Itô, Toyô, jap. Architekt, Designer, *1.6.1941 Keijô (heute Seoul). Lebt und arbeitet in Tokio.
Itō, Toyō
Drittes Kind einer aus wirtschaftlichen Gründen nach Korea übergesiedelten Fam., die urspr. aus Nagano stammt. 1944 Rückkehr der Fam. nach Japan aufs Land in die Nähe des Suwa-Sees. Durch den kunstbegeisterten Vater (koreanische Keramiken) hat I. früh Zugang zur Kunst. 1954, nach dem Tod des Vaters, Umzug nach Tokio. Stud.: 1961-65 Tokio Univ. (anfänglich Lit., später Archit.; Abschluss als Jahrgangsbester), Unterricht bei Tange Kenzô und Kikotake Kiyonori, dem Begründer der Metabolisten-Bewegung. 1965-69 tätig im Archit.-Büro von Kikutake. 1971 Gründung des eigenen Büros Urbot (für Urban Robot) in Tokio (seit 1979 Toyo Ito and Associates, Architects) und erste Umsetzung eines Entwurfs, des Aluminiumhauses. Seit 1981 zahlr. Lehrtätigkeiten und Gastprof.: u.a. 1983 Univ. Tokio; 1984 Waseda Univ.; 1985 ABK Rotterdam; 1986 Pratt Inst. New York; 1988 Tokyo Women's Christian Univ. (Tôkyô Joshi Daigaku); Tama Art Univ.; 1991 Columbia Univ; Harvard Univ. u.a. 1996; 1999 UCLA. 1991 bed. städtebaulicher Auftrag der Sanierung der südlichen Altstadt von Antwerpen (Wettb. 1990). 1992 erarbeitet er einen Plan für das Zentrum von Luijiazui, ein Stadtteil Shanghais. Seit 1998 stellv. Ltg. des Kumamoto Artpolis-Projekts (seit 2005 Ltg.). 2006 gestaltet I. die Innenräume der Ausst. Berlin-Tokyo/Tokyo-Berlin in der Neuen NG, Berlin (zus. mit Mori AM, Tokio). Ehrenmitgl. AIA sowie Royal Inst. of Brit. Architects (RIBA). Zahlr. Preise und Ausz.: u.a. 1986 Archit. Inst. of Japan (AIJ) Award für Silver Hut (1984); 1992 Mainichi Art Award für StM. Yatsushiro; 1997 IAA 'interach ‘97' Goldmed. des Grand Prix der Architekten-Vrg Bulgarien; 1998 Jap. Education Minister's Art Encouragement Prize; 1999 Jap. Art Acad. Prize (je für Odate Sea of Trees Dome (1995-97); 2000 Arnold W. Brunner Mem. Prize; 2001 Grand Prize Jap. Good Design Award für Sendai Mediathek; 2002 Golden Lion der 8th Internat. Archit. Exhib., Bienn. Venedig; 2006 RIBA Royal Gold Med.; 2008 ADI Compasso d'Oro Award; 2009 Medalla de Oro des Circulo de Bellas Artes de Madrid; 2010 Praemium Imperiale für Archit., Japan Art Assoc., Tokio); 2013 Pritzker Archit. Prize. Förderung zahlr. junger Archit. in seinem Büro bzw. durch Projekte (u.a. Sejima Kazuyo/Ryûe Nishizawa (SANAA), Astrid Klein/Mark Dytham (KDa), Fukushima Katsuya, Makoto Yokomizo, Hirata Akihisa). - Internat. tätiger jap. Architekt. Bed. Repräsentant einer konzeptuellen, ephemeren Archit., deren Fragestellungen sich dem zeitgen. Kontext von Mobilität und Fluidität in v.a. urbanen Räumen und Strukturen widmen. Char. ist I.s Ansatz einer Verschmelzung von realer und virtuell-simulierter Lebenswelt, die sich in interaktiven, häufig an organischen Zell-Strukturen orientierenden Architekturen visualisiert und als Antwort auf die Komplexität des postmodernen Zeitalters zu verstehen ist (Metrop. Opera, 2006-09, Taichung). I. begreift den postmodernen Lebensraum als "Bubble", als sich permanent verändernde, fragmentarische Strukturen der Stadt und den Lebensgewohnheiten, die der mod. Mensch als urbaner Nomade kreiert und denen er zugleich unterworfen ist (Ausst.-Projekt Pao 1: A Dwelling for Tokyo Nomad Women, 1985, Seibu Dept. Store). Dementsprechend sind viele seiner Bauten als variable Räume mit offenen, veränderbaren Grundrissen und luftiger Aura gestaltet (Nomaden Restaurant, Tokio 1986, heute abgebrochen; Nô-Theater, 1987, Tokio). Beeinflusst durch die Schriften des jap. Philosophen Munesuke Mita sowie des Franzosen Gilles Deleuze stellen I.s Bauten bed. künstlerische Visionen der Symbiose von Raumumgebung, Naturnähe und Hypertechnologien der Zukunft dar (Tower of Winds, 1986, Yokohama). In den Anfängen von jap. Architekten der Modernisten-Bewegung (Tange Kenzô) sowie den Metabolisten beeinflusst. In den 1970er Jahren (Weltwirtschaftskrise, Expo '70 in Ôsaka) Beschäftigung mit dem Werk von Shinohara Kazuo, der den radikalen sozialen Utopien der Metabolisten in den 1960er und 1970er Jahren eine auf den Rückzug ins Private orientierte Architektur entgegensetzte. In der frühen Schaffensperiode zahlr. Privathäuser, die sich Aspekten des Lebens in Japans urbanen Ballungsräumen widmen. Sie stellen auch Experimente mit versch. Materialien wie Textilien, Aluminium, weißem Stahlbeton (White U, 1976, um 1998 abgebrochen) oder Holz (Haus in Kasama, 1981) dar und sind zentripetal nach Innen ausgerichtet. Ab den 1980er Jahren zunehmend Bauten (Privathäuser und Gebäude des öff. Raumes), die sich durch homogene und transparente Raumeinheiten sowie den Wechsel von Innen- und Außenraum auszeichnen, deren immaterielle, offene Wirkung auch durch die geschickte Verwendung von Sichtbeton-Elementen mit galvanisiertem Stahl sowie teilw. netzgitterartig perforierten, verbogenen Metallblechen entsteht (Haus in Magomezawa, 1986). Bei Silver Hut (1984), seinem eigenen Wohnhaus in Tokio, vollzieht I. darüber hinaus einen bewussten Rückgriff auf trad. Baukonzepte und -materialien (klassische Dachziegel als Bodenbelag in Reminiszenz an gestampfte Erdböden jap. Bauernhäuser) in Kontrast zu zeitgen. Materialien. Es werden grundlegende Gestaltungsprinzipien von I. deutlich: Archit. ist als "Kleid" des Bewohners sowie Wand und Oberfläche als Membran aufzufassen (Tower of Winds; T Building, 1990, Tokio). In den 1990er Jahren entstehen Bauten, die eine grundlegende Durchdringung von Archit. und Natur offenbaren, bei der in Anlehnung an trad. jap. Bauprinzipien Wand- und Deckenflächen aufgebrochen werden und den Innenraum nach außen hin öffnen (Altenheim in Yatsushiro, 1994; S Haus in Tateshina, 1995). Darüber hinaus Gebäude, die als Fremdkörper in die sie umgebende Natur eingebettet sind und zugleich in einen Dialog mit der Lsch. treten. I. beschreibt diese Bauten als "dome born out of nature" (Blurring Architecture, S. 18). Repräsentative Werke dieser Zeit sind: Shimosuwa Mun. Mus., 1992; Odate Sea of Trees Dome. Erstmals hat I. dieses Gesamtkonzept für Einzelbau und Lsch. im Gästehaus der Sapporo-Brauerei (1989, Sapporo) verwirklicht. Die meisten Innenräume des Gebäudes liegen im Inneren eines Hügels. Ein unbeschwertes Dach wie bei den anderen Arbeiten I.s gibt es nicht. Dafür sind die aufragenden Lüftungstürme, Oberlichte sowie der Eingangstrakt mit flügelähnlichen Schwingen bedacht und die Innenräume ruhen unter polyedrischen Decken. Sein konstruktiver Rückgriff auf Prinzipien der Natur, wie z.B. die seit den 1970er Jahren benutzten transparenten Glasbaustein-Quadrate um diaphane Strukturen zu schaffen (Hotel P, 1992, Shari-gun/Hokkaido), kulminiert im Bau der Sendai Mediathek (1995-2001), die als sein Hw. und als Archetyp einer neuen Archit. gilt. Horizontale stählerne Geschossflächen mit Wabenstruktur hängen als Kommunikationsträger an unterschiedlich starken Röhrenstrukturen aus Metallgewebe, die an feine, jedoch stabile Korallenablagerungen oder amorphe Schwammtexturen erinnern. Eine transparente Glashaut vermittelt zwischen Außenwelt- und Innenweltmenschen. Archit. wird lt. I. hier zu einem Ort, wo die zwei Körper des zeitgen. Menschen (virtueller Elektronenkörper und ursprünglicher Naturkörper) zusammenfinden. Weitere Leitformen im Œuvre I.s. sind das Oval (Seoul Dome, "Crystal Ballpark", 1997, Seoul) sowie die Spirale (Relaxation Park Torrevieja, 2001). Mit Beginn des 21. Jh.s erweitert I. seinen Wirkraum nach Europa, China, Taiwan (World Games Stadium, Kaohsiung, 2006-09), Südamerika. Die Pläne für den Neubau des Berkeley Art Mus. and Pacific Film Archive an der Univ. of California wurden 2009 aufgrund finanzieller Probleme abgesagt. Dieses Projekt wäre I.s erstes in den USA gewesen. Obgleich weiterhin ohne explizite hist. Referenzen an bauliche Vorbilder, weisen seine neueren Werke Reminiszenzen an postmoderne Konzepte auf, indem sie spielerisch expressive Formen, Fassaden sowie Farben (Licht) einsetzen und den hist. Kontext der Umgebung konzeptuell einbeziehen (Hospital Cognacq-Jay, 2006, Paris). So greift I. mit der gitterförmigen, semitransparenten Röhrengestalt des Bruges Pavilion (2002, Brügge) aus Aluminium die Trad. fläm. Spitzenklöppelei visuell auf. Bei der Tama Art Univ. Library (Hachôji Campus) (2007, Tokio) verweisen die asymmetrisch gestalteten Rundbögen und Galerien aus Beton auf Klöster als Orte der Lehre hin. Die vorgehängte Fassade in Wellenform des 2009 gestalteten Appartmenthaus (Barcelona) transponiert die expressive Formensprache des in unmittelbarer Nähe befindlichen Casa Milà (1906-10) von Antoni Gaudí in den postmodernen Kontext. Im November 2011 wurde auf der Insel Omushima in Imabari das vom Künstler selbst entworfene Toyo Ito Mus. of Architecture eröffnet, das die Gestalt eines Schiffsdecks hat. Es ist das erste Museum in Japan, das dem Werk eines einzelnen Architekten gewidmet ist. Auf einem Grundstück direkt an der Seto-Inlandsee ist das Mus. auf mehreren Ebenen aus Stahlplatten als dreidimensionales graphisches Objekt aufgebaut und steht als Fremdkörper dennoch im Einklang mit der umgebenden Schönheit der Natur. Ebenfalls Entwürfe für Möbel, die das Thema morphemer Strukturen für einen informellen zeitgemäßen Lebensstil aufgreifen (u.a. Ser. Pao für Tokyo Nomad Women, 1985; Ser. Fu-la; Fu-Fu, 1986) sowie für Gebrauchsgüter (Porzellan für das Tea and Coffee Towers-Projekt von Alessi, 2003) und Messedesign.
Transfiguration of Winds, To. 1989; Archit. in a Simulated City, INAX 1992; Michi no Ie, Index Communications Publ., To. 2006; 10 Adventures in the Architectural World, To. 2006.
Einzelausstellungen:
1989 Los Angeles, MoCa '90 (K) / 2001 Vincenza, Basilica Palladiana (K) / 2006 Tokio, Tokio Opera Gal. (K) / Taibei, MFA (K) / 2008 Wien, Kiesler Stiftung (K). -
Gruppenausstellungen:
New York: 1978 Inst. Archit. & Urb. Stud.: The New Wave of Jap. Archit. (K); 1994 Guggenheim Mus. Soho: Jap. art after 1945. Scream against the sky, N.Y. 1994 (K); 1995 MMA: Light Construction (K) / London: 1978 AA School: Post Metabolism (K); 1991 V&A: Visions of Japan (K) / Humlebæk, Louisiana MMA: 1981 The House as an Image (K), 2000: Vision and Reality (K) / 1982 Paris, Bienn. (K) / Minneapolis, Walker Art Center: Tokyo. Form and Spirit (K) / 1989 Brüssel, Palais des BA: Europalia (K) / 1999 Aachen, Suermondt-Ludwig-Mus. u.a.: Blurring Archit. (K) / 1998 Los Angeles, MOCA: At the end of the C.: One Hundred Years of Archit. (K).
Weitere Lexika:
M.Emanuel (Ed.), Contemp. architects, N.Y. u.a. 31994; DA XVI, 1996; Dict. de l'archit. du XXe s., P. 1996; Hatje, 1998; P.Nicolin/F.Repishti, Diz. dei nuovi paesaggisti, Mi. 2003.
Gedruckte Nachweise:
H.Yatsuka, Oppositions 23:1981, 1–35; B.Bognar, Die neue jap. Archit., St. 1991; S.Soulié, T. I.: archit. of the ephemeral, Pa. 1991; U.Stark, T. I., St. 1992; K.Kurokawa, New wave Jap. archit., Lo./B. 1993; D.Meyhöfer (Ed.), Contemp. Jap. architects, Köln 1993; I.Schaarschmidt-Richter, T. I., B. 1995; Architectural Monograph 41: T. I., Lo. 1995; Bauen mit Eigensinn, B. 1996; Fenster zur Archit.: 19 Annäherungen: Projekte der Architekturgal. der Städelschule, Darmstadt 1996; F.Montagnana, Birkhäuser Archit.-Führer Japan. 20. C., Basel 1997; K.Kirsch, Die neue Wohnung und das alte Japan, St. 1996; Jh., Basel u.a. 1997; G.de Bruyn, Zeitgen. Archit. in Deutschland 1970-1996, Basel u.a. 1997; J.Zukowsky (Ed.), Japan 2000. Archit. and design for the Jap. public, M. u.a. 1998; C.Knabe/J.R. Noennig (Ed.), Shaking the found., M. u.a. 1999; C.Schittich (Ed.), Im Detail-Japan. Architekten, Konstruktionen, Stimmungen, Basel u.a. 2000; P.Azara/C.Guri, Arquitectos a escena, Ba. 2000; Archit. aktuell 256/257:2001, 150; T. I., Japan architect Bd. 41, To. 2001; H.-U. Khan, Internat. style. Archit. der Moderne von 1925 bis 1965, Köln u.a. 2001; A.Maffei, T. I.: works, projects, writings, Mailand 2002; Ch.Bürkle (Ed.), Neue Arenen: Bauen für den Sport, Sulgen 2004; I.Flagge/R.Schneider (Ed.), Die Revision der Postmoderne (K Frankfurt am Main), Ha. 2004; Art 11:2005, 143; M.Cambert, Top Jap. architects, Ba. 2005; P.Jodidio, JP, archit. in Japan, Köln u.a. 2006; P.Weiß, Tea and coffee, piazza and tower (K Münster), Bönen 2007; P.Jodidio, Archit. now!, I und III, Köln u.a. 2007; B.Bognar, Beyond the bubble. The new Jap. archit., Lo./N.Y. 2008; T. I.: Architect and Place, A+U Publ., To. 2009; D.Buntrock u.a., T. I., Lo. 2009; U.Meyer, Archit.-Führer Tokio, B. 2010; J.Steele, Contemp. Jap. archit., Lo./N.Y. 2017.
Onlinequellen:
Website I.; nou-sera.com; kentikudesign.net; kenchikuka.com; e-architect (WV).