Aktualisiert
Frei zugänglich

Haring, Keith

Geboren
Reading (Pennsylvania), 4. Mai 1958
Gestorben
New York, 16. Februar 1990
Land
Vereinigte Staaten
Geschlecht
männlich
GND-ID
Weitere Namen
Haring, Keith
Berufe
Maler*in; Zeichner*in; Bildhauer*in
Wirkungsorte
New York
Zur Karte
Von
Kolossa, Alexandra
Zuletzt geändert
28.08.2025
Veröffentlicht in
AKL LXIX, 2010, 337

VITAZEILE

Haring, Keith, US-amer. Zeichner, Maler, Bildhauer, *4.5.1958 Reading/Pa., †16.2.1990 New York.

LEBEN UND WIRKEN

Als erstes Kind und einziger Junge von vier Geschwistern entwickelt H. schon früh eine Vorliebe für das Zeichnen, was vom Vater erkannt und gefördert wird. Seine behütete Kindheit prägen Comicfiguren von Walt Disney, Dr. Seuss und andere Trickfilmhelden. Als ein nachhaltiges Erlebnis gilt nach eig. Angaben ein Ausflug in das Hirshhorn Mus., Washington/D.C., wo H. erstmals Arbeiten von Andy Warhol sieht, eine Marylin-Serie. Nach dem Highschool-Abschluß in Kutztown 1976 studiert er auf Anraten der Eltern Werbegrafik an der Ivy School of Professional Art, Pittsburgh/Pa. Nach zwei Semestern bricht H. das Stud. ab, aber nutzt weiterhin die Infrastruktur der Hochschule, besucht Seminare und die Bibliothek. Er beschäftigt sich mit der Kunst von Jean Dubuffet, Stuart Davis, Jackson Pollock, Paul Klee, Alfonso Ossorio und Pierre Alechinsky. Bes. unter dem Einfluss Alechinskys erprobt H. versch. Techniken und größere Formate und entwickelt seinen graf. prägnanten und linearen Stil. 1978 erhält er die Gelegenheit, in einer Einzelausstellung seine Arbeiten im Pittsburgh Arts and Crafts Center zu präsentieren. 1979 zieht H. nach New York und studiert an der School of Visual Arts (Zeichnen, Malerei, Bildhauerei, Kunstgesch.). Er entwickelt Videos, Installationen und cut-ups nach den Truisms von Jenny Holzer und den Techniken von William Burroughs und Brion Gysin. Er stellt zus. mit anderen Studenten der Schule seine Arbeiten auf den Straßen, in Unterführungen und Clubs aus. H. ist der Überzeugung, dass die Kunst für alle da ist, nicht nur für eine exklusive Elite. Er schließt Freundschaft mit Künstlern wie Kenny Scharf und Jean-Michel Basquiat. New York bietet ihm auch die Möglichkeit, seine Homosexualität offen zu leben. H. wird eine zentrale Figur der alternativen Kunst- und Clubszene der Stadt. Im Club 57 ist er jahrelang als Organisator und Kurator außergewöhnlicher Ausst. tätig, die oft nur eine Nacht gezeigt werden. Im Sommer 1980 entstehen die ersten seriellen Zchngn mit den für ihn typischen icons im Stil eines Comics: Eine menschliche Figur, ein krabbelndes Baby, ein Hund, eine Pyramide und ein Ufo (Untitled, 1980, Acryl, Sprühfarbe und Sumi-Tusche auf Papier). Jedes Motiv ist von einem Strahlenkranz umgeben, einem positivem Zeichen, das für Kraft und Energie steht. In diese Zeit fallen auch die ersten Kreidezeichnungen auf leeren Plakatflächen in der New Yorker U-Bahn, die sog. Subway drawings. Auf diese Weise erreicht er ein noch größeres Publikum. In kürzester Zeit findet H.s Zeichensprache Eingang in die Alltagskultur. Für ihn bieten die illegalen Aktionen im Untergrund Gelegenheit, Experimente mit klaren Linien durchzuführen. Zudem verteilt er im öff. Stadtbild seine tags, das Baby im Strahlenkranz oder den bellenden Hund, in Anlehnung an die Graffiti-Künstler jener Zeit. Im Juni 1980 nimmt er an der Times Square Show teil, der ersten Ausst. von Underground-Kunst, die von der etablierten Kunstwelt registriert wird. Obwohl H. selbst kein Graffiti-Künstler ist, pflegt er den Kontakt zur Szene und schließt Freundschaft mit Lee Quinones, Fab Five Freddy und Futura 2000. Aus diesen Beziehungen gehen gemeinsame Aktionen und Kunstwerke hervor. Im Herbst 1980 fasst H. den Entschluss, sich nicht mehr für das Wintersemester an der School of Visual Arts einzuschreiben. Er verzichtet damit auf einen akad. Abschluss, der ihm im Jahr 2000 posthum verliehen wird. Aufgrund seiner zunehmenden Popularität ergeben sich 1980 mehrere Ausst. im New Yorker Club 57, dem Westbeth Painters Space, im P.S. 122 und in der Hal Bromm Gallery. H. erzielt erste Gewinne aus den Verkäufen seiner Bilder. Die Kunstszene Europas wird auf ihn aufmerksam, lange bevor der amer. Markt reagiert. 1982 reist er z.B. nach Rotterdam und Amsterdam und ist mit zwei Arbeiten auf der documenta 7 in Kassel vertreten. Im selben Jahr wird Tony Shafrazi sein New Yorker Galerist, der ihm im Okt. 1982 eine erste große Einzelausstellung mit Kat. ermöglicht. Gezeigt werden Zchngn auf Papier und Vinylplane, die stilistisch an die Subway drawings anknüpfen (z.B. Untitled, 1982, Vinylfarbe auf Vinylplane [Hunde springen durch den Bauch einer Figur]). Zunächst bieten Planen H. eine ideale Möglichkeit, kostengünstig auf Großformaten zu zeichnen, er bleibt ihnen auch später treu, als er sich Lw. leisten kann. Im selben Jahr zeigt eine große Leuchttafel am New Yorker Times Square einen Monat lang alle 20 Minuten sein Radiant Child. H. trifft Juan Dubose, einen afro-amer. DJ, der sein Lebenspartner wird. 1983 reist H. erstmals nach Italien und stellt in der Gall. Lucio Amelio in Neapel aus; Beteiligung an der Whitney Bienn. in New York und an der Bienn. in São Paulo. 1983 lernt er Andy Warhol anlässlich einer Ausstellungseröffnung von Werken des Graffitikünstlers Angel Otis (LA II) in der New Yorker Fun Gall. kennen. Zwischen H. und Warhol entwickelt sich eine Freundschaft, die von gegenseitiger Anerkennung und künstlerischem Austausch getragen ist. Die Person Warhols taucht innerhalb des Werkes von H. mehrfach auf. Er kreierte für den Freund die Figur der Andy Mouse (z.B. Untitled, 1985, Acryl und Öl/Lw.), eine Mickey Mouse, die, ausgestattet mit Sonnenbrille und Perücke, deutliche Züge Warhols trägt. Über Warhol macht H. die Bekanntschaft von Grace Jones, die er als Modell für ein body painting gewinnt. H., der bereits den Körper des farbigen Tänzers Bill T. Jones bemalt hatte, sieht im Körper der Sängerin die perfekte Kombination von "primitive" und "pop" vereint. Der Fotograf Robert Mapplethorpe dokumentiert die Aktion. Im Frühjahr 1984 inszeniert H. seine erste Party of Life in der Disco Paradise Garage anlässlich seines Geburtstags. Hintergrund für dieses Fest mit 3000 Gästen ist der Wunsch H.s, seine stetig wachsende Bekanntheit und finanziellen Erfolge mit seinen Freunden zu teilen. Im Sommer 1984 reist er für drei Wochen nach Mailand, wo er zus. mit LA II Abgüsse von Michelangelo-Statuen bemalt und ausstellt (Untitled, 1984, fluoreszierende Emailfarbe und Filzstift auf Fiberglasabguss des David). In dieser Zeit realisiert er auch eine Installation für die 41.Bienn. in Venedig. Im gleichen Jahr entsteht ein großes Wandbild für das Walker AC in Minneapolis. Über 50 weitere öff. Wandbilder, oft mit sozialen Botschaften und an exponierten Stellen, folgen u.a. in Sydney, Melbourne, Rio de Janeiro und Berlin (Mauer); andere Bilder hingegen entstehen in abgeschiedenen Arealen ohne Genehmigung der Behörden. Auf der Suche nach weiteren künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten experimentiert H. vermehrt mit dreidimensionalen Figuren. Die im Atelier gefertigten Modelle seiner typischen Figuren, die oft den Tanz thematisieren, werden in einer Gießerei in Skulpturen umgesetzt und in grellen Farben lackiert. 1985 präsentiert er erstmals eig. Stahlskulpturen in der Gal. von Leo Castelli in New York. Das plastische Werk entwickelt sich seitdem gleichberechtigt neben der Malerei. In den folgenden Jahren werden viele Großskulpturen für den Außenraum realisiert (z.B. Untitled (Headstand), 1988, Stahl lackiert). Ein großer Teil von H.s Arbeiten in der Öffentlichkeit steht im Zusammenhang mit karitativen Projekten für Kinder. Er gibt Zeichenunterricht in Schulen und Mus. in New York, Amsterdam, London, Tokio und Bordeaux. Am 2.7.1986 bemalt H. anlässlich der 100-Jahr-Feier der Freiheitsstatue eine sechs Stockwerke hohe Plane mit den Umrissen der Statue, die anschließend von 1000 Kindern ausgemalt wird. In den 1980er Jahren verstärkt H. sein politisches Engagement: Gegen die Apartheid in Südafrika malt er regelrechte Protestbilder (South Africa, 1985, Acryl/Lw.). Er setzt sich für Free South Africa und Live Aid ein. Aus eig. leidlicher Erfahrung setzt er sich in Kampagnen, Wandbildern und Postern gegen Drogenkonsum ein. Auf einer großen Mauer, die unweit eines Highways wie eine Plakatwand emporragt, malt er z.B. ein Wandbild in leuchtendem Orange, das den Schriftzug Crack is Wack trägt. Ein weiteres Medium der Aufklärung sind Poster, meist kostenlos verteilt, auf denen Botschaften zu lesen sind (z.B. Crack down!, 1986; Ignorance=Fear; Silence=Death, 1989). Als im Sommer 1988 Jean-Michael Basquiat an einer Überdosis Heroin stirbt, setzt ihm H. im selben Jahr ein künstlerisches Denkmal mit der Arbeit A pile of Crowns for Jean-Michel Basquiat, einer dreieckigen Leinwand, ähnlich einem Warnschild, die einen Berg von Kronen zeigt, dem künstlerischen Signet Basquiats. In seinen letzten Lebensjahren malt H. verstärkt eindrucksvolle und abschreckende Bilder zum Thema Aids (z.B. Aids, Acryl und Öl/Lw., 1985; Safe Sex, Acryl/Lw., 1988). 1985 reist H. u.a. nach Frankreich, wo für eine Einzelausstellung im MAC in Bordeaux der Zyklus The Ten Commandments entsteht, eine mon. persönliche Interpretation der zehn Gebote. In Marseille malt er ein Bühnenbild zur Aufführung Le mariage du ciel et de l'enfer für das Ballet Nat. de Marseille. Er trennt sich von seinem Freund Juan Dubose und geht eine neue Partnerschaft mit Juan Rivera ein. 1986 eröffnet H. in Manhattan seinen ersten Pop Shop, der ausschl. die von H. gefertigten Produkte vertreiben soll. Damit vermarktet er seinen Namen als Label, ohne dadurch den Wert seiner Kunst zu schmälern. Ziel ist es, sich einem noch breiteren Publikum zu öffnen und über Alltagsgegenstände ständig präsent zu sein, ohne dabei die kommerziellen Absichten zu verschleiern. Den größten Teil der Einnahmen lässt er allerdings karitativen Einrichtungen zukommen. Das Jahr 1987 ist gekennzeichnet von vielen Einzelausstellungen in Europa (Helsinki, Antwerpen und Knokke). Für den Hamburger Vergnügungspark Luna Luna gestaltet er z.B. ein Karussell, wobei er Niki de Saint-Phalle und Jean Tinguely kennenlernt. In Deutschland nimmt er zudem an der Ausst. "Skulptur Projekte Münster" mit seiner Skulptur Red Dog for Landois teil. 1988 eröffnet er einen zweiten Pop Shop in Tokio. Während des Aufenthaltes in Japan entdeckt er erste Anzeichen einer Aidserkrankung. Fortan nehmen viele seiner Bilder an Schärfe und Härte zu. Als wollte er gegen sein Schicksal anmalen, realisiert er Bilder von enormer Kraft wie Silence=Death, 1989. Vor schwarzem Hintergrund prangt zentral ein pinkfarbenes Dreieck. Darüber zieht sich ein Netz aus silberfarbenen Umrissfiguren, die sich Augen, Ohren und Mund zuhalten. Es kommt zu einer Zusammenarbeit mit William S. Burroughs, bei der H. zwei Texte illustriert (Apocalypse und The Valley). In Pisa bemalt er die Außenfassade der Kirche Sant'Antonio mit dem Bild Tuttomondo, eine Aktion, die er selbst als einen Höhepunkt seine Karriere beschreibt. Vor seinem Tod gründet H. eine Stiftung mit der Aufgabe, Projekte für Kinder zu fördern sowie Organisationen zu unterstützen, die sich für die Bekämpfung von Aids einsetzen. - H.s Œuvre umfasst Zchngn, vielfach Tusche auf Papier, Malerei auf Vinylplane und Lw., Wandbilder, Skulpt. und Designvorlagen für T-Shirts, Buttons, Plakate und Aufkleber. Sein Markenzeichen ist die freihändig gesetzte Linie in Verbindung mit einem ausgeprägt graf. Stil. Die Linie selbst ist gleichbleibend stark ausgeführt, und selten ist ein Anfangs- oder Endpunkt auszumachen. Auf vorab definierten Flächen umschreibt sie die Umrisse von Figuren, die solchermaßen prägnant auf das Wesentliche reduziert sind und zum Symbol avancieren. Bemerkenswert ist die gleichbleibend perfekte Ausführung bei Berücksichtigung der korrekten Proportionen, denn weder bei kleinteiligen Zchngn noch großflächigen Wandarbeiten liegen Skizzen oder Hilfslinien zugrunde. Diese spontane und endgültige Vorgehensweise bezeugt das außergewöhnliche Talent von H. Er verzichtet weitestgehend auf verfeinernde Details, kombiniert die Linie nur mit wenigen graf. Elementen wie Schraffuren oder Punkten und beschränkt sich meist auf eine reduzierte Palette reiner Füllfarben. H.s graf. Stil gelangt in Verbindung mit leicht verständlichen und wiederkehrenden Motiven schnell zum Erfolg. Jene Bildzeichen, die er selbst icons nennt, haben sich in kurzer Zeit zu allseits bek. Piktogrammen etabliert. Gleichsam seismographisch assimiliert H. in seiner Kunst Funktionsweise und Strategien urbaner Kommunikationskultur. Zudem experimentiert er ständig mit versch. Malgründen und Mat., sucht immer neue Herausforderungen und erreicht so eine kontinuierliche stilistische Entwicklung seines Werks.

WERKE

Aachen, Ludwig Forum. Amsterdam, Sted. Mus. Budapest, Ludwig Múz. Bordeaux, CAPC MAC, Entrepôt Lainé. Chicago, Art Inst. Genf, MAMC. Hiroshima, City MCA. Jerusalem, MCA. Karlsruhe, ZKM. Köln, Mus. Ludwig. Linz, Lentos. Los Angeles, Broad Fam. Found. - County Mus. of Art. - MCA. Miami/Fla., Rubell Fam. Coll. New York, Cathedral of St.John the Devine. - Chase Manhattan Bank Coll. - The Keith Haring Found. - MMA. - Whitney. Paris, Centre Pompidou. - MAMVP. Pittsburgh/Pa., Carnegie Mus. of Art. - Andy Warhol Mus. Rio De Janeiro, MAM. Rotterdam, BvB. Salzburg, Mus. der Moderne. San Diego/Calif., MCA. San Francisco, Grace Cathedral. Sydney, MCA. Toronto, AG of Ontario. Ulm, KH Weishaupt. Venedig, Slg François Pinault. Wien, Albertina.

AUSSTELLUNGEN

Einzelausstellungen:

2013 Paris, MAMVP / 2019-20 Liverpool, Tate (Retr., Wander-Ausst.) / 2024-25 München, Mus. Brandhorst (mit Andy Warhol). -

 

Gruppenausstellungen:

2021-22 Wien, Albertina: The 80s. Die Kunst der 80er Jahre (K) / 2023-24 Nürnberg, Kunsthaus/KH: Who’s Afraid of Stardust? Positions of Contemp. Queer Art

 

QUELLEN

Weitere Lexika:

Künstler. Krit. Lex. der Gegenwartskunst, M. 1984; DA XIV, 1996; I.F. Walther, Künstler-Lex., in: Kunst des 20. Jh., II, Köln u.a. 1998; Bénézit VI, 2006

 

Gedruckte Nachweise:

J.Gruen, K.H. The authorized biogr., N.Y. 1991; K.H. Journals, N.Y. 1996; E.Sussmann, K.H., N.Y. 1997; K.H. The SVA years 1978-1980 (K), N.Y. 2000; K.H. (K), Mi. 2000; G.Adriani (Ed.), K.H. Heaven and hell (K Karlsruhe), Ostfildern-Ruit 2001; A.Kolossa, K.H., Köln 2004; D.Galloway, K.H. Sculptures, paintings, works on paper (K London), Mi. 2005; B.Reifenscheid, K.H. Life as a drawing, M. 2007; J.Deitch, K.H., N.Y. 2008; U.M. Reindl, Kunstforum internat. 279:2022(Jan.-Febr.)299-301; J.Drexler, ibid. 298:2024(Sept./Okt.)242-244.

 

Onlinequellen:

Website H. (umfangreiche Informationen und Lit.-Verz.)