Gao Jianfu (Lun; Jueting; Queting; Shaoting), chin. Maler, Kalligraph, Theroretiker, Kunsterzieher, *12.10.1879 Panyu/Prov. Guangdong, †22.6.1951 Macau. Älterer Bruder von Gao Qifeng und Gao Jianseng,
Gao, Jianfu
gemeinsam bek. als die "Drei Gao" (San Gao). G. studierte 1892-99 chin. Malerei im Atelier von Ju Lian in Keshan. Dort Bekanntschaft mit dem Maler Chen Shuren, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte. Nach seiner Übersiedlung nach Guangzhou (1899) gefördert von dem Maler und Kunstsammler Wu Deyi, dessen Slg trad. Malerei und Kalligraphie ihm zu Studienzwecken zur Verfügung stand. Anschl., als Student des Gezhi College (später Lingnan Univ.) in Macau, erhielt er Unterweisungen in Skizzenmalerei bei dem unter seinem chin. Namen bek. Franzosen Maila. Die Begegnung mit dem jap. Kunsterzieher Yamamoto Baigai um 1903, der ihn aufmunterte, ein Kunst-Stud. in Japan zu absolvieren und ihn in Jap. unterrichtete, stellte einen Wendepunkt in G.s Leben dar. 1905 gründete er zus. mit He Jianshi, Pan Dawei u.a. die Bild-Ztg der Aktuellen Polit. Ereignisse (Shishi huabao) sowie die Forsch.-Ges. der chin. Malerei (Zhongguo huihua yanjiuhui) zur Förderung einer künstler. Reform. Die Idee von der Notwendigkeit einer Erneuerung der trad. chin. Malerei, um den Anforderungen des mod. Zeitalters gerecht zu werden und zur Verbreitung der polit. und sozialen Reform sollte sein Leben und Werk fortan intensiv prägen. 1906-07 studierte G. jap. Malerei (nihonga) am Japan Art Inst. (Saikō Nihon Bijutsuin) in Tokio. Hier wurde er Mitgl. der von jap. Pleinair-Malern etablierten Weißen Pferd-Ges. (Hakubakai), der Pazif. Malerei-Ges. (Taiheiyō Gakai) und der Ges. zum Stud. der Aqu.-Malerei (Suisai Kenkyukai). Von Liao Zhongkai und He Xiangning empfohlen, schloß er sich der vom chin. Reformer Sun Yatsen 1905 in Tokio gegr. radikalen Allianz-Ges. (Tongmeng Hui; Vorläuferin der chin. nationalist. Partei Guomindang) an. Nach seiner Rückkehr nach China 1908 beteiligte sich G. zunächst an revolutionären Aktivitäten der von Sun geführten Armee zum Sturz der Qing-Dynastie in Guangzhou und gründete dort eine Zweigstelle der Allianz-Ges. unter dem Deckmantel einer Porzellan-Wkst. (Bowu shanghui). Nach kurzem Aufenthalt in Guangzhou siedelte G. 1912 nach Shanghai über, wo er die namhafte Buchhandlung der Ästhetik (Shenmei shuguan) gründete sowie die einflußreiche Zs. The True Record (oder Rev. artistique de la réalité; chin.: Zhenxiang huabao), die erste chin. Publ. mit Ill. westl. Malerei, ins Leben rief. Bis 1913 fungierte die Zs. als Sprachrohr seiner künstler. Reformbestrebungen. Einer Einladung von Sun Yatsen folgend, kehrte G. 1918 nach Guangzhou zurück, wo er in der Stadt-Reg. mitwirkte und als Kunsterzieher arbeitete. 1923 gründete G. zus. mit seinem Bruder Gao Qifeng die bek. Malschule "Frühjahrs-Schlaf-Studio" (Chunshui huayuan) in Guangzhou, die bis 1938 (jap. Invasion) florierte, ehe sie nach Macau verlagert wurde. G. wirkte an zahlr. Lehranstalten: 1925 Foshan KA (Foshan shili meishuyuan); 1933 Zhongshan Univ.; 1936-37 auf Einladung von Xu Beihong als Prof. an der Nat. Zentral-Univ. von Nanjing; 1941 Hongkong Ges. zur Förderung der chin. Kultur (Xiang'an zhongguo wenhua xiejin hui); um 1948 Städt. Kunst-FHS von Guangzhou (Guangzhou shili meishu zhuanke xuexiao). 1931 reiste G. nach Indien, um die buddh. Skulpt. von Ajanta zu studieren und Kopien der dortigen Wandmalereien anzufertigen. Anschl. ging er nach Singapur, Ceylon, Nepal und Burma. Während des Sino-jap. Krieges (1937-45) lebte G. in Macau, 1945-49 wieder in Guangzhou. In Zusammenarbeit mit Chen Shuren, Yang Shanshen, Guan Shanyue, Zhao Shao'ang organisierte er 1948 die letzte Ausst. der Lingnan-Schule. Nach der Gründung der Volksrepublik 1949 kehrte G. nach Macau zurück. Er lehnte eine offizielle Einladung, nach China zurückzukehren, ab. 1951 wurde eine Retr. seines Œuvres mehrmals in Hongkong und Macau gezeigt. Viele der ausgestellten Werke sind inzwischen verlorengegangen. Die Mehrheit von G.s Werken befinden sich heute im Mus. of Art (ehem. Slg Jian Youwen) in Hongkong. Ausz.: 1914 Gold-Med. der Panama Pacific Internat. Exhib.; 1926 Gold-Med. der Internat. Kunst-Ausst., Rom; 1930 Ehren-Preis der Belg. Centenary Independence World Fair. - Als Student von Ju Lian widmete sich G. zunächst vorwiegend der Darst. von Vögeln, Pflanzen, Blumen und Insekten im Stil der vom Lehrer geprägten Keshan-Schule. Bestimmend für das frühe Werk Hua gua yu chong (Blumen, Melonen, Fische und Insekten, Serie von 4 Hängerollen, 1905; Hongkong, Mus. of Art) ist eine farbenprächtige Chromatik in der knochenlosen (mogu) Manier kombiniert mit realist.-detaillierter Pinselführung (xie sheng), die eine sichere Zchng und ausgeprägtes Naturstudium offenbart. Die typ. farbl. und strukturellen Abstufungen werden erzielt durch den Auftrag von weißem Pulver oder Wasser auf den feuchten Malgrund in der vom Lehrer tradierten Technik des "zhuangfen" bzw.. "zhuangshui". Jus Symphatie für die Unterprivilegierten der Ges. und seine Vorliebe für weltl. Sujets sollten den Schüler weitgehend prägen. Die Beschäftigung mit trad. chin. Malerei bestimmte auch das spätere Œuvre. Von einer anfängl. dekorativ wirkenden und detaillierten Formsprache fand G. später zu einer expressiveren und intimen Gest.-Weise, bestimmt durch vereinfachte, kalligraph. Formen, expressiv in Tuschetechnik und Pinselduktus (xieyi), wie z.B. Song (Kiefer, 1936) und Puhuo deng'e (Motten, die in die Flamme tauchen, 1939). Gelegentl. entstanden auch Lsch. in der Trad. alter Meister wie Tang Yin (*1470, †1524) und Lan Ying (*1585, †ca. 1664), z.B. Dongjing (Winter-Lsch., 1951). Der Studienaufenthalt in Japan 1907-08 lenkte G. nachhaltig auf Motive und Stilmittel der von westl. Stilrichtungen (frz. Akademismus, Freilichtmalerei, Postimpressionismus, Fauvismus) geprägten modernisierten jap. Malerei (nihonga). Werke aus dieser Zeit zeigen Einflüße der zeitgen. Meister Kano Hōgai, Hashimoto Gaho, Takeuchi Seihō sowie der in Kyōto wirkenden Maruyama Ikyo und Matsumara Goshun. Inspiriert von jap. Vorbildern widmete G. fortan viele Arbeiten der Darst. von Affen und v.a. Löwen, Tigern und Adlern, die als Metapher patriot. Kraft und Zuversicht gelten. In den 20er Jahren fand G. zu einer eigenständigen Interpretation der von der jap. Nihonga abgeleiteten Neuen Nationalmalerei (xin guohua). Er schuf bek. Archit.-Motive, z.T. aus der Region Guangdong, kombiniert mit den Möglichkeiten perspektiv. Zchng und mit einem neuen Farbrealismus in der Lsch.-Malerei, wie das von Kimura Buzan abgeleitete Verbrennung des Efang Pal. (1930). Das berühmte Werk Wuceng lou (Das fünfstöckige Gebäude, 1926; Hongkong, Mus. of Art) ist ein repräsentatives Beispiel seiner Synthese von realist. Prinzipien (perspektiv. Wiedergabe der Archit., maler. Effekte von Licht und Schatten, ausschnitthafte Bildfelder, ineinander übergehende Farb- und Tuscheflächen und Unterdrückung der Linie) und chin. Mat. (Tusche und Farbe/Papier), Formaten, Pinselführung und Stilelementen (zurückhaltende Farbsensibilität; leer gelassener Hintergrund). Der Trad. der chin. Literatenmalerei folgend, werden die Gem. von G. stets mit harmon. ins Bild integrierten Aufschriften versehen. Hierbei handelt es sich zumeist um kurze Texte ideolog. oder persönl. Inhalts, anfängl. in einem vom Zheng Xie (*1693, †1765) stark beeinflußten Schrifttypus (liufenban), später in einer unverkennbaren schnörkeligen und nervös wirkenden Konzeptschrift (caoshu) geschrieben. Der atmosphär., melanchol. anmutende Ausdruck bildet fortan, z.B. in Miantian foji (Ruinen von Burma, 1934; Hongkong, Mus. of Art) ein Grundzug seiner Gest.-Weise. Im Werk der 30er Jahre erweitert G. das Repertoire der chin. und jap. Tuschemalerei um gänzl. neue Motive wie Flugzeuge, Autos, Panzer oder sogar Totenschädel, z.B. Yuzhong feixing (Im Regen fliegen, 1932), Tiandi liang guaiwu (Zwei Monster im Himmel und auf Erden) und Schädel, die das Schicksal beweinen (1938). Während des Sino-Jap. Krieges entstanden zudem realist. Gem., welche die Verwüstung und Bombardierung von Shanghai dokumentieren. G.s Spätwerk zeichnet sich aus durch eine Rückkehr zu trad. Sujets des Genres Blumen-und-Vogel-Darst. in einer lebhaften, flächigen Malweise und delikater Chromatik, wie Shenxian yu (Trop. Fische) und Luobo chuan (Rübe und Bienen). - G. ist v.a. bek. als Gründer, wichtigster Wortführer und Maler der in der Prov. Guangdong beheimateten Lingnan-Schule (chin.: Lingnan pai, Schule "südl. der Berge", gelegentl. auch Guangdong-Schule gen.), einer bedeutsamen Stätte der frühen west-östl. Begegnung, die in Abweichung von der trad. Malerei die Erweiterung ihres formalen und ikonogr. Gehalts suchte. Ihre Vertreter verwarfen die Weltflucht der trad. chin. Literatenmaler und proklamierten eine aktive Teiln. der Kunstschaffenden am Weltgeschehen. Ihre als revolutionär zu bezeichnende Forderung, Kunst den Massen zugängl. und verständl. zu machen, stand in direktem Zusammenhang mit der zeitgleichen Neuen Kulturbewegung (Xin wenhua yundong) sowie der im Rahmen der 4. Mai-Bewegung (1919) geführten lit. Reformbewegung: Wurde dort von den Intellektuellen die Einf. der Umgangssprache (guoyu) propagiert, befürwortete G. die Aufnahme zeitgen. polit. und Alltagsthemen als Mittel zur Erziehung und Propaganda. Im Rahmen ihrer künstler. Orientierung gehören die Lingnan-Maler zu den ersten chin. Künstlern, die sich mit Themen der mod. Zivilisation befaßten. Ihre Malerei zeigt jedoch sehr treffend das zentrale Problem der mod. chin. Malerei, den Zusammenprall von Innovation und Trad., der sich oftmals als Konflikt zw. westl. und chin. Stilmitteln manifestiert. Dem durch die Vermittlung jap. Künstler adaptierten synkretist. Malstil liegt eine sehr beschränkte und oberflächl. Beschäftigung mit der westl. Kunst zugrunde. Zu Lebzeiten stark kritisiert von den konservativen Vertretern der streng traditionalist. Kunst im Rahmen der Ges. zur Erforschung der chin. Malerei (Huaxue yanjiuhui), brachten ihm seine künstler. Reformbestrebung aber auch von versch. bed. zeitgen. Künstlern Anerkennung ein, z.B. Xu Beihong, Ni Yide, Wen Yuanming und Fu Baoshi. G. gilt heute als bed. Vorreiter der Kunstreformbewegung des 20.Jh.: Er fand zahlr. Nachf., zu denen neben seinen beiden Brüdern und Chen Shuren auch Guan Shanyue, Li Xiongcai, Fang Rending und Zhao Shao'ang sowie Rong Dakuai, Li Fuhong, Situ Qi, Zhao Chongzheng und Li Gemin gehören. Die von der Lingnan-Schule eingeschlagene Stilrichtung stimmungsvoller Landschaftsidyllen wird inzwischen in der von Ou Haonian in Hongkong etablierten Neuen Lingnan-Schule (Xin lingnan pai) weitergeführt.
Dui riben yishujie xuanyan bing gao shijie (Die jap. Kunstwelt. Ein Manifest), Yifeng yuekan 1:1933(5); Yishu jiuguo (Kunst als Rettung der Nation), ibid. 3:1935(5); Wo de xiandai guohua guan (Meine Ansichten zur mod. chin. Malerei), Hongkong 1955; Yindu yishu (Die Kunst Indiens); Yishu xinlu xiang (Die neue Richtung der Kunst).
Einzelausstellungen:
Hongkong: 1939 AM of the Chin. Hong Kong Univ.; 1978 Mus. of Art / 1951 Macau, Zhongyang Hotel / 2002 Shenzhen, Guan Shanyue Mus. -
Gruppenausstellungen:
1996-97 Köln, Mus. für Ostasiat. Kunst: Chin. Tuschemalerei im 20. Jh. (K) / 1998 New York, Guggenheim Mus.: A Century in Crises. Modernity and Trad. in the Art of twentieth-C. China (K).
Weitere Lexika:
Yu Jianhua, 1981, 784; Zhongguo meishu cidian, Shanghai 1987; Seymour, 1988 (s.v. Kao Lun); DA XII, 1996; Zhongguo dabaike quanshu. Meishu, II, Bj. 1998; Bénézit V, 1999. Addenda: M.M. Matias, Macau - séc. XX. Dic. de artistas plást., I, [Li.] 1999
Gedruckte Nachweise:
Wong Shiu-hon, Kao Chien-fu's theory of paint., Hong Kong 1972; Der Duft der Tusche. Chin. Gem. der Gegenwart (K Frankfurt am Main), Wb. 1976 (s.v. Kao Chien-fu); T.Luard, Arts of Asia 8:1978(6)104-114; The art of G.J., Hong Kong 1978; Early masters of the Lingnan School (K), Hong Kong 1983; R.H. Ellsworth, Later Chin. paint. and calligraphy, 1800-1950, N.Y. 1987; R.Croizier, Art and revolution in mod. China. The Lingnan (Cantonese) school of paint., Berkeley/L.A. 1988; M.Kao (Ed.), Twentieth c. Chin. paint., Hong Kong u.a. 1988; G.J. xiesheng gao, Taipei 1990; C.Chu, Artention 21:1991, 51-55; Chen Xiangpu, G.J. de huihua yishu, Taipei 1991; Mod. Chin. paint. and calligraphy from the Taiyilou coll. (K), Hong Kong 1991; G.J. huaji, Guangzhou 1991; Kao Mayching, in: Internat. colloquium on Chin. art hist. (1991). Proceedings: Paint. and calligraphy, II, Taipei 1992, 549-597; J.C Kuo, Heirs to a great trad. Mod. Chin. paint. from the Tsien-hsiang-chai coll. (K), College Park, Md. u.a. 1993; J.F. Andrews, Painters and politics in the People's Republic of China, 1949-1979, L.A./Lo. 1994; M.Kao (Ed.), The art of the Gao brothers of the Lingnan school, Hong Kong 1995; M.Sullivan, Art and artists of twentieth-c. China, Berkeley u.a. 1996; E.J. Laing, An index to reprod. of paint. by twentieth-c. Chin. artists, Ann Arbor 1998; S.Vainker, Chin. paint. in the Ashmolean Mus., Oxford (K), Ox. 2000; W.C. Fong, Between two cultures. Late nineteenth- and twentieth-c. Chin. paint. from the Robert H. Ellsworth coll. in the Metrop. Mus. (K), N.Y. u.a. 2001; Wan Qingli/Li Zhujin, Zhongguo xiandai huihua shi, II, Taipei 2001
Onlinequellen:
2004