Ike Taiga (Matajirô; Kôbin; Kasei; Ikeno Mumei; Ikeno Taiga Ike no Taiga; Ikeno Tsutomu; Ikeno Shûhei; Gô: mehr als 100, u.a. Taigadô; Taikadô; Sangakudôsha, Kashô), jap. Maler, Kalligraph, Dichter, *6.6.1723 Kyôto, †30.5.1776 ebd.
Ike, Taiga
I. stammt aus ärmlichen Verhältnissen; sein Vater stirbt als er drei Jahre alt ist. Bereits als kleiner Junge erhält I. Unterricht in jap. und chin. Kalligraphie. Im Alter von sechs Jahren führt er sein Können chin. Priestern des Zen-Tempels Manpukuji (Ôbaku-Haupttempel und Zentrum chin. Gelehrsamkeit in Japan) in Kyôto vor, die ihn als Wunderkind bezeichnen. Mit zehn Jahren besitzt I. eine außergewöhnliche Fertigkeit in der Kana-Schr. (jap. Silbenschrift) (Zwei Gedichte aus dem 'Kokin wakashû', 1733, Hängerolle, Burke Coll.). Mit 12 Jahren meistert er die versch. Kategorien der Kalligraphie-Schr. (tensho, gyôsho, sôsho, reisho, kaisho) (One Hundred Surnames in Four Styles (ex-Matsuyama Slg, Ôsaka, seit 1933 verschollen; Abb. in Matsushita 1967). Mit 14 Jahren eröffnet I. einen Laden für Fächer, auch um zum Lebensunterhalt seiner Fam. beizutragen. Der Laden (Taikadô/Halle des Wartens zum Verkauf) wird von einer Gruppe konfuzianistischer, sinophiler Gelehrter gefördert, die I. wahrsch. durch seine Kontakte zum Manpukuji kennengelernt hat, v.a. Akutagawa Tankyû (1719-1785), Matsumuro Shôkyô (1692-1747) und Yanagisawa Kien, ein Samurai und Amateurmaler, der I. ab 1738 in die beginnende jap. Literatenmalerei (Nanga) einführt. Die Vorlagen für seine Entwürfe der Fächermalerei im chin. Stil entnimmt I. dem in frühen Nanga-Kr. populären gedruckten chin. Mallehrbuch Hasshu gafu/Acht Arten der Malerei (jap. Ausgaben 1672/1710). Daneben fertigt I. Stempelgravuren in Siegelschrift an. In dieser Zeit erlernt I. die ungewöhnliche Technik der Fingermalerei (shitôga) von Yanagisawa Kien (hauptsächlich Bambus), die er in späteren Werken, u.a. für den Manpukuji, meisterlich umsetzt (Five Hundred Arhats, um 1765, Kyôto, NM). Bekanntschaft mit zahlr. Malern: ab 1741 enge Freundschaft mit Kan Tenju und Kô Fuyô, die sein Interesse für chin. Kultur und Siegelschnitzerei teilen. Mit Kô Fuyô unternimmt I. zumindest zwei lange Reisen, um von der Natur zu lernen und Impressionen von Landschaften als Inspirationsquelle für Malerei zu erhalten. 1736 Bekanntschaft mit dem Literatenmaler Ryû Rikyô; 1752 mit Gion Nankai, die ihn beide malerisch beeinflussen. Ein weiterer Maler mit nachhaltigem Einfluss ist der Zen-Mönch Hakuin Ekaku, der 1752 für kurze Zeit bei I. wohnt. Bis 1742 häufiger Wechsel seiner Wohnresidenzen, jedoch immer in der Nähe des Kamo-Flusses (Gion-Viertel). Ab 1742 benutzt der Künstler den Namen Ike (Tsutomu) sowie den formellen Künstlernamen Kôbin; weiterhin den Studionamen Taigadô ("Studio der Großen Eleganz"), unter dem I. und sein Atelier am bekanntesten werden. 1746 Heirat mit Tokuyama Gyokuran, deren Mutter eine bek. Dichterin ist und ein beliebtes Teehaus in Kyôto betreibt. Gyokuran hat bei Yanagisawa Kien Malerei studiert. Nach ihrer Heirat erhält sie Unterricht bei I. und wird ebenfalls als Malerin erfolgreich (auch gemeinsame Projekte). 1748 lernt I. Kimura Kenkadô kennen, der im Alter von 12 Jahren sein Schüler wird. Kimura stammt aus einer in Ôsaka ansässigen wohlhabenden Fam. von Sakebrauern und wird in späteren Jahren einer von I.s stärksten Mäzenen. Zudem ist er Verfasser der Biogr. zu I. (Ike Taiga kafu). Im Frühjahr desselben Jahres hat I. viell. Kontakt mit dem koreanischen Maler Ch'oe Puk und weiteren Delegierten einer koreanischen Gesandtschaft. Im Juni des Jahres reist I. erstmals nach Edo und in die östlichen Provinzen, um berühmte Lsch-Szenerien zu sehen (Matsushima, Fuji-Besteigung, Nikkô) sowie um mögliche Auftraggeber zu treffen. Bei diesen Treffen inszeniert I. Malerei-Performances (sekiga). Bekanntschaft mit dem bed. Rangaku-Gelehrten Noro Genjô. Rückkehr nach Kyôto. 1749 zus. mit Kô Fuyô Aufenthalt in Kanazawa, wo er die lyrischen Ill. der Wondrous Scenery of Mutsu, 1749, Querrolle, Kyûshû, NM) fertigt. Sie visualisieren einige seiner Reiseerfahrungen (Hakusan, Tateyama). In dieser Zeit führt I. auch die ersten Aufträge von Malereien großformatiger Schiebetüren und Stellschirme durch. In den folgenden Jahren zahlr. weitere Reisen (u.a. Shimane, Shizuoka), um Aufträge zu erfüllen; insbesondere mit der Katsube-Fam. langjährige Verbindungen (Lake Dongting and Red Cliff, 1770, Hängerolle, Tokio, New Ôtani AM). Neben Malerei und Kalligraphie ist I. als Dichter tätig und studiert intensiv chin. Dichtkunst. Mitgl. im Dichterzirkel Kotonsha in Ôsaka. 1760 erfolgt die zweite lange Reise zus. mit Kô Fuyô und Kan Tenjû (Hakusan, Tateyama, Fuji) (Diary of the Journey of the Three Peaks, dat. 1760, Album, Kyôto, NM). Um 1765 umfangreiche Tempel-Projekte (zahlr. Malereien für Schiebetüren und Stellschirme) u.a. für den Henjôkôin auf dem Kôyasan (u.a. Elegant Gathering at a Mountain Pavilion, fusumae, ebd.). Das 1768 erstmals publ. Kompendium Heian jinbutsushi listet I. als hervorragenden Maler und eminenten Kalligraphen auf (ebenfalls in der Ausg. von 1775). Ab 1770 wird I. chronisch krank (wahrsch. Nierenleiden), worunter sein Schaffen in den letzten Lebensjahren leidet. Die meisten erh. Werke dieser Periode sind kleinformatige Alben und Querrollen, v.a. Kalligraphien (Heart Sutra, dat. 1773). - Bed. jap. Maler im sog. Literatenstil (bunjinga), der zu den herausragenden Künstlerpersönlichkeiten des 18. Jh zählt. Seinen Zeitgen. galt I. als Kijin (Exzentriker). Als Berufsmaler erhielt I. Aufträge aus allen ges. Kr., v.a. jedoch aus der gebildeten und wohlhabenden Kaufmannsschicht im Kansai-Gebiet, die die neue heimische Literatenmalerei als genuine visuelle Reflektion ihres gebildeten Lebensstils liebte. I. war äußerst produktiv. Während seiner vier Dekaden umspannenden künstlerischen Schaffensperiode schuf I. weit mehr als 1000 Kalligraphien und Gem. in versch. Formaten, darunter Hängerollen, Querrollen, Fächerbilder, Alben und zahlr. großformatige Stellschirme (Landscape with Pavilions, 6teiliges Stellschirmpaar, Tokio, NM) sowie Schiebetüren (fusuma). Die meisten seiner Werke sind sign. (rund 100 Sign. und Varianten sind bek.), zu den frühesten gehören Willows at Weicheng (dat. 1744, Hängerolle, Niigata, Tsurui Mus. of Art) und Waterfall at Mt. Mino (dat. 1744, Tokio, Kumita Shohei Coll.). Sein Œuvre weist eine beeindruckende Vielfalt an Stilen, Techniken, Komp. und Sujets auf, die Zeugnis seines Ideenreichtums und seiner von Schultradition unabhängigen Experimentierfreude sind (z.B. Einsatz "neuer" Texturstriche wie die sog. Hanffaserstriche; Übertragung von kompakten Lsch.-Komp. vom bis dahin üblichen Hängerollenformat in Fächerbilder etc.). In diesem Sinne lebte I. das Ideal seiner chin. Literaten-Vorbilder, die durch individuelle kalligraphische Manier und Variationen trad. Bildthemen neue Bildschöpfungen hervorbrachten (Essay on Fulfilling One’s Desire, dat. 1750, Querrolle, Tokio, Umezawa Mem. Gal., Aufschriften von Gion Nankai und Yanagisawa Kien). Indem I. erfolgreich Mal- und Bildkonventionen der chin. Literatenmalerei unter Verarbeitung indigener jap. Malkontexte (v.a. Komp.-Konzepte, Raumauffassung, Farbbehandlung, Sujets) transformierte, legte er (zus. mit Yosa Buson) den Grundstein zur endgültigen Herausbildung der jap. Literatenmalerei bzw. Malerei der Südlichen Schule (nanga). Repräsentatives Beispiel dafür: Flowering Plum Trees in Mist (6teiliges Stellschirmpaar, Philadelphia, Mus. of Art), bei dem I. die Pflaumenblüten, ein klassischer chin. Bildtopos, in saturierten schwarzen und grauen Tuschetönen darstellt, der Nebel hingegen durch den Auftrag leichter Goldlavierung entsteht, eine trad. jap. Maltechnik. Zugleich adaptiert der Künstler auch die Haboku-Manier ("gebrochene Tusche") Muromachi-zeitlicher Tuschemalerei. Weiterhin: Catching a Catfish with a Gourd (Hängerolle, Tokio, Idemitsu AM), bei dem die zahlr. nassen Tuschefelder in Art der Tarashikomi-Technik ("eingetröpfelt") der Rimpa-Maltrad. produziert wurden. Seine bildlichen Vorlagen schöpfte I. aus in Slgn befindlichen jap. und chin. Bildern (u.a. Yi Fujiu; Huang Gongwang; Ni Zan), chin. Mallehrbüchern wie dem Kaishien gaden/Malereien aus dem Senfkorngarten (jap. Ausgaben 1748, 1753), klass. narrativer Literatur (z.B. Genji monogatari) und Dichtkunst (Landscape after Li Bo's poem, 2teiliger Stellschirm, New York, Metrop. Mus. of Art) sowie eig. auf Reisen gewonnenen Impressionen. I. schuf Lsch.-Darst. mit chin. Motiven (Gathering at the Orchid Pavilion, 1763, Shizuoka, Pref. Mus. of Art) sowie Szenerien jap. Topographie. Daneben zahlr. Figurenmalereien (buddh. Figuren, Portr.) (Dialogue Between Mikami Kōken and Ike Taiga, Hängerolle, Tokio, Nat. Univ. the Arts) und Darst. des trad. Sujets der Vier Edlen (Orchidee, Bambus, Aprikosenblüte und Chrysantheme) (Plum Blossoms and Bamboo, um 1760, Hängerolle, Philadelphia). Häufig ergänzte er seine bildhaften Darst. mit Aufschriften chin. oder jap. (Kurz-)Gedichte, oft seine eigenen. I. beherrschte sämtliche Kalligraphie-Stile (Calligraphy of a Poem by Ono no Komachi, um 1770, Hängerolle, Philadelphia), darunter die zu seiner Zeit nahezu unbekannte zattaisho ("Misch-Schr."). Seine Könnerschaft in Schreibkunst war derart verinnerlicht, dass er sogar seine Geschäftsbücher in Siegelschrift verfasste. Seine "Wahren Lsch." (shinkeizu) zeigen das Interesse des Künstlers an empirischem Realismus (Einfluss des koreanischen Malers Jeong Seon) und seine Kenntnis westlicher Perspektivkonzepte (True View of Mt. Asama, um 1761, Japan, Priv.-Slg). Zu den berühmtesten Werken I.s gehört das Album Ten Conveniences and Ten Pleasures (dat. 1771, Kamakura, Kawabata Found.), das der Künstler zus. mit Yosa Buson geschaffen hat. Das Album wird heute als ikonisches Werk der jap. Literatenmalerei angesehen, da es die angestrebte Interaktion zw. Künstler und Natur in poetisch aufgeladenen Bildern unmittelbar transportiert. Zugleich reflektiert es I.s reife Synthese versch. Tuschestile und Pinseltechniken. Die getuschten Aufschriften mit Texten des chin. Literaten Li Yu geben eine exemplarische Einsicht in Bunjin-Philosophie des 18. Jh.
Einzelausstellungen:
1975 Nara, Yamato Bunkakan (K) / 1994 Yôkaichi, Ichigami Jinja (K) / 1996 Kyôto, The Mus. of Kyôto (K) / 2011 Tokio, New Ôtani AM (K).
Gruppenausstellungen:
1972 New York, Asia Soc. Gal.: Scholar-painters of Japan: The Nanga School (K) / 1975 Berkeley, Univ. AM: Ike-no Taiga and his circle (K) / Kyôto: 1976 City Mus. of Art: Taiga to Buson ten (K); 2010 NM: Commemorating the 200th Mem. of Ueda Akinari (K) / Ôsaka: 1986 Hankyû Department Store: Nihon bunjinga goninten (K); 2009 Ôsaka Art Club: Ike no Taiga, Yosa Buson meihinsen (K) / Tokio: Idemitsu AM: 1996 Bunjinga ten: Ike Taiga, Yosa Buson, Uragami Gyokudô (K), 2011 Taiga, Buson, Gyokudô and Sengai (K) / 2012 Houston, MFA: Unrivalled Splendor: The Kimiko and John Powers Coll. of Jap. Art (K).
Thieme-Becker, Vollmer und AKL:
ThB32, 1938
Weitere Lexika:
RAA 1932(1933); Bauer, GEM VIII, 1978; Tazawa, 1981; DA XV, 1996; Roberts, DJA, 1976; Bénézit XIII, 2006 (s.v. Taiga); K.Rawlings (Ed.), Benezit dict. of Asian artists II, N.Y. u.a. 2012 (s.v. Taiga).
Gedruckte Nachweise:
I.Tanaka et.al (Ed.), I. T. Gafu, 5 Bde., To. 1959; H.Matsushita, I. T., To. 1967; M.Takeuchi, T.'s True Views: The Language of Landscape Paint. in Eighteenth-C. Jap., Stanford 1992; J.Stanley-Baker, The Transmission of Chin. Idealist Paint. to Japan: Notes on the Early Phase (Michigan Papers in Jap. Stud.), Univ. of Michigan 1993; J.M. Rosenfield/F.E. Cranston, Extraordinary persons (K Slg Kimiko und John Powers), I-III, C., Mass. 1999; M.Murase, Bridge of dreams. The Mary Griggs Burke Coll. of Jap. Art (K), N.Y. 2000; F.Fischer/K.Kinoshita, I. T. and Tokuyama Gyokuran: Jap. masters of the brush (K Philadelphia Mus. of Art), Yale Univ. 2007.