Velde (Van de Velde), Henry (Henri Clemens; Clément; Clementius) van de, belg. Designer, Architekt, Maler, Kunsttheoretiker, *3.4.1863 Antwerpen, †25.10.1957 Zürich.
Velde, Henry van de
Die Eltern sind der Antwerpener Apotheker Guillaume Charles van de V. und Jeanne Aimée Aurore geb. de Paepe, die acht Kinder haben, von denen V. das zweitjüngste ist. 1880 legt V. das Abschlussexamen am Koninkl. Atheneum in Antwerpen ab. Dort Beginn der Freundschaft mit Max Elskamp. Stud.: 1880-85 Koninkl. ASK in Antwerpen, wo er 1881 den Prix d'excellence und eine Silbermedaille erhält. 1883 wird V. kurzzeitig Schüler bei Charles Verlat und ist an der Gründung der Künstlervereinigung Als Ik Kan beteiligt. 1884 zieht er sich in das fläm. Dorf Calmpthout (Kalmthout) zum Malen zurück. Es folgt 1884/85 ein mehrmonatiger Aufenthalt in Paris und ein kurzes Intermezzo in Barbizon. Durch Vermittlung von Peter Benoit wird V. kurzzeitig Schüler im Privatatelier des Pariser Malers Émile Auguste Carolus-Duran. 1886 Rückzug nach Wechel der Zande in der fläm. Heide, wo er zeitweise seine kranke Mutter pflegt und bis 1890 mit Unterbrechungen lebt und malt. Auf der Suche nach neuen künstlerischen Ausdrucksmitteln löst er sich zunehmend von der akad. Malmanier und erprobt die Technik des Impressionismus und daraufhin des Neo-Impressionismus in Anlehnung an die Werke von Georges Seurat und Paul Signac. Die letzte stilistische Kurskorrektur erfolgt 1890 unter dem Eindruck der Gem. von Vincent van Gogh, die er 1890/91 auf Ausst. bewundert. Zeitgleich setzt sich V. intensiv mit dem Wesen der Linie auseinander. Die Frage nach der Funktion und Bed. der Linie wird für ihn fortan zum Leitthema. 1888 wird er zus. mit Auguste Rodin und Georges Lemmen in die Künstlervereinigung Les Vingt (Les XX) aufgenommen. Wegweisende Inspirationsquellen sind Georges Seurats Theorie über die Ausdrucksmöglichkeit der Linie, Gedichte von Stéphane Mallarmé, Gustave Kahn, Jules Laforgue und Paul Verlaine sowie anarchistische und ästhetische Schriften von Michail Aleksandrovič Bakunin, Pëtr Alekseevič Kropotkin, Élisée Reclus, Friedrich Nietzsche, William Morris und John Ruskin sowie jap. Holzschnitte. V. sucht nach einer erweiterten Liniensymbolik und fertigt 1892 erste Hschn. und Zchngn für Druckwerke, darunter für den Gedichtband Dominical von Elskamp, für den ersten Ausstellungskatalog der L'Ass. pour L'Art sowie für die fläm. Avantgarde-Zs. Van Nu en Straks, deren Mitbegr. er ist. 1892/93 führt er zus. mit seiner Tante Maria Elisabeth de Paepe seine erste kunstgew. Arbeit aus, die Applikationsstickerei La Veillée d'anges (Engelwache) (Zürich, MfG). Aufgrund der persönlichen und künstlerischen Bed. betrachtet V. diese Arbeit als sein Gesellenstück und als Aufnahmewerk in den Stand des Kunsthandwerkers. 1894 heiratet er und beschließt endgültig, sich von der Malerei abzuwenden und sein Schaffen in den Dienst der Erneuerung des Kunsthandwerks zu stellen. Gestützt wird dieser Entschluss durch das maßgebliche Engagement seiner Frau Maria geb. Sèthe (*1867 Paris, †1943 Brüssel/Tervuren), mit der er fünf Kinder hat: Nele (1897 Brüssel/Uccle, †1965 Oberägeri), Helen (*1899 Brüssel, †1935 Hamburg), Anne (*1901 Berlin, †1945 Malang), Thylla (*1904 Weimar, †1955 Den Haag) und Thyl (*1904 Weimar, †1980 Brüssel). Die Schwiegermutter Louise Sèthe stellt mit Weitblick die Weichen für V.s künstlerischen Werdegang. Sie finanziert das Haus Bloemenwerf in Uccle, sein erstes Gesamtkunstwerk und Eigenhaus. Die Modernität der Archit. und Inneneinrichtung zieht in der Folge viele Kunstinteressierte aus Europa an, namentlich Siegfried Bing, Julius Meier-Graefe, Harry Graf Kessler und and. zukünftige Auftraggeber. Bing beauftragt V. daraufhin mit der Gest. von drei Zimmereinrichtungen für seine Pariser Gal. L'Art Nouveau, der Geburtswiege vom Neuen Stil bzw. Jugendstil. Ohne selbst werbewirksam tätig werden zu müssen, verbreitet sich V.s Name binnen kurzer Zeit in den führenden europ. Kunstzeitschriften und erweckt schließlich das Interesse einer vorrangig dt. Kulturelite. Die Dresdner Internat. Kunst-Ausst. im Frühjahr 1897 bringt schließlich den endgültigen Durchbruch. V. muss seine Brüsseler Wkstn erweitern und schließlich nach Gründung einer eig. GmbH den Vertrieb ganz nach Deutschland verlegen. Mit Hilfe umfangreicher Darlehen von Freunden gründet er E. 1898 in Berlin unter Regie von Eberhard von Bodenhausen seine eig. Fa., die "Henry van de Velde G.m.b.H.". Aufgrund seines mangelnden Geschäftssinns droht die Fa. innerhalb von zwei Jahren Bankrott zu gehen. Bodenhausen verkauft daher 1900 die belastete GmbH an den Berliner Kunsthändler Hermann Hirschwald und somit an das Hohenzollern-Kunstgewerbehaus. Differenzen mit Hirschwald führen jedoch auch hier zum Bruch, sodass der Vertrag bereits E. 1901 wieder aufgelöst und die Liquidation der GmbH 1903 vollzogen wird. V., seit 1900 mit seiner Fam. in Berlin ansässig, entwirft zahlr. Ausstattungen für Wohnungen (u.a. Wohnung Bodenhausen, 1897/98; Wohnung Kessler, 1899; Wohnung Stern, 1900; Wohnung De Craene-Van Mons, Brüssel, 1899/1900), für Gal. (Gal. Cassirer, 1898; Gal. Keller & Reiner, 1898; Havana Compagnie, 1899), den Frisiersalon Haby (1900/01) oder das Folkwang-Mus. in Hagen (1900-02).Durch Protektion zahlr. Förderer, allen voran Harry Graf Kessler und Elisabeth Förster-Nietzsche, kommt V. 1902 nach Weimar und gründet hier unter Schirmherrschaft des Großherzogs Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar-Eisenach das Kunstgewerbliche Seminar, aus dem 1908 die KGS und schließlich 1919 das Bauhaus hervorgehen. An der Spitze einer neuen Kunst- und Kulturbewegung legt V. damit den Grundstein für die Moderne. Seine schaffensreichste und erfolgreichste Zeit als Architekt, Produkt- und Innenraumgestalter liegt vor ihm. Neben seiner Tätigkeit als Dir. der KGS Weimar, die neben den Schulen in Breslau, München, Wien, Dresden und Berlin zu den wichtigsten kunstgew. Schulen in Europa zählt, unterhält V. ein Privatatelier und beschäftigt dort u.a. Sigurd Frosterus, Hugo Westberg und Thilo Schoder als Assistenten. Letzterer beteiligt sich auch an der Umsetzung des Werkbundtheaters (1913/14) in Köln. Schoder gilt als V.s erfolgreichster Schüler, Erica von Scheel dagegen als begabteste Schülerin. In Weimar realisiert V. die Innenausstattung des Nietzsche-Archivs (1902/03), die Wohnungen Max von Münchhausen (1904), Julie von Schönaich (1904), Harry Graf Kessler (1902/03) und Else von Guaita (1906), die Kunstschulgebäude (1905/06, 1904-11; seit 1996 UNESCO-Weltkulturerbe), sein eig. Haus Hohe Pappeln (1907/08), die Grabstätte Koetschau (1907/08), die Villen Dürckheim (1912/13) und Henneberg (1913/14). Damit findet sich in Weimar die höchste Dichte an V.s Bauten. Andere bed. Aufträge für Weimar kamen über das Entwurfsstadium nicht hinaus, z.B. das Sommertheater für Louise Dumont (1903/04), das Restaurant Webicht (1903/04), das Großherzogliche Mus. für Kunst und Kunstgew. (1903–05) oder das Stadion zu Ehren Friedrich Nietzsches (1911/12). 1908 bezieht V. mit seiner siebenköpfigen Fam. das selbst entworfene Haus Hohe Pappeln im Weimarer Vorort Ehringsdorf, das als Refugium und formvollendetes Gesamtkunstwerk gilt. Er wohnt bis 1917 in dem Haus, das heute im Untergeschos öff. zugänglich ist (Klassik Stiftung Weimar). Während seiner Weimarer Zeit führt V. sehr unterschiedliche Aufträge aus. Er entwirft u.a. das Pastorat in Riga (1910/11), den Lawn-Tennis-Club in Chemnitz (1906–08), das Interieur vom Sanatorium Trebschen (1903/04), das Werkbundtheater in Köln (1913/14), das Théâtre des Champs-Elysées in Paris (1910/11) oder ein 42-teiliges Tafel-, Kaffee- und Teeservice für die Meißner Porzellan-Man. (1903–05) sowie das 353-teilige Tafelsilber (1903) anlässlich der Hochzeit des Weimarer Großherzogpaares. Gemeinsam mit Ludwig von Hofmann und Harry Graf Kessler beteiligt sich V. an der Gründung des Dt. Künstlerbundes sowie an Projekten des Neuen Weimar. Als gesamtkünstlerisches Gemeinschaftswerk verwirklicht er 1906 mit Von Hofmann die Museumshalle für die 3. Dt. Kunstgew.-Ausst. in Dresden. Er nimmt mit seinen kunstgew. Arbeiten an zahlr. Ausst. in Europa teil.1914 als verfeindeter Ausländer diffamiert, kündigt V. seine Stellung an der Weimarer KGS mit Schließung der Lehranstalt am 1.10.1915. Er empfiehlt den jungen Architekten Walter Gropius als seinen Nachf. und verlässt Weimar. Mit Hilfe einflussreicher Gönner gelingt es ihm, im April 1917 in die Schweiz zu emigrieren und dort das Kriegsende abzuwarten. 1920 siedelt er als persönlicher Architekt von Anton und Helene Kröller-Müller nach Holland über und entwirft dort bis 1926 zahlr. Wohn- und Nutzbauten, u.a. sein drittes eig. Haus De Tent (1920/21) sowie das Kröller-Müller Mus. (versch. zeitl. Etappen). 1926 zieht V. zus. mit seiner Frau nach Brüssel und wohnt zunächst im Stadtteil St. Gilles. Zwei Jahre später entwirft er sein viertes eig. Wohnhaus La Nouvelle Maison (1927/28) im Brüsseler Vorort Tervuren. Auf Initiative von König Albert I. und Camille Huysmans übernimmt der mittlerweile 64-jährige Künstler 1927 als Leiter das neu gegründete Inst. Supérieur des Arts Décoratifs (ISAD) in Brüssel, das er in direkter Fortführung der Weimarer KGS und des Bauhauses als die "dritte Zitadelle der Moderne" bezeichnet. Er leitet das Inst. bis 1936 und bekleidet zeitgleich eine Dozentur am Hooger Instit. voor Kunstgeschiedenis en Oudheidkunde (am 30.9.1930 zum Prof. ernannt, am 1.8.1936 emeritiert). Darüber hinaus ist V. 1932-39 als künstlerischer Berater für die belg. Eisenbahngesellschaft Soc. nat. des chemins de fer belges (SNCFB) tätig. Im Auftrag des Ministers für Verkehr, Philip van Isacker, entwirft er die Innenausstattung der Eisenbahnwaggons sowie das Corporate Design der belg. Staatsbahn (1933–35). Ferner übernimmt er die Einrichtung der Fährschiffe Prince Baudouin (1933/34) und Prince Albert (1936/37) für die belg. Marine. 1935 wird er durch Vermittlung von Hendrik de Man künstlerischer Berater am OREC (Office de Redressement Économique) in der Behörde für wirtschaftlichen Aufbau. Trotz der vielen Ämter gelingt es V., von 1920 bis 1939 eine Fülle herausragender und spektakulärer Leistungen auf dem Gebiet der Archit. und Innenraumgestaltung hervorzubringen, die von der Reife seines Spätwerks zeugen. Hervorzuheben sind neben den beiden eig. Häusern der Universitätsbau von Gent (1932–36), die Pav. für die WA in Paris (1937) und New York (1939), die Poliklinik Dr. Martens (1932/33) sowie die TH (1936-42) in Löwen. Nach E. des 2. WK der Kollaboration bezichtigt, zieht V. 1947 nach Oberägeri in die Schweiz. Dort widmet er sich der Abfassung seiner Memoiren, die aus dem frz. Ms. posthum von Hans Curjel in dt. Übertragung erstmals als Geschichte meines Lebens (1962, 21986) erscheinen. V. gilt als einer der erfolgreichsten europ. Künstler des 20. Jh. und als Wegbereiter des Bauhauses. Er ist Architekt, Innendesigner, Produkt- und Werbegestalter, Buchkünstler, Kunsttheoretiker und Maler. Als Gesamtkünstler hat er 170 Interieurs und über 80 Häuser entworfen sowie verschiedenste archit. Bautypen realisiert (Theater, Restaurant, Altenheim, Tennisclub, Sanatorium, Mus., Denkmal u.a.). Sein kunstgew. Schaffen als Designer und Entwurfskünstler umfasst Textilien, Keramiken, Tapeten, Metall- und buchkünstlerische Arbeiten sowie Möbel (cf. WV bei Föhl/Neumann 2009-16). Seine Arbeiten befinden sich in allen großen Kunstgewerbesammlungen Europas, Japans und der USA sowie in zahlr. Privatsammlungen.
Archit. und Denkmale im öff. Raum:
Erstausgaben: Déblaiement d’art, 1894; Aperçus en vue d'une synthèse d’art, 1895; William Morris, artisan et socialiste, 1898; Die künstlerische Hebung der Frauentracht, 1900; Die Renaiss. im mod. Kunstgew., 1901; Kunstgew. Laienpredigten, 1902; Vom neuen Stil, der "Laienpredigten" II. Tl, 1907; Amo, 1909; Essays, 1910; Les formules de la beauté archit. moderne, 1917 (Druck der Cranach-Presse); Die drei Sünden wider die Schönheit - La triple offense à la beauté, 1918; Formules d'une esthétique moderne, 1923; Le théâtre de l'expos. du "Werkbund" à Cologne 1914, et la scène tripartite, 1925; Le Nouveau, son apport à l'archit. et aux industries d'art, 1929; H.Curjel (Ed.), Zum neuen Stil, 1955. - Autobiogr.: H.Curjel (Ed.), Gesch. meines Lebens, 1962, 21986; A.van Loo/F.van de Kerckhove (Ed.), H.v.d.V. Récit de ma vie, 2 vol., 1992, '95; L.Ploegaerts, H.v.d.V., Les mém. inachevés d'un artiste européen, éd. critique, 2 vol., 1999.
Einzelausstellungen:
1958 Zürich, KGM / München: 1959 PM, Neue Slg; 1977-78 Villa Stuck / 1963 Brüssel, Pal. des BA; Stuttgart, Württ. KV; Weimar, KH am Theaterplatz / 1964 Otterlo, Kröller-Müller Mus. / 1992-94 Hagen, Osthaus-Mus. [Wander-Ausst.] / 2002 Münster, Westf. LM für Kunst und Kulturgesch. / 2007 Tervuren, Gemeentelijk Mus. Hof van Melijn (50. Todestag) / 2009 Berlin, Bröhan-Mus. / 2013 [zahlr. Ausst. zum 150. Geburtstag, u.a.:] Bürgel, Keramik-Mus. und Dornburg, Rokokoschloss; Gera, Haus Schulenburg; Nürnberg, GNM; Weimar, Bauhaus-Univ. / 2013-14 Brüssel, Mus. royaux d'Art et d'Hist.
Gruppenausstellungen:
2023 München, PM: Textile Welten (Begleitheft).
Thieme-Becker, Vollmer und AKL:
ThB34, 1940; Vo5, 1961
Weitere Lexika:
DPB II, 1995; Dict. de l'archit. du XXe s., P. 1996; DA XXXI, 1996; C.Engelen/M.Marx, Beeldhouwkunst in België, III, Br. 2002.
Gedruckte Nachweise:
G.Stamm, Studien zur Archit. und Archit.-Theorie H.v.d.V.s, Diss. Univ. Göttingen 1969; L.Ploegaerts/P.Puttemans, L'œuvre archit. de H.v.d.V., Br./Québec 1987; H.v.d.V. Ein europ. Künstler seiner Zeit (K Wander-Ausst. [Hagen, Weimar, Berlin, Gent, Zürich, Nürnberg]), Köln 1992; P.Ritter, Marginalien 128:1992, 3-12; J.D.Brinks, Denkmal des Geistes. Die Buchkunst H.v.d.V.s, Laubach 2007; V.Wahl, H.v.d.V. in Weimar. Dok. und Berichte zur Förderung von Kunsthandwerk und Industrie (1902 bis 1915), Weimar 2007; T.Föhl, H.v.d.V. Architekt und Designer des Jugendstils, Weimar 2010; Leidenschaft, Funktion und Schönheit. H.v.d.V.s Beitr. zur europ. Moderne (K Neues Mus. Weimar), Weimar 2013; H.v.d.V. Der Maler im Kreis der Impressionisten und Neoimpressionisten (K KS Jena), Jena 2013; Der ewige Wanderer. H.v.d.V. in Jena (K StM Jena), Jena 2013; H.v.d.V. Ein Universal-Mus. für Erfurt (K Anger-Mus. Erfurt), Bielefeld/B. 2013; H.v.d.V. und Edvard Munch in Chemnitz (K KS Chemnitz), Bielefeld/B. 2013; A.Neumann, Harry Graf Kessler – H.v.d.V. der Briefwechsel, Köln 2014; C.Wesselink, Kunstenaars van de Kultuurkamer. Geschiedenis en herinnering, Diss. Univ. Am. 2014, bes. 109-129 (online); K.M. Kuenzli, H.v.d.V. designing modernism, New Haven/Lo. 2019; T.Kämpf, ZKg 83:2020(1)49-90; T.Föhl/A.Neumann (Ed.), H.v.d.V. Raumkunst und Kunsthandwerk / Interior design and decorative arts. Ein WV in sechs Bdn / A cat. raisonné in six vol., L. seit 2009 (I: Metallkunst, 2009; II: Textilien, 2014; III: Keramik, 2016), Bde IV-VI geplant; K.M. Kuenzli (Ed.), H.v.d.V. selected essays 1889-1914, L.A. 2022; W.Nerdinger, Archit. in Deutschland im 20.Jh., M. 2023
Archive:
Arch.: Brüssel, Éc. nat. supérieure des Arts visuels, La Cambre: künstlerischer Nachlass; Bibl. royale de Belgique (KBR): persönlicher Nachlass.
Onlinequellen:
henryvandeveldefoundation.org
Velde, Henri Clemens van de, Architekt, Innenarchitekt, Maler u. Kunstgewerbler in Brüssel, *3. 4. 1863 Antwerpen. Bildete sich 1885/86 an der Akad. Antwerpen (unter Ch. Verlat) u. bei Carolus Duran in Paris zum Maler aus; schloß sich van Gogh u. den Neoimpressionisten an. Ging um 1890 zum Studium der Architektur u. dekorat. Kunst über. Beschäftigte sich in den folg. Jahren, angeregt durch die Schriften von W. Morris, mit kunsttheoretischen Studien, die auf Bekämpfung des abgelebten Formalismus u. Eklektizismus s. Zeit und auf Propagierung eines neuen Stils zielten, der sich auf dem Prinzip der Entwicklung der Form in strenger Logik aus dem Zweckbegriff, auf Betonung von Konstruktion u. Charakter des Materials u. auf einheitlicher Raumgestaltung aufbaute. Ihre praktische Anwendung erhielten diese Theorien zuerst bei Errichtung des Eigenheims des Künstlers in Uccle bei Brüssel, dessen Außen- u. Innenarchitektur nebst sämtlichem Inventar (Möbel, Tapeten, Stickereien, Teppiche, Beleuchtungskörper, Tischgerät) von V. selbst entworfen waren. Die Ausstattung von 5 Räumen, die V. für Bings "Art Nouveau" in Paris 1896 geschaffen hatte, auf der Internat. Dresdner Kstausst. 1897 machte s. Namen bekannt u. verschaffte ihm weitere Aufträge, darunter 1900 den auf Innenausstattung des Folkwang-Museums in Hagen (eingeweiht 1902). 1902 erfolgte s. Berufung zum künstler. Berater des Großherzogs nach Weimar, wo er als Pflanzstätte seiner Ideen die Kstgewerbl. Lehranstalten errichtete, die er bis 1914 leitete. Daneben errichtete er zahlr. Einfamilienhäuser (nebst vollständiger Inneneinrichtung), dar. den Osthausschen Hohenhof u. Haus Springmann in Hagen, Haus Esche in Lauterbach, Haus Fröse in Hannover, Haus Dürckheim u. Haus Henneberg in Weimar, Haus Körner in Chemnitz, Haus Schulenburg in Gera, ferner das Abbe-Denkmal in Jena (mit Bildnisstele von Max Klinger), 1912, das Théâtre des Champs-Elysées in Paris, 1913 (ausgef. von den Brüdern Perret), u. das Theater der Werkbund-Ausst. Köln 1914. Entwürfe für ein Nietzsche-Denkmal in Weimar u. ein Museum in Erfurt blieben unausgeführt. Nach Aufgabe s. Postens in Weimar (1914) ging V. 1917 in die Schweiz (zeitweilig in Uttwil am Bodensee ansässig), 1921 nach Holland, wo er ein Haus für die Sammlung d. Mevrouw H. Kröller-Müller entwarf. Seit 1926 Leiter des Institut supér. d. arts décor. in Brüssel. Buchwerke V.s: Die Renaissance im Kstgewerbe, 1901; Kstgewerbl. Laienpredigten, 1902; Vom neuen Stil. Der Laienpred. 2. Teil, 1907; Essays, 1910; Amo (Insel-Bücherei, Nr 3). Lit.: K. E. Osthaus, V. de V., Leben u. Schaffen (D. neue Baukst, Bd 1), 1920. - M. Casteels, H. v. de V. (éd. Cahiers de Belg.), Brüssel o. J. - K. Scheffler, H. v. de V., 1913. - Hommage au maltre arch. H. v. de V. à l'occasion de son 70e annivers., Brüssel 1933. - J. van de Voort, Gedenkboek H. v. de V., Gent 1933. - R. Graul, Die KrisisimKstgew., Lpzg 1901, p. 43.-F. Schumacher, Strömungen in dtsch. Bank st, 1935; der s., Stufen des Lebens, 1935 p. 192f. - L'Art flam. et holl., 1914 p. 125/40, 170/82 (J. Mesnil, H. v. de V. et le Théâtre d. Champs-Elysées). - De Bouwgids, 1913 p. 179f. - D. Cicerone, 17 (1925) 1191. - Innendekoration. 11 (1910) 1 ff.; 12 (1911) 106ff.; 13 (1912) 249/92; 14 (1913) 237/64; 17 (1916) 76ff. - Kst u. Handwerk, 57 (1906/07) 77ff. - lest u. Kstler, 5 (1907) 47/60; 9 (1911) 119/33 (K. Scheffler); 10 (1912) 219/22. - Dtsche Kst u. Dekor., 15 (1904/05) 169/75. - Onze Kst, 26 (1914 I) 140/73 (J. Mesnil). - Wasmuths Monatsh. f. Baukst, 9 (1925) 518ff. - Die Rheinlande, 5 (1905) 84ff. (Osthaus). - La Vie intellectuelle, 1913 p. 146/53 (A. de Rudders). - Zeitschr. f. Bücherfr., 1 (1897/98) 509/11; N. F. 16 (1924) 39f.
Velde, Henry van de, belg. Architekt, Kstgewerbler, Maler u. Kstschriftst. (Prof., Ehrensenator d. Weimarer Hochsch. für Architektur u. Bauwesen), *3. 4. 1863 Antwerpen, †27. 10. 1957 Zürich. Die letzten architekton. Werke dieses vielseitig tätigen u. in Deutschland bes. als Schöpfer des Jugendstiles weithin bekannt gewordenen Künstlers sind die neue Univ.-Bibliothek in Gent u. der von V. unvollendet hinterlassene, später durch das heutige Interims-Mus. ersetzte Bau des Rijksmus. KröllerMüller in Otterlo (Holld). Das Werkbundtheater in Köln wurde abgerissen. Die kunstgew. Tätigkeit V.s, der mit van Rijsselberghe eine Erneuerung der dekorat. Künste in Belgien ins Leben rief, hat sich auf mehr oder weniger alle Gebiete erstreckt u. hat vorübergehend bes. in Deutschland Wohnstil u. Kleidung maßgebend bestimmt. Den heute als spielerisch empfundenen "Jugendstil" hat V. später abgelöst durch den strengen Stil des Funktionalismus, der allein das Rationale gelten läßt u. alles überflüssig Dekorative ausscheidet. Dieser neue Stil hat weitgehend Schule gemacht und in allen europ. Ländern Parallelströmungen hervorgerufen. 1926,43 Direktor des Inst. d. Arts Décor. in Brüssel. 1942 Vorsitzender der Vläm. Akad. für Wissensch., Schrifttum u. Schöne Künste. Seit 1947 in Oberägeri (Zug) ansässig. Gedächtnis-Ausst.: 1958 im Kstgew.-Mus. Zürich (ill. Kat. mit Lit.), 1959 in Neue Sammlung München. - Schriften (in Ergänzung zu Th.-B.): Les Formules d'une Esthétique Nouvelle, 1924; Le Nouveau. Son Apport à l'Architecture et aux Industries d'Art, 1930; Fondement d'un Style Nouveau, 1932; Pages de Doctrine, Brüssel 1942. Lit.: Th.- B., 34 (1940). - Seyn, II 1039, m. Fotobildn. - Haftmann. - Le Livre bleu, Brüssel 1950, p. 483. - Ed. Plietzsch, Heiter ist d. Kunst. Erlebnisse mit Kstlern u. Kennern, Gütersloh 1955. - Apollo (Brüssel), Nr 22 v. 1. 5. 1943, p. 25f. - Architect. Review, 117 (1955) 113 (Abb.). - L'Art vivant, 1927 p. 801f., m. 21 Abbn. - D. Architekt, 2 (1953) 61/64, m. 5 Abbn. - Dtsche Architektur, 1953, p. 142. - Baukst u. Werkform, 11 (1956) 591, m. Abb. - Dtsche Bauztg, 67 (1953) FI. 14, Beil. p.4. - Chron. d. Arts, März 1938, p. 12, Sp. 3 (Nachruf). - Emporium, 94 (1941) 68, m. Abbn. - Kst u. Kstler, 32 (1933) 153. - Kst-Rundschau, 50 (1942) 56. - D. Kstwerk (Baden-Baden), 8 (1954) H. 4, p. 66 (Abb.), 76. - Magaz. of Art, 39 (1946) 244/47. - D. Münster, 10 (1957) 475. - Salve Hospes. Braunschweig. Blätter f. Kst u. Kultur, 1957, p. 93f. (Nachruf). - D. Werk (Zürich), 13 (1926) H. 1, Beil. p. XXIV; 42 (1955) 269, 270, m. 2 Abbn; 44 (1957) Beil. p. 228f.; 45 (1958) 55/57 u. Beil. p. 159/60. - Zodiac (New York), 1958 Nr 2 p. 183;87, m. Abb. - Christ u. Welt (Stuttgart), 14. 11. 1957 (Paul Fechter, Begegnung mit v. de V.). - D. Kurier (Berlin), 22. 6. 58, m. Fotobildn. d. Kstlers. - Thüringer N. Nachr. (Erfurt), 29. 10. 57. - Bonner Rundschau (Bonn), 25. 6. 58. - D. Zeit (Hamburg), 31. 10. 57 (Ivo Hauptmann, Abschied von H. v. de V.).