter usw.) meisterlich beherrscht. Ein ausgesprochener Linienkünstler, macht er von der Anwendung des Metalls, bes. des Eisens, den weitgehendsten Gebrauch: die Fassade seines Volkshauses ist fast völlig in Glasflächen u. Eisenkonstruktion aufgelöst. Doch hat H. sich nie zu Linienspielereien am Außenbau verleiten lassen, und immer ist das Bestimmende seiner Bauten die Innenanlage. Einen besonderen Reiz ziehen die H.schen Innenarchitekturen aus der sehr geschickten Anwendung von Farbe u. Lichtführung; eine warme Helligkeit und ein höchst verfeinerter Sinn für die Bedürfnisse des Luxus u. der Hygiene zeichnet alle seine Räume aus. Ist die übrigens vielfach verständnislos nachgeahmte Ornamentik H.s heute als eine überholte europäische Stilperiode anzusehen, so erschöpft sich andererseits der Wert der Innenarchitektur H.s keinesfalls mit dieser barocken Liniendekoration, die man häufig sogar als mehr oder minder entbehrliche Zutat empfindet. - Seit 1913 steht H. an der Spitze der Brüsseler Akad., deren Lehrkurse er einer durchgreifenden neuzeitlichen Veränderung unterworfen hat. Art et Technique (Brüssel), Juli/Aug. 1913, Doppelheft (nicht benutzt). - Der Baumeister, I (Berlin 1903) p. 9ff., 183ff. (Fern. Symons). - L'Émulation (Brüssel), 1895 p. 187, Taf. 39 bis 43. - Arte ital. decor. ed industr. (Venedig), II (1891) 370; XV (1906) 66ff. - Deutsche Bauzeitg, 1900 p. 607 ("Maison du Peuple"). - Archit. d. XX. Jahrh., 1905 Taf. 81. - Die Kunst, II (= Dekor. Kunst III), München 1900, p. 206ff.; VII (= Dek. Kat VI), 1903 p. 38. - Deutsche Kst u. Dekoration, XI (1903 I) 148ff. (Abb.). - Moderne Städtebilder, I. Abth. Neubauten in Brüssel, 37 gr. Lichtdrucktafeln. Verlag E. Wasmuth, Berlin. - Meier-Graefe, Entwicklungsgesch. d. mod. Kunst, Stuttgart 1904. - L. Hevesi, Acht Jahre Sezession, Wien 1906. - Art et Décoration, 1897 I, No 1 p. 11118, No 2 p. 23 (Abb.); 1902 II 72, 75 (Abb.).,- Beaux-Arts, I (1923) 125. - Cicerone, XV (1923) 160, 204. - M. Rooses, Gesch. d. Kst in Flandern ("Ars una, species mille"), Stuttgt 1914.
Horta, Victor, belg. Archit. u. Fachschriftst. (Prof.), *6. 1. 1861 Gent, †8. 9. 1947 Etterbeek (Brüssel). Schüler von Alph. Balat. Direktor der Brüsseler Acad. d. B.-Arts. Mitgl. der Brera-Akad. Mailand u. des Roy. Inst. of Brit. Archit. Gehört mit Paul Hankar (1' 1901) zu den Erneuerern der belg. Baukunst; macht von Glas u. Eisen in seinen Bauten weitgehenden Gebrauch, läßt dabei aber der Ornamentik (" Jugendstil") noch viel Spielraum u. betont stark das dekorat. Element. Hauptwerk seiner Frühzeit Kt die Maison du Peuple an der Place de la Chapelle in Brussel (1896/99), Hauptwerk s. Reifezeit der 1928 vollendete Bau des Palais d. Beaux-Arts ebda, der ihm schon 1914 ubertragen worden war, durch den Weltkrieg aber dann unterbrochen wurde u. erst 1923 wieder aufgenommen werden konnte. Weitere bei Th.-B. nicht gen. Bauten: Mus. d. Schö. Kate in Tournai; Brugmann-Hospital in Brussel-Jette; Zentral-Bahnhof in Brussel. Lit.: Th.-B., 17 (1924). - Seyn, 2. - Beaux-Arts, 3 (1925) 154 (Abb.: Belg. Pavillon auf d. Pariser Weltausst. 1926); 6 (1928) 1551. -Cahiers de Belg., 1928 p. 17/28, m. 52 Abbn. - La Renaiss, de l'Art franç., 8 (1925) 318ff. - De Bouwgids, 21 (1929) 187ff., m. Abbn. - D. Werk (Zurich), 39 (1954 394. - The Internat. Who's Who, ° 1943/44.