Lüpertz, Markus, dt. Maler, Grafiker, Zeichner, Bildhauer, Bühnenbildner, Musiker, Poet und Verleger. *25.4.1941 Reichenberg, Nordböhmen (heute Liberec, Tschechien), lebt in Berlin, Düsseldorf und Karlsruhe.
Lüpertz, Markus
Aus seiner ersten Ehe mit der Kölner Galeristin Jule Kewenig stammen zwei Kinder (Tochter Anna Jill L. ist Galeristin in Berlin), mit seiner aktuellen zweiten Ehefrau Dunja Nedovic-L. hat er drei Kinder. - 1948 Flucht nach Rheydt/Rheinland. 1956-61 Stud. an der Werk-KSch Krefeld, nach einem Semester an der KH Düsseldorf Exmatrikulation. Seit 1961 freischaffender Künstler in Düsseldorf. Nach kurzer Zeit in der frz. Fremdenlegion 1962 Umzug nach W-Berlin. 1964 Gründung der Produzenten-Gal. Großgörschen 35 zus. mit K. H. Hödicke, Hans-Jürgen Diehl und 13 weiteren Künstlern. 1970 Preis der Villa Romana und des Dt. Kritikerverbandes. 1974 Mitorganisation der 1. Bienn. Berlin. 1976-87 Prof. an der Staatlichen ABK Karlsruhe. 1977 Rücktritt von der documenta-Teiln. in Kassel. 1983 Prof. an der Sommer-Akad. in Salzburg. 1984 Aufenthalt in New York. 1986-2009 Prof. an der KA Düsseldorf, dort 1988-2009 auch Rektor. 1990 Lovis-Corinth-Preis. Seit 2003 Hrsg. der Zs. für Kunst, Lit. und verwandte Themen mit dem Titel Frau und Hund. Zs. für kursives Denken. 2004 IV. Julio González Internat. Prize. 2006 Ehrendoktorwürde der AFA Wrocław. 2009 Mitgl. der NRW Akad. der Wiss. und Künste. 2014 Gesamt-Ltg des Atelier-Stud. Malerei an der ABK, Alte Spinnerei, Kolbermoor. - L. zählt zu den bekanntesten Künstlern seiner Generation in Deutschland. Der sich selbst gerne als Malerfürst gebende ehem. Prof. und Rektor von Deutschlands wichtigster KA Düsseldorf hat seit seinen künstlerischen Anfängen in den 1960er Jahren häufig die öff. Meinung gespalten. An den wichtigsten politischen Orten des Landes sind seine Arbeiten zu sehen: So die mon. Skulptur Die Philosophin (2001), die der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder für das Foyer des Bundeskanzleramtes in Berlin in Auftrag gegeben hat, oder das dreidimensionale Werk Adler (2005), das im Sitzungssaal des Karlsruher Bundesgerichtshofes installiert ist. Seine künstlerische Vielseitigkeit ist bemerkenswert: Seit mehr als fünfzig Jahren ist L. immer wieder nicht nur als Maler, Grafiker und Bildhauer tätig, sondern auch als Musiker, Poet, Schriftsteller und als Bühnenbildner. Bek. wird L. in den 1960er Jahren, als er sich mit gegenständlichen Bildern gegen die zeitgen. Dominanz der Abstraktion stellt. In seiner ersten figurativen Bilderserie Donald Duck von 1963 verarbeitet er Eindrücke der US-amer. Pop-Art zu eig. expressiven Farbexplosionen. Programmatisch und kampfbereit nennt er kurze Zeit später seine Werke “dithyrambische Malerei“. Mit der Wahl dieses Terminus verknüpft er sein Schaffen von Anfang an mit drei für ihn wichtigen Bezugspunkten: der Antike, dem Mythos und der Literatur. Die Dithyrambe ist ein ekstatisches Loblied auf Dionysos, den griech. Gott des Weines und der Verwandlung. Wenn L. seine Malerei als “dithyrambisch“ bezeichnet, so verweist er zugleich auf deren schwärmerische, begeisterte Form und auf deren potentielle Macht, zu einer Verwandlung beitragen zu können. In seinen frühen großflächigen Werken konzentriert sich L. meist auf ein einziges Motiv, der jeweilige Hintergrund wird häufig neutral und abstrakt gehalten. Es entstehen Ser. zum Thema Zelt, Baumstamm, Zaun oder Telegraphenmast. In den 1970er Jahren erweitert der Künstler seinen Bildgegenstand zu einer Art individuellen Ikonogr., wenn er wiederholt für Deutschland char. Gegenstände wie Stahlhelme, Ähren, Uniformen und Epauletten zeigt. L. setzt sich in diesem Jahrzehnt bes. mit der Politik und der Gesch. seines geteilten Landes auseinander. Wichtige Werke wie Schwarz Rot Gold I (1974) oder Helme sinkend I - dithyrambisch (1970) sind bis heute für L. charakteristisch. Sie zeigen seine reduzierte Farbpalette und seinen klaren, großflächigen Duktus. Kriegsmotive wie Helm, Uniform und Kanone erscheinen, häufig fast die Bildfläche fast völlig ausfüllend, in dunklen Farben gehalten, als bedrohliche Ermahnung des Kalten Krieges. 1977-84 verabschiedet sich der Künstler vom klar beschriebenen Gegenstand und malt die Ser. der Stil-Bilder, in denen er sich bewusst mit der abstrakten Kunst der 1950er Jahre auseinandersetzt - die Werkreihen Knochenarbeit (1980) oder Die fünf Wunden Christi (1983) sind typisch für diese Schaffensperiode. Die Jahre 1983/1984 markieren eine Wende zurück zur Figuration, als sich L. intensiv mit dem Melodrama von Arnold Schönberg “Pierrot Lunaire“ in der Zwei- und Dreidimensionalität auseinandersetzt - beispielhaft sind die Skulptur Pierrot Lunaire (Harlekin) (1983) oder das Bild Pierrot Lunaire: Colombine (1984). Bis 1990 erweitert sich L.s Bildsprache umfassend. Die Themen verlieren ihren politischen Bezug und reihen sich ein in die kunsthist. Trad.: Einflüsse von Camille Corot, Nicolas Poussin und Gustave Courbet sind ebenso erkennbar wie das Verarbeiten und Aktualisieren von antiken Sujets. Bereits die Titel wichtiger Gem. aus diesem Jahrzehnt verweisen darauf: 5 Bilder über das mykenische Lächeln - Das Urteil des Paris (1985), Nach Corot - Reigen (1985-86), Serie über Courbet Nr. 3 (1986) und Nach Poussin (1989). Zugleich setzt sich der Künstler, der erst als Erwachsener zum kath. Glauben fand, mit biblischen Erzählungen auseinander: Das Schweißtuch der Veronika (1988) oder Der hl. Franziskus verhindert die Vernichtung der Ratten (1987) können hierfür als Bsp. genannt werden. In diese Zeit fällt auch die Ser. der Zwischenraumgespenster (1986-87), in der L. abstrakte und figurative Formen interagieren lässt. Im letzten Jahrzehnt des 20. Jh. setzt sich der Maler wieder mit einem zeitgen. Geschehen auseinander: Der Krieg im Balkan findet sich in Großformaten wieder wie Dubrovnik (1992) und 4 Bilder über den Krieg - Massaker (1992). Bis 1997 entsteht dann seine bek. Bildfolge Männer ohne Frauen. Parsifal, in der der Künstler einen dominanten Kopf ins Bildzentrum rückt, der keine erkennbaren geschlechtsspezifischen Gesichtszüge zeigt. L. bezieht sich auf die letzte Oper von Richard Wagner, in der Männer wiederholt von Frauen verführt werden und sich der Held Parsifal auf eine scheinbar endlose Suche begibt. Die Komplexität des Geschlechterverhältnisses findet malerisch ihren Ausdruck in Arbeiten wie Männer ohne Frauen (1994), wenn an männliche Geschlechtsteile erinnernde Formen frei im Kopf der neutralen Figur zu schweben scheinen. In der zeitgleichen Otello-Ser. (1996) gibt L. einem weiteren Helden ein eig. Gesicht: In Anlehnung an die Tragödie “Othello, der Mohr von Venedig“ von William Shakespeare lassen sich Gem. wie Otello mit Kämmen und Otello - Jago selbdritt (beide 1996) als Neuinterpretationen des uralten Themas Tod durch Eifersucht bewerten. Diese beiden Bilderreihen werden seit 1997 von einer Lsch.-Ser. abgelöst, in der L. dt. Lsch. mit Baumreihen und Alleen wie Versatzstücke neben abstrakte Komp. vor einen neutralen Hintergrund setzt (z.B. Landschaft, 1997). Nach der kleinen, aber intensiven Bildserie Vanitas mit Totenkopfmotiven setzt der Maler das neue Jahrtausend mit ern. Rückbezügen zur Kunstgesch. fort: Nach Goya - Rosa Fenster oder Nach Marées - Grauer Rückenakt - beide 2002 - zeigen seine kontinuierliche Auseinandersetzung mit menschlichen Akten im Raum. Dabei bleibt die Antike als Inspirationsquelle weiterhin genauso wie die Thematik der Geschlechter und deren Verhältnisse zueinander bestehen: Eurydike und Orpheus (beide 2004) oder Abkehr I (Eva) und Abkehr II (Adam) (beide 2008) sind gute Beispiele für Paar-Darst. von L. aus den letzten Jahren. In seiner umfassendsten Werkreihe der letzten Jahre Rückenakt (seit 2004), die auch als Fortführung seiner Auseinandersetzung mit grundsätzlichen künstlerischen Fragen nach Raum und Plastizität gesehen werden kann, finden sich wieder seine “deutschen“ Motive aus den 1970er Jahren wie die Ähre oder der Helm. L.s letzte Ser. nimmt ebenfalls retrospektiv Bezug auf frühere Werke: In Arkadien - Schneckenhaus oder Arkadien - Abschied (beide 2013) stehen ein Totenkopf bzw. der nackte Körper im Zentrum der Darst. - L. ist vorrangig als Maler zu verstehen, obgleich sich die Skulptur seit den 1980er Jahren zeitweise gleichwertig entwickelt hat. Auffallend ist in der plastischen Darst. die Dominanz einer einzelnen menschlichen Figur, die sich fast immer auf antike Mythen bezieht. Die Verarbeitung erinnert an das malerische Werk, wenn auf der häufig bemalten Bronzeoberfläche grobe Verarbeitungsspuren bewusst stehen gelassen werden. Auch die Konturen der Gestalten sind denen in der Zweidimensionalität vergleichbar gestisch und grob gehalten. Insbesondere seit L.s Auftragswerk für das Bundeskanzleramt Die Philosophin (2001) wird der Künstler bes. im öff. Raum für skulpturale Denkmäler angefragt: Es entstehen die Bronzeplastiken Daphne (2003), Mercurius (2007), Apoll (2009) und Herkules (2010), die teils Bezug zum Aufstellungsort nehmen - Mercurius - der antike Gott des Handels und der Kaufleute steht beispielsweise vor dem Post Tower in Bonn. In den beiden Werken Hommage an Mozart (2005) und Ludwig van Beethoven (2014) wiederum schafft. L. ein trad. Denkmal für eine verstorbene Persönlichkeit. - Ein weiteres öff. wahrgenommenes Betätigungsfeld des Künstlers sind seine Kirchenfenster. 1989/90 entwirft L. die Fenster für die frz. Kathedrale von Nevers, und 2008 werden die Glasfenster in der Kölner Kirche St. Andreas enthüllt. Der letzte Entwurf für die Dorfkirche in Landsberg-Gütz datiert aus dem Jahr 2012. - Bes. im Gesamtœuvre von L. hervorzuheben sind zudem seine Bühnenbilder. 1982 schafft er das Bühnenbild zur Oper “Vincent“ von Rainer Kunad am Staatstheater Kassel, ein Jahr später dasjenige zur Oper “Werther“ von Julies Masenet am Ulmer Theater. 1991 entwirft L. neben dem Bühnenbild auch die Kostüme für die Oper “Der Sturm“ von Frank Martin am Bremer Theater und 1996 ebenfalls beides zur Oper “Der Troubadour“ in der Dt. Oper am Rhein in Duisburg und Düsseldorf. - Zuletzt sei auf L.s umfassendes graf. Werk verwiesen, das sich parallel zur Malerei entwickelt hat. Auffallend ist seine Trad., einem selbst gestalteten Künstlerbuch zusätzlich eine Grafik-Ed. beizulegen. - L. hat seinen festen Platz in der Kunstgesch. der dt. Nachkriegszeit. In seinen frühen Arbeiten schafft er mit dt. Motiven eine eig. Bildsprache, die wiederholt zeitgen. politische Begebenheiten aufnimmt. Dabei konzentriert sich sein kraftvoller Duktus häufig auf eine einzelne mon. menschliche Figur, die in der Trad. der Antike und der Malerei früherer Jh. steht (Nicolas Poussin; Gustave Courbet; Camille Corot).
Die Anmut des 20. Jh. wird durch die von mir erfundene Dithyrambe sichtbar gemacht, B. 1968 (Manifest); 9 x 9, s.l. 1975 (Gedicht-Bd); und ich spiele, ich spiele…, B. 1981 (Gedicht-Slg); Ich stand vor der Mauer aus Glas, B. 1982 (Gedicht-Publ.); Gedichte 1961-1983, Auswahl, s.l. 1983; Tagebuch New York 1984, N. Y. 1984; Bleiben Sie sitzen Heinrich Heine, W. 1984; Hommage à Prévost, Berthe Morisot und Trouillebert, M. 1986.
Einzelausstellungen:
Berlin: 1964 Gal. Großgörschen 35; 1968 Gal. Michael Werner; Gal. Rudolf Springer; 2014 Paul-Löbe-Haus / Köln: 1968 Gal. Hake; 1979 Josef-Haubrich-KH (K); 1998 Gal. Michael Werner (K) / 1973 Baden-Baden, SKH (K) / 1977 Bern, KH; Hamburg, KH / 1977, '83 (K) Eindhoven, Van Abbe-Mus. / 1983 Straßburg, MAM (K) / Wien: 1984 Secession (K); 1994 Liechtenstein Mus. (K); 2006 BA-CA Kunstforum (K); 2010 Albertina (K) / München: 1986 Lenbachhaus (K); 1997 KH Hypo-Kulturstiftung (K Wander-Ausst.); 2019-20 Haus der Kunst (K) / 1987 Rotterdam, BvB (K) / 1989 Meymac, Centre d'Art Contemp. (K) / 1991 Madrid, CARS (K) / Bonn: 1993 KM (K); 2009, '24 Kunst- und Ausst.-Halle der Bundesrepublik Deutschland (K) / 1993 Aachen, Ludwig Forum (K) / 1995 Mannheim, KH (Wander-Ausst.); Bozen, Museion (K) / 1996 Düsseldorf, KS NRW (K) / 1997 Amsterdam, Sted. Mus. (K) / 1998 Atlanta, Lowe Gall. (K) / 2002 Valencia, IVAM (K); Künzelsau, Mus. Würth (K) / 2006 Seoul, Arario Gall. (K) / 2007 Nanjing, Nanjing Mus. (K Wander-Ausst.) / 2008 Düsseldorf, Akad.-Gal.; Passau, MMK (K) / 2009 Chemnitz, KS (K); Rom, Villa Massimo / 2010 Regensburg, Kunstforum Ost-dt. Gal. (K) / 2011 Den Haag, Gemeente-Mus. (K); Aschaffenburg, KH Jesuitenkirche (K Wander-Ausst.) / 2012 Hagen/Westf., Osthaus-Mus. (K) / 2013 Bilbao, MBA (K) / 2014 Worms, Mus. Heylshof; St. Petersburg, Ermitage (K) / 2016 Duisburg, Mus. Küppersmühle. -
Gruppenausstellungen:
1969 Baden-Baden, SKH: "14 x 14" / 1983 São Paulo: Bien. (K) / 2000 Hannover: Lost Paradise Lost (K) / 2014 London, BM: Germany Divided (K) / 2024 Bietigheim-Bissingen, StG: Reiche Ernte - Früchte in der Kunst des 20. und 21. Jh.
Gedruckte Nachweise:
S.Gohr/R.Fuchs, M.L. Fünf Bilder, Köln 1978; R.Fuchs, M.L. (K Sted. Mus.), Am. 2001. - Filme: ARD: Arbeiten für die Ewigkeit. 08.03.2007 / 3Sat-Kulturzeit: Genie mit Gehstock. M.L. 05.11.2009 / ARD: Deutschland Deine Künstler, M.L. 22.08.2012.