Frei zugänglich

Smith, Kiki

Geboren
Nürnberg, 18. Januar 1954
Land
Deutschland, Vereinigte Staaten
Geschlecht
weiblich
GND-ID
Weitere Namen
Smith, Kiki; Smith, Chiara Lanier
Berufe
Objektkünstler*in; Installationskünstler*in; Zeichner*in; Bildhauer*in; Druckgrafiker*in; Fotograf*in; Glasmaler*in; Goldschmied*in; Filmemacher
Wirkungsorte
New York
Zur Karte
Von
Heid, Birgitta
Zuletzt geändert
02.12.2024
Veröffentlicht in
AKL CIV, 2019, 324

VITAZEILE

Smith, Kiki (Chiara Lanier), US-amer. Bildhauerin, Druckgrafikerin, Objektkünstlerin, Installationskünstlerin, Zeichnerin, Filmemacherin, Fotografin, Glasmalerin, Goldschmiedin, *18.1.1954 Nürnberg, lebt seit 1976 in New York. Tochter von Tony S., Schwester von Seton S.

LEBEN UND WIRKEN

S. wächst von 1955 bis 1973 in South Orange, New Jersey, auf. Durch das künstlerisch-intellektuelle Umfeld ihrer Eltern (u.a. Barnett Newman, Paul Terence Feeley und Richard Tuttle) erhält sie als Kind und Jugendliche viele Anregungen. 1973 zieht sie nach San Francisco. 1974/75 Besuch der Hartford Art School, Connecticut. Im Sommer 1975 Teiln. an der Filmklasse der San Francisco State University. 1976 zieht sie nach New York, wo sie seitdem lebt. 1977 Ass. von Joan Jonas. Künstlerfreundschaften u.a. mit Filmregisseur Charlie Ahearn, Raimund Kummer, Geneviève Cadieux, Lesley Dill, Lanny DeVuono, David Wojnarowicz, Barry Le Va, Nancy Spero und Leon Golub sowie mit Dichtern und Schriftstellern wie Mei-mei Berssenbrugge, Henri Cole und Susanna Moore. - Ausz.: 2000 Skowhegan Med. for Sculpture; 2005 Athena Award for Excellence in Printmaking, Rhode Island School of Design (RISD), Providence; 2006 Med. Award from the School of the MFA, Boston; 2009 Edward MacDowell Med., New Hampshire; 2010 Theo Westenberger Women of Excellence Award; 2012 US State Dep. Med. of Arts; 2016 Lifetime Achievement Award, Internat. Sculpture Centre, New York; Nelson A. Rockefeller Award, Purchase College School of the Arts. Versch. Lehrtätigkeiten, darunter an den Printmaking Dept. der Columbia Univ. und der New York University. - Um 1978 tritt sie den Collaborative Projects, Inc. bei ("Colab", zus. mit Ahearn, Jane Dickson, Mike Glier, Jenny Holzer, Cara Perlman u.a.), ein Künstlerkollektiv, das Ausst. außerhalb der kommerziellen Gal. organisiert und umsetzt. Gemeinsam mit Dickson entstehen ihre ersten Monotypien mit Motiven alltäglicher Objekte, erstellt an einer Tiefdruckpresse. 1979 beginnt sie, Ill. von Zellen, Nerven und Organen aus "Gray's Anatomy" (1901) zu kopieren. Das Werk des Outsider-Künstlers Henry Darger beeindruckt sie. 1980 Super-8-Film Poofo mit Ellen Cooper und Perlman. Zu dieser Zeit thematisiert S. die Sterblichkeit und den Verfall des menschlichen Körpers in ersten Holz- und Gips-Multiples, die abgetrennte Finger und Arme (etwa Hand in Jar, 1983) oder banale Objekte wie ein Radio oder eine Zigarettenpackung darstellen. Das T-Shirt Corrosive (1980) ist ihr erstes Siebdruck-Multiple. Weitere Siebdrucke auf Schals u.a. Textilien behandeln motivisch den menschlichen Körper und dessen Krankheiten. Einige dieser Werke werden 1982 anlässlich der documenta in Kassel im dortigen "Fashion Moda Store" verkauft, neben Arbeiten von Dara Birnbaum, Barbara Kruger und Cindy Sherman. 1983 beginnt sie am New York Experimental Glass Workshop mit Glas zu arbeiten (z.B. Glass Stomach, 1985). 1984 erlernt sie am Robert Blackburn's Printmaking Workshop in Chelsea die Technik der Rad. und am Lower East Side Printshop die der Fotoradierung. Ill. für das Buch "Madame Realism" (1984) von Lynne Tilman. 1984 erfährt ihre Kunst mit einer Reise nach Mexiko und dem Erleben des dortigen "Tages der Toten" neue Impulse. Anstelle von Krankheit und Tod thematisiert sie nun auch Geburt und Leben. 1985 zeigt sie in Zchngn, Druckgrafik und Skulpturen lebensgroße menschliche Organe. Teiln. an einem experimentellen Siebdruck-Kurs am Fashion Inst. of Technology, New York. Ausb. zur Rettungssanitäterin am Interfaith Hospital, Bedford Stuyvesant, Brooklyn, um den menschlichen Körper und seine Funktionen noch genauer kennenzulernen. Neben dem Körper an sich interessieren sie auch Körper-Phänomene, -flüssigkeiten und -absonderungen mit ihren lebensbringenden und tötenden Auswirkungen; ein Beispiel dafür ist ihre erste große Installation Untitled (1986), bestehend aus 12 großen Wasserkühlbehältern, auf denen die Namen versch. Körperflüssigkeiten eingraviert sind. 1987 entsteht S.s. erste ganzfigurige Skulptur, ein Baby aus Bronze (mit Thermometer und Röntgenbildern). Gezeigt wird es in der Gruppenausstellung "Emotope", organisiert vom Büro-Berlin. Im selben Jahr beginnt sie mit weichen Mat. bildhauerisch tätig zu werden, mit Gampipapier, Gips und Terrakotta. Ihre erste Papierskulptur ist Paper Body (1987); aus Keramik besteht Second Choice (1987), in einer Schüssel liegende Organe (u.a. Lunge, Leber und Herz). 1989 lädt die Druckwerkstatt Universal Limited Art Ed., West Islip, New York, S. zur Zusammenarbeit ein. Diese besteht bis heute. 1990 beginnt sie, sich mit dem Äußeren des menschlichen Körpers zu beschäftigen. Es entstehen lebensgroße Skulpturen, zunächst aus Bienenwachs wie Untitled (1990): eine weibliche Figur, aus deren Brüsten Milch läuft, eine männliche Figur, aus deren Penis Sperma an seinen Beinen herabläuft; gezeigt werden diese 1991 auf der Whitney Bienn. in New York. 1992 stellt die Fawbush Gall. Pee Body (1992), Tale (1992) und Blood Pool (1992) aus. 1991-97 Kollaboration mit M.Berssenbrugge für das Künstlerbuch Endocrinology. Parallel widmet S. sich A. der 1990er Jahre auch mythologischen und biblischen Darst., später auch volkstümlichen Themen und Märchen. 1992 fertigt sie ihre erste Skulptur, die einen Vogel zeigt (Getting the Bird Out); viele Vogel- u.a. Tierdarstellungen folgen, darunter die Installation Jersey Crows (1995). Seit 1992 fertigt sie Bronzearbeiten in einer Kunstgießerei in New Mexico, später auch in Florenz. 1993 ist S. die erste weibliche Künstlerin, die von der Anthony D'Offay Gall., London, vertreten wird. Seit 1994 bis heute wird sie von der Pace Wildenstein Gall. (heute: Pace Gall.), New York, vertreten und gehörte zunächst neben Agnes Martin, Coosje van Bruggen und Louise Nevelson (Nachlass) zu den einzigen Frauen der Gal. unter insgesamt 31 Künstlern. Seit 1996 Auseinandersetzung mit der Umwelt des Menschen in Form von Himmelskörpern und den Mondphasen. Als Vorbereitung für eine Ausst. im Carnegie MoA, Pittsburgh, besucht sie z.B. mehrmals das Carnegie Mus. of Natural Hist. und macht mithilfe der Rad. detaillierte Studien von Präparaten heimischer Tiere. Die Rad. entstehen bei dem Print Workshop Harlan & Weaver, Inc., New York; es ist die erste Zusammenarbeit mit diesem, die bis heute besteht. In den 1990er Jahren gründet S. einen eig. Verlag für Druckgrafik namens "Thirteen Moons". Seit 1995 führt sie Glasbilder in der Meyer'schen Hofkunstanstalt, München, aus. In den 2000er Jahren setzt S. ihr Werk mit dem Themenkreis der Märchen, Volkssagen und Fantasieszenen fort. Es entstehen nun auch kleinfigurige Ganzkörperskulpuren, die erste ist Eve (2001). 2002 nimmt sie an Francis Alÿs' dreistündiger Performance "The Modern Procession" über die Queensborough Bridge teil, als "lebende Ikone" wird sie dabei in einer Sänfte getragen. Seit 2012 zeigt S. ihre märchenhaften Themen auch in Tapisserien. – S. ist wie Robert Gober und Annette Messager einer neuen figürlichen Kunst zuzuordnen, die in den 1980er Jahre den menschlichen Körper zergliedert. Schonungslos zeigt sie Körperteile oder auch Ganzkörperfiguren und kann im Frühwerk der Abject Art zugeordnet werden. Ihre Arbeiten sind oft direkt und schockierend, sie berühren emotional. Dabei werden auch politische Themen der Zeit aufgegriffen wie der Zerfall des Körpers durch AIDS oder häusliche Gewalt an Frauen. Die Werke zeigen die Verletzlichkeit des Menschen, bewahren aber zugleich dessen Würde. A. der 1990er Jahre beginnt S., sich mit der Natur des Menschen auseinanderzusetzen, ebenso mit Tieren und dem Kosmos. In ihren Märchen, Geschichten oder auch Traumwelten treten surreale Momente hinzu, außerdem wird die Frage nach der Unschuld von Kindern und Jugendlichen aufgegriffen. Phil. gesehen hinterfragt S. das Sein des Menschen im Hier und Jetzt, zum einen in der Auseinandersetzung mit dessen Körper, zum anderen in seinem Zusammenhang mit Geschichten und Märchen, aber auch im Bezug zu seiner Umwelt, zu den Tieren und dem Kosmos. Ferner ist ihr Werk im feministischen Kontext zu sehen, im Anschluss an Louise Bourgeoise, Eva Hesse oder Spero. Ein Kennzeichen der Kunst S.s ist die Vielfalt ihrer Ausdruckmöglichkeiten. Es gibt keine Hierarchien der versch. Gattungen, die Skulptur steht gleichberechtigt neben der Druckgrafik, die bild. Kunst gleichwertig zum Kunsthandwerk und der Volkskunst. Innerhalb der Gattungen verwendet sie eine Vielfalt an Materialien, z.B. in der Bildhauerei Papier, Wachs, Gips, Stoff, Glas oder Bronze. Neben musealen Werken entstehen auch Gebrauchsobjekte wie Schmuck, Schals oder Espressotassen. Bezeichnend ist ferner ein sozialer Aspekt, denn der Erlös einer Vielzahl ihrer Drucke (sog. Benefit Prints) kommt Ausst. und Projekten zugute.

WERKE

Boston, MFA: Lilith, Silikonbronze und Glas, 1994. London, Tate. Los Angeles, The Broad: Untitled (Red Man), Tusche auf Gampipapier, 1991. München, Alexander Tutsek Stiftung. - Staatl. GrS: Untitled (Hair), Lithographie, 1990; Sueño, Rad. und Aquatinta, 1992. New York, Metrop. Mus.: Lilith, Bronze mit Glasaugen, 1994. - MoMa: Unitled, Versilberte Wasserbehälter aus Glas, graviert, 1987-90. - Mus. at Eldridge Str.- Pace Gall.: Virgin Mary, Bienenwachs, mikrokristallines Wachs, Käsetuch und Holz, 1992. - Solomon R. Guggenheim Mus. - Whitney Mus.: All Souls, Fotosiebdruck, 1985-87. Osaka, NM of Art. Rom, MAXXI. San Francisco, MMA: Virgin Mary, Bronze und Silber, 1993.

AUSSTELLUNGEN

Einzelausstellungen:

New York: 1983 The Kitchen; 1988, '90, '93 Fawbush Gall.; 1990, 2003 MoMA (K); seit 1994 Pace Gall.; 2001 Internat. Center of Photogr. (K) / 1989 Dallas (Tex.), MoA / Montréal: 1989, '94, '98, 2001, '02 Gal. René Blouin; 1996 MFA (Wander-Ausst.) / 1990 Amsterdam, Inst. of Contemp. Art (K); Genua, Centre d'Art Contemp. / 1991 Berkeley, Univ. AM (K) / 1992 Waltham (Mass.), Rose AM und Brandeis Univ. (K) / 1992 Wien, MAK (K) / München: seit 1993 Gal. Barbara Gross; 2018 Haus der Kunst (K); 2019 Staatl. GrS (K) / London: 1993, '95, '97 Anthony d'Offay Gall.; 1995 Whitechapel AG / 1994 Humlebaek, The Louisiana MMK (K) / 1994 Jerusalem, Israel Mus. (Broschüre) / seit 1994 Boston, Krakow Witkin Gall. (1994 Retr., Wander-Ausst.) / 1997 Dublin, Irish MoMA (K) / 1998 Washington (D.C.), Hirshhorn Mus. and Sculpt. Garden (Broschüre) / 1998 Hannover, Kestner Ges. (K) / 2001 Ulm, Ulmer Mus. (K) / 2005 Venedig, Fond. Querini Stampalia (K) / 2005, '07 Rom, Gall. Lorcan O'Neill / 2005-07 Minneapolis (Minn.), Walker AC (Wander-Ausst., K) / 2008 Krefeld, Mus. Haus Esters (K); Seattle (Wash.), Henry AG (K) / 2014 Seoul, LeeAhn Gall. (K) / 2017 Stillwater, Oklahoma State Univ. Mus. (K) / 2024 Remagen, Arp Mus. (K). -

 

Gruppenausstellungen:

New York: 1979 Robin Winter's Broadway Studio: Doctor and Dentist show; 1980 CoLab: The Real Estate Show und Times Square Show; 1985 Arts City: Male Sexuality (mit N.Spero u.a.); 1989 Brooklyn Mus.: Nat. Print Exhib.; 1991, '93, 2002 Whitney Bienn.; 1999 Whitney Mus.: The Amer. Century; 2010 New Mus.: The Imaginary Mus.; 2018 The Met Breuer: Like Life / 1983 Buffalo (N.Y.), Hallwall's Contemp. AC / 1992 Cambridge (Mass.), MIT List Visual AC: Corporeal Politic / 1993, 2005, '17 Venedig: Bienn. / 2003 Gateshead, BALTIC Centre for Contemp. Art: Otherworlds (mit Spero) / 2009 Schleswig, Schloss Gottorf: 100 Jahre Kunst auf Papier / 2011 Madrid, Mus. Thyssen-Bornemisza: Heldinnen / 2022 Bonn, Bundes-KH: Das Gehirn in Kunst & Wiss. (K) / 2024 Wien, Albertina Modern: The Beauty of Diversity (K).

 

QUELLEN

Weitere Lexika:

I.F. Walther, Künstler-Lex., in: Kunst des 20.Jh., II, Köln u.a. 1998; Delarge, 2001; Künstler. Kritisches Lex. zur Gegenwartskunst, Ausg. 63, H. 22,3, M. 2003; J.Collins, Sculpture today, Lo./N.Y. 2007

 

Gedruckte Nachweise:

H.Posner, K.S., Boston 1998 (erw. Neuauflage 2005); K.S. A Gathering 1980-2005 (K Walker AC), Minneapolis 2005 (Lit.); E.Heartney, in: After the revolution. Women who transformed contemp. art, M. u.a. 2007, 188-207. - Film: Kiki Smith-Work!, Regie: Claudia Müller, Kamera: Christoph Lerch, Schnitt: Anette Fleming, © Phlox Films 2015; M.Seidel, Kunstforum Internat. 281:2022(Mai-Juni)264-266; id., ibid. 297:2024(Aug.)245-247

 

Onlinequellen:

widewalls.ch; pacegallery.com; sgsm.eu (WV Druckgrafik); Dict. universel des Créatrices, 2024