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Gentileschi, Artemisia

Geboren
Rom, 8. Juli 1593
Gestorben
Neapel?, (nach) 1654.01.31
Land
Italien
Geschlecht
weiblich
GND-ID
Weitere Namen
Gentileschi, Artemisia; Lomi, Artemisia Gentileschi; Gentileschi Lomi, Artemisia; Lomi, Artemisia; Artemisia
Berufe
Maler*in
Wirkungsorte
Florenz, Venedig, Rom, Neapel, London
Zur Karte
Von
Partsch, Susanna
Zuletzt geändert
20.11.2024
Veröffentlicht in
AKL LI, 2006, 402; ThB XIII, 1920, 408 s

VITAZEILE

Gentileschi (Lomi), Artemisia, ital. Malerin, *8.7.1593 Rom, †nach 31.1.1654 Neapel(?). Tochter und Schülerin von Orazio G., Schwester von Francesco, Giulio und Marco G.; Mutter von Prudenzia G. (*1.8.1617 Florenz) und evtl. der wohl sehr viel später geb. Palmira G. (die aber auch mit Prudenzia ident. sein könnte).

LEBEN UND WIRKEN

1608/09 offizieller Beginn der Lehrzeit. Vermutl. hatte sie jedoch bereits früher, um 1604/05, Malunterricht; ihr erstes erh. und sign. Gem. (Susanna und die beiden Alten, Pommersfelden, Slg Graf von Schönborn) stammt von 1610. Im Mai 1611 gewaltsame Entjungferung (stupro) durch den Maler Agostino Tassi, der im Prozess von 1612 behauptet, ihr Lehrer im perspektivischen Zeichnen gewesen zu sein. 29.11.1612 Heirat mit dem Florentiner Maler Pierantonio Stiattesi (auch Schiattesi; *1584; keine Werke bek. oder dok.). Anschl. Umzug nach Florenz (in einem Dok. vom 10.12.1612 überträgt Stiattesi seinem Bruder Giovanni Battista die Vollmacht für alle röm. Geldangelegenheiten). G. nimmt in Florenz den urspr. Namen ihres Vaters (Lomi) an, wahrsch. weil dieser durch ihren Onkel Aurelio Lomi bekannter als Gentileschi war (bei ihrem zweiten Rom-Aufenthalt und in Neapel nennt sie sich wieder Gentileschi). 20.9.1613 Geburt des ersten Sohnes, Taufpate ist Lorenzo Cavalcanti aus einem Adelsgeschlecht. Die Taufpaten der weiteren Kinder, von denen nur Prudenzia überlebt, zeigen, dass G. mit den bek. Florentiner Malern und Dichtern Kontakt hatte. So ist Cristoforo (Cristofano) Allori Taufpate des am 8.11.1615 geb. Sohnes Cristofano, Anea di Silvio Piccolomini Aragona Pate von Prudenzia, die Frau des Dramaturgen Jacopo Cigognini und der Dichter Jacopo di Bernardo Soldani sind Paten der Tochter Lisabella (†1619). G. kennt auch Galileo Galilei, wie ein Brief von 1635 aus Neapel an den Wissenschaftler belegt, und wird von Michelangelo Buonarroti d.J. protegiert, der sie bereits 1615 beauftragt, eine Allegorie der Begabung in der Casa Buonarroti (heute Mus.) zu malen (1616 voll.; in den 1670er Jahren wurde im Auftrag von Lionardo Buonarroti die Blöße der Figur von Volterrano [Baldassare Franceschini] übermalt). Zahlungsforderungen an die Accad. del Disegno belegen, dass G. bereits 1613 Malmaterialien gekauft, aber nicht bezahlt hatte (Mahnungen wegen ausstehender Rechnungen begleiten sie ihr Leben lang). 1616 wird G. als erste Frau Mitgl. der Accad. del Disegno. 1618 Bezahlung von Bildern durch den Großherzog Cosimo de' Medici. Unklar bleibt, ob die Gem. bereits geliefert sind oder ob es sich um Vorauszahlungen handelt. Als G. 1619 von der Accad. del Disegno verurteilt wird, Schulden ihres Mannes zu bezahlen, wendet sie sich an den Großherzog mit der Bitte um Unterstützung, da ihr Mann bereits ihre Mitgift durchgebracht habe. 1620 bittet G. in einem Brief Cosimo de' Medici, nach Rom fahren zu dürfen und verspricht, das Gem. des Herkules (nicht erh. oder nicht voll.) innerhalb der nächsten zwei Monate zu vollenden und zu schicken. Offensichtlich kehrt sie nach Florenz zurück, verkauft ihren Haushalt an den Freund Francesco Maringhi (Inv.-Liste vom 10.2.1621 im Priv.-Arch. der Fam. Frescobaldi) und lebt ab März mit ihrer Fam. in der Via del Corso in Rom; ab 1623 ohne Mann, von dem sie sich offenbar nach einer Schlägerei mit einem span. Musikanten 1622 getrennt hatte (1629 bezeichnet sie sich in Venedig noch als Ehefrau von Stiattesi; v. Lapierre, in: Mann, 2005; 1637 erkundigt sie sich in einem Brief aus Neapel an Cassiano dal Pozzo, Wissenschaftler und Sekretär des Kardinals Francesco Barberini, ob Stiattesi noch lebe, hat also keinen Kontakt mehr zu ihm). In den nächsten Jahren entstehen Gem. für versch. Auftraggeber; einer ihrer Kunden ist der span. Botschafter in Rom, Herzog von Alcalá, der 1625 drei Gem. kauft, darunter die Büßende Maria Magdalena (die Version in der Kathedrale von Sevilla ist lt. Mitt. von J.W. Mann, 2006, vermutlich eine Kopie des verlorenen Orig.). Bereits 1622 malt Simon Vouet ein Porträt von G. (Bergamo, Priv.-Slg; dort 2001 entdeckt). Damals lernt sie wahrsch. auch Jérôme David kennen, der ihr Bildnis nach einem verlorenen Selbstporträt sticht (dort wird sie als Mitgl. der Accad. dei Desiosi bez.), ferner Pierre Dumonstier d.J., der 1625 ihre Hand zeichnet (London, BM). Um 1625 wird auch die Bronzemedaille (Autor unbek.) dat., die ihr Gesicht im Profil zeigt mit der Umschrift Arthemisia Gentilesca Pictrix Celebris (ein Exemplar Berlin, Münz-Kab., ein weiteres mit Spuren einer Vergoldung in New Jersey, Slg Stephen Scher). 1627 entsteht J.Davids Rad. Porträt des Ing. Antoine de Ville (nach einem verlorenen Gem. von G.), die als Frontispiz für das Buch über die Festungsbauten von Antoine de Ville diente (1628 in Lyon publ.). 1627 fährt G. nach Venedig, wie durch die von Lapierre (1998) gefundenen Briefe von Antonio Colluraffi, einem venez. Erzieher adliger Kinder und weitere Dok. (Costa, 2000) belegt ist, und malt dort für Philipp IV. von Spanien Herakles und Omphale (nicht erh.; ein immer wieder vermuteter Genua-Aufenthalt gemeinsam mit Orazio G. wurde inzwischen durch einen Brief widerlegt, den sie am 15.1.1624 nach Genua schreibt; ob Orazio G.s Lukrezia, heute Mailand, Gerolamo Etro, aus Venedig mitnimmt und verkauft - vgl. M.Cataldi Gallo, 2003 - oder ob G. das Gem. nach Genua schickt, muss offen bleiben). 1630 belegen mehrere Briefe an Cassiano dal Pozzo G.s Aufenthalt in Neapel und den Auftrag für ein Selbstporträt; hier entsteht auch eines ihrer Hw., die Verkündigung, 1630 sign. (Neapel, MN di Capodimonte) und damit ihr erstes Altarbild. 1631 besucht Joachim von Sandrart auf Empfehlung von Orazio G. die Malerin in ihrem Neapolitaner Atelier und sieht dort das Bild David mit dem Haupt Goliaths, bei dem es sich viell. um dasjenige handelt, das sich ab 1638 in der Slg Giustiniani in Rom befand und dort von Sandrart beschrieben wurde (heute verschollen). Außerdem hat Sandrart die Malerin wohl gezeichnet, denn im Cod.icon. 366 der Münchner Staats-Bibl. befindet sich die Zchng von seiner Hand als Vorlage für den in der "Academie ..." von 1675 publ. Stich (die Zchng wurde bislang in der G.-Forsch. nicht beachtet). 1634 kommt der adelige Engländer Bullen Reymes auf seiner Grand Tour ebenfalls auf Empfehlung von Orazio G. zu dessen Tochter nach Neapel. In diesem Jahr erhält sie wohl auch den Auftrag, eines von sechs Gem. mit der Geschichte des Joh.Bapt. für den König von Spanien zu malen (Geburt des Joh.Bapt.; heute Madrid, Prado; vier weitere ausgef. von Massimo Stanzione, dasjenige von Paolo Domenico Finoglia nicht erh.). 1635 bringt G.s Bruder Francesco G., den sie brieflich auch als ihren Kunstagenten bezeichnet, Bilder von ihr nach Rom zu Kardinal Antonio Barberini und nach Modena zu Francesco d'Este, bei dem sie sich ebenso um eine Stelle als Hofmalerin bewirbt wie - vermittelt durch einen Brief an Galileo Galilei - bei Ferdinando II. de' Medici. Weitere Briefe an Cassiano dal Pozzo und an Andrea Cioli belegen ihren dringlichen Wunsch, nach Rom oder Florenz zurückzukehren, obwohl sie mit dem Gemäldezyklus für den Dom von Pozzuoli um 1636/37 ihren größten Auftrag erhält (mit ihr arbeiten dort u.a. Agostino Beltrano, P.D. Finoglia, Cesare Fracanzano, Giovanni Lanfranco, M.Stanzione). G. reist spätestens 1639 nach London; ob sie dort Orazio G. noch lebend antrifft und ob sie ihm bei der Voll. der Deckenmalereien in Queen's House hilft, ist ebenso wenig bek. wie der Zeitpunkt ihrer Rückkehr nach Neapel, wo sie erst 1648 wieder sicher dok. ist. In den nächsten Jahren sind durch einen ausführlichen Briefwechsel v.a. die Arbeiten für Antonio Ruffo in Messina (der auch bei Rembrandt Gem. kaufte) belegt, so eine Galatea und eine Diana (beide wohl nicht erh.). In diesen Briefen fordert G. immer wieder Geld, klagt über zu geringe Bezahlungen für die Bilder, für die sie viele Modelle benötigt. In einem letzten Brief (1.1.1651) verspricht sie Ruffo eine kleine Madonna auf Kupfer und schreibt, sie sei krank. Am 3.1.1653 wird sie von einem Antonio Galise für das Gem. Susanna und die beiden Alten bezahlt (möglicherweise handelt es sich um das 1652 dat. Bild, das im Bes. von Averardo de' Medici war). Einen Teil des Geldes erhält Onofrio Palumbo für seine Mitarb.; dieser, der schon lange als Gehilfe von G. bez. wird (ThB26, 1932), soll drei weitere (leider nicht näher bez.) Gem. von G. vollenden, wofür beide am 31.1.1654 bezahlt werden (Neapel, Banco dello Spirito Santo, giornale mastro 402: "Partita di 10 ducati del 31 gennaio 1654. A Fabio Gentile D. 10. E per lui a Onofrio Palumbo a compimento di D 39 per tre quadri che li haverà da pingere gionto con Artemisia Gentileschi della qualità e bontà conforme all'obligazione fattali dalla sodetta Artemisia per lo Banco del Monte della Pietà. E detti quadri detto Onofrio ce li ha da fenire e consegnare fra il termine di uno mese e mezzo dalli 30 del presente"). 1653 erscheinen in dem Buch "Cimiterio, epitafi, giocosi" von Giovanfrancesco Loredan und Pietro Michiele zwei Spott-Epitaphien auf G.; bislang wurde immer angenommen, dass diese Epitaphien auf G.s Tod hinweisen (obwohl diese auch "Pasquinaden" gen. Spott-Epitaphien meist auf Lebende gedichtet wurden, wie P.Burke, Städt. Kultur in Italien ..., Ffm. 1996, belegt). Aus dem Dok. vom 31.1.1654 geht jedoch hervor, dass G. wohl noch lebt, allerdings auch, daß Palumbo eine wichtige Rolle in G.s Wkst. spielte und offensichtlich perfekt in ihrem Stil malen konnte. Immer sicherer scheint, dass G. in Neapel eine große Wkst. führte, in der nicht nur Palumbo, sondern auch and. Maler beschäftigt waren und in der häufig dieselben Themen (v.a. Susanna und Bathseba) gemalt wurden (Mitt. J.W. Mann v. 30.1. und 15.4.2006), von denen sich noch mehrere in Privatsammlungen und auf dem Kunstmarkt befinden. Die Dok. von 1653/54 aus dem Arch. Storico del Banco di Napoli sind gemeinsam mit and. von Nappi (in: Mann, 2005) publ. worden, die weitere Gem. von G. z.B. für das Kaiserhaus in Wien erwähnen, die noch nicht identifiziert werden konnten. And. erst 2005 entdeckte Gem. sind Achilleus im Haus des Lycomedes (2005 bei Porro und Co. in Mailand verkauft) und Medea tötet ihren Sohn, "A.G.Romana" sign. (Priv.-Slg), das wahrsch. kurz nach ihrem zweiten Romaufenthalt entstand (Mitt. J.W. Mann, 2006). Sie gehören zu den Gem. mit antiken Themen wie die hervorragende Aurora (Rom, Priv.-Slg), die um 1625 dat. wird oder die Minerva (Florenz, Soprintendenza alle Gall.; um 1635). - G. war zu ihrer Zeit eine bek. und begehrte Malerin; später geriet sie in Vergessenheit. Im Unterschied etwa zu Lavinia Fontana nicht wohlhabend, musste sie ihren Unterhalt mit der Malerei verdienen, zumal sie mit einem erfolglosen Maler verheiratet war, von dem sie wohl ab 1622 getrennt lebte. In zeitgen. Dok. wird sie häufig als Porträtistin bez.; allerdings sind kaum Porträts bek. (1622 signiert sie das ganzfigurige Porträt eines Gonfaloniere, heute Bologna, Coll. Com. d'Arte, Pal. d'Accursio), sondern v.a. Bilder weiblicher biblischer und mythologischer Figuren, meist Heroinen, die sie, wie ihr Vater, häufig in mehreren Versionen malt. Zu Beginn ist die Prägung durch den Vater so stark, dass einige Gem. beiden zugeschr. werden und G.s erstes sign. Gem., Susanna und die beiden Alten, viele Merkmale von Orazios Malweise besitzt. Das ändert sich später zugunsten einer spontaneren Technik, die zu zahlr. Änderungen direkt auf der Lw. führt. Frühe Beispiele sind die neapolitanische Version der Judith und die von Christiansen (2004) früher (1612/13) als sonst üblich (1623/25) dat. Lukrezia (Mailand, Slg Gerolamo Etro). In Florenz verwendet G. kräftigere Farben, kleidet ihre Figuren in kostbare Gewänder und schmückt sie mit Juwelen, wie sie die vornehmen Florentinerinnen tragen (sogar die Büßende Maria Magdalena des Pal. Pitti ist in seidene Gewänder gekleidet). Anregungen dafür findet G. in der florentinischen Malerei (z.B. bei C.Allori). Außerdem beginnt sie, für ihre Gem. lit. Quellen heranzuziehen (was wohl bedeutet, dass sie inzwischen lesen und schreiben kann, wozu sie während des Prozesses lt. ihrer Aussage noch nicht imstande war). In der zweiten röm. Phase an Simon Vouet (dessen Porträt von G. für Cassiano dal Pozzo wohl mit dem in Bergamo ident. ist) und Gerrit van Honthorst orientiert und damit an den Caravaggisten, wie am überzeugendsten das Bild Judith und ihre Magd (Detroit, Inst. of Arts) mit der von Judiths Hand abgeschirmten Kerze zeigt, übernimmt sie in Venedig Elemente der Malweise von Nicolas Régnier, wie in den Neapolitaner Gem. Verkündigung von 1630 und Clio von 1632 (Priv.-Slg) zu sehen ist. Spätestens dort, wenn nicht schon in Rom, lernt sie Massimo Stanzione kennen, auf den sie in Neapel wohl ebenso großen Einfluss ausübt wie umgekehrt er auf sie. So zeigt sich in dem Gem. Lot und seine Töchter (1635-38, Toledo, MoA), dass G. die Komp. von Stanzione übernimmt; dies manifestiert sich in noch größerem Maße in einem Bild desselben Themas, das 2001 auf dem Londoner Kunstmarkt auftauchte, Stanzione zugeschr. wurde, von R.Lattuada (in: Mann, 2005) aber als ein Werk von G. erkannt und 1635/45 dat. wurde. Eingebunden in diese gegenseitige Inspiration sind auch die and. neapolitanischen Maler der Zeit, mit denen Stanzione eng zusammenarbeitete, wie Viviano Codazzi, Francesco Guarino und Bernardo Cavallino, mit denen G. viell. auch gemeinsam Bilder malte (z.B. David und Bathseba, Columbus/Ohio, Mus. of Art). Susanna und die beiden Alten (1995 bei Sotheby's London, heute Priv.-Slg) wird neben G. auch einem Nachf. von Cavallino oder Cavallino selbst gemeinsam mit Codazzi zugeschrieben (Lattuada, in: Mann, 2005). Wie stark die Abhängigkeiten sind, zeigt das Gem. Corisca und der Satyr (Priv.-Slg), das erst Diana Rosa zugeschr. wurde, dann Stanzione, bis schließlich die Sign. von G. entdeckt wurde. - Aufgrund der wenigen sign. und dat. Werke werden nach wie vor zahlr. Zu- und Abschreibungen sowie Umdatierungen vorgenommen; das WV von Bissell (1999) listet 57 sicher G. zugeschr. Werke auf, 42, bei denen Bissell die Zuschr. für falsch hält und 108 dok., aber verlorene Werke. Zu den Abschreibungen (die Orazio G. zugeschr. werden) gehören die Cleopatra (Mailand, Amadeo Morandotti) und Danaë (St.,Louis AM), die beide von Mann (in: Christiansen/Mann, 2001) G. zugeschr. werden, während Christiansen (ebd.) jedoch die Cleopatra Orazio G. zuweist. Zwei Versionen einer Mutter mit Kind (Florenz, Gall. Pal.; Rom, Gall. Spada) wurden wahlweise G. zugeschr. (die Florentiner Fassung auch Giovanni Francesco Guerrieri), bis durch Röntgenaufnahmen nachg. werden konnte, dass die röm. Version als genaue Kopie der Florentiner beg. und erst später verändert wurde. Aufgrund versch. Dok. liegt jetzt aber die Vermutung nahe, dass tatsächlich beide Gem. von G. stammen. Die Florentiner Fassung von Judith enthauptet Holofernes wird sowohl an den Anfang als auch an das Ende von G.s Florentiner Zeit gesetzt; es wird sogar vermutet, sie habe das Bild erst in Rom vollendet. Die Nähe and. Maler in Neapel macht es noch schwieriger, sichere Zuschr. zu treffen. So ist bek., dass G. in Rom einen Christus, die Kinder segnend malte, den der Herzog von Alcalá erstand und möglicherweise mit nach Neapel nahm, wo er mehrfach kopiert wurde. Bis 1979 befand sich im Metrop. Mus. (heute wohl in Priv.-Slg) ein Gem. dieses Themas, das u.a. auch Stanzione und G. zugeschr. wurde und das Lattuada (in: Christiansen/Mann, 2001) jetzt G. zuschreibt. Ein weiteres Beispiel ist das Bild Triumph der Galathea in Washington (NG; früher New York, The Saul P.Steinberg Coll.), das durch Grabski (1985) mit dem von Ruffo gekauften identifiziert, von Causa (1993) Cavallino und Palumbo zugeschr. wurde, von Bissell (1999) an G. und Cavallino und zuletzt von Marshall (2005; mit Zusammenfassung des Forschungsstands) nur an Cavallino (eine Galathea von Salvatore Lo Forte, 1825-45, in Palermo, Priv.-Slg, könnte lt. Lattuada [in: Mann, 2005], die Kopie eines verlorenen Gem. von G. sein). - Typisch für G. sind ihr Naturalismus und das direkte Malen auf die Lw. nach Modellen. Dabei stellte sie sich wohl häufig selbst dar, allerdings vermutlich nicht aus Eitelkeit, sondern um Kosten für Modelle zu sparen. Ein frühes Beispiel ist die ovale, heute verschollene Allegorie der Malerei (nur in Abb. bek.). Die erst kürzl. von Cataldi Gallo (2003) in einer Privatsammlung entdeckte Frau mit Fächer, wohl um 1625 gemalt, stammt möglicherweise von G. (Mitt. J.W. Mann, 2006), wird aber auch Orazio G. zugeschrieben. G.s stilistische Entwicklung wurde häufig als "chamäleonartig" kritisiert, d.h., sie habe sich immer dem gerade vorherrschenden Stil angepasst. Neben den wiss. Bemühungen der letzten Jahre, das Werk der Künstlerin einzugrenzen und zu ordnen, erschienen auch mehrere Romane und Filme, die ihre Biogr. eher verunklärten und zur Mythenbildung beitrugen. - G.s heutige Bekanntheit erklärt sich v.a. aus ihrer Biogr., der gewaltsamen Entjungferung durch Agostino Tassi und den nachfolgenden Prozess, dessen Akten erh. sind (in versch. Auszügen veröff. in Menzio, 1981/2004; Garrard, 1989; Wachenfeld, 1992; Christiansen/Mann, 2001). Diese Prozessakten haben zu vielen Spekulationen Anlass gegeben. Die nur von Tassi (und einem von ihm bestochenen Zeugen) vorgetragene Behauptung, er habe G. unterrichtet, hatte zur Folge, dass er fast in der gesamten Lit. als ihr Lehrer bezeichnet wird. Die Aussagen G.s wiederum wurden für zweifelsfreie Fakten gehalten, bis Cohen (2000) daraufhinwies, dass bestimmte Aussagen gemacht werden mussten, um einen Vergewaltigungs-Prozess (der eher als Prozess wegen des Bruchs eines Eheversprechens bezeichnet werden müsste) zu gewinnen und es dafür bestimmte Floskeln gab. Hinzu kommt, dass eine Vergewaltigung im heutigen Sinne nicht geahndet wurde, sondern nur die gewaltsame Entjungferung (stupro). Die große Zeitspanne zw. der Vergewaltigung im Mai 1611 und der Klage des Vaters Orazio G. im März 1612 erklärt sich wohl durch das nicht gehaltene Versprechen Tassis, G. zu heiraten, wodurch er den "Wert" einer heiratsfähigen Frau gemindert hatte. Wie allg. üblich wurde G. die freiwillige Folter der "Sibille" angeboten, um ihre Glaubwürdigkeit unter Beweis zu stellen. Dieses Angebot musste sie annehmen, um nicht Gefahr zu laufen, den Prozess zu verlieren. Allerdings kann die Folter (ein Abquetschen der Finger) nicht so grausam gewesen sein wie in der Lit. immer wieder behauptet, da G. sonst nicht mehr hätte malen können. - Spätestens seit den Publ. von Garrard (1989) und Stolzenwald (1991) werden v.a. die versch. Fassungen der Themen Judith und Holofernes und Susanna und die beiden Alten sowie ihre naturalistische Darst. in G.s Malerei autobiografisch begründet. Allerdings wählte sie diese Sujets wohl nicht aus persönlichen Gründen, sondern weil diese auf dem Kunstmarkt gefragt waren und die Auftraggeber danach verlangten. Für das prominente, in zwei Fassungen erh. Gem. Judith enthauptet Holofernes (Neapel, MN di Capodimonte; Florenz, Uffizien) gibt es Vorläufer von Adam Elsheimer, Caravaggio und Peter Paul Rubens, die G. zumindest vermittelt durch den Vater gekannt haben dürfte. Orazio G. malt im Gegensatz zu Caravaggio die Magd als junge Frau. G. übernimmt dies und gibt ihr überdies eine aktive Rolle, womit sie eine neue Bildkonzeption entwickelt (Uppenkamp, 2004). In ihren Gem. sind beide Frauen aktiv und so nur noch durch die standesgemäße Kleidung zu unterscheiden (Bissel, in: Mann, 2005, schreibt die Version in Neapel und and. frühe Bilder Orazio G. zu, allerdings mit wenig stichhaltigen Argumenten). - G.s Tochter Prudenzia, die mit der Mutter aus Florenz nach Rom zurückkehrte, wurde ebenfalls Malerin und lebte mit G. in Neapel, wie dem Tagebuch von Bullen Reymes von 1634 (in dem er beschreibt, dass sie male und Spinett spiele) und Briefen von G. an Andrea Cioli nach Florenz 1635/36 zu entnehmen ist. In ihnen kündigt G. auch die Hochzeit der Tochter an, konkreter wird sie 1637 Cassiano dal Pozzo gegenüber, was die Mitgift betrifft. Erstaunlicherweise teilt sie am 13.3.1649 Ruffo mit, sie habe heute ihre Tochter an einen Ritter des St.Jakob-Ordens verheiratet. Entweder hatte sie noch eine zweite Tochter (Palmira G.), oder dies war eine zweite Heirat der Tochter Prudenzia, der Bissell (1999) spekulativ zwei Bilder zuschreibt (Betende Magdalena, Mailand, Slg Luigi Koelliker; Personifikation der Rhetorik, London, Kunstmarkt).

WERKE

Brno, Moravská Gal.: Susanna und die beiden Alten, sign., dat. 1649. Budapest, SzM: Jael und Sisera, sign., dat. 1620. Columbus/Ohio, Mus. of Art: David und Bathseba, um 1636/38. Detroit/Ill., Inst. of Arts: Judith und ihre Magd, um 1625-27. Florenz, Gall. Palatina: Büßende Maria Magdalena, sign.; Judith und ihre Magd, um 1618/19; David und Bathseba. - Uffizien: Hl.Katharina von Alexandrien, 1618/19. London, Kensington Pal., KS: Allegorie der Malerei, sign., um 1630 und 1638/39 (die Frage, ob es sich dabei um ein Selbstporträt handelt, hat Mann, 2005, bejaht, allerdings vermutet, dass dem Bild die Bronzemedaille zugrunde liegt, die um 1625 zu dat. ist, G. sich also jünger darstellte, als sie 1638/39 war). Madrid, Prado: Geburt des Joh.Bapt., sign., um 1633-35. Minneapolis/Minn., Curtis Gall.: Selbstporträt als Lautenspielerin, um 1615/17. Neapel, MN di Capodimonte: Der hl.Januarius im Amphitheater; Die Hll. Proculus und Nicäus, sign., 1636/37 (beide aus der Kathedrale von Pozzuoli). - MN di S.Martino: Anbetung der Hll. Drei Könige, 1636/37 (ehem. Kathedrale von Pozzuoli). New York, Metrop.Mus.: Esther vor Ahasver, um 1628/35. Potsdam, Neues Pal.: Bathseba im Bade; Tarquinius und Lukrezia, um 1645/50 (früher Parma, Pal. Farnese). Rom, Gall. Spada: Hl. Cäcilie, um 1620. - Gall. Naz. d'Arte Antica di Pal. Barberini: Selbst-Portr. als Malerin, um 1630. San Lorenzo De El Escorial, Mus. de Pint.: Rosenkranzmadonna mit Kind, sign., 1651. Stamford/Lincolnshire, Burghley House, Coll. of the Marquess of Exeter: Susanna und die beiden Alten, sign., 1622.

AUSSTELLUNGEN

Einzelausstellungen:

1991 Florenz, Casa Buonarroti / 2001 Rom, Pal. Venezia / 2002 New York, Metrop.Mus.; St Louis, AM / 2020 London, NG (alle K). -

 

Gruppenausstellungen:

1992 Genua: Genova nell'età barocca (K) / 1996 Bonn, Kunst- und Ausst.-Halle: Napoli. Meisterwerke aus dem MN di Capodimonte (K) / 2001 London, RA; Rom, Pal. Venezia: The Genius of Rome 1592-1623 (K dt.: Die Geburt des Barock) / 2005 Pontedera, Mus. Piaggio "Giovanni Alberto Agnelli": Luce e ombra (K); Mailand, Pal. R.: Caravaggio e l'Europa (K) / 2024 Remagen, Arp Mus.: Maestras. Malerinnen 1500-1900 / 2024-25 Gouda, Mus.: Susanna - Van middeleeuwen tot MeToo.

 

QUELLEN

Thieme-Becker, Vollmer und AKL:

ThB13, 1920

 

Weitere Lexika:

EWA VI, 1971; DEB V, 1974; PittItalSeic II, 1988; DA XII, 1996; D.Gaze (Ed.), Dict. of women artists, Lo./Chicago 1997 (Lit.); Stewart/Cutten, 1997; L.Zangheri (Ed.), Gli Accademici del Disegno, Fi. 2000; DBI XLV, 2005 (s.v. Lomi, Artemisia; Lit.); S.Gray, Dict. of Brit. women artists, C. 2009

 

Gedruckte Nachweise:

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Onlinequellen:

Dict. universel des Créatrices, 2023

 

Persönliche Auskünfte:

M.Hatry, München; J.W. Mann, St. Louis

 


THIEME-BECKER

Artikel von: H. Voss

Gentileschi (eigentlich Lomi; vgl. Artikel Gentileschi, Orazio), Artemisia, Malerin, geboren 1597 in Rom, † (in Neapel?) nach 1651. Schülerin ihres Vaters Orazio G. und des Vedutenmalers Agostino Tasso. Dieser verging sich an ihr, was 1612 einen Prozeß zur Folge hatte, in dem T. der 15 jährigen eine frühere Liebschaft (offenbar ohne triftige Beweise) nachsagte. Anscheinend ist sie 1621 mit ihrem Vater von Rom fortgegangen und hat einige Jahre in Toskana zugebracht, hauptsächlich in Florenz, aber vielleicht auch in Pisa, der Heimat ihrer Familie. Für Michelangelo Buonarroti d. J. malte sie damals an der Decke des Hauptraumes seines Hauses in Florenz die allegorische Figur der Inclinazione, deren Nacktheit später von Bald. Franceschini auf Veranlassung Lionardo Buonarrotis teilweise verdeckt wurde. Vermutlich in Florenz entstanden die in mehreren Repliken vorhandenen Kompositionen der Judith mit dem Haupte des Holofernes und der äußerst realistisch behandelten Ermordung des Holofernes. - Spätestens 1626 war G. wieder in Rom; in diesem Jahre erwarb der Herzog von Alcalá von ihr ein Gemälde. Gegen 1630 hat sie sich nach Neapel gewandt, wo sie bis 1637 tätig gewesen ist. Eine Verkündigung von 1630 (Magazin des Museo Naz., Neapel) eröffnete diese Hauptperiode ihres Wirkens. 1637 scheint sie auf kurze Zeit nach Rom zurückgekehrt zu sein. Im Jahre 1639 ist sie in London nachzuweisen; höchstwahrscheinlich ist sie erst nach dem Tode ihres Vaters (ca 1638) hierher übergesiedelt. Sie hat in England vorzugsweise Bildnisse gemalt und auf diesem Gebiete den Ruhm Orazios noch überflügelt. Ihr eigenes Bildnis, malend, in energischer Bewegung und starker Verkürzung, wird in Hampton Court aufbewahrt. (Das sogen. Selbstporträt in Althorp House dagegen ist ein Werk der van Dyck-Schule.) Von ca 1640 an bis zu ihrem Tode war sie wieder in Neapel ansässig, wo sie damals einen bedeutenderen Monumentalauftrag erhielt, 3 Gemälde für den Chor der Kathedrale von Pozzuoli. G. gehört, darin der Stilrichtung ihres Vaters verwandt, zu dem weiteren Kreise der Caravaggioschule. Von Einflüssen seitens des Guido Reni und Domenichino, die bei ihr vielfach - besonders durch Lanzi - geinuttnaßt wurden, ist in ihren Werken kaum etwas zu spüren. Es herrscht darin vielmehr ein stark naturalistischer Zug, nicht selten mit ausgesprochener Tendenz zur Darstellung leidenschaftlichen Geschehens u. starken Affekts. Dabei ist der Charakter des Nichtidealisierten, Naturunmittelbaren, der in Orazio G.s Werken herrscht. auch in der Kunst der Tochter überwiegend. Eine gewisse Neigune zu ausführlicher Behandlung der Akzessorien - Broderien, Spitzen, Blumen und dgl. - dürfte als der weibliche Einschlag ihrer Kunst zu deuten sein; im übrigen weist diese einen bemerkenswert ernsten, maskulinen Charakter auf. G. behandelt allerdings mit sichtlicher Vorliebe Gegenstände, in denen Frauen eine bedeutsame Rolle spielen; dabei ist in das Physiognomische vielfach eine gewisse Leidenschaft und Gewalt des Ausdrucks gelegt, so z. B. bei der Magdalena des Pal. Pitti und der Susanna in Pommersfelden. Auffallende Stileigentümlichkeiten der Malerin sind die merkwürdig gebildeten, rundlichen Hände mit ihren verdickten Knöcheln und starken Daumen, die Neigung zu übertrieben fleischigen Formen in der Hals-, Kinn- und Augenpartie, eine Vorliebe für leuchtende gelbe Töne mit orangefarbenem Schatten und Gewandungen mit sorgfältig studierten Faltenzügen. G. ist von einer gewissen Literatur, zumal in England, mit dem zweifelhaften Ruhm einer Künstlerin der Liebe umkleidet worden. Abgesehen von der unbewiesenen Behauptung des Ag. Tasso und der etwas unklaren Geschichte ihrer Ehe mit einem Pierantonio Schiattesi, nach dessen Verbleib sie sich 1637 erkundigt, bieten die älteren italien. Quellen hierfür kaum sichere Anhaltspunkte. Nur von A.s liebreizendem Äußeren u. ihrer angenehmen Konversationsart ist darin öfter die Rede. Daß sie in der Kunst des blütenreichen sprachl. Ausdrucks in der Tat wohl bewandert war, zeigt der Stil ihrer Briefe. Als sie nach England übersiedelte, stand sie übrigens bereits in den Vierzigern - Grund genug, den gerade in England verbreiteten Klatsch über sie mit Vorsicht aufzunehmen. Das Gesamtwerk der Malerin ist neuerdings (vgl. Orazio G.) von H. Voss und R. Longhi kritisch behandelt worden. Von der Liste des Letzteren weicht die folgende Zusammenstellung mehrfach ab. Werke; a) die sicheren: Berlin, Kaiser-Friedr.-Mus.: Zwei Frauen mit Spiegel (von diskreter Farbigkeit, Werk der reifen Zeit); Florenz, Uffizien: Judith tötet Holofernes (caravaggesk, starke Helldunkelwirkung); Galerie Pitti: Judith und ihre Magd mit dem Haupt des Holofernes, - Büßende Magdalena (signiert: Artemisia Lomi); Galerie Corsini: Replik der Judith des Pal. Pitti (mit leichten Varianten); Casa Buonarroti: Deckenbild der Inclinazione; Hampton Court: Selbstbildnis (monogr.: A. G. F.; kräftig in Helldunkel, dabei farbig fein nuanciert); Madrid, Prado: Geburt Johannis des Täufers, - Brustbild einer Frau von vorn gesehen (der früheren Zeit angehörig); Neapel, Mus. Naz.: Replik der Judith der Uffizien, - Verkündigung von 1630 (signiert. Energisch im Licht und von dramatischer Wirkung); Pommersfelden, Galerie: Susanna u. die Alten (signiert und 1610 [16191 datiert); Pozzuoli, Kathedrale: S. Procolo u. S. Nicea, stehend, vor einem Säulenhintergrund (A. G. signiert), - Anbetung der Könige (sign.: Artemitia G.), - S. Gennaro in der Arena unter den Löwen; Ront, Galerie Spada: hl. Cäcilie (Lautenspielerin): Galerie Rospigliosi: Liebespaar. Werke; b) die zweifelhaften: Florenz, Samml. Cecconi: Ein Wunder des hl. Karl Borromäus; Rom, S. Omobono: Madonna mit Heiligen; S. Luigi de' Francesi (Casa di): Der hl. Ludwig. Nach ihr gestochen: Schlafendes Kind neben Totenschädel (von Jean Ganiere, 1640; von P. de Jode; von John Oliver u. a.); Selbstbildnis (von Jer. David); Bildnis des Ingen. A. de Ville (von Jer. David; laut Füßli, Kstlerlex., 2. Teil). - Bildnis der G. in Sandrart's Teutscher Academie, 1675, Tafel KK, nach p. 298. - Ein Profilbildnis der G. auf einer Medaille in Berlin. Lit.: s. unter Gentileschi, Orazio; außerdem Passeri, Vite de' Pittori etc., 1772 p. 105; cf. Bertolottiin: Giorn. di Erud. art., V (1876) 193ff. (Prozeß gegen Ag. Tassi). - Bottari-Ticozzi, Racc. di lettere, I (1822) 348/354 (Briefe an Cassiano del Pozzo). - Arch. stor. dell'arte, II (1889) 423ff. (Briefe an Franz I. von Este). - Lebenslauf etc. Joachims von Sandrart, 1675 p. 11. - Napoli Nobil., VI (1897) 110; VII 16, 73; VIII 165. - Repert. f. Kstwissensch., XXXIV (1911) 124 (H. Voss). - Katal. der gen. Sammlungen; außerdem Cat. Gall. d. Arazzi, Florenz 1884 Nr. 124 (Bathseba im Bad, Pariser Bildteppich von Pierre) Feviere, 1663, bez.: D. ARTEMI. PINX.); cf. Campori, Raccolta di cataloghi cte., 1870 (mehrere Gemälde, 1680 im Pal. del giardino in Parma); cf. Mirettr, Dict. d. ventes d'art, IV (1911) 352 ("Lomi"). v. Frimmel, Kleine Galeriestudien, I (1891/92): Bild in Pommersfelden. - Graves, Loan Exhib., I (1913). - Hill, Portrait modals of ital. artists, 1912 p. 81 f.; pl. XXXI Nr. 67. - Heinecken, Dict. d. artistes (Ms. Kupferstichkab., Dresden). - Polero, Cat. del real Monast. de S. Lorenzo (Escurial), 1S57 Nr. 662.