Frei zugänglich

Parmigianino

Geboren
Parma, 11. Januar 1503
Gestorben
Casalmaggiore, 24. August 1540
Land
Italien
Geschlecht
männlich
GND-ID
Weitere Namen
il Parmigianino; Parmigianino; Mazzola, Francesco; Mazzuoli, Francesco; Mazzola, Girolamo Francesco Maria; Mazzuoli, Girolamo Francesco Maria
Berufe
Maler*in; Zeichner*in; Freskant*in; Grafiker*in
Wirkungsorte
Parma, Viadana, Rom, Bologna
Zur Karte
Von
Plackinger, Andreas
Zuletzt geändert
20.12.2023
Veröffentlicht in
AKL XCIV, 2017, 341; ThB XXIV, 1930, 309 ss

VITAZEILE

Parmigianino (eigtl. Mazzola, Girolamo Francesco Maria), ital. Maler, Freskant, Zeichner, Grafiker, *11.1.1503 Parma, †24.8.1540 Casalmaggiore.

LEBEN UND WIRKEN

P., dessen Schöpfungen sich durch ein Höchstmaß an Kreativität, Experimentierfreudigkeit, spielerische Eleganz, eine dezidierte Vorliebe für Asymmetrien und komplex-raffinierte formale Lösungen sowie durch inhaltliche Doppelbödigkeit auszeichnen, wurde als Sohn des Malers Filippo Mazzola geboren. Wenige Schrift-Dok. und Dat. auf Werken liefern Auskunft zu P. Giorgio Vasaris Biogr. des Künstlers (1550, überarbeitete Fassung 1568) sowie stilistische Beobachtungen bilden die Grundlage für die allg. akzeptierte Chronologie von Vita und Œuvre (etwa 50 Gem. in Öl und Fresko, ungefähr 1000 Zchngn, ca. 15 eigenhändige Rad.) des wichtigsten und innovativsten Vertreters des emilianischen Manierismus. - Nach dem frühen Tod des Vaters 1505 wuchs P. unter der Obhut seiner beiden Onkel, der Maler Pier Ilario und Michele Mazzola auf. Verlässliche Angaben zu seiner Ausb. liegen nicht vor. Vasari erwähnt 1550, P. habe b. Correggio (vermutlich erst seit 1518 in Parma) gelernt. Diese Meinung revidierte er in der erweiterten Neu-Ed. seiner Biogr. 1568, in der er die mündlichen Schilderungen des Malers Girolamo Mazzola Bedoli, des angeheirateten Vetters des Künstlers, berücksichtigte. Zeit seines Lebens setzte sich P. - wie u.a. zahlr. Zchngn belegen - mit unterschiedlichsten künstlerischen Strömungen und Vorbildern auseinander: Seien es Werke der antiken Kunst (Kopf des „Laokoon“, Rötel, Chatsworth House, Devonshire Coll.), Raffaels (Feder-Zchng nach dem Karton der „Schule von Athen“, Windsor Castle, R. Libr.), Michelangelos (Feder-Zchng, freie Kopie nach der „Pietà“ in St. Peter in Rom, New York, Morgan Libr. and Mus.), Dürers (Lsch.-Studie in Feder und Tusche, Berlin, Kpst.-Kab.) oder Tizians (Detailstudie in Rötel nach der „Pardo-Venus“, Darmstadt, Hessisches LM). Insbesondere während seiner frühesten Schaffensphase in Parma - unterbrochen von einem kriegsbedingten Aufenthalt in Viadana um 1520/21, danach 1524-27 Aufenthalt in Rom, 1528-31 in Bologna einschließlich einer Venedig-Reise 1530, zweite Parmenser Phase 1531-40 - ist Correggio eine feste Referenzgröße für den jungen Künstler. Dies lässt z.B. P.s erstes Gem. erkennen, eine großformatige Altar-Taf. mit der Darst. der Taufe Christi für die Franziskaner Observanten der Annunziata in Parma (1519, Berlin, GG), die er im Alter von nur 16 Jahren schuf: Christus und die Engel besitzen correggeske Züge. Auch P.s Diana und Actaeon-Fresken der Deckenzone des Camerino der Rocca Sanvitale in Fontanellato (1523/24) gemahnen mit ihrer fingierten Lauben-Archit. an Malereien Correggios (vgl. dessen Camera di S.Paolo in Parma, 1518/19). Während P.s frühe, sehr steif wirkende Mystische Vermählung der Hl. Katharina, eine Altar-Taf. für die Kirche S.Pietro in Viadana (Bardi, S.Maria Addolorata) einhellig auf 1521 dat. wird, ist die genaue chronologische Einordnung seiner Kap.-Ausmalungen für den Parmenser Dom S.Giovanni Evangelista (erste zwei Kap. links des Eingangs: Hl. Vitale, zwei lesende Diakone, Hl. Agathe mit Henker, Hl. Lucia und Hl. Apollonia, Fresko, frühe 1520er) strittig. Für 1523/24 wird eine Mitarb. P.s an Correggios Freskierung der Kuppel des Doms von Parma (liegender Engel direkt über dem Gesims) angenommen. Bereits zu Beginn seiner Karriere - erw. seien außerdem die Orgeltüren der S.Maria della Steccata in Parma (Hl. Cäcilie und David) - erhielt P. demnach wichtige Aufträge, meisterte unterschiedliche Techniken (Ölmalerei, Fresko), nutzte versch. Bildträger (Holz, Lw., Gips) und schuf Werke sowohl sakralen als auch profanen Inhalts. Wahrsch. in der Hoffnung, unter dem neuen Pontifex Clemens VII. aus dem Hause Medici, vom päpstlichen Hof lukrative Aufträge zu erhalten, begab sich P. 1524 in Begleitung seine Onkels Pier Ilario Mazzola nach Rom. Lt. Vasari hatte der junge Künstler drei Werke vorbereitet, um sich b. der röm. Kurie zu empfehlen, darunter sein auf einen nach außen leicht gewölbten kreisrunden Holzträger gemaltes Selbstbildnis im Konvexspiegel (Wien, KHM). Dieses Meisterstück der Illusionskunst, das der Papst als Präsent erhielt und das schließlich diverse prestigeträchtige Slgn durchlief, erreichte bereits im 16. Jh. den Status einer Sehenswürdigkeit. Das scheinbar getreu die durch eine unebene Oberfläche erzeugten Verzerrungen wiedergebende, fingierte Spiegelbild ist ein Meilenstein des Künstler-Porträts sowie der Bildniskunst im Allgemeinen. Bei den beiden and. für das röm. Publikum bestimmten Proben von P.s Meisterschaft handelt es sich vermutlich um die Hl.Familie in Madrid (Öl/Holz, Prado), eine Paraphrase auf Correggios „Madonna del Latte“ von malerisch feinster Ausf., sowie die Beschneidung Christi in Detroit (Öl/Holz, Inst. of Arts). Der wohl bedeutendste von P. in Rom ausgef. Auftrag war ein Altarbild für die Grab-Kap. Antonio Caccialupis in S.Salvatore in Lauro, die Vision des Hl.Hieronymus (Öl/Holz, London, NG). Dieses für die verwitwete Maria Bufalini Caccialupi (Vertrags-Dok. von 1526) geschaffene Gem. gilt als Versuch, mit Raffaels „Madonna di Foligno“ von 1511/12 in Wettstreit zu treten: Die Gegenüberstellung offenbart P.s Anspruch, sich durch die gesucht-elegante Pose seines in kunstvoller Drehung gezeigten Johannes des Täufers hervorzutun. Im Zuge der Belagerung und Plünderung Roms durch die Landsknechtstruppen Kaiser Karls V., dem sog. Sacco di Roma 1527, sah sich P. in Lebensgefahr und verließ die Ewige Stadt Richtung Bologna. In der Hauptstadt der Emilia-Romagna entstanden seine Bekehrung des Paulus (Öl/Holz, Wien, KHM) sowie sein Hl.Rochus mit Stifter (Öl/Holz), wohl ein Votivbild aus Anlass der Pest, das sich noch in situ in der Basilica S.Petronio in Bologna befindet. Beide Gem. weisen eine für P. typische eigenwillige asymmetrische Komp. auf. Die Wiener Bekehrung des Paulus zeichnet sich durch ihre koloristischen Effekte und die genussvoll ausgebreitete Hintergrund-Lsch. ebenso aus wie durch den freien Umgang mit der ikonogr. Trad. (komplette Vereinzelung des Paulus). In seiner Madonna mit der Hl.Margarethe für die Benediktinerinnen von S.Margarita (1529, Öl/Holz, Bologna, PN) gelingt P. eine harmonische und zugleich nicht statische Anordnung einer mehrfigurigen Gruppe. Neben den Altarwerken fertigte er auch Werke für die priv. Andacht, wie etwa die Madonna della Rosa (um 1529/30, Öl/Holz, Dresden, GG AM). Die lässige Pose des nackten Jesusknaben, der das Säuglingsalter deutlich überschritten hat und dessen Geschlecht auf der Mittelachse des Bildes ausgestellt wird, sowie das kunstvolle Faltenspiel des zarten Gewandes Mariens, durch das sich ihre rechte Brustwarze deutlich abzeichnet, werden in der kunsthist. Lit. häufig kommentiert. Vasari zufolge hat P. in Bologna ein allegorisches Porträt Karls V. geschaffen, als sich der Kaiser 1530 aus Anlass seiner Krönung in der Stadt aufhielt. Das in diesem Zusammenhang diskutierte Gem. aus einer New Yorker Priv.-Slg weist jedoch derartige Schwächen auf, dass es sich dabei wohl eher um eine Zweitfassung des verlorenen Orig. handeln muss. Bereits früher, spätestens in der Zeit um 1524, sind die ersten gesicherten Porträts von der Hand P.s entstanden: wohl noch in Parma das Bildnis eines Sammlers (London, NG) und das inschr. auf 1524 dat. Bildnis des Galeazzo Sanvitale, Auftraggeber der Fresken in Fontanellato (Neapel, MN di Capodimonte), sowie in Rom das Porträt des Lorenzo Cibo (Kopenhagen, Staatliches KM). Alle drei in Öl auf Holz ausgef. Gem. bieten originelle formale Lösungen für die Bildaufgabe Porträt - eine Gattung, die mit 15-20 Werken (je nach Anerkennung seiner Autorschaft) einen großen Raum in P.s malerischem Gesamtwerk einnimmt und in besonderem Maße Gegenstand von Zuschr.-Debatten ist. Die vermutlich in seiner zweiten Parmenser Periode entstandenen Damenporträts, bek. unter den Beinamen La Schiava Turca (um 1532, Öl/Holz, Parma, GN) und Antea (um 1535, Öl/Lw., Neapel, MN di Capodimonte) sind von höchster Raffinesse und bestechen durch die kühl-distanzierte, fast schon ironische Wachheit des mimischen Ausdrucks. Es drängt sich die Frage nach dem tatsächlichen Porträt-Status der beiden Frauenbildnisse auf, die P.s Figurenideal vollauf entsprechen. P.s zweite Parmenser Schaffensphase (1531-40) war für den Maler eine ebenso fruchtbare wie konfliktreiche Zeit. 1531 erhielt er den Auftrag zur Ausmalung der Gewölbe von S.Maria della Steccata in Parma - ein Unternehmen, das ihn bis an sein Lebensende beschäftigte, dessen Ausf. jedoch kaum Fortschritte machte, weshalb es zu Streitigkeiten und schließlich zum offenen Bruch mit der Bruderschaft der Steccata kam. Zahlr. Zchngn (z.B. in Chatsworth House, Devonshire Coll.; London, BM) belegen P.s intensive Arbeit an der Konzeption der Steccata-Fresken. Tatsächlich jedoch stellte er nur die Ausmalung des Bogens des Tonnengewölbes vor der Apsis fertig (ab 1535): Am Ansatz des Gewölbes flankieren drei effektvoll drapierte Frauengestalten die untersten Kassetten der Wölbung. Sie werden als kluge und törichte Jungfrauen gedeutet. Trotz der Geschmeidigkeit ihrer Haltung repräsentieren diese schlanken weiblichen Figuren den parmigianesken Frauentypus in seiner strengsten, regelrecht klassizistisch anmutenden Ausprägung. Auf den rahmenden Gurtbögen befinden sich in Medaillons eingefasste, kleinere Grisaille-Darst. von Moses, Aaron, Adam und Eva. Als die Administration der Steccata dem Künstler im Jahr 1539 den Auftrag entzog, um diesen Giulio Romano zu übertragen (vgl. Brief P.s vom April 1540 an Giulio mit der Bitte, dieses Ansinnen abzulehnen) und schließlich sogar bereits geleistete Zahlungen zurückforderte, verließ der Maler Parma und begab sich nach Casalmaggiore. Der Steccata gegenüber war Francesco Baiardi, lt. Vasari ein enger Freund P.s, für den Künstler als Bürge aufgetreten. Es wird daher spekuliert, dass Baiardi nach Flucht und Tod des Parmenser Malers daher dessen Nachlass übernommen habe - was den großen Bestand an Werken des Künstlers (12 Gem., 600 Zchngn) im Bes. von Baiardis Enkel und Erben Marcantonio Cavalca, erklären könnte. Die große Nähe P.s zur Baiardi-Fam. ist für das Verständnis seines intellektuellen Horizonts unerlässlich. Andrea Baiardi, der Vater Francescos, war einer der führenden Humanisten und als Dichter Hauptvertreter des Petrarkismus in Parma. Die Tatsache, dass P. auf einem Skizzenblatt zu den Steccata-Fresken (Modena, Gall. Estense) einen Vers Petrarcas zum Verhältnis von Liebe und Schönheit notierte, der aus der End-Ed. der „Rime Sparse“ ausgeschieden worden war, zeugt von der profunden Kennerschaft des Künstlers in Bezug auf den gefeierten Dichter und den mit ihm verbundenen ästhetischen Diskurs. Der durch seine Androgynität irritierende Bogenschnitzende Amor (1531/32, Öl/Holz, Wien, KHM), den P. für Francesco Baiardi schuf, ist in diesem Kontext zu verorten. Der Künstler nimmt in diesem Werk auch auf Vorbilder aus der antiken Skulptur (Lysipp) Bezug. Im Dez. 1534 wurde P. von Elena Baiardi Tagliaferri, der Schwester Francesco Baiardis, mit einem Altarbild für ihre Kap. in der Parmenser Servitenkirche beauftragt - aus diesem Engagement ging sein Hw. hervor, die unvoll. Madonna mit dem langen Hals (Madonna dal collo lungo, Florenz, Uffizien). Die Genese des Bildes, das als Inbegriff der Kunst des Manierismus gilt, kann anhand von Zchngn in unterschiedlichsten Techniken und Ausf.-Graden (z.B. in Cambridge/Mass., Fogg AM; London, BM; Parma, GN; Paris, Louvre; Venedig, Gall. dell'Accad.; Wien, Albertina) nachvollzogen werden. Die Madonna mit dem langen Hals besticht durch die überlängten Proportionen der Figuren, deren graziöse Haltungsmotive, die dekorative Eigendynamik der Gewänder, den bewussten Verzicht auf eine symmetrische Komp., die Aufhebung logischer Raumzusammenhänge sowie eine Vielzahl ungewöhnlicher Bildelemente: So ist z.B. das große, nackte Christuskind deutlich älter als in Madonnen-Darst. sonst üblich und liegt - die Passion vorwegnehmend - wie tot im Schoß der Mutter, während ein Engel mit kokett enthülltem Bein ein Gefäß herbeiträgt, in dessen Bauch sich ein Kreuz spiegelt. Ort und Tageszeit entziehen sich einer eindeutigen Interpretation ebenso sehr wie das Haltungsmotiv (Sitzen? Stehen?) der entgegen geläufiger Bild-Trad. juwelengeschmückten Mariengestalt. Wiederholt wurde auf die Analogie zw. der einzigen ausgef. Säule der archit. Staffage und dem irreal langen Hals der Muttergottes verwiesen. P.s letztes Altarbild, die Muttergottes mit Kind, den Hll. Stephan, Johannes und einem Stifter (Dresden, GG AM), das er nach seiner Flucht aus Parma für S.Stefano in Casalmaggiore malte, wirkt gegenüber den Extravaganzen der Madonna mit dem langen Hals durch seinen ruhig ausbalancierten Aufbau regelrecht klassisch, eine Tendenz, die bereits b. den Steccata-Jungfrauen zu erkennen ist. Die Verbindung aus malerischer Präzision in der Figurenwiedergabe b. gleichzeitiger Buntfarbigkeit kennzeichnet auch P.s letztes voll. und wohl nach der Flucht aus Parma in Casalmaggiore geschaffenes Gem., eine halbfigurige Lucrezia, (Neapel, MN di Capodimonte, Eigenhändigkeit seit der jüngsten Rest. allg. anerkannt). - Neben seiner facettenreichen malerischen Produktion hinterließ P. viele. Zchngn: von der vorbereitenden Ideenskizze (vgl. die Blätter zur Erarbeitung der Steccata-Fresken oder der Madonna mit dem langen Hals), über ausgearbeitete Vorlagen für die Umsetzung ins malerische (Hl. Stephanus, schwarze Kreide mit Weißhöhungen, Windsor Castle, Royal Libr.) und druckgrafische Medium (z.B. Anbetung der Hirten, Feder und Lavierung, Weimar, GrS, sowie deren Übertragung in den Kpst. durch Giovanni Giacomo Caraglio) bis zur funktionslosen Momentbeobachtung (Skizzenblatt mit toter Maus, Parma, GN; Drei Männer in einem Boot und Mann mit trächtiger Hündin, beide London, BM, alle drei Feder, teilw. laviert). P. bediente sich unterschiedlichster Techniken wie Rötel - wohl v.a. in seiner Frühzeit unter Einfluss der Zeichenkunst Correggios (Madonna mit Kind und Hl., Wien, Albertina) - Kreide, Feder und Pinsel, mit und ohne Lavierung oder Weißhöhung. Seine Blätter zeugen sowohl von einer großen Virtuosität und Präzision im Umgang mit dem Zeichenmedium b. gleichzeitig hoher Experimentierbereitschaft, wobei die Führung der Linie zuweilen eine Eigendynamik gewinnt, die die Erfassung des Sujets um der Form Willen in den Hintergrund drängt (Frau, die sich kämmt, Feder, Parma, GN). P.s Feder-Zchngn gemahnen mit ihren kreuzförmigen Schraffuren an Michelangelo, während seine Neugierde und Inventionsfreudigkeit eher an Leonardo denken lässt. Bemerkenswerte Zeugnisse der Selbstbeobachtung liefern seine zeichnerischen Selbstporträts (Selbstbildnis im Profil, Wien, Albertina; Selbstbildnis mit langem Haar und Bart und den Steccata-Jungfrauen, Chatsworth House, Devonshire Coll., beide in Feder). Neben Darst. stiller femininer Anmut wie der Jungen Frau mit Kissen (schwarze Kreide, Wien, Albertina) finden sich offensive Szenen (homo)erotischer Natur, etwa Zwei nackte sich umarmende Männer (Feder, Paris, Louvre). Mit seinem breiten technischen und thematischen Spektrum zählt Parmigianino zu den wichtigsten und vielseitigsten Zeichnern in der Gesch. der Kunst. - Von herausragender Bedeutung ist auch sein Beitr. zur Entwicklung der Druckgrafik. P. gilt allg. als Pionier der Rad. in Italien. Dieses Verfahren war für P. wohl deshalb so attraktiv, weil es ihm erlaubte, die Herstellung der Druckplatten selbst vorzunehmen, dadurch unabhängig von spezialisierten Stechern zu operieren und auf diese Weise seine individuelle zeichnerische Hs. im Reprod.-Medium beizubehalten. Bei der aufgrund ihrer Größenmaße (ca. 28 x 21 cm) und Vielfigurigkeit der Szene ambitionierten Grablegung, die in mehreren Zuständen überliefert ist (Genf, Cab. des Estampes; Wien, Albertina), dürfte es sich - dies verraten kleinere Unsicherheiten in der Umsetzung - um eine seiner frühesten Rad. handeln. Ihre Entst. fällt wohl in P.s Bologneser Phase (1527-30). Interessanterweise bediente sich der Künstler druckgrafischer Verfahren keinesfalls, um seine in Öl oder Fresko geschaffenen Gem. bek. zu machen, sondern ausschl. zur Verbreitung seiner zeichnerischen Inventionen. Es mag erstaunen, dass Szenen aus Wirken und Passion Christi in P.s malerischem Œuvre vollst. fehlen. Im druckgrafischen Medium jedoch setzte er sich mit derartigen Ikonogr. auseinander, wobei er mit der Überlagerung versch. technischer Verfahren experimentierte (Auferstehung Christi, Rad. und Kaltnadel, Abzüge etwa in Genf, Cab. des Estampes; London, BM; Wien, Albertina). Von seiner nach Raffael gefertigten Rad. Heilung eines Lahmen durch Petrus und Johannes existieren weitere um Tonplatten (Clair-obscur-Hschn.) erg. Zustände (Genf, Cab. des Estampes; London, BM). P. war offensichtlich an den unterschiedlichen Wirkungsmöglichkeiten versch. Techniken interessiert, wie die Umsetzung seines Diogenes sowohl in Kpst. durch Gian Giacomo Caraglio als auch in Clair-obscur-Hschn. durch Ugo da Carpi (von beiden Varianten Abzüge in Genf, Cab. des Estampes; London, BM) nahelegt. Es wird davon ausgegangen, dass der Künstler je nach den medialen Bedingtheiten des anvisierten reproduktionsgrafischen Verfahrens die Zeichentechniken seiner Vorlagenblätter wählte, um einen möglichst präzisen Eindruck des gewünschten visuellen Endergebnisses des Druckes zu liefern (etwa Einsatz von Lavierungen und Weißhöhungen zur Vorbereitung von Clair-obscur-Hschn.). Ein derartiges Vorgehen war für Kpst. und Clair-obscur-Hschn. geboten, da P. in diesen Fällen die Anfertigung der Druckplatten Spezialisten überlassen musste. Wahrsch. befasste sich P. bereits vor seiner Zeit in Bologna intensiv mit dem gestalterischen Potenzial der Druckgrafik. Sein von Caraglio gestochenes Martyrium des Hl. Paulus und Verurteilung des Hl. Petrus, von dem Antonio da Trento (1500) Umsetzungen im Clair-obscur-Hschn.-Verfahren lieferte (Genf, Cab. des Estampes; London, BM), ist vermutlich schon in der röm. Phase des Künstlers entstanden, als sich der junge Maler aus Parma im Umfeld jener Druckgrafiker bewegte, mit denen Raffael und sein Kr. zusammengearbeitet hatten. Druckgrafiken nach P.s Entwürfen erfreuten sich bis weit ins 18.Jh., in dem sie von Antonio Maria Zanetti (1706) z.T. neu aufgelegt wurden, großer Beliebtheit. Vermutlich war es der für die Handhabung der Rad. notwendige direkte Umgang mit Chemikalien, den Vasari zum Anlass nahm, um P. als besessenen Alchemisten zu schildern, der aufgrund seiner okkulten Leidenschaften seine künstlerischen Aufgaben (etwa die Arbeit an den Steccata-Fresken) vernachlässigt habe. Vasari, der P. in seiner Vita zunächst zur Reinkarnation Raffaels stilisierte - beide starben im gleichen Alter und seien sich durch die liebenswürdige Schönheit ihres Erscheinungsbildes und ihrer Kunst ähnlich gewesen - betont, dass sich der Künstler unter dem Einfluss alchemistischer Studien zu einem ungepflegten, eigenbrötlerischen Melancholiker gewandelt habe. Dieses für die Rezeption P.s über Jh. hinweg relevante Narrativ ist sicher auch eine Reaktion auf die Abkehr des Künstlers von einem klassischen raffaelesken Formenvokabular zu einer übersteigert-eleganten, experimentellen, höchst individuellen Ästhetik. Dies entbehrt nicht einer gewissen Ironie, lassen sich doch gerade im Spätwerk des Malers Tendenzen zu einer formalen Beruhigung und stärkeren Harmonisierung erkennen. Zwar erreichte die Malerei P.s nicht den kanonischen Status der Schöpfungen Raffaels, dennoch beeinflusste er - auch dank der druckgrafischen Verbreitung seines Figuren- und Bewegungsideals - Künstler wie den Florentiner Francesco Salviati, die Venezianer Andrea Schiavone und Jacopo Tintoretto sowie die Vertreter der Schule von Fontainebleau (Francesco Primaticcio, Nicolò dell’Abate) oder des Prager Manierismus (Bartholomäus Spranger, Hans von Aachen, Joseph Heintz d.Ä.). Bereits zu seinen Lebzeiten bzw. kurz nach seinem Tod befanden sich Werke von seiner Hand im Bes. prominenter Sammlerpersönlichkeiten des 16.Jh. wie etwa von Pietro Aretino und Kardinal Ippolito de Medici sowie später von Vasari und Kaiser Rudolf II. Obwohl sich P.s Zchngn noch im 18.Jh. großer Wertschätzung (etwa von Seiten Jean Pierre Mariettes) erfreuten, geriet der Künstler außerhalb der Parmenser Lokal-Forsch. bald aus dem Blickfeld der Kunstliteratur. Erst durch die dem expressionistischen Zeitgeschmack verpflichtete Monogr. L.Fröhlich-Bums (1921) kam es zu seiner Wiederentdeckung. Das eher an formalästhetischen Fragen orientierte und auf das malerische Werk beschränkte P.-Buch von S.J. Freedberg (1950) blieb für lange Zeit der wichtigste Referenzpunkt der wiss. Beschäftigung mit dem Künstler aus Parma, dessen zeichnerisches Werk von A.E. Popham 1971, später durch Konrad Oberhuber und 2007 durch den Kat. der Zchngn von A.Gnann systematisch erschlossen wurde. Auch P.s zunächst vernachlässigte druckgrafische Produktion ist mittlerweile näher untersucht worden. Seit 2003, dem 500-jährigen Jubiläum von P.s Geburt, sind zahlr. Publ. zu versch. Aspekten seines Œuvres erschienen, etwa D.Ekserdjians einschlägige Werk-Monogr. (2006). Während b. der Auseinandersetzung mit P.s Werk um die M. des 20.Jh. dessen von Vasari beschworene vermeintliche Auseinandersetzung mit Alchemie wiederholt im Zentrum des Interesses stand und Anlass zu esoterischen Deutungen bot, gerieten bes. durch die Arbeiten E.Croppers und M.Vaccaros Fragen nach dem geistesgeschichtlichen Umfeld des Künstlers ins Blickfeld, etwa seine Verbindung zum zeitgen. intellektuellen Diskurs (Kunsttheorie und Petrarkismus). In der jüngeren P.-Forsch. stehen neben Netzwerk-Forsch. und Rezeption, Genderaspekte sowie Künstlermythen und -narrativik im Fokus.

WERKE

Bardi, S.Maria Addolorata. Berlin, GG. - Kpst.-Kab. Bologna, Basilika S.Petronio. - PN. Chatsworth House/Derbys., Devonshire Coll. Detroit, Inst. of Arts. Florenz, Uffizien. Fontanellato, Rocca Sanvitale. Fort Worth/Tex., Kimbell AM. Frankfurt am Main, Städel. Genf, MAH, Cab. des Estampes. Hampton Court Palace, R. Coll. Hannover, Niedersächsisches LM. Kopenhagen, Staatliche KM. London Courtauld Inst. of AG. - NG. - V&A. Madrid, Prado. New York, Morgan Libr. & Mus. Paris, Coll. de l'ENSBA. Parma, Dom. - GN. - S.Maria della Steccata. Rom, Gall. Doria-Pamphilj. Wien, Albertina. - KHM. York, AG.

QUELLEN

Thieme-Becker, Vollmer und AKL:

ThB24, 1930

 

Weitere Lexika:

DEB VII, 1975; Bauer, GEM VI, 1978; PittItalCinquec II, 1987; DA XXIV, 1996

 

Gedruckte Nachweise:

Quellen-Ed.: Vasari, ed. G. Milanesi V, 1880; Vasari, ed. R.Bettarini/P.Barocchi IV, 1976, 217-239; G.Vasari, Das Leben des P., ed. M.Burioni, B. 2004. - Monogr.: I.Affò, Vita del graziosissimo pittore F.Mazzola detto il P., Parma 1784; A.E. Mortara, Della vita e dei lavori di F.Mazzolo detto il P., Casalmaggiore 1846; E.Faelli, Bibliogr. Mazzoliana, Parma 1884; L.Fröhlich-Bum, P. und der Manierismus, W. 1921; A.O. Quintavalle, Il P., Mi. 1948; S.Freedberg, P. His Works in Paint., C., Mass. 1950; A.E. Popham, ArtQu 20:1957, 257-286; P. und sein Kr. (K Albertina), W. 1963; M.Fagiolo Dell’Arco, Il P. Un saggio sull’ermetismo nel Cinquecento, R. 1970; A.E. Popham, Cat. of the Drawings of P., 2 Bde, New Haven u.a. 1971; E.Cropper, ArtB 58:1976, 374-394; C.Mutti, Pitt. e alchimia, Parma 1978; A.Ghidiglia Quintavalle (Ed.), P. Disegni, Fi. 1980; L.Freedman, Aurea Parma 70:1986, 3-19; P. Paint., Drawings, Prints (K Courtauld Inst. of AG), Lo. 1987; M.Di Giampaolo, P. Cat. completo dei dipinti, Fi. 1991; C.Gould, P., N.Y. u.a. 1995; D.Ekserdjian, Apollo 150:1999(450)3-41; S.Béguin u.a., P. The Drawings, T. 2000; Correggio and P. Master Draughtsmen of the Renaiss. (K BM), Lo. 2000; M.C. Chiusa, P., Mi. 2001; M.Vaccaro, Word&Image 17:2001, 243-258; P. e la pratica dell’alchimia (K Cremona), Cinisello Balsamo 2002; L.Fornari Schianchi, P. e il manierismo europeo. Atti del convegno internaz. di studi, Cinisello Balsamo 2002; M.Mussini u.a. (Ed.), P. tradotto, Cinisello Balsamo 2002; M.Thimann, Lügenhafte Bilder, Göttingen 2002; M.Vaccaro, P. I dipinti, T. u.a. 2002; D.Franklin/D.Ekserdjian, The Art of P., New Haven u.a. 2003; E.Mistrali (Ed.), P. incisore, Parma 2003; P. und der europ. Manierismus (K Wander-Ausst.), Cinisello Balsamo 2003; V.Sgarbi, P., Mi. 2003; P. e la scuola di Parma, Viadana 2004; M.Thimann, J. für Kunstgesch. 8:2004(3)228-236; A.Ghidiglia Quintavalle, P., Mi. 2004; D.Ekserdjian, P., New Haven u.a. 2006; A.Nova (Ed.), P. Zitat, Portr., Mythos, Pe. 2006; M.Winner, RömJB 36:2005(2006)93-116; A.Gnann, P. Die Zchngn, Petersberg 2007; P. Die Madonna in der AP (K München), Ostfildern 2007; P. und sein Kr. Druckgraphik aus der Slg. Baselitz (K Wander-Ausst.), Ostfildern 2007; P.L. Rubin, Portr. by the artist as a young man, Groningen 2007; V.Sgarbi (Ed.), Correggio, P., Anselmi nella chiesa di S.Giovanni Evangelista a Parma, Mi. 2008; The Alchemy of Beauty (K SzM), Bp. 2009; Parmesan. Dessins et gravures en clair-obscur (K Wander-Ausst.), P. 2011; A.Plackinger, in: E.Priedl/D.Guth, Bilder der Liebe, Bielefeld 2012; M.Faietti, Artibus et historiae 34:2013(68)257-275; E.J. Olszewski, P.s Madonna of the long neck, Ph. 2014; D.Cordellier, P. Dessins du Louvre, P. 2015; Raffaello, P., Barocci (K Mus. Capitolini), R. 2015; Correggio e P. (K Rom), Cinisello Balsamo 2016

 


THIEME-BECKER

Artikel von: L. Fröhlich-Bum.

Mazzola (Mazzuoli), Francesco (Girolamo Fr. Maria), gen. Parmigianino, Maler u. Radierer, *11. 1. 1503 Parma, †24. 8. 1540 Casal Maggiore, Sohn des Filippo M. Familie in Parma seit 1305 nachzuweisen, wohin sie aus Pontre moli eingewandert war; der Name der Familie war Mazzola u. nicht Mazzuoli, wie Vasari schrieb, der wahrscheinlich aus der latein. Form "Mazolis" eine dem florentin. Dialekt anklingende Form bildete. Verlebte seine Jugend in Parma; nach dem Tode seines Vaters wurde seine Erziehung seinen Onkeln, Pier Ilario u. Michele Mazzola anvertraut, die, laut Vasari, mittelmäßige Maler, aber gute Lehrer waren. P. scheint eine Art Wunderkind gewesen zu sein, denn er malte eine Taufe Christi nach eigener Erfindung (von H. Voss mit einem Bilde aus dem Vorrat des Berliner K. Fr.-Mus., jetzt in der Kirche zu Rederitz, identifiziert), deren Entstehung zwischen sein 14. u. sein 17. Lebensjahr fallen muß. Correggio, der, wie jetzt allgemein angenommen wird, 1518 nach Parma kam, hat P. sicher stark beeinflußt, doch liegt keine beglaubigte Nachricht vor, die ein Schüler- oder Gehilfenverhältnis bewiese. Wegen der herrschenden Kriegszustände wurde P. 1520 nach Viadana im Herzogtum Mailand geschickt, wo er bis 1522 blieb. Dort entstanden 2 Gemälde, der hl. Franziskus mit der hl. Klara (verschollen) und eine Vermählung der hl. Katharina (vielleicht das Frühwerk P.s in der Gal. zu Parma Nr 192). Nach seiner Rückkehr nach Parma malte er al fresco in den beiden ersten Kapellen links in S. Giov. Evangel. je 2 Heiligendarstell., das Martyrium der hl. Agathe, die hll. Lucia und Barbara (hierzu eine Zeichnung im Berl. Kupferstichkab.), 2 lesende hl. Jünglinge u. den hl. Georg neben dem sich aufbäumenden Pferd. P. hatte sich am 21. 11. 1522 für die Ausführung von Fresken im Dom verpflichtet, ist aber dieser Abmachung nie nachgekommen, offenbar weil er nach Rom gehen wollte. Vasari berichtet 'von 3 Bildern, die er gemalt, um sie nach Rom mitzunehmen. Nur eines davon ist erhalten, das kleine, kreisrunde Selbstporträt im Kunsthistor. Mus. Wien Nr 58, das dadurch ein Unikum u. Kuriosum ist, daß P. sich nach seinem Bilde im Konvexspiegel auf einem hölzernen Kugelsegment porträtierte. In Rom verblieb P. von 1523 bis zum Sacco di Roma (1527). Es entstanden dort die Vision des hl. Hieronymus (London, Nat. Gal!), zu der zahlreiche vorbereitende Zeichnungen erhalten sind, und vermutlich die hl. Familie mit der hl. Magdalena (Uffizien Nr 1006). In die Zeit seines röm. Aufenthaltes fallen auch eine Anzahl von meisterhaften Porträts. darunter das der Tradition nach die Kurtisane Antea darstellende (Pinak. Neapel), das 1523 dat. des Lorenzo Cibó (Kopenhagen) und das 1524 dat. Bildnis des Gian Galeazzo Sanvitale (Neapel). Die übrigen Gemälde dieser Epoche zeigen einen starken Einfluß Raffaels, der aber schon durch P.s eigene Formanschauung überwunden zu werden beginnt. 1527/31 hielt sich P. in Bologna auf. Dort malte er den Altar des hl. Rochus mit Stifterportrat für die Kapelle Gamba in S. Petronio (noch an Ort u. Stelle), die "Madonna della Rosa" (Dresdner Gal.), das Altarbild: Madonna der hl. Margherita, das 1529 in der Kirche S. Margherita in Bologna aufgestellt wurde (jetzt Pinak. Bologna), und, als Karl V. 1530 nach Bologna zur Krönung durch Clemens VII. kam, ohne Auftrag ein Bildnis des Kaisers, den Fama krönt, u. dem der Herkulesknabe die Weltkugel darreicht. Das Bild wurde dem Kaiser auf Empfehlung des Papstes vorgelegt, doch kam es nicht zur Erwerbung. Es gelangte dann in den Besitz Ipolito Medicis u. des Kardinals Ercole von Mantua. Das heute in der Samml. Sir Herbert Cook in Richmond bewahrte Bild ist eine Kopie (wohl florentinisch u. noch aus d. 16. Jahrh.). Eine kleine Kopie nach einer Grablegung in der Ermitage in Leningrad (Nr 86) läßt darauf schließen, daß das verlorene Original in dieser Epoche entstand, ebenso wie die hl. Familie in Landschaft der Pinak. Neapel (Nr 197) und die hl. Familie des Prado Madrid. In Bologna war P. bereits ein berühmter Künstler, dessen Zeichnungen kopiert und im Stich wiedergegeben wurden. So hat Ant. Fantuzzi, als er aus Bologna floh, viele Zeichnungen P.s mitgenommen, die Ant. Maria Zanetti (1680/1757) für diejenigen im Besitz des Lords Arundel in London hielt und in Clair-ObscurTechnik reproduzierte. Auch Ugo da Carpi, Bonasone u. viele Stecher des 17. u. 18. Jahrh. vervielfältigten P.s Zeichnungen. Er gilt in der älteren ital. Lit. als Erfinder der Radierung, was nicht richtig ist, doch war er von größter Bedeutung und starkem Einfluß durch Pflege dieser Technik. Verf. kennt nur 6 Originalrad. P.s (Bartsch [XVI 3/15], beschreibt 15 Nummern); keine davon ist signiert oder monogrammiert. Seine Initialen F. P. tragen einige Blätter, die nach ihm oder unter seinem Einfluß entstanden sind und wohl von Girol. Mazzola-Bedoli herrühren. Auch Schiavone u. Ant. Fantuzzi haben Radierungen P.s kopiert und Zeichnungen von ihm graphisch wiedergegeben. P. scheint seit dieser Zeit mehr gezeichnet zu haben, da seine Skizzen nicht mehr nur Vorarbeiten für Gemälde waren, und Zeichnungen angefertigt zu haben, die für die Wiedergabe im Stich bestimmt waren. - 1531/40 lebte P. wieder in Parma. In dieser Epoche entstanden seine bedeutendsten Werke, die seinen Stil zur Vollendung führen. 10. 5. 1531 verpflichtete er sich, in der neuerbauten Kirche der Madonna della Steccata Fresken zu malen ("la volta e il catino della cappella maggiore") u. zwar innerhalb von 18 Monaten, doch malte er in dieser Zeit nicht daran, sondern legte nur eine Zeichnung (Pinak. Parma), den Entwurf für das Deckengemälde des Chorraums, vor. Hingegen malte er einen Raum der Rocca di Fontanellato - eines Sitzes der Familie Sanvitale bei Parma - mit Fresken aus, die die Sage von Diana u. Aktäon dar stellen. Zwischen den Geschichtsszenen und der dekorativ ausgemalten Decke sind Putten vor Gitterwerk dargestellt. Correggios Anordnung seines Freskos in der Camera di San Paolo diente einigermaßen als Vorbild. Eine Studie (Zeichnung) zu zweien dieser Putten in der Samml. Morgan. Die Sanvitale sollen auch das kleine Bild der hl. Katharina (Wien, Kunsthist. Mus. Nr 57) besessen haben. Vermutlich entstand damals auch das weibl. Bildnis im Pal. Santivale. Für den Cavaliere Bajardi, der in den mit der Brüderschaft der Steccata über P.s Vernachlässigung ihres Auftrages gepflogenen Verhandlungen P. als Bürge beistand. malte er den Bogenschnitzenden Amor im Wiener Kunsthist. Mus. (Nr 62); für Elena Bajardo sein berühmtes Hauptwerk, die Madonna del Collo Lungo (Gall. Pitti Nr 230), die übrigens erst nach P.s Tode, 1542, und in nicht ganz vollendetem Zustand an ihren Bestimmungsort, die Kapelle der Tagliaferri bei den Serviten, gelangte. Zahlreiche Zeichnungen (zumeist im Louvre und im Brit. Mus.) lassen uns die Entstehung der Komposition verfolgen. Die letzten 9 Jahre seines Lebens hat P. mit dem Auftrag in der Steccata verbracht, von dem er nur einen kleinen Teil ausführte, in ständigen Schwierigkeiten mit der Brüderschaft wegen Nichteinhaltung seiner Kontrakte u. doch nicht willens, auf den Auftrag zu verzichten. Von den 8 Wandstreifen der ausgeführten Dekoration ist nur einer von P., der an der linken Wand vor der Hauptkapelle, mit den 3 klugen Jungfrauen zwischen Moses u. Adam. Eine Fülle von Zeichnungen (Louvre, London, Uffizien, Parma u. a. O.) bezeugt, wie ernst es P. mit der Ausführung dieses Auftrages war, von dem er schließlich doch nur ein Achtel erfüllte. Die übrige Dekoration wurde später an andere Künstler vergeben, unter der Bedingung, sich an die Dekoration des verstorbenen P. zu halten. Seine letzte Flucht vor dem Drängen der Brüderschaft der Steccata führte P. nach Casal Maggiore, wo er für die Kirche S. Stefano eine Tafel: Die Madonna erscheint dem hl. Stefanus u. Joh. d. T., malte (Dresdner Gal. Nr 160). P.s Bedeutung als Porträtist war nie bestritten. Er hat - vermutlich als erster - stehende Porträtfig. in Kniestück gemalt. Seine Bildnisse wirken in ihrer festgefügten Form statuarisch; das oft reiche Beiwerk drängt sich trotz liebevollster Detailausführung nicht vor und ist in Maßstab u. Perspektive vielfach inkongruent mit dem Figuralen. Der Dargestellte beherrscht selbstherrlich den Raum, der oft zu einem irrealen Akzessorium herabsinkt, was den harmonischen Einklang von Ausdruck, Körperformen und Kolorit in der Wiedergabe der Persönlichkeit um so stärker betont. Selbst P.s heftigster Gegner, Burckhardt, sieht in ihm einen der größten Porträtisten der ital. Renaissance. - Die Kompositionen P.s sind stets von ruhiger Abgewogenheit und Ausgeglichenheit. Auch hier beherrschen die Figuren Raum oder Landschaft und alles Akzessorische. Seine Gestalten folgen einem völlig neuen, von ihm geschaffenen Kanon, der im Gegensatz zu der fülligen Körperlichkeit des Schönheitsideales der Renaissance und des frühen Barock schlanke, oft überlang proportionierte Gestalten zeigt. Diese Schlankheit gibt seinen Figuren sowohl in ihrer Einzelhaltung wie in ihrer kompositionellen Verschlingung u. Durchdringung unendliche Grazie u. Vornehmheit. - Als Graphiker bediente sich P. der damals noch wenig geübten Radiertechnik u. beeinflußte dadurch die gleichzeitige Stechergeneration. Eine Fülle von Zeichnungen seiner Hand hat sich erhalten, die in lockerer, eleganter Strichführung das Entstehen seiner Kompositionen zeigen, u. die für seinen individuellen Stil ebenso charakteristisch sind wie seine Gemälde. Ihre Bedeutung als selbständige Kunstwerke wurde früh erkannt; die Zeichnungen sind massenhaft kopiert und in den verschiedensten Techniken vervielfältigt worden. - Die Bedeutung P.s sieht die Verf. in der Schaffung seines individuellen Stiles, der im Gegensatz zu den Tendenzen seiner Zeit ein Stil der ruhigen und ausgeglichenen Schönheit ist und sich damit in Gegensatz stellt zu den Zielen des Barock, stets neue Bewegungsmotive zu erfinden und eine Einheit aus Darstellung u. umgebendem Raum zu schaffen. Verzeichnis der Gemälde nach Standorten. Bologna, Pinak. Nr 116: Madonna der hl. Margaritha; S. Petronio: Der hl. Rochus mit Stifterporträt. - Dresden, Gemäldegal. Nr 162: Männl. Porträt; Nr 161: Madonna della Rosa; Nr 160: Die Madonna erscheint Joh. dem T. u. dem hl. Stephanus. - Florenz, Uffizien Nr 1006: Hl. Familie; Nr 825: Selbstbildnis; Nr782: Damenporträt, fälschlich "Türkische Sklavin" genannt; Nr 1347: Männliches Porträt; Gall. Pitti Nr 230: Madonna del Collo Lungo. - Fontanallato, Rocca di: Fresko, Diana u. Aktäon; Porträt einer jungen Frau. - Glasgow, Gall. of Art Nr 637; Mad. m. Kind. - Hampton Court, Nr 234: Porträt der Isabella d'Este. - Kopenhagen, Gemäldegal. Nr 25: Porträt des Lorenzo Cibó. - Leningrad, Ermitage: Hl. Familie. - London, Nat. Gall. Nr 33: Vision des hl. Hieronymus. - Lovere, Gall. Tadini: Bildnis eines Kavaliers. - Madrid, Prado Nr 279: Männl. Porträt; Nr 280: Porträt einer Mutter mit 3 Söhnen; Nr 282: Hl. Barbara; Nr 283: Heil. Familie. - Neapel, Pinak. Nr 196: Madonna mit Kind; Nr202: Hl. Klara; Nr207: Lucrezia; Nr 190: Porträt der Antea; Nr 191: Porträt des Giov. Batt. Castaldi; Nr 192: Porträt des Gian Galeazzo Sanvitale; Nr 193: Porträt des Gerolamo de Vincenti; Nr 194: Männl. Bildnis; Nr 195: Porträt des Giov. Bernardo daCastelbolognese; Nr197: Heil. Familie in Landschaft; Schloß: Bildnis eines Herrn. - Paris, Louvre: Nr 1506: Jugendl. Selbstporträt; Sig A. C. de Frey: Kinderstudie. - Parma, Pinak. Nr 192: Vermählung der hl. Katharina; Nr 313: Porträt eines Gelehrten; S. Giovanni Evang.: Fresken; Mad. della Steccata: Fresko. - Philadelphia, Pennsylv. Mus.: Porträt einer vornehmen Dame. - Richmond, Samml. Sir Herbert Cook: Porträt eines jungen Mannes (Fragment). - Rom, Gall. Borghese: Brustbild eines Mannes; Porträt eines Jünglings; Gall. Corsini: Porträt eines jungen Mannes; Gall. Spada: Freskenfragment. - Wien, Kunsthist. Mus. Nr 58: Selbstporträt im Konvexspiegel; Nr 66: Porträt eines lesenden Mannes; Nr 65: Portrat einer Dame; Nr 67: Porträt, angeblich des Malatesta Baglione; Nr 57: Hl. Katharina; Nr 62: Bogenschnitzender Amor; Smig Stefan von Auspitz: Bildnis einer Dame; SmIg A. Veitschberger: Heil. Familie. - Windsor, Schloß: Portrat eines Jünglings. - Im Kunsthandel aufgetauchte Bilder: Berlin 1928 (Dr. Benedikt): Brustbild einer Dame in weißem Kleid. 1930 (Dr. Benedikt): Halbfig. einer Dame (mit den Buchstaben MMVA). München 1925 (A. S. Drey): Portrat eines schreibenden Mannes. Radierungen: Judith (Bartsch 1), Verkündigung (B. 2), Anbetung der Hirten (B. 3), Grablegung (B. 5), Apostel Jakobus Major (B. 8), Apostel Philippus (B. 9). - Zahlreiche Zeichnungen, untermischt mit Nachzeichnungen nach Werken Parmigianino's, in fast allen Zeichnungssammlungen, besonders im Louvre, Brit. Mus., in den Uffizien u. der Albertina. Lit.: Die wichtigsten Nachrichten über P. bringen Vasari, Vite etc., Ediz. Milanesi, V 217/38 (Erwähnungen auch V 422 u. VI 485) u. P. Ireneo Affö, Vita del graziosissimo pittore Franc. M. detto il Parmigianino, Parma 1784. - Die altere Lit. bis 1884 mit kurzen Inhaltsauszügen zusammengestellt bei Emilio Faelli, Bibliografia Mazzoliana, Parma 1884. - Wichtigste neuere Lit.: N. Pelicelli, L'Arte nella chiesa della Steccata, Parma 1901. - C. Ricci, Di alcune quadri del P. gil esistenti in Parma, 1896; ders., La Madonna del Collo lungo di P., Parma 1895 (S.-A. aus Arch. stor. per le prov. parm. IV); vgl. Riv. d'arte, 1904 p. 19. - Waagen, Treasures of Art in Great Britain, 1854; vgl. A. Graves, Summary of and Index to Waagen, Lo. 1912. E. Galichon, Les Dessins du Parmesjsn, in Gaz. d. B.-Arts, 1872 I 344/48. - B. Berenson, The North Italian Painters of the Renaiss., 1907, p. 278 ff. (Verz. d. Werke). - Hadeln in Jahrb. d. preuß. Kstsamml., 35 (1914) 54 f. - H. Voss, Die Malerei der Spätrenaiss. in Rom u. Florenz, Berl. 1920. - L. Fröhlich-Bum, P. u. der Manierismus, Wien 1921. Mit Abbild. fast aller Gemälde P.s, seiner Rad. u. von ca 70 Zeichnungen. Vgl. Besprechungen: Hadeln in Kstchronik 1921, p. 745ff.; Biermann in Der Cicerone, XIII (1921) 564; Grete Ring in Die Bild. Künste, IV (1921) 108/12; Borenius in The Burlington Mag., 39 (1921) 149; Weisbach in Deutsche Literaturzeitg, 1922, Juli; Baldaß in Die Graph. Künste, 1921, Mitteil., p. 63 ff.; H. Voss in Kstchronik, N. F.34 (1922/23) 635ff. - L. Fröhlich-Bum in Die Graph. Künste, 1915, Mitteil. usw. Nr 1. - L. Frati in Rass. d. Arte, VIII (XXI), 1921, p. 209. - M. Tintiin Dedalo, IV (1923/24) 208 u. 304. - Lazareff in L'Arte, XXVII (1924) 169 ff. - C. Gambain Boll. d'Arte, 1925, p. 216. - G. Copertiniin Cronached'Arte, II (1925) 64ff. - L. Fröhlich-Bum in The Burl. Mag., 46 (1925) 87 ff. u. 56 (1930) 273 f. - O. Sirén ebda, 50 (1927) 3ff. - L. Fröhlich-Bumin Jahrb. der ksthist. Samml. in Wien, N. F. II (1928) 173/77. - M. Pittaluga in L'Arte, 30 (1927) 263/66; dies. in Dedalo, 1928, p. 30 ff. - A. Venturi, Storia dell' Arte ital., IX/2 (1928) p. 623/91, mit Lit.-Verz. p. 738. - N. Pevsner u. O. Grautoff, Barockmal. i. d. rom. Ländern (Handb. d. Kstwiss.), Potsdam o. J. [1928]. - M. Pittaluga, Incisione ital. del Cinquecento, Mailand 1930. - H. Voss, Zeichnungen der ital. Spätrenaiss., Münch. 1930.