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Sansovino, Jacopo

Geboren
Florenz, (vor) 1486.07.02
Gestorben
Venedig, 27. November 1570
Land
Italien
Geschlecht
männlich
GND-ID
Weitere Namen
Sansovino, Jacopo; Tatti, Jacopo d'Antonio; Jacopo Sansovino; Sansovino, Jacopo d'Antonio; Tatti, Jacopo
Berufe
Bildhauer*in; Architekt*in
Wirkungsorte
Florenz, Rom, Venedig
Zur Karte
Von
Zaggia, Stefano
Zuletzt geändert
20.12.2023
Veröffentlicht in
AKL CI, 2018, 120

VITAZEILE

Sansovino (eigtl. Tatti), Jacopo (Jacopo d'Antonio), get. 2.7.1486 Florenz, †27.11.1570 Venedig, Vater des Gelehrten Francesco S.

LEBEN UND WIRKEN

S. war einer der wichtigsten und einflussreichsten Bildhauer und Architekten der ital. Renaissance. Zunächst in Florenz, später in Rom tätig, trat er nach dem Sacco di Roma in den Dienst der Signoria von Venedig, wo er bis an sein Lebensende blieb. - Der älteste Sohn des Kunsthandwerkers Antonio Tatti wird 1502 in die Wkst. des Bildhauers Andrea Sansovino geschickt, dessen Nachnamen er in der F. annimmt. Während seiner Ausb. studiert er die Werke Michelangelos, v.a. den Karton für die "Battaglia di Cascina", und hat Kontakt zu Künstlern wie Giovan Francesco Rustici und Baccio d'Agnolo. Die Ausb. wird unterbrochen, als Andrea 1505 nach Rom geht, um an den Grabmälern der Kardinäle Ascanio Maria Sforza und Girolamo Basso della Rovere in der Kirche S.Maria del Popolo zu arbeiten. Lt. Giorgio Vasari geht S. ein Jahr später im Gefolge von Giuliano da Sangallo, mit dem er in der Zwischenzeit Freundschaft geschlossen hat, nach Rom. Dieser erste röm. Aufenthalt dauert bis ca. 1510. S. beschäftigt sich in dieser Zeit mit den Werken der Antike und arbeitet, wiederum mit Andrea, in S.Maria del Popolo zus. im Zusammenhang mit der Statue der Mäßigung am Grabmal des Basso della Rovere. Kontakt zu Pintoricchio. Lt. Vasari geht S. um 1507/08 aus einem von Donato Bramante initiierten und von Raffael beurteilten Wettb. um die beste Kopie des "Laokoon" als Sieger hervor. Das Original aus Wachs ist nicht erhalten, Vasari berichtet allerdings von einem Bronzeabguss für Kardinal Domenico Grimani. Aus dieser ersten, an Begegnungen und Entdeckungen reichen röm. Periode stammt die Kreuzabnahme aus Wachs und Holz (London, V&A), die als Modell für Pietro Perugino realisiert wird. E. 1510 oder A. 1511 kehrt er nach Florenz zurück, wo er u.a. durch Vermittlung Baccio d'Agnolos prestigereiche Aufträge erhält, oft in Konkurrenz zu Michelangelo. Die wichtigsten in dieser Phase realisierten Werke sind der Bacchus (Florenz, MN del Bargello) und der Hl. Jakob (Florenz, Dom). V.a. Ersterer, 1512 voll. und für den Garten der Residenz von Giovanni Battista Bartolini b. Gualfonda bestimmt, gilt als eines der wichtigsten Werke der Renaiss.: Obgleich es kein genaues antikes Vorbild für die Figur gibt, vereint er dennoch den strengen Char. einer klassischen Statue mit einer virtuosen, mehrfach geschwungenen Bewegung. In dieser Zeit beginnt S. eine Zusammenarbeit mit dem Maler Andrea del Sarto. Um beide versammelt sich eine Gruppe von Künstlern wie Niccolò Tribolo, Jacopo Pontormo und Rosso Fiorentino. 1515 wird S. anlässlich des Besuchs von Papst Leo X. in Florenz beauftragt, die Stadt mit temporären Fassaden und Mon. auszustatten. Zus. mit Andrea del Sarto realisiert er eine kolossale Reiterstatue und die temporäre Fassade all'antica aus Holz und Stuck für den Dom, seine erste Gelegenheit, sich in der Archit. auszuzeichnen. Auf Drängen des Papstes erarbeitet er im Wettb. u.a. mit Giuliano Sangallo, Raffael und Michelangelo einen durch Kpst. des 18. Jh. bek. Plan für die Fassade von S. Lorenzo. Der Wettstreit wird durch die Beauftragung Michelangelos gelöst, welche jegliche Zusammenarbeit mit den and. Künstlern ausschließt und S. dadurch verstimmt. 1518 siedelt er nach Rom über, wo er, abgesehen von einem kurzen Aufenthalt in Frankreich um 1521/22, bis zum Jahr des Sacco bleibt. Die wichtigsten hier ausgef. bildhauerischen Arbeiten sind die Madonna del Parto (Rom, S. Agostino) für Giovan Francesco Martelli und der Hl. Jakob (Rom, S. Maria di Monserrato). Deutlich intensiver ist er im Bereich der Archit. tätig: 1518-19 gewinnt er den von der florentinischen Gemeinde ausgeschriebenen Wettb. um den Bau der Kirche S. Giovanni dei Florentini, an dem auch Raffael, Baldassare Peruzzi und Antonio da Sangallo (1483) teilgenommen haben. Von S.s Projekt ist bis auf eine in der Forsch. unterschiedlich interpretierte Textstelle bei Vasari, die auf eine Taf. im Traktat des Sebastiano Serlio verweist, kein Zeugnis erhalten. Der Entwurf ist in jedem Fall eine Zentralbauanlage, der sicherlich auf die Studien Bramantes Bezug nimmt: eine überkuppelte Mitte, flankiert von ebenfalls überkuppelten Kapellen ("tribune" vasariane). Die Herausforderung des Bauplatzes besteht u.a. darin, dass das Fundament der Apsis teilw. im Flussbett des Tibers errichtet werden muss. Die Arbeiten werden 1521 mit der Ernennung Antonio da Sangallos (1483) zum Leiter der Baustelle unterbrochen, der Bau wird schließlich als Longitudinalbau errichtet. In der Zwischenzeit erhält S. and. Aufträge: das Projekt zur Erneuerung der durch ein Feuer zerst. Fassade von S. Marcello al Corso (später von Sangallo [1483] ausgef.) und die Errichtung des Pal. Gaddi im Auftrag der Florentiner Bankiers Luigi und Giovanni Gaddi um 1518. Dieser Bau erhebt sich auf einem engen, länglichen Grundstück im Inneren eines Häuserblocks, auf dem S. den Grundriss mit zwei durch Loggien getrennte Höfe in der Tiefe anlegt. Die Gestaltung der nüchternen, auf den Canale di Ponte blickenden Fassade und die Gliederung der Ordnungen im ersten Hof greift Beispiele Raffaels auf. S.s röm. Aufenthalt wird durch die Ereignisse des Sacco, die ihn zur Suche nach einer sichereren künstlerischen Auftraggeberschaft zwingen, jäh unterbrochen. Der Sohn Francesco erinnert später an den urspr. Plan des Vaters nach Frankreich an den Hof Franz I. zu gehen, wird jedoch während der Zwischenstation in Venedig im Aug. 1527 vom Dogen Andrea Gritti und dessen Adels- und Intellektuellenkreis zum Verbleib im Dienst der venez. Herrschaft überredet. Seine Ankunft fällt in eine besondere hist. Phase der Venez. Republik: das E. einer langen Krise, die mit dem Krieg gegen die Liga von Cambrai begonnen hat, und der Moment, in dem die Elite der Lagunenstadt eine Politik der kulturellen Erneuerung beginnt. 1529 bekommt er von den Prokuratoren von S. Marco de supra das Amt des "Proto" (obersten Baumeisters) mit der Aufgabe, den archit. Zustand des Markusdoms und den von den Prokuratien verwalteten Immobilienbesitz zu überwachen. Dank seiner anerkannten künstlerischen Fähigkeiten erhält er bald zahlr., auch priv. Aufträge und ist 40 Jahre lang die zentrale Persönlichkeit in archit. und künstlerischen Fragen Venedigs, begünstigt durch seine Verbindungen zu Serlio, Pietro Aretino und Tizian. S.s wichtigste archit. Werke im öff. Auftrag beziehen sich auf die Erneuerung des Markusplatzes: die Zecca, die Libreria Marciana und die Loggetta. Die Bauarbeiten an der Zecca beginnen 1537 und setzen sich in drei Bauphasen bis 1549 fort: Urspr. ist das Gebäude zweigeschossig (1558 wird es, ohne Beteiligung S.s, um ein Stockwerk erhöht) und auf einem tiefen länglichen Körper mit Wkstn an der Vorderseite und einem um einen rechteckigen Hof herum angelegten hinteren Baukörper organisiert. Die zur Mole von S. Marco weisende, vollst. rustizierte Fassade hat, gleichsam als metaphorische Andeutung eines "Tresors", eine starke plastische Präsenz. 1537 beginnt auch der Bau der als S.s Hw. geltenden, v.a. für die Büchersammlung des Kardinals bestimmten Libreria Marciana. Das gegenüber dem Dogenpalast errichtete Gebäude hat zwei Stockwerke: Im unteren, mit einer Arkatur versehenen Geschoss liegen Wkstn, im oberen die Bibl. und die Büros der Prokuratoren. Die Grundidee entspricht einer mod., wenn auch an der Antike orientierten Basilika: Für den Bereich des ebenerdigen Portikus mit seinen von dorischen Halbsäulen gerahmten Rundbögen liefert die Basilica Aemilia das Vorbild. Im Obergeschoss rahmen ionische Halbsäulen, die einen hohen, mit Putten und Festons dekorierten Fries tragen, venez. Fenster. Lt. seinem Sohn Francesco hat S. einen Plan erarbeitet, der vorgesehen hat, den Markusplatz ganz zu umschließen und den Baukörper der Bibl. zu erweitern. Die letztlich gewählte Lage des Baus lässt die Flucht in Richtung der vorhandenen Bebauung in die Achse zw. Markusplatz und Piazzetta zurücktreten, stellt so den Campanile frei und bestimmt damit den folgenden, E. des Jh. von Vincenzo Scamozzi, der die Bibl. 1583 um fünf Joche in Richtung der Mole verlängert, realisierten Ausbau des Fassungsvermögens. Der Bau der Loggetta (E. 1537 beg., 1542 voll.) am Fuß des Campanile nimmt formal das Triumphbogenmotiv auf: Drei Joche mit Rundbögen gerahmt von Vollsäulenpaaren kompositer Ordnung sind bekrönt von einem Attikageschoss mit Reliefs und einer Balustrade. Die archit. Anlage ist durch den Einsatz mehrfarbiger Marmore und ein umfassendes plastisches Programm zur Feier der venez. Republik ausgeschmückt. Es folgen zahlr. Aufträge im Sakralbau. Dazu gehört die Beteiligung an der Realisierung der schmucklosen, strengen einschiffigen Kirche S. Francesco della Vigna für die Observanten im Jahr 1534, deren Anlage jedoch Ergebnis von Diskussionen ist, an denen der Mönch und Theologe Francesco Zorzi und Künstler wie Tizian und Serlio beteiligt sind (die Fassade wird schließlich nach einem Entwurf von Andrea Palladio erbaut). Es folgen Projekte für Kirchen bescheidenerer Dimensionen, die auf einem 'venez.' Grundrissschema aufbauen, u.a. S. Martino und S. Giuliano. Im Fall der zerst. Kirche S. Salvatore, erb. ab 1565 und dem Ospizio degli Incurabili angefügt, erprobt er überdies den ovalen Grundriss. In priv. Auftrag realisierte S. zwei große Pal. am Canal Grande: Pal. Dolfin (um 1536 beg.) und v.a. den grandiosen Pal. Corner (Entwurf 1530er Jahre, 1545 beg.). Bei beiden Pal. ist die archit. Ordnung dem trad. venez. Schema angepasst, Letzterer vereint gelungen die während der Jahre in Florenz und Rom erworbenen Kenntnisse: Die Anlage verbindet die trad. venez. Dreiteilung mit einem um einen quadratischen Hof herum organisierten Baukörper; die Hauptfassade hat drei Stockwerke, von denen das erste rustiziert ist und die beiden oberen durch ionische und korinthische Doppelhalbsäulen gegliedert sind. Um 1540 dat. der Baubeginn der Villa Garzoni in Pontecasale b. Padua, die einen in den venetischen Trad. unbek. Aufbau aus einem auf drei Seiten von Bogengängen umgebenen Hof präsentiert, der in der Forsch. als Interpretation des vitruvianischen griech. Hauses identifiziert worden ist. Auch in Venedig ist S. als Bildhauer tätig; dort konizidiert seine Tätigkeit mit dem E. der Vorherrschaft der Wkst. der Fam. Lombardo. Hier ist er bes. für den bislang eher ungewöhnlichen Einsatz von Bronze maßgeblich, den er v.a. für die wichtigsten öff. Aufträge einsetzt. In Bronze gestaltet er für den Markusdom bestimmte Arbeiten wie die sechs Reliefs mit den Wundern des Hl. Markus oder die R. der Vier Evangelisten für den Hochaltar, aber auch die vier Statuen von Gottheiten (Apoll, Merkur, Athene, Pax) in den Nischen der Loggetta. Mit der Zunahme seiner Aufträge als Architekt der Prokuratien um die M. des Jh. werden seine Skulpturen häufig auf Grundlage eines von ihm in Wachs, Holz oder Gips erstellten Modells von seiner Wkst. ausgeführt. Bei der Realisierung der Statuen von Mars und Neptun im Hof des Dogenpalastes wechseln sich die Gehilfenteams ab. Unter den an der Wkst. beteiligten Schülern sind Bartolomeo Ammannati, Danese Cattaneo und Alessandro Vittoria hervorzuheben.

WERKE

Skulpturen: Berlin, Bode-Mus.: Christus in der Glorie, Bronze, um 1550-60. Florenz, MN del Bargello: Bacchus, Marmor, um 1510; Medici-Tabernakel, Holz, Blattgold, Bronze, um 1540. London, V&A: Kreuzabnahme, Wachs, Holz, Blattgold, 1508. Padua, Basilica di S. Antonio, Capp. dell'Arca: hl. Antonius erweckt ein ertrunkenes Mädchen, Flachrelief, Marmor, 1536-63. Rom, S.Maria del Popolo, Grab des Kardinals Basso Della Rovere: Mäßigung, Marmor, 1507-09 (zugeschr.). - S. Agostino: Jungfrau mit dem Kind (Madonna del Parto), Marmor, 1518-21. - S. Maria in Monserrato: Hl. Jakob, Marmor, 1520. Venedig, S.Maria Gloriosa dei Frari: Joh.Bapt., Marmor, um 1534. - Arsenal: Jungfrau mit dem Kind, Marmor, um 1534. - S. Marco: Kantorei: Wunder des Hl. Markus, sechs Flachreliefs, Bronze, 1537-42; Tür der Sakristei, Bronze, 1546-69; Vier Evangelisten, Bronze, 1550-52. - Loggetta: Minerva, Apoll, Merkur, Pax, Bronze, 1542. - Dogenpalast, Scala dei Giganti: Mars und Neptun, Marmor, ab 1554. - S. Giuliano, Fassade: Statue des Tommaso Rangone, Bronze, 1556-57 (mit Alessandro Vittoria). - S. Salvador: Grabmonument für Francesco Venier, versch. Marmore, 1555-61 (mit Vittoria). Archit.: Pontecasale/Padua: Villa Garzoni, um 1540. Rom: Pal. Gaddi, ab um 1518. Venedig: S. Francesco della Vigna, um 1534-58; Zecca, 1536-49; Libreria Marciana, 1537-56; Loggetta, 1537-42; Pal. Dolfin, 1536-47; Pal. Corner, ab 1540; S. Martina, um 1540-53; Dogenpalast: Scala d'Oro, 1554-61; S. Giuliano, 1553-70; Scuola Grande della Misericordia, ab 1531 (unvoll.); Fabbriche Nuove di Rialto, ab 1554; Case Moro, 1544-62.

QUELLEN

Thieme-Becker, Vollmer und AKL:

ThB32, 1938

 

Weitere Lexika:

ELU IV, 1966; Oudin, 1970 (s.v. Sansovino); Macmillan III, 1982; DA XXVII, 1996; A.Boström (Ed.), Enc. of Sculpture, III, N.Y./Lo. 2004

 

Gedruckte Nachweise:

T.Temanza, Vita di J.S. fiorentino scultore e architetto chiarissimo, Ve. 1752; M.Tafuri, J.S. e l'archit. del '500 a Venezia, Pd. 1972; M.Garrard, The Early Sculpt. of J.S.: Florence and Rome, Diss., Johns Hopkins Univ. Baltimore 1970; D.Howard, J.S.: Archit. and Patronage in Renaiss. Venice, New Haven/Lo. 1975; A.Foscari/M.Tafuri, L'armonia e i conflitti, To. 1983; C.Davis, FlorMitt 29:1985, 396-400; T.Hirthe, MüJb 37:1986, 131-176; E.Lein, FlorMitt 35:1991, 193-210; B.Boucher, The sculpt. of J.S., New Haven/Lo. 1991; C.Davis, Kunstchronik 46:1993(7)344-348, 357-361; C.David, MüJb 45:1994, 133-64; Vasari, ed. G.Milanesi, Bd 7, Mi. 1998; M.Morresi, J.S., Mi. 2000; E.J. Johnson, J. of the Soc. of Archit. Historians 59:2000(4)436-453; G.Pratesi (Ed.), Repert. della scultura fiorentina del Cinquecento, Bd 1, To. 2003; E.J. Johnson, ArtB 86:2004(3)430-458; id., J. of the Soc. of Archit. Historians 69:2010(2)190-205; P.Davies, in: N.Avcıoğlu (Ed.), Archit., Art and Identity in Venice and its Territories, 1450-1750, Lo./N.Y. 2013; D.Battilotti u.a. (Ed.), Storia dell'Archit. nel Veneto, Ve. 2016.