Frei zugänglich

Masaccio

Geboren
San Giovanni Valdarno, 21. Dezember 1401
Gestorben
Rom, 1428?
Land
Italien
Geschlecht
männlich
GND-ID
Weitere Namen
Masaccio; Tommaso di Giovanni (1401); Masaccio, Tommaso di Ser Giovanni; Masaccio, Tommaso di ser Giovanni di Mone; Guidi, Tommaso di ser Giovanni; Guidi, Tommaso di Giovanni di Simone; Tommaso di ser Giovanni di Simone da San Giovanni; Tommaso di Giovanni Cassai; Maso di Giovanni di Castello San Giovanni; Tommaso di Ser Giovanni Cassai; Tommaso di Giovanni di Simone Guidi; Tommaso di ser Giovanni di Mone Cassai (Eigentlicher Name)
Berufe
Maler*in
Wirkungsorte
Montemarciano, Pisa, Florenz, Rom
Zur Karte
Von
Hoffmann, Sabine
Zuletzt geändert
20.12.2023
Veröffentlicht in
AKL LXXXVII, 2015, 441

VITAZEILE

Masaccio (eigtl. Tommaso di ser Giovanni di Mone Cassai, Tommaso di ser Giovanni Guidi), ital. Maler, *21.12.1401 Castel S.Giovanni (S.Giovanni Valdarno), †1428 (?) Rom.

LEBEN UND WIRKEN

Ältester Sohn des Notars Giovanni di Mone Cassai und von Jacopa di Martinozzo di Dino; Bruder des Malers Giovanni di ser Giovanni Guidi, gen. Lo Scheggia. Zu M.s Biogr. liegen nur wenige zuverlässige Nachr. vor; von seinen Werken ist nur eines dok. belegt. Ungeklärt ist auch die Frage seiner Ausb.: Eine Lehre bei Masolino, wie sie Giorgio Vasari nahelegt, ist wegen der geringen stilistischen Affinität beider Künstler unwahrsch. und wird heute nicht mehr vertreten. Als mögliche Lehrer vorgeschlagen werden stattdessen der aus M.s Geburtsort stammende Kleinmeister Mariotto di Cristofano, dessen Kontakte zur Fam. M.s durch seine 1421 erfolgte Eheschließung mit dessen Stiefschwester belegt sind (Boskovits, 1969), sowie Lorenzo di Bicci (Berti, 1988), in dessen großer Wkst. 1421 M.s Bruder Giovanni und sein späterer Mitarb. Andrea di Giusto als Gehilfen bezeugt sind. Nachg. werden kann bisher allein eine berufliche Verbindung zu dem nur dok. bek. Niccolò di ser Lapo (Padoa Rizzo, 2002). Stilistisch wird darüber hinaus eine anfängliche Nähe M.s zu gleichaltrigen Künstlern wie Giovanni di Francesco Toscani und Arcangelo di Cola da Camerino konstatiert. Vasaris Darst. der außergewöhnlichen Frühbegabung M.s wird durch die erh. Dok. bestätigt, die für eine frühe Selbstständigkeit sprechen. Als Maler ist er in Florenz erstmals in einem Dok. vom 14.10.1418 bezeugt, das ihn als Bürgen für einen aus seinem Heimatort stammenden Tischler gegenüber der Arte dei Legnaioli nennt. Verbindungen zu diesem Handwerk dürften auf M.s Großvater zurückgehen, einen Kistenmacher (cassàio) mit damals noch bestehender eig. Wkst., in der M. viell. seine früheste Ausb. erhält. Am 7.1.1422 erfolgt M.s Einschreibung in die Arte dei Medici e Speziali. Zu diesem Zeitpunkt ist er bereits ein selbstständiger Künstler mit Wohnsitz im Sprengel von S.Niccolò. Aus dem gleichen Jahr stammt das Triptychon für S.Giovenale bei Cascia (heute Cascia di Regello, Pieve di S.Pietro), das nach anfänglichen Zweifeln bei seiner Entdeckung (durch Berti, 1961) heute allg. als erstes erh. Werk M.s akzeptiert wird. Die Mittel-Taf. der Thronenden Maria mit dem Kind und zwei Engeln trägt am unteren Rand die Inschr. "ANNO DO]MINI MCCCC.XXII ADI VENTITRE D'APR[ILE]". An giotteske Formeln anknüpfend, nimmt die Madonnen-Darst. zahlr. char. Merkmale von M.s späteren Werken vorweg. So entspricht der Gesichtstypus der Maria demjenigen der Gottesmutter im Altar der Hl.Anna Selbdritt. Auch die durchdachte Verschränkung der mütterlichen Hand mit den Füßen des Kindes weist auf das markante Haltemotiv der Gottesmutter im späteren Bild voraus. Der eucharistische Verweis des an den Fingern saugenden Christuskindes mit den Weintrauben begegnet erneut im Pisaner Polyptychon. Innovativ sind die beiden Engel, die als plastisch gestaltete Rückenfiguren im verlorenen Profil mit unterschiedlichen Gesten der Anbetung vor dem Thron knien. Konventioneller in ihrer Auffassung erscheinen die beiden etwas kleineren Seiten-Taf. mit den Hll.Bartholomäus und Blasius (links) sowie den Hll.Juvenal und Antonius Abbas (rechts). Als weiteres Frühwerk M.s aus der Zeit um 1423/24 wird eine Madonna dell'Umiltà (Washington/D.C., NG of Art) diskutiert, deren eindeutige stilistische Beurteilung jedoch durch eine fast vollst. Übermalung erschwert wird. 1424 ist M. als Mitgl. der Compagnia di S.Luca verzeichnet. Am 5.6.1425 wird er zus. mit N.di ser Lapo für die Vergoldung von Prozessionsleuchtern für den Dom von Fiesole bezahlt. Beide unterhalten eine Wkst. in Räumlichkeiten der Badia Fiorentina bei S.Apollinare, Florenz. Kurz darauf wird M. am 18.7.1425 vor dem Handelsgericht in einer Schuldsache angezeigt. Nicht erh., aber durch eine eingehende Beschr. Vasaris und durch zahlr. Nach-Zchngn (u.a. von Michelangelo) bek. ist M.s erste Freskoarbeit, die sog. Sagra, ein monochromes Wandbild in Terra verde, das sich ehem. über der Kirchentür im Kreuzgang von S.Maria del Carmine, Florenz, befand (um 1600 bei Umbauarbeiten zerst.). Dargestellt war die Prozession anlässlich der Kirchweihe, ein Ereignis, das unmittelbar zuvor (19.4.1422) stattgefunden hatte. Vasari lobt die figurenreiche Komp. wegen ihrer meisterhaften perspektivischen Verkürzung und lebendigen Vielfalt. Dabei erwähnt er auch die zahlr. enthaltenen Porträts berühmter Zeitgenossen. Vasaris Hinweis auf weitere Bildnis-Taf. M.s in einem Florentiner Pal. wird mit einer Gruppe von Profilporträts junger Männer mit turbanartiger Kopfbedeckung (sog. Mazzocco) in Verbindung gebracht (Boston/Mass., Isabella Stewart Gardner Mus.; Washington/D.C., NG of Art; Chambéry, MBA), deren Zuschr. im Einzelnen (u.a. auch an Paolo Uccello und Domenico Veneziano) noch immer kontrovers diskutiert wird. M.s Zusammenarbeit mit dem wesentlich älteren Masolino beginnt viell. noch vor der gemeinsamen Ausstattung der Brancacci-Kapelle. Obwohl bereits in den frühen Quellen erw., ist diese Zusammenarbeit dok. nicht nachw. und in vielen Punkten umstritten. Offen bleiben die Fragen nach der Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses, ob ein gleichzeitiger oder sukzessiver Ausf.-Modus anzunehmen ist, nach der Rollenverteilung der beiden Künstler und damit verbunden nach der Chronologie der meisten ihrer Werke. Zumindest die frühere Annahme eines konventionellen Lehrer-Schüler-Verhältnisses gilt heute als überholt. Auch M.s früheste Arbeiten wie das Retabel für S.Giovenale bei Cascia zeigen keine Merkmale des eher vom höfischen Stil der Internat. Gotik geprägten Masolino. Seinen ersten Beitrag zu einem Werk Masolinos vermutet man in einer Predellen-Taf. mit der Darst. des Elternmordes des Hl.Julian (Florenz, Mus. Horne). Für eine Zuschr. an M. sprechen die trotz der schweren Beschädigung erkennbare plast. Modellierung der Figuren, demonstrative perspektivische Verkürzungen, die einheitliche Lichtführung und eine Beschränkung der Palette auf Rot- und Erdtöne. Die Predella könnte Masolinos Darst. des Hl.Julian (Florenz, Mus. S.Stefano al Ponte) zugehörig sein, der Seiten-Taf. für ein ehem. in der Carnesecchi-Kap. in S.Maria Maggiore in Florenz befindliches Triptychon (um 1423). Das berühmteste gemeinschaftlich ausgef. Taf.-Gem. ist der Altar der Hl.Anna Selbdritt (sog. Sant'Anna Metterza) aus S.Ambrogio (Florenz, Uffizien), der um 1424/25 angesetzt wird. Als Auftraggeber wird der wohlhabende Seidenweber Nofri d'Agnolo del Brutto Buonamici vorgeschlagen, der die Patronatsrechte für einen Altar der Hl.Anna in der Kirche besaß. Von Vasari (1568) wird das Gem. ebenso wie and. Gemeinschaftswerke der beiden Künstler allein M. zugeschr.; die heute weitgehend akzeptierte Händescheidung geht auf einen berühmten Aufsatz Roberto Longhis (1940) zurück. Bestätigt wird sie durch neuere gem.-technologische Untersuchungen, die unterschiedliche Techniken der Unter-Zchng in den entsprechenden Partien nachweisen. Von M. stammen demnach die statuarisch aufgefasste Maria mit dem Kind, der Entwurf des Thrones sowie wahrsch. auch der Engel, der auf der rechten Seite den die Figurengruppe hinterfangenden Seidenbrokat hält. Ging man früher von einer späteren Voll. der von Masolino beg. Taf. durch M. aus, so legen die neueren Untersuchungen eine simultane Arbeitsweise der beiden Künstler nahe. Bereits in dieser Taf. erscheint M. durch die körperliche Präsenz seiner feierlich-ernsten und zugleich kraftvollen Figuren als dominante schöpferische Kraft. Dies gilt umso mehr für die Fresken der Brancacci-Kap. in S.Maria del Carmine, deren fundamentale Bedeutung für die Entwicklung der Renaiss.-Malerei seit ihrer Würdigung durch Vasari unbestritten ist. Im 18. Jh. durch die barocke Umgestaltung des Gewölbes in Teilen zerst. und durch einen Brand weiter beschädigt, umfasst der Zyklus heute noch 12 Bildfelder in zwei Reg. mit Szenen zum Leben und Wirken des Apostels Petrus sowie an den Eingangspilastern die Darst. des Sündenfalls und der Vertreibung aus dem Paradies. Zur Kap.-Ausstattung haben sich keinerlei Dok. erhalten. Zentrale Fragen der Auftragsvergabe, der Chronologie der Ausf. sowie der Grund für den Abbruch der Arbeiten und die Voll. rund 60 Jahre nach der ersten Ausstattungskampagne durch Filippino Lippi werden noch immer diskutiert. Allg. geht man heute davon aus, dass Masolino im Anschluss an seine Arbeiten in Empoli (1424) mit der Ausmalung der Kap. im Auftrag des Felice Brancacci begann und seinen Beitr. (Gewölbe, Lünetten, drei Szenen im oberen Reg.) bis zu seinem Weggang nach Ungarn (Sept. 1425) vollendete. Entgegen der seit Vasari vertretenen Ansicht, wonach M. den von Masolino unvoll. zurückgelassenen Zyklus weitergeführt habe, hat die Rest. der 1980er Jahre gezeigt, dass er bereits zu einem frühen Zeitpunkt in die Ausstattung eingebunden war. Beide Maler arbeiteten zeitgleich im oberen Register. Von M.s Hand stammen dort die Vertreibung aus dem Paradies mit ihrer naturalistischen Akt-Darst. und emotionalen Dramatik (linker Eingangspilaster), das große Bildfeld mit der pluriszenischen Episode des Zinsgroschens (linke Längswand) und die Taufe der Neophyten (rechts des Fensters). M.s Fresken im unteren Reg. entstanden wahrsch. nach seinem Aufenthalt in Pisa (1426). Vollst. ausgef. sind die beiden Szenen der Fensterwand mit der Schattenheilung des Hl.Petrus und der Verteilung der Güter und Tod des Ananias, während das Bildfeld der linken Längswand mit der Erweckung des Sohnes des Theophilus und Petrus auf der Kathedra lediglich von ihm begonnen und später von Filippino Lippi ergänzt wurde. In der berühmten Szene des Zinsgroschens wird M.s erzähltechnische Meisterschaft bes. deutlich. In drei simultan vor eine mächtige Bergkulisse gesetzten Handlungsmomenten wird die Gesch. der wunderbaren Entrichtung der Tempelsteuer entfaltet, in der die Figur Petri drei Mal auftritt. Beredte Gestik der Akteure, aber auch subtile Asymmetrien der Komp. und farbliche Akzente vermitteln zw. den Szenen. Den Mittelpunkt der Komp. bildet die Figur Christi, die Petrus anweist, den vom Steuereintreiber geforderten Tribut im nahegelegenen See aus dem Maul eines Fisches zu beschaffen (links im Hintergrund). Durch stringente Beleuchtung und plast. Hell-Dunkel modelliert, erhalten die Körper der Dargestellten ein eig. Gewicht; ihr räumlicher Standort wird durch präzisen Schattenwurf genau definiert. Dies gilt bes. für die im Halbkreis um Christus gruppierten Apostel, deren mannigfaltige Haltungen und individuelle Charakterisierung bereits Vasari rühmt. Auf der rechten Seite mit der Übergabe der Münze an den Steuereinnehmer markiert die perspektivische Tiefenflucht eines Gebäudes eine Zäsur in der Handlungsführung. Dieses Motiv scheint auf Donatellos Sockelrelief des Hl.Georg zurückzugehen, ebenso wie die voluminösen, zeitlos wirkenden Draperien, die die mon. Würde der Figuren unterstreichen, von den avanciertesten Beispielen zeitgen. Skulptur inspiriert sind. Die deutliche Präsenz von Vertretern des Karmeliterordens in der Szene der Kathedra Petri weist auf deren inhaltliche Einflussnahme auf den Zyklus hin. Das einzige dok. Werk M.s entsteht 1426, ebenfalls für eine Karmeliterkirche, in Pisa. Lt. Rechnungsbuch des Auftraggebers Giuliano di Colino degli Scarsi wird M. am 19.2.1426 mit der Ausf. des Retabels beauftragt (Vertrag nicht erh.). Weitere Einträge zw. dem 20. Febr. und dem 26. Dez. 1426 verzeichnen acht Zahlungen über insgesamt 80 Florin, die u.a. auch von dem damals in Pisa tätigen Donatello und M.s Gehilfen A.di Giusto entgegengenommen wurden. Am 15. Okt. verpflichtete sich M. zudem, bis zur Fertigstellung keine weiteren Aufträge auszuführen. Am 23.1.1427 ist er als notarieller Zeuge letztmals in Pisa dokumentiert. Der ehem. in einer Kap. am Lettner aufgestellte Altar wurde bei der Neuausstattung der Kirche im späten 16. Jh. abgebaut. Nur etwa ein Drittel der urspr. zugehörigen Tle sind erh. und heute auf versch. Slgn verteilt. In schlechtem Erhaltungszustand befindet sich die zentrale Taf. mit der Darst. der Thronenden Maria mit dem Kind und vier Engeln (London, NG). Die mon., in das trad. spitzbogige Bildfeld gesetzten Figuren nehmen versch. frühere Motive M.s wieder auf. Neu sind das von antiken Sarkophagen übernommene Strigilis-Motiv am Thronsockel wie auch die perspektivischen Bravourstücke der verkürzt wiedergegebenen Engelslauten und des Heiligenscheins des Christuskindes. Die beiden Seiten-Taf. mit den Hll.Julian und Nikolaus sowie Petrus und Joh. Bapt. sind verloren. Erh. ist hingegen die Predella (Berlin, GG) mit den auf die besagten Hll. bezogenen Szenen Elternmord des Hl.Julian, Jungfrauenlegende des Hl.Nikolaus (Wkst.?), die zentrale Anbetung der Könige mit ganzfigurigen Porträts des Stifters und seines Sohnes (?) sowie die Kreuzigung Petri und Enthauptung des Johannes Baptist. Ebenfalls in Berlin befinden sich vier kleinere Taf. mit den Kirchenvätern Augustinus und Hieronymus sowie zwei Karmeliter-Hll., die sich ehem. an den Rahmenpilastern befanden. Zur urspr. Bekrönung des Retabels gehörten eine expressive Kreuzigung (Neapel, MN di Capodimonte) und wahrsch. auch zwei halbfigurige Darst. der Apostel Paulus (Pisa, MN di S.Matteo) und Andreas (Los Angeles, J.Paul Getty Mus.). Letztere wurden alternativ auch einem hypothetischen weiteren Polyptychon zugeordnet (Strehlke/Frosinini, 2002). Auf der Grundlage von Vasaris (1568) ausführlicher Beschr. wurden versch. Rekonstr. für den Altar vorgeschlagen. Umstritten ist dabei die Einflussnahme M.s auf den von einem Sieneser Tischler gefertigten Rahmen und damit die generelle Form des Altarwerks. Dem Vorschlag, die seitlich und am unteren Rand beschnittene Mittel-Taf. beiderseits zu einer einheitlichen Pala mit einer Sacra Conversazione zu ergänzen und M. damit als einen Mitbegr. dieser sich in den folgenden Jahrzehnten durchsetzenden neuen Altarform zu sehen (Shearman, 1966), steht die Rekonstr. eines konventionelleren Polyptychons mit mehr oder weniger deutlich voneinander getrennten Taf. entgegen (Gardner von Teuffel, 1977). Neben den Wandmalereien und großen Altarwerken werden M. einige kleinformatige, für den priv. Gebrauch bestimmte Werke zugewiesen. Weitgehend anerkannt ist die Zuschr. eines Desco da Parto (Berlin, GG) mit der Darst. eines Geburtszeremoniells in einem Florentiner Fam.-Palast. Dessen Arkaden geben Einblick in den Portikus eines Innenhofs, aus dessen Tiefe eine Gruppe von Edeldamen und Klosterfrauen heranschreitet, um die Wochenstube der vornehmen Patrizierin zu betreten, während sich von links, angekündigt durch einen Fanfarenstoß, eine offizielle Delegation mit Gaben nähert. Bemerkenswert ist neben der durch Ritz-Zchngn minutiös vorbereiteten perspektivischen Raumkonstruktion die feierliche Monumentalität und der Eindruck spontaner Bewegung des Bildpersonals. Für die Zuschr. an M. spricht die Ähnlichkeit der Figuren mit den Pisaner Predellen-Taf., was eine etwa zeitgleiche Dat. nahelegt. Die weniger ambitionierte Darst. eines mit einem Tier spielenden Putto auf der Rückseite dürfte hingegen auf einen Mitarb. M.s zurückgehen (G.di ser Giovanni Guidi oder A.di Giusto). Umstritten ist außerdem die Eigenhändigkeit einer Taf. mit der ungewöhnlichen Kombination des Christus im Garten Gethsemane und eines Büßenden Hl.Hieronymus (Altenburg, Lindenau-Mus.). Der kleinen Taf. einer halbfigurigen Maria mit dem Kind (Madonna del Solletico, Florenz, Uffizien) verleiht ihre feine Ausf. auf Goldgrund einen geradezu min.-haften Charakter. Abweichend von der repräsentativen Monumentalität der großformatigen Madonnen-Altäre konzentriert sich die Darst. hier allein auf die genau beobachtete, innige Interaktion zw. Mutter und Kind. Von Maria mit zwei Fingern unter dem Kinn berührt, klammert sich das Wickelkind spontan mit beiden Händen an den Arm der Mutter. Es trägt eine Kette mit Korallenanhänger ebenso wie das Neugeborene auf dem Berliner Geburtsteller. Die Rückseite der Taf. zeigt das Kardinalswappen des aus Siena stammenden Andrea Casini, dessen Erhebung zum Kardinal am 24.5.1426 den terminus post quem für die Entstehung bildet. Am 23.8.1426 wird M. von einem Kürschner wegen einer unbeglichenen Schuld vor dem Handelsgericht angezeigt; einen Tl der Summe hat er bereits in Form eines Madonnentabernakels abbezahlt (nicht erh.). Am 29.7.1427 gibt M. seine Katasterdeklaration ab, in der er der Florentiner Steuerbehörde seine Vermögensverhältnisse offenlegt. Hieraus geht hervor, dass er zus. mit seiner Mutter und seinem Bruder in der Via dei Servi lebt und noch immer eine bescheidene Wkst. in Räumlichkeiten der Badia Fiorentina bei S.Apollinare unterhält. Zu M.s zahlr. Gläubigern gehören auch N.di ser Lapo und A.di Giusto, dem er einen Tl seines Lohns schuldet. Als letztes Florentiner Werk M.s gilt gemeinhin das Wand-Gem. der Trinität in S.Maria Novella, eine Inkunabel zentralperspektivischer Raumkonstruktion. Auch zu diesem berühmten Fresko existieren keine Dok., die Aufschlüsse über den Entstehungskontext geben könnten. Die Darst. der Dreifaltigkeit folgt in abgewandelter Form der trad. Bildformel des Gnadenstuhls. In einem illusionistischen Raum, der mit seinem kassettierten Tonnengewölbe an eine Grab-Kap. erinnert, erscheint die erhöht stehende Figur Gottvaters mit dem Kruzifix, flankiert von Maria als Mittlerin und dem Hl.Johannes Evangelista. Beiderseits des fingierten Kap.-Raums, dessen klassische archit. Einfassung von Gliederungselementen röm. Triumphbögen inspiriert ist, knien auf einer niedrigeren Stufe der betende Stifter und seine Frau. Die untere Zone zeigt vermutlich unter einer Altarmensa einen Sarkophag mit einem aufgebahrten Skelett und einer Inschr., die den Betrachter als memento mori an seine eig. Vergänglichkeit erinnert. Bei Umbauten der Kirche und mehrmaliger teilw. Versetzung hat die Maloberfläche stark gelitten. Bes. der untere, erst spät entdeckte Tl des Freskos ist ergänzt; Gleiches gilt für die Ränder mit dem Archit.-Rahmen der oberen Zone. Zahlr. spätere Übermalungen wurden bei der letzten Rest. (2000) entfernt. Ob das Fresko von A. an in Zusammenhang mit einem Altar konzipiert wurde, ist umstritten. Nicht von der Hand zu weisen ist jedoch der sepulkrale Char. der Darstellung. Für die naturalistischen Profilporträts des Stifters und seiner Frau werden versch. Identifikationen vorgeschlagen, darunter der 1427 verst. und in einem Bodengrab vor dem Fresko beigesetzte Domenico di Lenzo oder zuletzt der Baumeister Bartolomeo del Banderaio mit seiner Ehefrau Sandra. Beginnend mit Vasari wird von der Forsch. immer wieder der außergewöhnlich illusionistische Char. der Darst. hervorgehoben. Im Zusammenhang mit den zugrundeliegenden geometrischen Konstruktionsprinzipien wird dabei auch über eine etwaige Beteiligung Filippo Brunelleschis spekuliert. Zumindest einige der archit. Details sind von dessen Bauten (Findelhaus, Kap. Barbadori in S.Felicita) inspiriert. Dabei läuft der perspektivische Illusionismus des Einheitsraumes dem transzendenten Gehalt der Darst. nicht zuwider, sondern potenziert diesen vielmehr, was nicht zuletzt die Wirkmacht von M.s Bildfindung begründet. Kurz vor M.s Tod ist wahrsch. sein Beitr. zum Retabel für S.Maria Maggiore in Rom entstanden, einem weiteren Gemeinschaftswerk mit Masolino. Das heute auf versch. Slgn verteilte Werk war aufgrund seiner doppelseitigen Ausf. wohl urspr. für den Hauptaltar der Kirche bestimmt. Von Masolino stammt der größere Tl der Taf., nämlich die Himmelfahrt Mariens und umseitig das Schneewunder (Neapel, MN di Capodimonte), außerdem die linke Seiten-Taf. mit den Hll.-Figuren Petrus und Paulus (vorn) und Joh.Ev. und Martin (Philadelphia, Mus. of Art). Eindeutig M.s Hs. trägt hingegen die Rückseite der rechten Seiten-Taf. mit den Hll.Hieronymus und Joh.Bapt. (London, NG; Vorderseite mit Hll.Gregor(?) und Matthias von Masolino). Da einzelne Partien (z.B. Oberkörper des Hl.Hieronymus) nicht ganz voll. sind, hat man in dieser Taf. M.s letztes Werk vermutet. Technische Untersuchungen der Taf. in Philadelphia legen jedoch nahe, dass auch diese noch von M. begonnen und zudem zu einem frühen Zeitpunkt die Anordnung der beiden Hll. vertauscht wurde. Ob das von M. bei seinem Tod unvoll. zurückgelassene Werk von Masolino lediglich fortgeführt wurde oder ob - wie in jüngerer Zeit vorgeschlagen - beide Maler gleichzeitig daran arbeiteten, ist umstritten. Der Zeitpunkt von M.s Tod ist nicht sicher: Frühe Quellen berichten, er sei im Alter von 26 oder 27 Jahren verstorben. Den Sterbeort Rom nennen sowohl ein nachträglicher Vermerk in M.s Katastererklärung wie auch diejenige des N.di ser Lapo (Jan. 1431), der M.s Schulden nun von den Erben einfordert. - Trotz seiner kurzen Schaffenszeit gilt M. als Begründer der Renaiss.-Malerei in Italien, eine Einschätzung, die bereits von den Zeitgen. geteilt wurde. Zu seinen Neuerungen zählen die konsequente Anwendung der Linearperspektive, eine einheitliche innerbildliche Lichtführung, plast. Modellierung und damit verbunden die klare Definition des Verhältnisses von Figur und umgebendem Raum. Bereits die frühen Quellen (C.Landino, 1481) betonen zudem den essentiellen Char. und die Wahrhaftigkeit seiner Naturnachahmung. Neben den technischen Errungenschaften sind es nicht zuletzt die moralischen Implikationen seiner Bildschöpfungen, auf denen seine anhaltend hohe Wertschätzung beruht.

AUSSTELLUNGEN

Gruppenausstellungen:

1990 Florenz, Pal. Vecchio: L'età di M. (K: L.Berti/A.Paolucci) / 2002 S.Giovanni Valdarno, Casa M.: M. e le origini del Rinascimento (K: L.Bellosi).

 

QUELLEN

Thieme-Becker, Vollmer und AKL:

ThB24, 1930

 

Weitere Lexika:

DEB VII, 1975; Bauer, GEM VI, 1978; PittItalQuattroc II, 1986; EAPD, 1989; DA XX, 1996; DBI LXXI, 2008 (Lit.)

 

Gedruckte Nachweise:

G.J. Kern, JbPrKS 24:1913, 36-58; R.Longhi, Critica d'Arte 5:1940(25/26)145-191; M.Salmi, M., Mi. ²1948; U.Procacci, Riv. d'arte 14:1932, 489-504; 3.Ser. 28:1953, 3-55; U.Procacci, Tutta la pitt. di M., Mi. 41961; L.Berti, Commentari 12:1961, 84-107; U.Schlegel, ArtB 14:1963, 19-33; M.Meiss, in: W.Lotz/L.Möller (Ed.), Studien zur toskanischen Kunst, M. 1964; A.Parronchi, M., Fi. u.a. 1966; J.Shearman, BurlMag 108:1966, 449-455; O.von Simson, JbBerlMus 8:1966, 119-159; H.von Einem, M.s Zinsgroschen, K. u.a. 1967; H.W. Janson, in: D.Fraser (Ed.), Essays in the hist. of art presented to Rudolf Wittkower, Lo. 1967; M.Boskovits, Arte ill. 2:1969(13/14)4-13; J.Polzer, JbBerlMus 13:1971, 18-59; A.Debold-Kritter, Studien zum Petruszyklus in der Brancaccikapelle, Diss. FU Berlin, B. 1975; C.Gardner von Teuffel, JbBerlMus 19:1977, 23-68; A.Molho, JWarburg 40:1977, 50-98; J.Beck, M. The Doc., Locust Valley 1978 (Dok.); E.Hertlein, M.s Trinität, Fi. 1979; E.Borsook, The mural painters of Tuscany, Ox. 21980; B.Cole, M. and the Art of early Renaiss. Florence, Bloomington, Ind. u.a. 1980; U.Procacci, M., Fi. 1980; U.Baldini, Crd'A 49:1984(1)65-72; 51:1986(9)65-68; O.Casazza, ibid., 69-84; 53:1988(1)78-97; W.Kemp, Marburger Jb. für Kunstwiss. 21:1986, 45-72; A.Perrig, ibid., 11-43; W.Jacobsen, ibid., 73-92; M.Boskovits, Arte cristiana 125:1987, 47-66; C.B. Strehlke/M.Tucker, ibid., 105-124; L.Berti, M., Fi. 1988; U.Baldini/O.Casazza, La capp. Brancacci, Mi. 1990; K.Christiansen, BurlMag 133:1991, 5-20; P.Joannides, M. and Masolino, Lo. 1993 (WV; Lit.); S.Roettgen, Wandmalerei der Früh.-Renaiss. in Italien. I: Anfänge und Entfaltung 1400-1470, M. 1996; J.T. Spike, M., N.Y. u.a. 1996 (WV); R.Goffen, M.s Trinity, C./N.Y. 1998; D.Savelli, La Sagra di M., Fi. 1998; R.Fremantle, M., Fi. 1998 (WV); L.Berti, Gli Uffizi (K), Fi. 1999; J.Clifton, Art hist. 22:1999, S.637-655; C.H. Carman, Images of humanist ideals in Ital. Renaiss. art, IV, Lewiston u.a. 2000; U.Baldini, M., Mi. 2001; Nel segno di M. (K Uffizien), Fi. u.a. 2001; C.Caneva (Ed.), M. Il trittico di S.Giovenale e il primo '400 fiorentino, Mi. 2001; A.Baldinotti (Ed.), M. e Masolino, Mi. 2002; D.Cole Ahl (Ed.), The Cambridge Companion to M., C. 2002 (Lit.); C.Danti (Ed.), La Trinità di M., Fi. 2002; A.Padoa Rizzo, FlorMitt 46:2002, 247-261; C.B. Strehlke/C.Frosinini (Ed.), The Panel Paint. of Masolino and M., Mi. 2002; M.L. Testi Cristiani, Crd'A, 8.Ser. 65:2002(13)51-66; R.M. Comanducci, BurlMag 145:2003, 14-21; D.Parenti, Arte cristiana 91:2003, 92-102; E.Rowlands, M. St.Andrew and the Pisa Altarpiece, L.A. 2003; C.Frosinini (Ed.), M. e Masolino, pittori frescanti (Atti del Convegno internaz. di studi Firenze), Mi. 2004; S.Dianich/T.Verdon (Ed.), La Trinità di M., Bo. 2004; N.Eckstein, Oxford art J. 28:2005(1)99-118; W.E. Wallace, Source 25:2006(2)1-4; N.Eckstein (Ed.), The Brancacci Chap., Fi. 2007; S.Guarino, in: Il Quattrocento a Roma (K Rom), I, Mi. 2008; E.Marino, La Trinità di M., Fi. 2008; T.García Salgado, in: R.Sinisgalli (Ed.), L'arte della matematica nella prospettiva (Atti del Convegno internaz. di Studi, Ist. Svizzero), Foligno 2009; G.Vasari, Das Leben des Masolino, des M., des Gentile da Fabriano und des Pisanello, ed. C.Posselt, B. 2011; A.De Marchi, in: La Primavera del Rinascimento (K Wander-Ausst.), Fi. 2013; A.Salucci, M. e la Capp. Brancacci, Fi. 2014