Frei zugänglich

Velázquez, Diego

Geboren
Sevilla, 6. Juni 1599
Gestorben
Madrid, 7. August 1660
Land
Spanien
Geschlecht
männlich
GND-ID
Weitere Namen
Velasques, Diego Rodrigues da Silva y; Velasquez, Diego Rodriguez de Silva; Velázquez, Diego; Velázquez, Diego Rodríguez de Silva y; Velazquez de Silva, Diego; Velatquez, Diego Rodriguez de Silva; Velasquez, Diego Rodrigues da Silva y; Velasquez, Diego (1599)
Berufe
Maler*in; Stilllebenmaler*in
Wirkungsorte
Madrid, Genua, Venedig, Rom, Neapel
Zur Karte
Von
Plackinger, Andreas
Zuletzt geändert
19.12.2023
Veröffentlicht in
AKL CXII, 2021, 347

VITAZEILE

Velázquez (Velasquez; Velasques), Diego (Rodríguez de Silva y; Rodrigues da Silva y), span. Maler, get. 6.6.1599 Sevilla, †7.8.1660 Madrid.

LEBEN UND WIRKEN

V. ist einer der bedeutendsten Vertreter der Malerei des 17. Jahrhunderts. Seine gesicherten Werke sind ausnahmslos in Öl auf Lw. ausgeführt, ab seiner Zeit in Madrid verwendet er zunehmend feinere Textilien als Bildträger. Mit ca. 120 nur in Ausnahmefällen sign. Gem. und sehr wenigen Zchngn ist sein Œuvre relativ klein, zeichnet sich aber in allen Bildgattungen, denen sich V. zuwandte, durch eigenständige Lösungen und Weiterentwicklungen gängiger Bildtypen aus. Neben dem Porträt, das in seinem Werk quantitativ deutlich überwiegt, führt er antike, mythologische und zeitgen. Historien, Genrebilder und relig. Gem. aus. Letztere umfassen etwa ein Zehntel seines Œuvres. Die H. seiner sakralen Werke entsteht in seiner Frühzeit in Sevilla, wo V. als Sohn des aus niederem portug. Adel stammenden Juan Rodríguez de Silva und seiner Frau Geronima V., deren Familiennamen der Künstler verwendet, geboren wird. Spätestens 1611 - ein früherer Ausbildungsbeginn in der Wkst. von Francisco de Herrera (1576) ist strittig - geht V. in die Lehre bei dem führenden Maler des humanistischen Gelehrten- und Künstlerkreises der Stadt, Francisco Pacheco (1564), seinem späteren ersten Biografen. 1617 Aufnahme in die örtliche Malergilde. Im Jahr darauf Heirat mit Juana Pacheco, der Tochter seines Lehrers. Die Tochter aus dieser Verbindung, Francisca, wird 1633 mit dem Maler Juan Bautista Martínez del Mazo vermählt. Aus dieser Zeit des Abschlusses seiner Ausb. und seiner Eheschließung stammen V.s früheste Werke, die einen wesentlichen Beitr. zur Gattung des Bodégon leisten, der span. Spielart des sog. Küchen- oder Schankstücks, das Genre- und Stilllebenelemente verbindet. So etwa die motivisch vom ital. Caravaggismus beeinflussten Musikanten (Berlin, GG), die an Szenen aus pikaresken Romanen erinnernden Männer am Tisch (St.Petersburg, Ermitage und Budapest, SzM) oder die Eierbratende Frau (Edinburgh, NG), die bei aller Könnerschaft in der naturalistischen Wiedergabe versch. Texturen, noch eine additive Anordnung einzelner Gegenstände aufweist und von Schwierigkeiten mit perspektivischer Raumdarstellung zeugt. Die Beschränkung auf Halbfiguren bzw. Kniestücke sowie auf ein erdfarbenes Kolorit sind Gemeinsamkeiten mit den durch Stillleben angereicherten Küchenstücken (London, NG und Dublin, NG, beide um 1618), in denen entgegen gängiger hierarchisierender Bildstrukturen Begebenheiten aus dem NT - Besuch bei Maria und Martha bzw. Emmausmahl - nur klein im Hintergrund zu erkennen sind. Ob es sich bei diesen Szenen um ein Bild im Bild, ein Spiegelbild oder das Geschehen in einem angrenzenden Raum handelt, ist nicht mit letzter Sicherheit bestimmbar. Ambitioniert sind die um 1619 geschaffenen ganzfigurigen sakralen Darst. über deren Auftragskontext keine Inf. vorliegt (Immaculata; Ev. Joh. auf Patmos, beide London, NG) sowie die Anbetung der Könige (Madrid, Prado), ein Altarbild für das Jesuitennoviziat in Sevilla. Das veristische Bildnis der Nonne Jerónima de la Fuente (um 1620, Madrid, Prado; Repliken in Privatsammlungen) bildet den Auftakt von V.s Porträtkunst. 1622 reist er nach Madrid, in der Hoffnung, den jungen König Philipp IV. malen zu können und sich so dem Hof zu empfehlen, kehrt jedoch vorerst ohne Erfolg in seine Heimatstadt zurück. In Sevilla wohl Entst. des vermutlichen Porträts seines Lehrers Francisco Pacheco (Madrid, Prado). Der Erfolg des Bildnisses des Dichters Luis de Góngora (Boston, MFA), das er zuvor in der Hauptstadt geschaffen hat, und prominente Unterstützer aus Sevilla - darunter Domherr Juan de Fonseca, Besitzer von V.s konzeptuell überzeugendstem Bodegón (Wasserverkäufer, um 1620/22, London, Wellington Coll.) - ebnen V. den Weg: 1623 wird er von Philipp IV. und dessen Sevillaner Günstling Graf Olivares als Nachf. des verst. Rodrigo de Villandrando zum Hofmaler (pintor de cámara) ernannt. Seitdem dauerhafter Aufenthalt in Madrid. V. hat durch seine Porträts des Monarchen Anteil an der kgl. Selbstdarstellung im Sinne der Reformpolitik des Olivares-Kreises, auch die Überwachung des qualitativen Niveaus der von Philipp IV. und seiner Fam. zirkulierenden Porträts obliegt ihm. Sein ganzfiguriges Bildnis Philipps IV. in Schwarz (1623, überarb. 1628, wieder aufgegriffen im Brustbild des Herrschers mit Harnisch, 1628-29, beide Madrid, Prado) sowie die daran angelehnten Porträts von Infant Don Carlos, Bruder des Königs (1626-27, Madrid, Prado), und des Conde-Duque Olivares (1624, S.Paulo; Variante 1627?, New York, Hispanic Soc.) knüpfen an Bildnisformeln der Hofporträtisten seit Philipp II. (z.B. Anthonis Mors, Alonso Sánchez Coellos, Juan Pantoja de la Cruz' und seines eig. Vorgängers Villandrando) an. Der Eindruck steifer Schematisierung wird abgemildert durch die Suggestion vermeintlich unrhetorischer Natürlichkeit. 1627 setzt sich V. mit der Vertreibung der Morisken (nicht erh.) in einem Wettb. auch auf dem Feld der Historienmalerei gegen seine Konkurrenten am span. Hof, Vicente Carducho, Eugenio Cajés und Angelo Nardi, durch. Den Zugang zu den kgl. Slgn nutzt er zur Auseinandersetzung mit der Historienmalerei von Tizian und Peter Paul Rubens. Los Borrachos (1628/29, Madrid, Prado), V.s erstes Gem. mythologischen Inhalts, gibt keine tradierte narrative Szene der antiken Sagenwelt wieder. Bodegón-Elemente sowie der geringe Grad an Idealisierung des halbnackten Weingottes scheinen gängige Bacchusdarstellung zu ironisieren. V.s neues Interesse an der Aktmalerei verrät der einer mystizistischen Religiosität span. Prägung verpflichtete Gegeißelte Christus (um 1628, London, NG). Viell. auf Anregung von Rubens, dem er bei dessen Madrid-Aufenthalt 1628 begegnete, bereist V. 1629-31 Italien (Genua, Venedig, Rom, Neapel). Dort wohl Entst. der Schmiede des Vulkan (1630, Madrid, Prado) und ihres Gegenstücks im Sinne des Conceptismo Josephs blutiger Rock (1630, El Escorial), in denen der Künstler das affektive Potential von Mimik, Gestik und Haltung im Rahmen der dramatisierenden Bilderzählungen von enthüllter bzw. gelungener Täuschung auslotet. Aus dieser Zeit datieren die einzigen vorbehaltlos als eigenhändig anerkannten autonomen Lsch. des Malers, deren regelrecht protoimpressionistischer Char. verblüfft (Ansichten des Gartens der Villa Medici in Rom, Madrid, Prado). Zwar empfängt V. durch seine Zeit in Italien wichtige Impulse im Bereich der Wiedergabe der nackten menschlichen Gestalt und psychologisierender Narration; ital. und antike Vorbilder werden jedoch im Sinne eines antiklassischen Verismus adaptiert. Maltechnisch markiert die Reise eine Zäsur: Ab etwa 1631 grundiert V. seine Werke nicht mehr mit rotbraunen Tönen, sondern bereitet den Malgrund mit einer Mischung aus Bleiweiß und dunklen Pigmenten vor, die sich zu Hellgrau oder Hellbeige verbinden, was seinen Farben größere Leuchtkraft verleiht. Die Erweiterung und Ausdifferenzierung von V.s Palette unter dem Eindruck venez. Malerei sowie ein freierer Duktus sind greifbar in den ersten beiden Bildnissen nach der Rückkehr nach Spanien, dem Porträt Philipps IV. in Silber und dem viell. als direktes Pendant konzipierten Bildnis von Königin Isabel de Bourbon (beide 1631/32, ersteres sign. London, NG, letzteres New York, Privatsammlung). Das Porträt des Thronfolgers Baltasar Carlos mit Zwerg (1631, Boston, MFA) sowie das sog. Fraga-Porträt Philipps IV. (1644, New York, Frick Coll.) sind die bedeutendsten Einzelporträts von Mitgl. des Königshauses dieser Werkphase. Als bemerkenswerte männliche Porträts, die keine Angehörigen der kgl. Fam. zeigen, und wenige Jahre vor bzw. nach der Italienreise entstanden, gelten das Bildnis eine unbek. jungen Mannes (um 1629, München, AP) sowie das Porträt des Bildhauers Martínez Montañez (um 1635, Madrid, Prado). In ihnen stehen skizzenhafte Partien bei Sichtbarkeit der Grundierung neben differenziert ausgearbeiteten Partien, wobei ersteres wohl einen vorläufigen Zustand zeigt, bei letzterem ist der Effekt zweifellos konzeptuell intendiert. Die Dame mit dem Fächer (um 1635, London, Wallace Coll.) und das Bildnis eines Mädchens (um 1640, New York, Hispanic Soc.) gehören zu den herausragenden weiblichen Porträts des Künstlers; die sog. Sibylle mit Tabula rasa (um 1648, Dallas, Meadows Mus.) und die Näherin (um 1635-43, Washington, NG) wirken eher genrehaft. Von bes. Eindringlichkeit ist der Christus am Kreuz für das Madrider Benediktinerinnen-Kloster S.Plácido (um 1632, Madrid, Prado), der einerseits V.s Körperstudien im Zuge seiner ital. Reise spiegelt, andererseits vor dunklem Grund visionsartigen Char. entfaltet und zugleich die span. Trad. bemalter sakraler Skulptur evoziert. Die Verbindung von Verismus und Vision kennzeichnet auch die formal komplexeren relig. Darst. der Versuchung des hl.Thomas von Aquin (1631/32, Orihuela, Mus. Diocesano) und der Marienkrönung (1635/36 für die Kap. Isabels von Bourbon im Madrider Alcázar; Madrid, Prado). Zur M. seiner Karriere beteiligt sich der Künstler an der Ausschmückung kgl. Repräsentations- und Rückzugsräume. Für den Salón de Reinos des Pal. Buen Retiro (zerst.), in dem Wappen die Herrschaftsgebiete des span. Königs repräsentierten, zwölf Historienbilder (Carducho, José Leonardo, Fray Juan Bautista Maíno u.a.) militärische Erfolge des Herrschers feierten und durch die Zusammenschau mit Darst. der Taten des Herakles von Francisco de Zurbarán allegorisch überhöht wurden, liefert V. teilw. unter Beteiligung von Mitarb. großformatige Reiterporträts Philipps IV., seiner Frau Isabel de Bourbon, der Eltern des Monarchen - Philipp III. und Margarete von Österreich - sowie von Kronprinz Baltasar Carlos (alle um 1635, Madrid, Prado). Außerdem ist V. im Ensemble der Historienbilder mit seiner Schilderung einer Begebenheit aus dem span.-holl. Krieg vertreten, der Übergabe von Breda (bek. als Las Lanzas, um 1635, Madrid, Prado). Darin inszeniert der Künstler in geschickter Bildregie die ritterliche Großmut des span. Siegers bei Überreichung der Stadtschlüssel in einer friesartigen Komp. ebenso wie den Gegensatz zw. den zahlr. aufgestellten Lanzen der Iberer und den wenigen gesenkten Waffen der Niederländer. Wahrsch. ebenfalls für den Buen Retiro-Pal. (dort 1701 inventarisiert), entstehen V.s ganzfigurige, mon. wirkende Bildnisse der Hofnarren (bufones) Don Juan de Austria (1632), Barbarroja (1633) und Pablo de Valladolid (1635-39, alle Madrid, Prado). In diesen beschreitet er inhaltlich und formal neue Wege, zum einen durch Aufgreifen und subtiles Unterlaufen von Konventionen des höfischen Porträts, zum anderen durch gezielte Verunklärung von bzw. gänzlichen Verzicht auf Tiefenräumlichkeit des Hintergrundes. Ab M. der 1630er Jahre arbeitet V. an der thematisch heterogenen Gruppe von Gem. zur Dekoration des Jagdpavillons Torre de la Parada auf dem Areal des Pal. von El Pardo: Drei Einzelporträts zeigen Philipp IV., seinen Bruder Infant Don Ferdinando und Kronprinz Baltasar Carlos im Jagdkostüm (alle Madrid, Prado). In V.s Darst. des ruhenden Kriegsgottes Mars, des Fabeldichters Äsop und des Kynikers Menippus - erg. zu Rubens' "Demokrit" und "Heraklit" - für die Torre de la Parada werden die antiken Figuren durch unidealisierte Modelle aus dem "einfachen Volk" verkörpert. Das Ensemble vervollständigen Porträts des Hofnarren Calabacillas (um 1635-39), eines Hofzwergs mit Buch (um 1640; ehem. als El Primo identifiziert), und des kleinwüchsigen Francisco Lezcano (um 1635-45, alle Madrid, Prado). Wie das nicht zu den Gem. für den Jagdpavillon gehörige Porträt des Hofzwergs El Primo (früher identifiziert als Sebastián de Morra; 1644, Madrid, Prado) bestechen V.s Bildnisse von Kleinwüchsigen abgesehen vom freien und flüssigen Farbauftrag durch die Ernsthaftigkeit bei der Erfassung der individuellen Charaktere. Höhepunkte psychologisierender Porträtkunst bringt V. während seiner zweiten Italienreise (1649-51) hervor, die ihn u.a. nach Rom führt, wo er im Auftrag Philipps IV. Kunstwerke und Antikenabgüsse für die kgl. Slg erwerben soll: Im Bildnis Juan de Parejas (1650, New York, Metrop. Mus.), des später freigelassenen Sklaven des Künstlers, wird das dunkelhäutige Modell durch Rekurs auf das halbfigurige höfische Porträt nobilitiert und gewinnt außergewöhnliche Präsenz. Das in Rom entstandene Gem. wird im März 1650 in der Jahresausstellung der Congregazione dei virtuosi al Pantheon öff. gezeigt und begeistert aufgenommen. Dieser publikumswirksame Erfolg hat möglicherweise Anteil daran, dass V. noch im gleichen Sommer die Arbeit am Bildnis Papst Innozenz' X. (sign., 1650, Rom, Gall. Doria-Pamphilj) aufnehmen kann. Das mit leuchtenden Rot- Gold- und Weißtönen farblich virtuose und im Farbauftrag an Werken Tizians geschulte Porträt, das sich formal an Raffaels "Bildnis Julius' II." orientiert, beeindruckt durch die prägnante Schilderung individueller Physiognomie bei gleichzeitiger Suggestion der Gegenwart des Dargestellten. In den Bildnissen von Kardinal Massimi und Kardinal Astalli (beide 1650, Kingston Lacy und New York, Hispanic Soc.) porträtierte V. einflussreiche Persönlichkeiten der röm. Kurie. Mit der wohl ebenfalls in Rom zur Jahrhundertmitte gemalten Venus mit dem Spiegel (1650, London, NG), in der er einmal mehr in Sujet und Duktus auf Tizian Bezug nimmt und zugleich den antiken Hermaphroditen Borghese paraphrasiert, hat V. die erste weibliche Aktfigur der span. Malerei der frühen Neuzeit geschaffen - der erotische Char. des Werkes, das subtil Sehen und Blickbezüge thematisiert, ist singulär im Œuvre des Künstlers. Aus Italien nach Madrid zurückgekehrt wird V. 1652 kgl. Kammerherr (aposentador mayor). 1659 erlangt er, auch auf Fürsprache des Papstes, nach mehrjährigem, hindernisreichem Verfahren als erster Maler Aufnahme in den adeligen Santiago-Ritterorden und damit höchstmögliche soziale Anerkennung. Die Übernahme vermehrt organisatorischer Aufgaben bei Hofe führt zu einer Einschränkung seiner malerischen Produktion, darunter das Altersporträt des Königs (um 1653), das Bildnis von dessen zweiter Gattin Maria Anna von Österreich (1652/53, beide Madrid, Prado; von letzterem Werk Repliken in Paris, Louvre und Wien, KHM), die koloristisch und malerisch bemerkenswerte Ser. der Bildnisse der Infantin Margarita in rosafarbenem (um 1654), hellem (um 1656) und blauem Kleid (1659) sowie das hochsensible Porträt des früh verst. Infanten Felipe Próspero (1659, alle Wien, KHM). Hw. von V. und ein zentrales Werk der europ. Kunstgesch. ist seine Darst. der Infantin Margarita inmitten ihres Hofstaates, einschl. Hofzwergen und des Malers selbst, dessen gängiger Titel Las Meninas (1656, Madrid, Prado) erstmals 1843 im Kat. des Prado-Mus. begegnet. Fast alle Dargestellten lassen sich auf Basis der 1724 publ. Beschr. Antonio Palominos identifizieren. Die obgleich nur schemenhaft im Spiegel an der Wand hinter der Infantin wiedergegebene Gestalt des Elternpaares, Philipp IV. und Maria Anna, macht die genealogische Filiation visuell sinnfällig. Die Überschreitung von Gattungsgrenzen durch Kombination von Porträt und genreartiger Szene, die Unterminierung erwartbarer Gestaltungskonventionen (die ranghöchsten Personen, König und Königin, sind am kleinsten und nur verschwommen im Hintergrund erkennbar), die Öffnung eines weiteren rückwärtigen Raumes sowie der bei allem Detailrealismus in versch. Graden ausdifferenzierte Farbauftrag lassen die Meninas als Quintessenz der inhaltlichen und formalen Problemstellungen erscheinen, die V. während seines Schaffens beschäftigten. Der Künstler zeigt sich im Bild in einem Moment reflektierenden Innehaltens, womit er den intellektuellen Aspekt seiner Tätigkeit zur Anschauung bringt. Die durch die Reflexion im Hintergrund signalisierte Anwesenheit des Königspaares während des Malakts weckt nobilitierende Assoziationen an Topoi der Nähe von Herrscher und Künstler. Indem sich V.s Aufmerksamkeit auf die Zone vor dem Gem. richtet, wo gemäß des Spiegelbildes das Herrscherpaar stehen müsste, ergibt sich die Vermutung, der Künstler porträtiere König und Königin, was jedoch durch die für ein Doppelporträt überdimensionierte Größe seiner Lw. unterlaufen wird. Die Farben auf der Palette entsprechen dem Farbklang der Meninas, womit denkbar wäre, dass V. sich beim Malen dieses Werkes zeigt. Allerdings bliebe damit offen, wo Philipp IV. und Maria Anna, deren Standpunkt die Betrachter des Bildes einnehmen, positioniert sein könnten. Zugleich lassen sich Anspielungen auf Gem. aus der kgl. Slg erkennen, etwa auf die damals in Madrid befindliche "Arnolfini-Hochzeit" Jan van Eycks oder auf Historiengememälde von Rubens, die im Hintergrund zu erahnen sind. Vielfältige Bezüge und die Thematisierung von Illusion und Repräsentation sowie deren raffinierte intellektuelle Brechung machen die Meninas zu einer Reflexion über Malerei. Gleiches gilt für Las Hilanderas (1655-1660, Madrid, Prado), die Darst. des Wettstreits zw. Athene und Arachne. Die Verunklärung des Zusammenhangs von Realitäts- und Raumebenen, die Vermischung von Mythologie und Genre sowie Anspielungen auf antike Kunstliteratur (Schilderung einer Spinnstube des Antiphilus, Aristides' Fähigkeit kreisende Räder zu zeigen) und nachantike Malerei (im Hintergrund ist Rubens' Kopie nach Tizians "Raub der Europa" zu sehen), der teils flüchtig andeutende Farbauftrag bei gleichzeitig hohem Realitätsgrad in der Wiedergabe von Details legen Zeugnis ab von der konzeptuellen Verdichtung in V.s Schlüsselwerken. Mit mythologischen Themen setzt sich der Künstler auch bei der Ausstattung des Salón de los Espejos des Madrider Alcázars ab M. der 1650er Jahre auseinander, für den er querformatige Leinwandgemälde ausführt, von denen nach dem Brand des Pal. 1734 nur Merkur und Argus (1659, Madrid, Prado) erh. ist, evtl. V.s spätestes Werk. Sich selbst malte er, abgesehen von seinem Porträt in den Meninas, in einem früheren Selbstbildnis (Kopfstück, um 1640, Valencia, MBA; Replik wohl von and. Hand als Kniestück, Florenz, Uffizien). Die Autorschaft eines als Selbstbildnis von V. gedeuteten "Herrenporträts" in Rom (um 1630, Mus. Capitolini) ist unsicher. Dies gilt auch für die "Eberjagd" (um 1636-38, London, NG) aus der Torre de la Parada, bei der eher von einer Urheberschaft von V.s Schwiegersohn Mazo auszugehen ist. In den letzten Jahren wurden diverse Werke als potenzielle Neuzugänge in das Werkcorpus von V. diskutiert. Überzeugend ist der Vorschlag, die Hl.Rufina (um 1630-32, Sevilla, Fund. Focus-Abengoa) in das WV aufzunehmen. - V.s Werke beeinflussen insbes. die Malerei seines Mitarb. Mazo. Auch Juan Carreño de Miranda setzt sich mit ihm auseinander. Die intensive Beschäftigung mit V. prägt das Werk von Francisco de Goya. Mit verstärktem Interesse an span. Malerei im 19. Jh., auch dank der 1838-48 im Louvre zugänglichen Gal. Esp., erfährt V. in der Kunstwelt außerhalb Spaniens Aufmerksamkeit. Édouard Manet bez. ihn als "Maler der Maler" und übernimmt teilw. Malweise und Komp. des span. Künstlers. Franz von Lenbach kopiert Werke von V. Im 20. Jh. sind direkte Bezüge auf V. präsent bei Salvador Dalí und Pablo Picasso, Francis Bacon oder in der Fotogr. bei Sam Taylor-Wood. Die schriftliche Auseinandersetzung mit V. setzt zu Lebzeiten des Künstlers in Spanien ein. Wichtigste Informationsquellen zu Entst.- und Rezeptionsbedingungen seines Œuvres sind trotz Überformungen durch Künstlertopoi, die 1636 von seinem Schwiegervater Pacheco verfasste und 1649 in dessen "Arte de la pint." publ. Biogr. sowie Palominos V.-Vita im "Parnaso esp. pintoresco y laureado" von 1724. Diego de Saavedra Fajardo äußert sich 1642 in seiner "República lit." über den Künstler, der auch in den Viten Giovanni Pietro Belloris 1672 Erw. findet und den Marco Boschini in seiner "Carta del navegar pittoresco" 1660 mit Äußerungen zitiert, in denen V. Tizian den Vorzug vor Raffael gibt. Während im 18. Jh. Anton Raphael Mengs V.s Werk wegen dessen mangelnder klassizisierender Idealisierung kritisch beurteilt, wird der Künstler im 19. Jh. als vermeintlicher Protorealist geschätzt, etwa in der Monogr. von C.Justi (1888), die für die Aufnahme des span. Malers in den kunstgesch. Kanon im deutschsprachigen Raum entscheidend ist. J.Meier-Graefe wertet V. 1910 als angeblich simplen Naturalisten ab. A.Warburg und F.Saxl widmen sich 1927 der Entschlüsselung der Ikonogr. von V.s Hilanderas. M.Foucault und später J.Searle untersuchen die Meninas vor dem Hintergrund wissensgesch. und zeichentheoretischer Überlegungen. Für die Forsch. ist der wiederholt aktualisierte, erstmals 1963 publ. Cat. Raisonné zu V. von J.López-Rey bis heute maßgeblich. Während V. und sein Werk v.a. seit den 1980er Jahren als sozialgesch. Phänomene in den Blick genommen werden (J.Brown, M.Warnke), zeichnet sich seit der Jahrtausendwende ein zunehmendes Interesse an Momenten der Metapikturalität und der Selbstreferentialität ab.

WERKE

Barcelona, MN d'Art de Catalunya. Chicago, Art Inst. Cleveland/Ohio, MoA. Dresden, GG AM. Fort Worth/Tex., Kimbell AM. Madrid, Bibl. Real. - Mus. Thyssen-Bornemisza. - Pal. Real. - RABA de S.Fernando. Modena, Gal. Estense. Orléans, MBA. Rouen, MBA. Sevilla, MBA

QUELLEN

Thieme-Becker, Vollmer und AKL:

ThB34, 1940

 

Weitere Lexika:

Pavière, Flower I, 1962; ELU IV, 1966; Bauer, GEM VIII, 1978; Páez Rios III, 1983; Pamplona V, 1988; EAPD, 1989; DA XXXII, 1996; Dicc. de arte esp., Ma. 1996

 

Gedruckte Nachweise:

F.Pacheco, Arte de la Pint., Sevilla 1649; M.Boschini, La Carta del navegar pitoresco, Ve. 1660; Bellori, Vite, 1672; A.Palomino, El Parnaso Esp., Ma. 1724; W.Stirling-Maxwell, V. and his works, Lo. 1855; C.B.Curtis, V. and Murillo, Lo. 1883; G.Cruzada Villaamil, Anales de la vida y de las obras de Diego de Silva V., Ma. 1885; C.Justi, D.V. und sein Jh., Bonn 1888; A.de Beruete, V., P. 1898; J.Meier-Graefe, Span. Reise, B. 1910; A.L.Mayer, V. A cat. raisonné of the pictures and drawings, Lo. 1936 (WV); H.Soehner, ZKg 14:1951, 149-157; K.Gerstenberg, D.V., B./M. 1957; J.Ortega y Gasset, V., Ma. 1959; Varia velázqueña, 2 Bde, Ma. 1960; V. y lo Velázqueño (K Casón del Buen Retiro), Ma. 1961; J.A.Gaya Nuño, Bibliogr. Crít. y antológica de V., Ma. 1963; J.Guidol, V., Ba. 1973; J.Gallégo, V. en Sevilla, Sevilla 1974; J.Brown/J.H.Elliott, A pal. for a King, New Haven/Lo. 1980; G.McKim-Smith, Master drawings 18:1980, 3-24; H.U. Asemiseen, Las Meninas von D.V., Kassel 1981; E.Harris, V., Ox. 1982; M.Warnke, Hofkünstler, Köln 1985; J.Brown, V. Painter and courtier, Lo. 1986; B.Wind, V.s bodegones, Fairfax 1986; V. (K Metrop. Mus.), N.Y. 1989; V. (K Prado), Ma. 1990; Mus. del Prado. Inv. gen. de pint., II: El Mus. de la Trinidad, Ma. 1991; V. y el arte de su tiempo, Ma. 1991; V.Stoichita, in: H.Karge (Ed.), Vision oder Wirklichkeit, M. 1991; J.Gállego (Ed.), Reflexiones sobre V., Ma. 1992; M.Garrido Pérez, V., Técnica y evolución, Ma. 1992; K.Hellwig, ZKg 62:1999(3)298-319; S.N. Orso, V., Los Borrachos, and paint. at the court of Philip IV, C. 1993; C.Kesser, Las Meninas von V., B. 1994; F.Zelger, V., Reinbek 1994; M.A. Castor, D.V. Farbe und Raum, Weimar 1995; E.Harlizius-Klück, "Las Meniñas" als tableau des klassischen Wissens b. Michel Foucault, W. 1995; J.López-Rey, V. Maler der Maler, Köln 1996 (WV); J.Brown, V. The technique of a Genius, New Haven u.a. 1998; V. a Roma, V. e Roma (K Rom, Gall. Borghese), Mi. 1999; S.Salort Pons, Archivo esp. de arte 72:1999, 415-468; J.L. Augé (Ed.), V. et la France, Castres 1999; A.J. Morales (Ed.), V. y Sevilla, Sevilla 1999; I.Sánchez Quevedo, Pint. y soc. en la España de V., Ma. 1999; J.M. Pita Andrade/A.Aterido (Ed.), Corpus velazqueño. Doc. y textos, 2 Bde, Ma. 2000; J.Portús Pérez, Entre dos centenarios, Sevilla 2000; F.J.Sánchez Cantón, Escritos sobre V., Pontevedra 2000; T.Greub (Ed.), Las Meninas im Spiegel der Deutungen, B. 2001; J.M. Morán Turina, Bol. del Mus. del Prado 19:2001(37)47-71; Manet, V.: la manière esp. au XIVe s. (K Wander-Ausst.), P. 2002; M.Bandrés Oto, La moda en la pint.: V., Pamplona 2002; G.Barbé-Coquelin de Lisle (Ed.), V. aujourd'hui, Anglet 2002; U.Pfisterer, Marburger Jb. für Kunstw. 29:2002, 199-252; A.Prater, Im Spiegel der Venus, M. u.a. 2002; S.L. Stratton-Pruitt, The Cambridge Companion to V., C. 2002; A.Villar Movellán (Ed.), V., Córdoba 2002; A.J.Morales (Ed.), Symposium internac. V., Sevilla 2004; L.Méndez Rodríguez, V. y la cult. sevillana, Sevilla 2005; A.Úbeda de los Cobos, Paint. for the planet king, Lo. 2005; M.Warnke, V. Form und Reform, Köln 2005; E.Harris, Est. completos sobre V., Ma. 2006; V. (K NG), Lo. 2006; Fábulas de V. (K Prado), Ma. 2007; J.Brown, Collected writings on V., New Haven u.a. 2008; G.Knox, The late paint. of V., Farnham u.a. 2009; S.Jogler, Selbstreflexion im Narrenspiegel, Ffm. 2013; V. y la fam. de Felipe IV (1650-1680) (K Wander-Ausst.), Ma. 2013; V.von Rosen, in: A.Beyer (Ed.), Poiesis: Über das Tun in der Kunst, B. 2014; V. (K Wien, KHM), M. 2014; V. (K Grand Pal.) P. 2015; K.Hellwig, Aby Warburg und Fritz Saxl enträtseln V., B./Boston 2015; B.Navarrete Prieto (Ed.), El joven V., Sevilla 2015; Spaniens Goldene Zeit (K Wander-Ausst.), M. 2016; S.Ferino-Pagden (Ed.), V. Anregungen, Vorschläge, Lösungen, Turnhout 2018.; J.Portús Pérez, V. su mundo y el nuestro. Est. dispersos, Ma. 2018; Rembrandt V. (K RM), Am. 2019