Saint Phalle (eigtl. Fal de Saint Phalle), Niki de (eigtl. Catherine Marie-Agnès), frz.-US-amer. Bildhauerin, Bühnenbildnerin, Malerin, Film-, Installationskünstlerin, Model, *29.10.1930 Neuilly-sur-Seine, †21.5.2002 San Diego/Kalif., lebte und arbeitete in Frankreich (Paris, Soissy), Italien (Garavicchio/Toskana) und den USA (La Jolla).
Saint Phalle, Niki de
S. ist das zweite von fünf Kindern einer US-Amerikanerin und eines Franzosen. Aufgewachsen in New York, wo sie ihre Schulzeit in priv., kath. Einrichtungen absolviert, erlebt sie ersten beruflichen Erfolg als Model und erscheint u.a. in den Zss. Vogue und Life. Mit 18 Jahren heiratet sie ihren Jugendfreund Harry Mathews. Das Paar wohnt in Boston, wo Mathews Musik studiert; dort fertigt S. ihre ersten Gem. an, 1951 wird ihre Tochter Laura geboren. 1952 verlassen sie die USA und ziehen nach Frankreich, wo S. Theater und Schauspiel studieren möchte. Drei Jahre nach ihrer Ankunft in Paris wird sie aufgrund eines schweren Nervenzusammenbruchs in ein Krankenhaus eingewiesen. Während ihrer Behandlung realisiert sie die positiven Auswirkung des Malens auf ihre psychische Gesundheit, sodass sie sich gegen die Karriere als Schauspielerin und für die Kunst entscheidet; erste Collagen entstehen und sie ist fortan autodidaktisch tätig. Nach ihrer Entlassung lebt sie in Paris und auf Mallorca, wo sie 1955 ihr zweites Kind, Philip, zur Welt bringt. Während ihrer versch. Aufenthalte in Europa entdeckt sie das Werk Antonio Gaudís, dessen Arbeiten sie nachhaltig prägen, v.a. sein Umgang mit Farbe und seine organische Formensprache. Die Aqu., an denen sie mittlerweile arbeitet, werden das erste Mal 1956 in der Gal. Gotthard im schweiz. St. Gallen ausgestellt. Zurück in Paris, verkehrt sie im Kreis der Avantgarde und lernt zahlr. Künstler kennen, u.a. Robert Rauschenberg, der zu einem ihrer engsten Freunde wird, sowie 1956 Jean Tinguely, mit dem sie zusammenarbeitet und mit dem sie ein Leben lang ein künstlerischer Dialog verbinden wird. Während dieser Zeit sind S.s Kunstwerke durch den Einsatz von Mat. und Objekten gekennzeichnet, die dem häuslichen Umfeld entstammen. Collage, Assemblage und Mosaik sind demnach schon früh in ihrem Werk präsent. Die wiederverwendeten Objekte und die Formen, die sie mit ihnen erschafft, setzt sie heftiger Gewalt aus, was ein Hauptaspekt ihrer Arbeiten zw. 1960 und 1970 ist. Sie vertieft dieses Motiv in ihrer Ser. Tirs (Schüsse). Eines der Hw. dieser Ser., Saint Sebastien (Portrait of my lover) (Farbe, versch. Objekte/Holz, 1961, Hannover, Sprengel Mus.) wird in ihrer ersten Gruppenausstellung (1961 Paris, MAMVP: Salon Comparaisons) gezeigt. Die Arbeit besteht aus einem Hemd mit Krawatte, ein Relikt ihres Ehemannes, von dem sie sich 1960 scheiden lässt, dem statt eines Kopfes eine Zielscheibe aufgesetzt ist. Die Künstlerin animiert die Betrachter dazu, durch das Werfen von Darts auf die Zielscheibe ihr zu helfen, jegliche Verbindung zu diesem Mann symbolisch zu zerstören. S. imaginiert so ein Ritual der Befreiung, das zugleich einer neuen Beziehung zw. Werk und Öffentlichkeit den Weg bereitet: Die Aktion wird hier nicht mehr allein vom Künstler ausgeführt, sondern auch der Rezipient wird zum Akteur. Das gleiche Prinzip nutzt sie für and. Werke der Ser. Tirs, die sie auf dem Hof des Ateliers im Impasse Ronsin in Paris realisiert, das sie seit 1960 zus. mit Tinguely nutzt. S. fixiert versch., mit Farbe gefüllte Behältnisse auf mit Stoff bespannten Wänden und Sockeln. Auf diese weißen Oberflächen schießt S. (manchmal auch ihre Freunde) mit einem Karabiner, einer Flinte oder einer Pistole, wodurch die getroffenen Behältnisse ihren Inhalt freigeben. Die Farben laufen in unkontrollierten Strömen sich überlagernd über den weißen Grund. In diesen Werken vollzieht gewissermaßen der Bildträger selbst den malerischen Akt, sodass gleichzeitig der Gestus des Künstlers und die Bedeutung der kreativen Entscheidung hinterfragt werden. Der Kunstkritiker Pierre Restany, der beim ersten Tirs am 12. Febr. 1961 anwesend ist, lädt S. danach ein, sich der Gruppe Nouveau Réalisme anzuschließen, die am 27. Okt. 1960 gegründet worden ist und die ihre Grundlage in der minimalistischen konstitutionellen Deklaration "Nouveau Réalisme: nouvelles approches perceptives du réel" hat. Für S. werden damit die Nouveau Réalistes (Yves Klein, Arman, François Dufrêne, Raymond Hains, Martial Raysse, Restany, Daniel Spoerri, Tinguely und Jacques de la Villeglé César; ab 1961 auch Mimmo Rotella und Gerard Deschamps) ein wichtiges Netzwerk: Sie schließt mit den and. Mitgl. Freundschaft und stellt ihre Werke bei zahlr. Gruppenausstellungen aus. Animiert durch die größere Öffentlichkeit und das produktive Umfeld spielt S. eine zentrale Rolle bei der weiteren Entwicklung der Gruppe. Auf Initiative von Spoerri, Tinguely und dem Kurator Pontus Hulten nimmt sie 1961 an der Wander- und Gruppenausstellung "Bewogen Beweging" teil, die im Amsterdamer Sted. Mus. eröffnet wird. Zahlr. gemeinsame Projekte, Ausst. und alternative künstlerische Ansätze beleben von da an das Gruppenleben und geben Anlass zu einigen der ehrgeizigsten Projekte S.s. Ihre Bekanntschaft mit Hulten, den sie 1960 durch Vermittlung von Tinguely kennenlernt, spielt fortan eine große Rolle für ihren späteren Erfolg: Die Freundschaft und Unterstützung des Kurators, der für zahlr. Gal., das Mod. Mus. in Stockholm und bald darauf auch für das MNAM in Paris arbeiten wird, begleitet sie während ihrer gesamten Karriere. In Frankreich arrangiert Restany die erste breit angelegte Einzelausstellung S.s "Feu a volonté" in der Gal. J (30.6.-12.7.1961), in der Arbeiten aus der Ser. Tirs gezeigt werden. Es folgen Einzel- und Gruppenausstellungen in Frankreich, Europa und den USA, wo S. von der Gal. Alexandre ausgestellt wird und auch an der berühmten Ausst. "The Art of Assemblage" im MoMA New York beteiligt ist. So entwickelt sich S. von den 1960er Jahren an zu einer wichtigen Persönlichkeit innerhalb der zeitgen. Kunstszene. Die Tirs werden zunehmend zu größeren, formellen und symbolischen Arbeiten, wie etwa Autel O.A.S. (Objekte/Holz, Bronzeguss, 1962, Nizza, MAMC), in der sich ihre Faszination für Relig., ihre Ablehnung kath. Erziehungsstrukturen und die Gewalt, welche Frankreich im Zuge des Krieges mit Algerien erschüttert, überlagern. Einerseits werden ihre Arbeiten immer politischer (Kennedy-Krouchtchev, Farbe, Draht, versch. Objekte/Holz, 1962, Hannover, Sprengel Mus.), andererseits beginnt S. sich während der Entstehung ihres ersten Accouchement/Geburt (1962) für spezifisch weibliche Themen zu interessieren. Im Zuge der kontinuierenden Erkundung versch. weiblicher Rollen beginnt sie die Ser. der Mariées/Ehefrauen (ab 1964/65), die ein neues Kapitel innerhalb ihres Œuvres bilden. Diese Skulpturen setzen sich aus versch. kleinen Objekten aus gefundenem oder neuem Plastik und diversen Geweben (Papier, Wolle, z.T. Rosshaar) zus., die auf leichten Metallstrukturen fixiert werden. Ganz in weiß oder in den Originalfarben der Stoffe und Objekte, aus denen sie bestehen, gehalten, sind die mon. Figuren, mal mit Kranz oder Schleier, oft in ein scheinbar kostbares Gewand gekleidet, während ihre Oberkörper von zahlr. kleinen Figuren, Tieren, Objekten, Babys, überlagert sind. Somit verweisen die Mariées auf ein ambivalentes Bild der Frau, die einerseits bis zur Unkenntlichkeit völlig überlastet ist und andererseits einer Braut, Königin oder Göttin gleicht. Die Ser. öffnet sich vielfältigen Themenbereichen und wird auch fortgesetzt, als S. und Tinguely für einige Monate in die USA reisen. Inspiriert von der Schwangerschaft ihrer Freundin Clarice Rivers, beginnt S. um 1965 schwangere Frauenkörper zu entwerfen, die immer rundere Form annehmen. Die Entwicklung von der Ser. der Mariées zu jener der Nanas ist fließend: Die Techniken sind zunächst gleich und auch die Komp. der Mariées bleibt vorerst bei den Nanas erhalten. Die neue Ser. wird erstmals im Rahmen einer Einzelausstellung in der Pariser Gal. Iolas im Okt. 1965 gezeigt. Die Arbeit an den Nanas markiert auch den Beginn der Auseinandersetzung S.s mit dem Medium der Serigrafie und der Konzeption von Künstlerbüchern. Für die Künstlerin, die immer viel gezeichnet und ihr Werk mit der Malerei begonnen hat, ist das graf. Arbeiten nicht nur im Hinblick auf die Reifung ihres künstlerischen Vokabulars von Bedeutung, sondern auch in Bezug auf ihr gesamtes Werk. Während ihrer ganzen Karriere wird sie von nun an Künstlerbücher publizieren und Schriftverkehr mit mehreren Personen (u.a. Rivers, Tinguely) unterhalten; diese persönliche Korr. bildet häufig die Grundlage für Lith.- oder Serigrafie-Editionen. Unabhängig vom Medium findet sich in ihrem gesamten Schaffen der gleiche Stil wieder: die Kombination von Text und Zchng, historisierte Char., der Kontrast von Schwarz und Weiß sowie eine leuchtende Farbigkeit. 1966 entsteht S.s erste begehbare Skulptur. Schon ein Jahr zuvor entwirft sie in Zusammenarbeit mit Tinguely und Raysse die Kulisse für ein Ballett von Roland Petit, während die Tirs und Mariées bereits z.T. mon. Größen angenommen haben. Mit dieser Veränderung des Maßstabs seit 1966 wandelt sie nachhaltig den Blick und die Erfahrung des Betrachters. Auf Einladung von Hulten schafft sie in Kooperation mit Tinguely und Per Olof Ultvedt eine Skulptur für den Eingangsbereich des Mod. Mus. in Stockholm. Die hierfür entwickelte Hon (schwed. "sie"), eine begehbare Figur einer liegenden Gebärenden, präsentiert ihre geöffnete Vulva als Eingang. Im Inneren beherbergt das Werk eine Terrasse, ein Aquarium, eine scheinbare GG und eine "Milk Bar". Während der rund geformte Bauch auf das kreative Potenzial des weiblichen Körpers anspielt, erschafft S. ihren eig. Worten nach und in Referenz auf ges. Klassen "die größte Hure der Welt". Das Werk ist zwar nicht erhalten, findet aber in den Nanas seine Fortsetzung. Im folgenden Jahr überträgt die Künstlerin anlässlich ihrer ersten musealen Einzelausstellung (Amsterdam, Sted. Mus: Les Nanas au pouvoir/Nanas an die Macht) die Monumentalität der Hon auf die Nanas, indem sie ein Nana Haus kreiert. Ihr Projekt begehbarerer Skulpturen für den Garten von Rainer von Diez ist ein erstes Ergebnis dieser archit. Vision. Die Beschäftigung S.s mit der Veränderung der Größenverhältnisse läuft parallel zu einem Diskurs über die Macht der Frauen und die Neubewertung ihrer ges. Rolle und Besonderheiten. S.s Position unterscheidet sich insofern von den zeitgen. feministischen Bewegungen, als dass sie einige Topoi, die eine vermeintliche weibliche Natur betreffen, akzeptiert und fortsetzt. Gleichwohl bejaht S. mit Entschiedenheit eine dringend nötige Veränderung der ges. Sichtweise. Für S. ist das weibliche Prinzip die Grundlage der Welt ("Die Welt ist rund, die Welt ist eine Brust"), weshalb sie sich dafür einsetzt, dieses zum Zentrum der Welt und dessen Wertesystems zu machen. Die Nanas, S.s zahlenmäßig und auch zeitlich wichtigste Werkgruppe, schließen an diese formalen und theoretischen Überlegungen an. Für S. geht es darum, mit den runden, bunten und v. a. fröhlichen Formen die Männerwelt einzunehmen. Ihre Nanas sind immer in Bewegung, die unregelmäßige Linienführung, die Asymmetrie und die unvollkommenen Oberflächen erzeugen eine Verschiebung, die den Posen eine reelle Dynamik verleiht. Diesen tanzenden, hüpfenden, die Hüften schwingenden Körper ist eine fleischliche Fülle zu eigen, die ihre Lebensfreude unterstreichen. S. betont somit immer wieder den subversiven Char. der Freude. Die Haut ihrer Nanas ist mit Farbe bedeckt, die mittlerweile per Hand mit dem Pinsel auf die Kunstharzoberfläche aufgetragen wird. S.s Formensprache, die Prägnanz der gekrümmten Linie und die allgegenwärtige Farbigkeit basieren auf einem sowohl theoretischen als auch ästhetischen Programm. S. wird ihre Arbeit an den Nanas während ihrer gesamten Schaffenszeit fortsetzen, es lassen sich allerdings Untergruppen unterscheiden: 1971 etwa entstehen anlässlich der Einzelausstellung in der Gal. Espace in Amsterdam (N.d.S.P.: The Devouring Mothers and other sculptures) die Mothers, von denen nur einige den Untertitel "devouring" tragen. Diese gehen formal auf die Nanas zurück, sind aber ohne deren char. Üppigkeit und Freude. Die freien und tanzenden Frauen werden hier durch Mütter mit enormen Ausmaßen und monströsen oder skelettartigen Gesichtern ersetzt. Diese Untergruppe, deren Produktion 1970 beginnt, steht in Bezug zum Film Daddy, den die Künstlerin 1973 gemeinsam mit Peter Whitehead realisiert. In dieser psychoanalytischen Arbeit versucht S. die Vergewaltigung durch ihren Vater als Elfjährige und die bedrängte und machtlose Atmosphäre ihrer Kindheit Form zu geben. Sie untersucht Fragen von Macht und Domination zw. Männern und Frauen bis hin zur Darst. des Todes ihres Vaters innerhalb des gefilmten Tirs La mort du patriarche (Farbe, Draht, versch. Objekte/Holz, 1962/72, Hannover, Sprengel-Mus.). Die Ser. der Tirs findet hier ihren symbolischen Abschluss, der Patriarch wird erschossen, wegen seiner unverhältnismäßigen Sexualorgane verspottet und letztendlich angesichts einer rachsüchtigen S. all seiner Macht beraubt. In ihrer Autobiografie "Mon secret" bezieht sich S. 1993 noch einmal auf die traumatischen Erlebnisse ihrer Kindheit und nimmt somit die Form des Buches wieder auf, mit der sie bereits 1965 anlässlich der ersten Ausst. der Nanas experimentiert hat. Der Sommer 1974 ist für S. entscheidend: Während einer Erholungsreise in die Schweiz trifft sie Marella Caracciolo Agnelli, eine ihrer ältesten Freundinnen aus New York, wieder und vertraut ihr den Wunsch einen großen Skulpturengarten zu gestalten an. Mit ihren beiden Brüdern stellt Agnelli S. ein Stück Land in Garavicchio in der Toskana zur Verfügung, wo der Jardin des Tarots entstehen wird. Die Idee sich mit den Arkana Karten des Tarot Spiels auseinander zu setzen, geht auf eine Idee von 1976 zurück. 1978 realisiert S. die ersten Zchngn und Skizzen für den Garten. Dieses mon. Projekt beschäftigt die Künstlerin bis zu ihrem Tod im Jahr 2002, vier Jahre vor der Eröffnung des Parks. Der Jardin des Tarots wird mithilfe zahlr. Ass. realisiert (u.a. Rico Weber, Pierre Marie Lejeune, Tomino Urtis, Ricardo Menon, Venera Finocchiaro, Marcelo Zitelli) sowie mit der techn. Unterstützung durch Tinguely. Die Zusammenarbeit der beiden Künstler kontinuiert unabhängig vom Status ihres priv., teilw. gemeinsamen, Beziehungsstatus. Am 13. Juli 1971 heiraten sie, um sich die Rechte am Werk des jeweils and. nach ihrem Tod zu sichern. In der F. realisiert S. zahlr. mon. Arbeiten, u.a. in Jerusalem und Knokke le Zout, an denen Tinguely stets beteiligt ist, teils mit einfachen techn. Ratschlägen, teils in direkter Zusammenarbeit vor Ort mit S. und ihrem Team. Tinguely entwirft auch Pläne für Metallstrukturen, die aus versch. Metalltypen, Trägerteilen und sehr feinen Metallgeflechten bestehen, auf denen anschl. die oberflächlichen Mat. befestigt werden. Je nach Projekt, Umfeld oder Experiment besteht die Oberflächenstruktur aus Kunstharz oder, wie im Fall des Jardin des Tarots, aus Spritzbeton. Die Konstruktionsweise der mon. Werke unterscheidet sich folglich nicht sehr von jener der kleineren Skulpturen, deren weniger haltbare Mat. nach ähnlichem Schema zusammengestellt sind. And. Werke, wie Le Paradis fantastique, das im Juni 1966 zus. mit Tinguely für den frz. Pavillon der "Expo 67" in Montréal kreiert wird, oder sehr viel später, der Strawinski-Brunnen (1983) neben dem Centre Pompidou, sind tatsächlich gemeinsam gestaltet. Diese beiden Werke, die im Abstand von 17 Jahren entstehen, funktionieren nach einem vergleichbaren Schema: Für die Skulpturengruppen schaffen beide Künstler in ihrer jeweiligen Ästhetik farbige, abgerundete bzw. schwarze, scharfkantige Formen oder Einzelobjekte, die im Raum arrangiert werden. Die unterschiedlichen Schaffensprozesse werden ohne gegenseitige Ergänzung oder Adaption beibehalten, der künstlerische Dialog findet ebenbürtig statt. Im Unterschied dazu ist der Jardin des Tarots ein Universum, das S. ganz nach ihrer Vorstellung erschafft. Parallel zu dieser mon. Arbeit entwickelt sie neue Ser., u. a. 1979 die Skinnies. Die sehr langgestreckten Silhouetten dieser Skulpturen erscheinen fast nur als in den Raum gezeichnete Konturen. 1980 entstehen ihre ersten Möbelstücke. Zwei Jahre zuvor entwirft sie einen Parfumflakon, um den Jardin des Tarots zu finanzieren. Das E. der 1980er Jahre ist für S. von der HIV-Erkrankung ihres Ass. Ricardo Menon gezeichnet. Menons Krankheit nimmt sie sehr mit, in der F. engagiert sie sich im Kampf gegen AIDS, veröffentlicht das Buch AIDS : You can't catch it holding hands (M. 1987), dessen Erlöse einem Präventionsprogramm zufließen, gestaltet Plakate und unterstützt Hilfsorganisationen finanziell. Durch Tinguelys Tod 1991 tief getroffen, realisiert S. ihre erste Méta-Tinguely, eine kinetische Skultur, bei der sie die Formensprache des Künstlers mit ihrer eig. kombiniert. Sie widmet sich der Verwaltung von Tinguelys Nachlass, insbesondere ist sie mit der Fertigstellung der Arbeit Cyclop (1994) befasst, die zur Eröffnung des Tinguely Mus. in Basel (1996) enthüllt werden soll. In den 1990er Jahren wird S.s Werk institutionalisiert. Sie erhält zahlr. Ausz., u.a. 2000 Praemium Imperiale für Skulptur, Japan Art Assoc., Tokio, und macht bed. Schenkungen ihres Werks, insbesondere jene an das MAMC Nizza und das Sprengel Mus. Hannover. 1993 lässt sie sich aus gesundheitlichen Gründen in La Jolla/Kalif. nieder. Dennoch verfolgt sie ihre Projekte in Europa weiter, v.a. den Jardin des Tarots sowie eine große Anzahl an Skulpturen für den öff. Raum, bis hin zu Werkgruppen großen Formats, wie L'Arche de Noé (2001) in Jerusalem, die in Zusammenarbeit mit dem Architekten Mario Botta entsteht. S. stirbt am 21. Mai 2002 in San Diego. - S. ist eine der wichtigsten Künstlerinnen der 2. H. des 20. Jh. und darüber hinaus eine bed. Figur der Pariser Avantgarde sowie der zeitgen. Kunst der 1960er und 70er Jahre. In ihrem Werk widmete sie sich ges. und polit. Problemen, insbesondere Fragen von Gender und Weiblichkeit, aber auch Gewalt und sozialer Unterdrückung.
N.d.S., Gal. Alexandre Iolas, P. 1965; Niki Nanas Gal. Alexandre Iolas, N.Y. 1966; Please, give me a few minutes of your eternity, Gal. Alexandre Iolas, Mi. 1970; My love. Livre d'images, Malmo 1971; The Devouring mothers. Story book by N.d.S., Gimpel Fils Gall., Lo. 1972; Réalisations et projets d'archit. de N.d.S., Gal. Alexandre Iolas, P. 1974; N.d.S. ... (two archit. for children), Mus. Boymans van Beuningen, Rotterdam 1976; Tarots Cards in Sculpture, Mi. 1985; Portr. of N.d.S., To. 1986; AIDS: you can't catch it holding hands, M./Luzern 1987 (engl. und dt.); The Wounded Animals (K London/New York), Mi. 1988; S./L.Condominas, Meany Meany and the stolen Toys, s.l. 1989; S./P.Mathews, Le sida, tu ne l'attraperas pas..., Pessac 1990; Mon secret, P. 1994; S./G.Pietromarchi, Le jardin des tarots, Berne 1997; Traces: remembering 1930-1949: une autobiogr., Lau. 1999; S. u.a., N.d.S.: my art, my dreams, M./N.Y. 2003.
Einzelausstellungen:
1956 St. Gallen, Gal. Restaurant Gotthard / Paris: 1980, 2024 (mit Tinguely und Pontus Hulten) Centre Pompidou; 1990 MAD; 1992 MAMVP; 2012 Grand Pal. / 1961 London, Hanover Gall. / 1964 Los Angeles, The Dwan Gall. / 1965 New York, Alexander Iolas Gall. / 1967 Amsterdam, Sted. Mus. / 1972 Genf, Gal. Bonnier / 1976 Rotterdam, BvB / Hannover: 1980 KM; 2000, '02 Sprengel Mus. / 1980, 2012 Stockholm, Mod. Mus. / 1980 Tokio, Space Niki / 1985 Knokke-le-Zoute, Casino Knokke / 1987 Roslyn Harbor, Nassau County MoA / 1989 Athen, Zoumboulakis Gall. / 1993 Fribourg, MAH / 1994 Taipei, Dimensions Gall. / 1995 Mexiko Stadt, Mus. Rufino Tamayo / 1998 San Diego (Cal.), Mingei Internat. Mus. / 2000 Basel, Mus. Jean Tinguely / 2002 Nizza, MAMC / 2003 Budapest, Ernst Múz. / 2003 Wien, Kunsthaus / 2006 Macao, MoA / 2008 Liverpool, Tate / 2012 Glasgow, Gall. of Mod. Art / 2015 Cartagena de Indias, NH Gal. / 2023 Frankfurt am Main, Schirn (K). -
Gruppenausstellungen:
Paris: MAMVP: 1961: Peinture Sculpture; 1966: La fureur poétique; 1986: 1960, Les Nouveaux Réalistes; Grand Pal.: 1972: 72/72 Douze ans d'art contemp. en France; 2007 Le Nouveau réalisme (Internat. Wander-Ausst.); Centre Pompidou: 1977: Paris-New York, un album; 2005: BIG BANG / Amsterdam, Sted. Mus.: 1962: Dylaby, dynamisch labyrint; 1981: Fantastic Archit. / New York: MoMA: 1968: Dada, Surrealism, and Their Heritage; 1988 The Jewish Mus.: Golem! Danger, Deliverance and Art / 1963 München, Neue Gal. im Künstlerhaus: Les Nouveaux Réalistes / 1965 Lunds, KH: Le Merveilleux Mod. / Stockholm, Mod. Mus.: 1966: Hon, en katedral byggd; 2012: Explosion, Painting as Action / 1979 Tel Aviv, MoA: Kunst der 60er Jahre - Europa Amerika / 1981 Edinburgh, Scottish NG of Mod. Art: The Avant-Garde in Europe 1955-1970 / 1983 Caracas, MAC: Arte + Ironia / 1986 Fitchburg (Mass.), AM: New Works in Plastic / 1987 Roslyn Harbor, Nassau County MoA / 1992 Liverpool, Tate: New Realities / 1994 Scottsdale, Center for the Arts: Neo-Dada / 1996 Nizza, MAMC: Chimériques polymères / 1997 Köln, Mus. Ludwig: Die neuen Abenteuer der Objekte / 1997 Trient, MART: Trash. Istruzioni per l'uso / 1998 Palermo, Pal. Abatellis: Maschile e femminile / Barcelona: 1998 MACBA: Arte y acción; 2004 Fund. Joàn Miró: Woman, Metamorphosis of modernity / 2005 Ludwigshafen, Wilhelm Hack Mus.: Kunst, die man nicht immer sieht / 2007 Zürich, Kunsthaus: Europop / 2009 Santiago de Chile, Mus. de la Solidaridad "S. Allende": Mujer, arte y compromiso / 2010 Philadelphia (Pa.), Rosenwald Wolf Gall.: Seductive Subversion / 2015 Minneapolis, Walker AC: Internat. Pop / 2016-17 München, Haus der Kunst: Postwar - Kunst zw. Pazifik und Atlantik 1945-1965 (K) / 2021-22 Kiel, KH und Graz, Kunsthaus: Amazons of Pop (K); Humlebæk, Louisiana MoA und Mannheim, KH: Mutter! (K) / 2022-23 Lausanne, MUDAC: A Chair and You (Wander-Ausst.) / 2024 Herning: DO IT! Socle du Monde Art / 2025 Ludwigshafen, Wilhelm-Hack-Mus.: OUR VOICES. Auf den Spuren Bildender Künstlerinnen (K).
Weitere Lexika:
Bauer, GEM VII, 1978; ContempArtists, 1983; EAPD, 1989; Dunford, 1990; Kjellberg, 1994; DA XXVII, 1996; Dict. internat. du bijou, P. 1998; I.F. Walther, Künstler-Lex., in: Kunst des 20.Jh., II, Köln u.a. 1998; Bénézit, 1999; Delarge, 2001
Gedruckte Nachweise:
M.Rheims, Vogue, 1965; J.Ortel, Recreation, Self-Recreation, Diss., Stanford Univ., 1992; Le Jardin des tarots, Acatos, Lau. 1999; N.d.S., la Donation, Nice 2002; N.d.S., cat. raisonné, Peintures, tirs, assemblages, reliefs, 1949-2000, Lau. 2001 (WV); U.Krempel, La fête, die Schenkung N.d.S.Werke au den Jahren 1952-2001, Ostfildern-Ruit 2001; id., N.d.S.: la vie en couleurs..., P. 2006; S.Huijts/S.Steenstra, N.d.S.: outside-in, Heerlen 2011; P.Whitehead, Framework: The J. of Cinema and Media 52.2011(2)638-644; C.Francblin, N.d.S.: la révolte à l'œuvre, P. 2013; É.Reynaud, N.d.S.: Il faut faire saigner la peinture!, P. 2014; J.Sudul Edwards, The Early Works of N.d.S., Diss., Inst. of FA, N.Y. 2014; N.d.S.: 1930-2002 (K Grand Pal.), P. 2014 (Internat. Wander-Ausst.); M.Camille, Soc. & Représentations 42:2016(2)87; C.Whiting, Woman's Art J. 37:2016(2)63-65; Future bodies from a recent past (K Mus. Brandhorst, München), B. 2022; J.Rönnau, Kunstforum internat. 279:2022(Jan.-Febr.)257-259; H.-D. Fronz, ibid. 279:2022(Jan.-Febr.)286-288; id., ibid. 285:2022(Okt.-Dez.)275-277; S.E. Müller, ibid. 288:2023(April)317-319; A.-K. Günzel, ibid. 297:2024(Aug.)276-285
Onlinequellen:
Webseite S.; Dict. universel des Créatrices, 2024