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Haussmann, Georges-Eugène (Baron)

Geboren
Paris, 27. März 1809
Gestorben
Paris, 11. Januar 1891
Land
Frankreich
Geschlecht
männlich
GND-ID
Weitere Namen
Haussmann, Georges Eugène; Haussmann, Georges Eugène (Baron); Haussmann, Eugène (Baron)
Berufe
Stadtplaner*in; Beamter; Jurist
Wirkungsorte
Paris, Korsika, Yonne, Gironde, Var, Blaye (Gironde), Nérac, Yssingeaux, Saint-Girons
Zur Karte
Von
Treydel, Renate
Zuletzt geändert
30.05.2011
Veröffentlicht in
AKL LXX, 2011, 238

VITAZEILE

Haussmann, Georges-Eugène, Baron, frz. Verwaltungsbeamter (Präfekt), Stadtplaner, Jurist, *27.3.1809 Paris, †11.1.1891 ebd. (begr. Friedhof Père-Lachaise). H.s Fam. kommt väterlicherseits urspr. aus Tennstedt/Thür. und läßt sich 1702 im elsässischen Colmar nieder; die Fam. seiner Mutter stammt von einer angesehenen ev.-lutherischen Pfarrers-Fam. in der Pfalz ab; seine Eltern sind der zuerst im Handel, dann im höheren Staats- bzw. Militärdienst tätige Nicolas Valentin H. (*1787, †1876) und die Eva Maria Henrietta Carolina H., geb. Dentzel (*1789, †1869), Tochter des Pfarrers und späteren Generals Georg Friedrich (Georges Frédéric) Dentzel. H. ist ab 1838 verh. mit der Kaufmanns- und Reederstochter Octavie de Laharpe aus Bordeaux; von den drei Kindern heiratet Henriette-Marie H. den Politiker Camille Dollfus und Valentine H. in 1.Ehe den Politiker Maurice Vicomte Pernety; eine dritte Tochter geht aus einer unehelichen Beziehung mit der Opernschauspielerin Francine Cellier hervor.

LEBEN UND WIRKEN

Unter dem Einfluß des Vaters wächst H. in einem liberalen, von einem aufgeklärten Zentralismus napoleonischer Prägung bestimmten häuslichen Klima auf und bleibt seiner bonapartistischen Gesinnung lebenslang treu. 1820-25 Schulbesuch in Paris am Lycée Henri-IV (befreundet sich dort mit dem späteren Dichter Alfred de Musset und mit Ferdinand, Duc de Chartres, einem Sohn des Duc Louis-Philippe d'Orléans) und am Lycée Bourbon. Ab 1826 Stud. der Rechts-Wiss. an der Pariser Sorbonne; 1829 Dipl., 1831 Promotion. Danach schlägt H. eine administrative Laufbahn ein und übernimmt Ämter in den Präfekturen mehrerer frz. Prov.-Städte: 1831 Generalsekretär der Präfektur Vienne, 1832-48 nacheinander Unterpräfekt in Yssingeaux, Nérac, Saint-Girons und Blaye; 1848 Mitgl. im Rat der Präfektur der Gironde; 1849-51 Präfekt der Dép. Var, Yonne und zuletzt Gironde. Dabei stellt er bereits seine bes. organisatorischen Fähigkeiten, Beharrlichkeit und Führungsstärke unter Beweis und bewährt sich v.a. bei der Durchsetzung infrastruktureller Maßnahmen (Verkehrswege, Wasserleitungsnetze) und der Verbesserung des Bildungswesens. Mit diesen Leistungen und seinem energischen, mitreißenden Auftreten erregt er die Aufmerksamkeit von Kaiser Napoleon III. und wird auf Vorschlag von dessen Innenminister Jean Gilbert Victor Fialin Persigny am 23.5.1853 als Präfekt von Paris (derzeit Dép. Seine) eingesetzt. Im Kontext ehrgeiziger Pläne zur umfassenden städtebaulichen Neuordnung von Paris mit dem Ziel des Aufstiegs zur europ. Metropole des 19. Jh. wird H. durch Napoleon III. mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet und nimmt die Umgestaltung der Stadt in Angriff. Dazu unterstehen ihm vier durch erfahrene Architekten bzw. Ing. geleitete Direktionen: Direction de la Voirie de Paris (Straßenbau, Eugène Deschamps), Direction des Eaux et des Egouts (Kanalisation, Eugène Belgrand), Direction de la Voie publique et des Promenades (Flanierwege, Jean-Charles-Adolphe Alphand) und Direction du Service des Travaux d'Archit. (Archit., Victor Baltard). Diese Bündelung von Fachkompetenz ermöglicht eine effiziente Umsetzung aller geplanten Maßnahmen. Diese gelten v.a. der Schaffung einer mod. Infrastuktur, bes. eines leistungsfähigen Straßenverkehrs- und Wegenetzes sowie einer vorbildlichen städtischen Kanalisation (neben London erstes mod. System in Europa). Die größte Herausforderung, die auch die einschneidendsten Spuren im Stadtbild hinterläßt, ist die Umsetzung des sog. Hauptachsenkonzeptes, nach dem zwei sich kreuzende Hauptadern die Stadt durchziehen (die heutigen Straßenzüge der Rues de Rivoli und Saint-Antoine von W nach O und der Bd Sébastopol und Saint-Michel von N nach S). Zudem werden durch Straßendurchbrüche zahlr. weitere neue Verkehrswege angelegt, darunter mehrere Radialstraßen, die sternenförmig auf zentrale Plätze führen, bes. die Pl. de l'Etoile (heute Pl. Charles de Gaulle) mit zwölf Avenuen, v.a. der Av. des Champs-Elysées. Die unter Ludwig XIV. angelegten großen Boulevards werden zu ca. 24 m breiten, begrünten und mit großzügigen Bürgersteigen versehenen Verkehrs- und Flanierwegen ausgebaut, die das Stadtbild nachhaltig verändern und v.a. seiner pittoresken Anmutung berauben. Diese Verkehrswege sollen die Stadt übersichtlich gliedern, den Handel begünstigen und optimale Voraussetzungen für künftige Erweiterungen bieten (unter H. Neubau von ca. 150 km Straßen im Stadtgebiet). Inwiefern hierbei auch militärstrategische Aspekte in die Planungen einfließen, wird bis heute kontrovers diskutiert. Das Verkehrskonzept wird sinnvoll ergänzt durch die Umgestaltung und Erweiterung von Grünanlagen zu großzügigen Parks und Gärten nach engl. Vorbild (Jardin du Luxembourg, Bois de Boulogne und de Vincennes, Parc des Buttes-Chaumont und de Montsouris; insgesamt ca. 60 ha), die Beschleunigung der Eingemeindung von Vororten und die daraus resultierende erhebliche Ausdehnung des städtischen Territoriums (Auteuil, Passy, Grenelle, Montmartre). Weitere Aufgaben betreffen die Koordinierung bis heute umstrittener großflächiger Abrißmaßnahmen (ca. 28000 Gebäude) als Voraussetzung für eine umfangreiche Neubebauung der Prachtstraßen mit repräsentativen Bürgerhäusern (auf einer Länge von ca. 95 km) und die Errichtung markanter öff. Gebäude. Enteignungs- und Finanzierungsfragen, die Verbesserung der Lebensbedingungn, bes. der hygienischen Verhältnisse, und Probleme beim Umgang mit Baudenkmälern sind ebenfalls zu klären. Unter H.s Ägide entstehen stadtbildprägende Bauten wie der Markthallenkomplex, die großen Bahnhöfe (mit breiten Zufahrtsstraßen) und mehrere Theater (v.a. die Oper von Charles Garnier und das Théâtre du Châtelet von Gabriel Davioud), und die Erweiterung des Louvre-Komplexes wird fortgesetzt. Mit denProjekten werden renommierte Architekten wie Garnier, Baltard, Alphand, Davioud, Jakob Ignaz Hittorff, Antoine Nicolas Louis Bailly und Louis-Joseph Duc beauftragt. Konkrete Vorgaben zu stilistischen Aspekten werden hierfür zwar nicht gemacht, diese Entscheidungen obliegen dem jeweiligen Ing. oder Architekten. Dennoch sind die Präferenzen von Napoleon III. (an der Renaiss. orientierte Variante des Historismus, später Style Napoléon III gen., z.B. Louvre und Oper) und H. (gemäßigt klassizistische Auffassung, z.B. strenge Fassaden in der Av. de l'Opéra) erkennbar. Für Fluchtlinien, Geschoßhöhen, Balkontiefen und die Gest. der Fassaden ganzer Straßenzüge gelten hingegen klare Regelungen, deren Einhaltung streng überwacht wird. Neben herber Kritik im Zusammanhang mit dem Abriß von hist. und archit. wertvoller Bausubstanz erregt H. allmählich wachsenden Unmut wegen beispielloser Grundstücksspekulationen, Preistreibereien und damit verbundener Zwangsumsiedelungen an die Peripherie. Auch sein ausgeklügeltes (Modell der "produktiven Ausgaben" gen.) System zur Finanzierung der Bauvorhaben auf der Basis städtischer Einnahmen bringt ihm letztlich den Vorwurf der Verschwendung öff. Gelder ein. Dies führt 1868/69 zum Einschreiten des erstarkten Parlaments, unter dessen Druck Napoleon III., der H. bis zuletzt vertraut und bedingungslos unterstützt, diesen E. 1869 nicht mehr halten kann. Per kaiserlichem Dekret v. 5.1.1870 wird H. hochverschuldet und ohne Pensionsanspruch vom Dienst suspendiert. Er zieht sich auf sein von Baltard und Henri Duphot erb. Schloß Cestas b. Bordeaux zurück; von and. Immobilien (in Houeillès/Lot-et-Garonne, Villa in Nizza) muß er sich aus finanziellen Gründen trennen. Auch nach der Amtsenthebung genießt H. jedoch nach wie vor internat. Ansehen als weitsichtiger Stadtplaner, lehnt aber Angebote z.B. zur Mitwirkung an der Umgestaltung von Rom und zum Wiederaufbau von Konstantinopel nach einem Stadtbrand ab. Nach beruflicher Neuorientierung ist er 1871 Dir. der Pariser Bank Crédit mobilier, ab 1873 Verwalter und 1874 bis an sein Lebensende Präs. der Compagnie des Entrepôts et Magasins généraux. 1877-81 hat er als Vertreter der bonapartistischen Partei in der frz. Abgeordnetenkammer einen Sitz für Korsika, wo v.a. die Einf. des Eisenbahnverkehrs auf schwierigem Hochgebirgsterrain auf seine Initiative zurückgeht, so daß bis dahin unzugängliche Gebirgsdörfer verkehrstechnisch erschlossen werden. Für seine Leistungen wird H. schon früh und später noch mehrfach gewürdigt: 1837 Ritter, 1847 Offizier, 1853 Kommandeur der Ehrenlegion, deren Großes Kreuz ihm 1862 verliehen wird; ab 1857 im Senat vertreten; ab 1867 als freies Mitgl. in die ABA gewählt (H.s höchste Ehrung). - Das Ausmaß und die Nachhaltigkeit von H.s Eingriffen in das Pariser Stadtbild werden schon an dem nach ihm geprägten Terminus der "Haussmannisierung von Paris" deutlich. Trotz unbestritten großer Verdienste bei der Entwicklung der Stadt zur exemplarischen, zukunftsoriertierten Metropole, die bis über die Wende zum 20. Jh. hinaus als Vorbild für die Gest. and. Großstädte dient (v.a. Bukarest), wird H.s Stadtumbau bis heute ambivalent rezipiert. Beklagt werden die großen Verluste im hist. gewachsenen Stadtgefüge und das damit zugleich eingebüßte Flair. Dem gegenüber steht die Verwirklichung eines ambitionierten Infrastrukturpogramms, das den verkehrstechnischen Anforderungen einer mod. Metropole weit über die Entstehungszeit hinaus gerecht wird und durch das Paris bis heute grundlegend vom Haussmannismus geprägt ist.

SELBSTZEUGNISSE

Mém. sur les eaux de Paris, présenté au Conseil mun., le 4.8.1854 et le 16.7.1858, P. 1858; Mém. présenté ... au Conseil mun. de Paris au sujet d'une convention entre l'Etat et la Ville, relative à l'ouverture de nouv. voies publiques, P. 1858; Rech. statistiques sur la ville de Paris et le dép. de la Seine. Recueil de tableaux dressés et réunis d'après les ordres de ... H., P. 1860; Mém. sur les eaux présenté le 20.4.1860, P. 1860; Discours prononcé au sénat ..., au sujet de la pétition de M. Baudin fils, contre le décret du 11.08.1867 déclarant d'utilité publique l'ouverture d'une rue nouv. à travers une partie du cimetière du Nord. Séance des 10 et 11 janvier 1868, P. 1868; Discours prononcé au sénat ..., sur le projet de loi ayant pour objet d'approuver les traités passés entre la ville de Paris et le Crédit Foncier de France, extrait du Procès verbal de la séance du 13.4.1869, P. 1869; Mém. ... au sujet d'une nouv. émission d'obligations de la Ville, P. s.a.; Résumé des traités de concession relatifs aux grandes opérations de voirie, P. 1869; Discours ... sur la proposition le loi tendant à faire disparaître les ruines des Tuileries, P. 1879; Mém. du Baron H. Grands Travaux de Paris 1853-1870, I-III, P. 1890; Repr., I-II, P.1979; Neu-Ausg. mit Einf. v. F.Choay u.a., P. 2000.

QUELLEN

Weitere Lexika:

Macmillan II, 1982; J.Valynseele, in: J.Tulard (Ed.), Dict. du Second Empire, P. 1995; DA XIV, 1996; N.Pevsner u.a., Lex. der Welt-Archit., Da. 31996; Dict. des architectes, P. 1999

 

Gedruckte Nachweise:

L.Réau u.a., L'œuvre du Baron H., Préfet de la Seine (1853-1870), P. 1954; G.-N. Lameyre, H., préfet de Paris, P. 1958; H.Saalman Haussmann, Paris transformed, N.Y. 1971; P.-A. Touttain, H. Artisan du Second Empire, créateur du Paris mod., P. 1971; J.des Cars, H. La gloire du Second Empire, P.1978; 21988; J.Valynseele, H., sa fam. et sa descendance, P. 1982; J.des Cars/P.Pinon, Paris H. "Le Paris d'H." (K Pavillon de L'Arsenal), P. 1991 (Bibliogr. mit grundlegender Lit.); I.A. Earls, Napoléon III. L'architecte et l'urbaniste de Paris, le conservateur du patrimoine, Levallois-Perret 1991; M.Mosser/G.Teyssot, Die Gartenkunst des Abendlandes, St. 1993; D.P. Jordan, Paris. The life and labors of Baron H., N.Y. u.a. 1995 (dt. Ausg.: Die Neuerschaffung von Paris, Baron H. und seine Stadt, Ffm. 1996); P.Casselle, Bibl. de l'Ec. des Chartes 155:1997(1997), 645-689; R.Gerken, "Transformation" und "Embellissement" von Paris in der Karikatur. Zur Umwandlung der frz. Hauptstadt im Zweiten Kaiserreich durch den Baron H., Hildesheim u.a. 1997; M.Carmona, H., P. 2000; N.Chaudun, H. au crible, P. 2000; C.Heurteux, Le Paris d'H., [P.] 2002; P.Pinon, Atlas du Paris haussmannien. La ville en héritage du Second Empire à nos jours, P. 2002; P.de Moncan/M.Saboya (Ed.), Villes haussmanniennes. Bordeaux, Lille, Lyon, Marseille, [P.] 2003

 

Onlinequellen:

R.Schediwy, Wiener Ztg v. 1.3.2005

 

Persönliche Auskünfte:

J.Garleff, Paris