Aktualisiert
Frei zugänglich

Richter, Gerhard

Geboren
Dresden, 9. Februar 1932
Land
Deutschland
Geschlecht
männlich
GND-ID
Weitere Namen
Richter, Gerhard; Richter, Gerhard Frieder Rudolf Horst; Richter, Gerd
Berufe
Maler*in; Fotograf*in; Bildhauer*in; Grafiker*in; Zeichner*in
Wirkungsorte
Düsseldorf, Köln, Dresden
Zur Karte
Von
Smythe, Luke
Zuletzt geändert
17.11.2025
Veröffentlicht in
AKL XCVIII, 2018, 441

VITAZEILE

Richter, Gerhard (Gerd; Gerhard Frieder Rudolf Horst), dt. Maler, Fotograf, Bildhauer, Zeichner, Grafiker, *9.2.1932 Dresden, lebt in Köln.

LEBEN UND WIRKEN

R., Sohn einer Buchhändlerin und eines Gymnasiallehrers, wird in den letzten Tagen der Weimarer Republik in Dresden geboren. Er verbringt seine Kindheit im niederschlesischen Reichenau (heute Bogatynia, Polen), wohin die Fam. 1936 übersiedelt, und seit 1943 in Waltersdorf (Großschönau) in der Oberlausitz/Sachsen. Dort beginnt er ab 1944 zu malen und zu zeichnen: Porträts, Akte und Lsch., die sein Interesse an der Romantik bezeugen. Im nun sozialistischen Sachsen beendet R. 1946-48 seine Schulzeit in Zittau mit dem Besuch der Handelsschule. Anschl. ist er kurz in der Werbung tätig und macht eine Ausb. als Bühnenprospektmaler am Stadttheater ebd. 1950 bewirbt er sich an der HBK Dresden, um Malerei zu studieren. Die erste Bewerbung wird abgelehnt; erst mit der zweiten im Jahr 1951 ist er erfolgreich. In den fünf Jahren an der HS studiert R. bei Heinz Lohmar die Wandmalerei des sozialistischen Realismus. Als Vorbereitung auf das erklärte Ziel, die Errungenschaften der ostdeutschen Bevölkerung bei der Errichtung des neuen Arbeiter- und Bauernstaats zu feiern, erhält er eine klassische, im Aktstudium fundierte, akad. Ausbildung. Als Vorbild gilt das Werk führender sowjetischer Maler, die wie Aleksandr Michajlovič Gerasimov in einem überhöht naturalistischen Stil arbeiten. Aktuelle Stilrichtungen des Westens wie Abstraktion und Expressionismus werden von offizieller Seite als bürgerlich und individualistisch unterdrückt. 1956 entsteht R.s Diplomarbeit Lebensfreude (Wand-Gem., 63,54 Quadratmeter, 1979 überstrichen, 2024 wieder freigelegt) für das Hygiene Mus. in Dresden, ein Idealbild einer arkadischen sozialistischen Gesellschaft. Während die Figuren dem sowjetisch geprägten naturalistischen Stil angepasst sind, erscheint die Lsch., in der sie agieren, stark abstrahiert, aus sich verzahnenden Farbrauten zusammengesetzt. Darin zeigt sich R.s Zugehörigkeit zum progressiven Zweig der ostdeutschen Maler, die sich um einen - wie er es später nennen sollte - dritten Weg zw. Sozialistischem Realismus und der Moderne bemühen. Das Werk westlicher figurativer Künstler wie Pablo Picasso und Renato Guttuso, die als mod. und sozialistisch zugleich angesehen werden konnten, dient R. nach dem Studienabschluss als Anregung. Doch ist er, obwohl er für die Parteizentrale der SED in Dresden das Wandgemälde Arbeiteraufstand (1958, zerst.) malen kann, unzufrieden mit seinem Werk; er beginnt, nach radikaleren Innovationen zu suchen. Bes. bemerkenswert sind seine Vorstöße in die Abstraktion, bezeugt durch erh. priv. Werke, wie die Folge der 31 Elbe-Monotypien (1957). Es handelt sich um Experimente mit der Farbwalze und schwarzer Tinte, die stark an westliche Farbfeld- und monochrome Malerei erinnern, mit der R. zu dieser Zeit jedoch noch nicht vertraut ist. Dies ändert sich 1959 mit dem Besuch der documenta in Kassel, wo er mit den jüngsten Entwicklungen der westlichen Moderne konfrontiert wird. Stark beeindruckt von den abstrakten und expressionistischen Werken von Künstlern wie Lucio Fontana, Jackson Pollock und Jean Fautrier, erscheint ihm der sozialistische Realismus als veraltet. Seine Zweifel an seiner Zukunft im Sozialismus verstärken sich nicht zuletzt aufgrund der bedrückenden Erfahrungen auf einer Reise in die Sowjetunion im Febr. 1961. Einen Monat später fliehen er und seine Frau Ema Marianne Eufinger über Berlin in die Bundesrepublik. Im Mai schreibt sich R. an der Düsseldorfer KA ein, wo er bis 1964 u.a. in der Kl. von K. O. Götz studieren wird. Im ersten Jahr widmet er sich intensiv jener Art der Malerei, die er auf der documenta kennengelernt hat. Stark von Fautrier, Alberto Giacometti, Lynn Russell Chadwick und Alberto Burri beeinflusste, stärker abstrahierte Bilder in Mixed Media, denen er Titel wie Wunde und Narbe gibt, erscheinen selbst wie verwundete Körper, einmal bedeckt mit schorfartigen Pigmentkrusten, dann in bandagenartig angeordnete Stoffbahnen gehüllt. Die Phase dieser offen expressiven Arbeiten ist von kurzer Dauer; gegen E. des Jahres 1962 wird R. die Gem. bis auf einen kleinen Rest vernichten. Mit dem Malen nach ausgewählten Fotogr. beginnt eine neue Schaffensphase. In frühen Beispielen dieser als Fotobilder bek. gewordenen monochromen Ser. wie etwa Erschießung (1962, zerst.) ist die fotogr. Vorlage durch Auflösung der Konturen stark verunklärt; es entstehen rätselhafte Eindrücke von Formen, die wie durch einen Schleier oder Nebel gesehen werden. Bilder dieser Art begründen in den frühen und mittleren 1960er Jahren R.s Ruf als Vertreter der Pop-Art. Mit dieser US-amer. Stilrichtung macht ihn der in Düsseldorf lebende Maler Winfred Gaul 1962 bek.; kurze Zeit danach befasst er sich durch Vermittlung seines Studienfreundes Konrad Fischer (Pseud. Konrad Lueg) mit Reprod. von Werken Roy Lichtensteins, Andy Warhols und James Rosenquists. R. übernimmt daraufhin deren Techniken des Kopierens von fotogr. Fundstücken aus den Medien. Durch eine Reihe von Ausst. der von der Pop-Art inspirierten Werke, die R. 1963 gemeinsam mit Fischer sowie seinen Studienfreunden Manfred Kuttner und Sigmar Polke organisiert, werden einflussreiche Galeristen wie Alfred Schmela, Heiner Friedrich und René Block auf R. aufmerksam. 1966 sind R.s Werke bereits in der gesamten Bundesrepublik und den angrenzenden Ländern zu sehen und finden Beachtung bei Kritikern wie etwa Heinz Ohff und Jürgen Beckelmann, die sie als Kommentare zur Malerei im Zeitalter der Fotogr. und zum Wesen erlebter Erfahrung in einer mit Bildern überfluteten Ges. verstehen. So sehr ihn diese Themen interessieren, gibt es auch persönliche Gründe, die R.s Fotobilder motiviert haben. So reflektieren sie R.s noch unerfülltes Streben, im Kapitalismus zu reüssieren, oder Ereignisse in seiner Kindheit, wie etwa den Tod seines Onkels im Krieg und seine schwierige Beziehung zum Vater, von dem er später erfährt, dass er nicht sein leiblicher Vater ist. Erst M. der 1980er Jahre beginnt er die persönlichen Dimensionen dieser und auch vieler in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren entstandenen Werke offenzulegen. Die in unterschiedlichen Stilen ausgef. Arbeiten tragen ihm den Ruf eines ausgezeichneten, aber ruhelosen Künstlers ein, der sich zu keiner bestimmten Richtung bekennt. Dieser Pluralismus beginnt 1966 mit einer Ser. von großformatigen, leuchtend bunten Gem., die aus systematisch angeordneten Farbfeldern bestehen, mit dem Titel Farbtafeln, die R. von gewöhnlichen Farbmusterkarten kopiert. Im folgenden Jahrzehnt malt er zahlr. kleinere Bild-Ser., die die ganze Spannbreite zw. Fotorealismus und vollst. Abstraktion abdecken: so die auf Fotos beruhenden, mit grobem pastosen Pinselstrich wiedergegebenen Stadtbilder (1968-70), synthetische Fotobilder wie die Wellblech-Ser. (1967-68), die in der Darst. von linearen Strukturen graf. wirken und den Eindruck von Fotogr. erwecken, und die pastos in monochromer grauer bis schwarzer Farbigkeit gemalten und gänzlich abstrakten Grauen Bilder (seit 1968). Das folgende Jahrzehnt beginnt mit einer Ser. von Landschaftsbildern wie Kleine Landschaft am Meer (1969, Chicago, Art Inst.), deren nebelverhüllte Leere an Werke der dt. Romantik erinnert. Parallel zu diesen fein, geradezu altmeisterlich gemalten figurativen Gem. beginnt R. mit gestisch abstrakten All-over-Paintings wie der Rot-Blau-Gelb-Ser. (1971-74), Fotobildern von der Art der aus Nahaufnahmen von Farben auf einer Palette gewonnenen Ausschnitte (1970-71) und größeren, komplexeren Varianten der an Farbkarten angelehnten Werke, der Farben-Ser. (1971-74). Nicht, wie von der Kritik vermutet, ein übergeordneter Plan liege den Arbeiten zugrunde - so erklärt R. selbst später Robert Storr und and. Gesprächspartnern die Vielfalt seiner Ansätze. Sein Antrieb sei vielmehr ein Gefühl der Unsicherheit gewesen, zu einem Zeitpunkt, als er nach Antworten auf die Veränderungen in der Kunstwelt, seinem Privatleben und der westdeutschen Ges. gesucht habe. Kaum hat R. als Pop-Art-Künstler ein gewisses Renommee, verdrängen neue Richtungen wie Minimalismus und Konzeptkunst den Pop und die Malerei als Medium. Minimalistische Werke wie die Farben-Ser. der M. der 1970er Jahre, gefolgt von konzeptuell geprägten, mit der gestischen Pinselspur arbeitenden Werken wie der Rot-Blau-Gelb-Ser., die die unendliche Vielfalt an möglichen Bildern durch die beliebige Überblendung von Pigmenten der Primärfarben thematisiert, entstehen, um mit diesen Entwicklungen Schritt zu halten. Zudem stellen zu dieser Zeit in Düsseldorf Künstler wie Joseph Beuys und Jörg Immendorff, die aus der Gegenkultur der späten 1960er Jahre kommen, den Status der Malerei - R.s bevorzugtes Medium - als konservativ und elitär in Frage. Sie wenden sich alternativen Formen wie Multiples und Live Performance zu, die sie für fortschrittlicher und egalitärer halten. Mit den demokratischen Zielen solcher Aktivitäten kann sich R. identifizieren, nicht aber mit den sozialistischen Neigungen der Gegenkultur oder der in ihr vertretenen Behauptung, die west-dt. Ges. der Nachkriegszeit sei zutiefst autoritär. Aufgrund der eig. Erfahrung erscheint ihm der liberale demokratische Kapitalismus im Vergleich als die zwar nicht fehlerfreie, aber dennoch bessere Alternative. Er fühlt sich, wie er später gegenüber Storr und seinem Biografen Dietmar Elger erklärt, in der radikalisierten Kunstwelt dieser Zeit zunehmend fremd. Die Zerrüttung seiner Ehe und allmähliche Auflösung der alten Freundschaft mit Fischer und Polke tragen gleichzeitig dazu bei, dass er auch künstlerisch verunsichert wird. Trotz zahlr. Ehrungen, die ihm in den frühen 1970er Jahren zuteil werden, darunter 1971 eine erste Retr. im KV für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, und 1972 eine Prof. an der KA sowie die Einladung, die Bundesrepublik auf der Bienn. in Venedig zu repräsentieren, fühlt er sich persönlich wie beruflich isoliert und zweifelt an seiner Fähigkeit, mit den neuesten Entwicklungen in der Kunst Schritt halten zu können. R.s im Verlauf des Jahrzehnts zunehmende Befürchtungen wirken sich auch auf seine Arbeit aus: Bis 1976 bilden die düsteren Grauen Bilder die Mehrzahl seiner Werke. Erst mit psychologischer Hilfe gelingt es ihm, eine persönliche und professionelle Krise zu überwinden. Sein Schaffen nimmt 1977 eine dramatische Wende: Es entstehen komplexe Werke, in denen kontrastierende Formelemente aller Art zu finden sind. Diese Arbeiten sind im Gegensatz zu den monochromen Vorgängern extrem vielgestaltig: Geometrische Formen konkurrieren mit Flächen unstrukturierter Pinselstriche; oberflächliche Pigmentschichten verwandeln sich in Tiefenraum; Schlammfarben stehen unvermittelt neben kühnen, leuchtenden Farben. Obwohl R. in den späten 1970er Jahren fortlaufend an diesen buntfarbigen Bildern arbeitet, bezeichnet er sie als Skizzen. Erst 1981 nennt er die Werke Abstrakte Bilder; in den kommenden 30 Jahren stehen sie im Zentrum seines Schaffens. Die Werke der späten 1970er und frühen 1980er Jahre - charakterisiert durch expressive Pinselstriche und verwischte Pigmentschichten - gewinnen M. der 1980er Jahre an Dichte und Ordnung. Während der späten 1980er und frühen 1990er Jahre werden Leerstellen zunehmend unter dichten Pigmentanhäufungen begraben und die vordem frei schwebenden Pinselstriche werden, wie etwa in einigen der Abstrakten Bilder des Jahres 1992, zu geordneten, parallel und vertikal verlaufenden Farbstreifen und Pinselstrichen. M. der 1990er Jahre erreichen die Abstrakten Bilder eine endgültige Gestalt, in der sich Farbstreifen und -flecken frei, jedoch kompositorisch durch ein geometrisches Gerüst aus längs und quer verlaufenden Farbschlieren geordnet, auf der gesamten Bildfläche miteinander vermischen. Während dieser Entwicklung ist das Prozedere der Herstellung der Abstrakten Bilder immer dasselbe. Jedes neue Bild wird schrittweise, Schicht für Schicht aufgebaut, zunächst mit dem Pinsel und dann mit entschiedenen plastischen Quetschungen mittels eigens angefertigter, riesiger Rakel, die R. über die gesamte Bildfläche zieht, um die noch feuchten Farben zielgerichtet zu verschmieren. Auf diese Weise kreiert R. Komp., die mit jedem Farbauftrag komplexer werden. Nach aufwendigen und zeitintensiven Malvorgängen bringt R. zunächst willkürlich Farbe auf die Lw. auf, um dann das Ergebnis in sorgfältig geplanter Weise zu manipulieren. In der Folge überlässt er das Werk wiederum dem Zufall, sodass am E. des Prozesses ein Bild als Produkt eines Zusammenspiels von Zufallsmoment und bewusster Konzeption steht, das von einer Art dynamischem Gleichgewicht geprägt ist. Auf formaler Ebene kreiert R. ästhetisch "schöne" Gem., die er durch größtmögliche, aber ausbalancierte Komplexität erreichen zu können glaubt. Auf semantischer Ebene schreibt er der abstrakten Bildwelt existenzielle Bedeutung zu. In Texten und Interviews der 1980er Jahre vergleicht er die Opazität und Komplexität der Abstrakten Bilder mit der verstörenden Undurchschaubarkeit der Wirklichkeit als Ganzes - ein unberechenbarer Bereich, in dem der Mensch mit seinen unzureichenden Kontroll- und Verständnismöglichkeiten auf der Suche nach Sicherheit ist. In den frühen 1970er Jahren lädt R. die Fotobilder mit einer ähnlichen Bedeutung auf, indem er das Verunklären des Bildgegenstands als Verweis auf die beschränkte Wahrnehmung von Wirklichkeit deutet. In einem and. Kommentar bezeichnet er 2002 gegenüber Storr das Vermalen als Ausdruck seines Gefühls der Entmachtung oder als Zeichen seiner Unzulänglichkeit als Künstler. Seine Hoffnung sei, sich mit seinen Fotobildern den Alten Meistern anzunähern. Dieses Ziel aber scheint unerreichbar; die Vermalungen seien die Maske, die das Fehlerhafte seiner Technik verdecken soll. Ungeachtet dessen malt R. parallel zu den abstrakten Werken auch weiterhin Fotobilder und stellt Arbeiten aus den versch. Werkgruppen häufig nebeneinander aus. Ein Meilenstein ist die 1985 gemeinsam von Gal. Sperone Westwater und Marian Goodman in New York organisierte Ausstellung. Mit den Werken dt. Maler wie Georg Baselitz und den sog. Neuen Wilden - darunter Rainer Fetting und Helmut Middendorf - rückt Malerei in den frühen 1980er Jahren wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit und ist bes. beliebt bei Kritikern und Sammlern. Im angelsächsischen Raum werden diese Künstler aufgrund der verzerrten Figuren, der nicht naturalistischen Farben und der Rohheit als Neo-Expressionisten bezeichnet. R.s buntfarbige und expansive Abstrakte Bilder scheinen auf den ersten Blick ebenfalls zu dieser Beschreibung zu passen; der lange Herstellungsprozess jedoch und das Element des Zufälligen ebenso wie die gleichzeitige Produktion der abbildenden Fotobilder lassen eine solche Zuordnung als problematisch erscheinen. Kritiker wie Benjamin Buchloh und Kate Linker positionieren R. deswegen und wegen seines simultanen Arbeitens in mehreren Stilen als postmodernen Kritiker des Neo-Expressionismus, der die der Richtung zugrundeliegende modernistische Überzeugung bestreitet, dass Malerei das Selbst in reiner und unmittelbarer Form zum Ausdruck bringen könne. Kritische Einschätzungen dieser Art tragen im Zusammenspiel mit R.s virtuoser Maltechnik zur wachsenden Popularität seiner Werke für Sammler und öff. Einrichtungen bei. Ein Durchbruch ist die erw. Gal.-Ausst. 1985 in New York, die den Moment bezeichnet, in dem Sammler und Mus. auch außerhalb Europas beginnen, R.s Arbeiten zu erwerben. Seine Werke sind begehrt und befinden sich fortan in der vordersten Linie des internat. Kunstmarkts. Das folgende Jahrzehnt bezeugt den anhaltenden Erfolg mit nicht weniger als vier großen Überblicks-Ausst.: 1986 KH Düsseldorf (K), 1988 AG of Ontario, Toronto (K), 1991 Tate Gall. London (K) und 1993 MAMVP, Paris (K). In dieser Zeit realisiert R. kontinuierlich Abstrakte Bilder und weitere Projekte, darunter als eines der wichtigsten und berühmtesten Werke 18. Oktober 1977 (1988), ein Zyklus schwarzweißer Fotobilder, die sich mit dem Tod der führenden Mitgl. der Rote Armee Fraktion (RAF) 1977 im Stammheimer Gefängnis befassen. In den zahlr. Fotobildern mit Kriegsthemen stellt R. seit den frühen 1960er Jahren Malerei in den Dienst des hist. Gedächtnisses. Mit der Ser. 18. Oktober 1977 bekämpft R. mit der Erinnerung an eine Phase jüngst vergangener politischer Auseinandersetzungen erneut das öff. Verdrängen. 1991-92 entsteht als fruchtbare Erweiterung seines Repertoires unter dem Titel Spiegel eine Ser. bemalter Glasscheiben, mit der er seine bereits M. der 1960er Jahre begonnenen Versuche mit dem Medium wieder aufgreift und intensiviert, indem er die auf der Rückseite mit einer monochromen grauen Farbschicht überzogene Glasscheibe wie ein Gem. an die Wand hängt. So ergeben sich die Welt verdunkelt wiedergebende Spiegel, die die Grenzen der Wahrnehmung verdeutlichen. Die 1994 eintretenden Veränderungen im Leben von R., sein Rücktritt von der Prof. an der KA und die Scheidung von seiner zweiten Frau Isa Genzken, die er 1982 geheiratet hat, stellen die Weichen für sein künftiges Schaffen. Im Jahr darauf heiratet er seine ehem. Studentin Sabine Moritz, die ebenso wie der gemeinsame Sohn um die M. des Jahrzehnts zum Gegenstand einer Reihe von Bildern wird, darunter die Ser. S. mit Kind (1995), bestehend aus acht, dem traditionsreichen Bildthema der Mutter-Kind-Darst. sowie dem Motiv der Badenden (Kleine Badende, 1994) gewidmeten, kleinformatigen Fotobildern, in denen sich R. den Werken Jan Vermeers und Jean-Auguste-Dominique Ingres' nähert. Das neue Jahrtausend sieht erneut einige Lsch.-Bilder und Porträts, weitere Varianten der Abstrakten Bilder und Glasarbeiten. Zu diesen zählen Schwarz-Rot-Gold (1999) für den Deutschen Bundestag in Form einer gelängten dt. Flagge, die R.s Vertrauen in die Zukunft des wiedervereinigten Landes bezeugt, sowie das Kölner Domfenster (2007), das aus 11500 mehrheitlich nach dem Zufallsprinzip angeordneten farbigen Quadraten besteht und an die Farben-Ser. der 1970er Jahre angelehnt ist. Er glaube nicht an Gott, sagt R. anlässlich der Enthüllung des Werks, schätze aber die Kirche als eine Quelle des Trosts in der Welt. In Übereinstimmung damit fängt die mon. Archit. des Doms die Unruhe und Dynamik des Fensters auf und rahmt das farbliche Chaos ein. Die öff. Aufträge und die S. mit Kind-Ser. legen auch von R.s mit dem Alter zunehmend konservativer Haltung Zeugnis ab. Die in zahlr. Interviews nachzulesende und von seinem Biografen Elger bezeugte Vermeidung trad. familiärer Verhältnisse, seine kritische Einstellung zur jüngeren dt. Gesch. und die rigorose Ablehnung von Relig. der ersten Jahre seiner Laufbahn erscheint nun abgemildert oder ganz aufgegeben. Parallel dazu steigt sein künstlerisches Ansehen. 2002 zeigt das MoMA New York die von Storr kuratierte Retr. G.R. Forty Years of Painting (K), die über Chicago, San Francisco nach Washington/D.C. reist. Ähnlich große Ausst. folgen 2008 am NM of China, Beijing (K), und 2011 an der Tate Modern, London (K). Auch mit über 80 Jahren bleibt R. produktiv, konzentriert sich nun aber vermehrt auf and. Medien. Zu den in dieser Zeit verfolgten Projekten zählen Künstlerbücher und eine neue Strips (2011-13) genannte Gruppe von mon., leuchtend bunten abstrakten Bildern in Digitaldruck auf Papier zw. Alu Dibond und Perspex (Diasec). R.s erstes Künstlerbuch, G.R. 128 Fotos von einem Bild (Halifax) I (1980) zeigt eine Vielzahl von Aufnahmen versch. Ausschnitte des Abstrakten Bildes Halifax (1978). 1998 geht daraus ein weiteres Fotobuch hervor: 128 Fotos von einem Bild, (Halifax 1978), III. Mit dem Künstlerbuch G.R. Patterns. Divided - Mirrored - Repeated (Lo./Köln 2011) und den mon. Strip-Bildern variiert R. die Unklarheit der früher entstandenen Arbeit, die auf der Fragmentierung eines Gem. entsteht, und überführt sie in das digitale Zeitalter. Er lässt eine Reprod. eines neueren Abstrakten Bildes techn. in vertikale Streifen unterschiedlicher Breite zerlegen, diese dann spiegeln und horizontal wiederholen, um intensive Farbschichtungen, Muster oder "Patterns" zu erzielen. Ging es bereits in den 128 Detailfotos um die große Menge an Informationen, die einem einzigen Bild zu entnehmen ist, so treiben seine digitalen Arbeiten diesen Prozess weiter, indem sie die unendlichen Kombinationsmöglichkeiten der Datenmenge thematisieren. Zu diesem späten Zeitpunkt in seiner künstlerischen Karriere ist R. als einer der führenden Maler des 20. Jh. längst fest etabliert. Seine virtuose Erprobung vieler Stile ist es, die die Befürchtungen vieler Kritiker in den späten 1960er und '70er Jahren, die das E. der Malerei kommen sahen, zerstreuen hilft. Hinzu tritt die ständige Auseinandersetzung mit dem Thema der Endlichkeit des Menschen, die R.s Werk eine phil. und existenzielle Semantik verleiht. Schließlich sind es Werke wie 18. Oktober 1977, die sich den Herausforderungen der jüngeren dt. Gesch. stellen, die R. zu einem - nur wenigen and. Künstlern der letzten Jahrzehnte vergönnten - außergewöhnlichen Maß an öff. Aufmerksamkeit verhelfen. - 1997 Praemium Imperiale für Malerei, Japan Art Assoc., Tokio.

WERKE

Baden-Baden, Mus. Frieder Burda. Basel, KM. Beacon/N.Y., Dia:Beacon. Berlin, Neue NG. Bonn, KM. Chicago, Art Inst. Dresden, Dt. Hygiene-Mus.: Lebensfreude, Wandbild, 1979. - SKS. Düsseldorf, Mus. Kunst Pal. Hamburg, KH. Kanazawa, 21st C. MCA. Köln, Mus. Ludwig. Leipzig, MBK. London, Tate. Mönchengladbach, StM Abteiberg. München, Lenbachhaus. - PM. New York, Guggenheim. - MoMA. Paris, Centre Pompidou. Recklinghausen, KH. Schwäbisch Hall, KH Würth. St. Louis/Mo., AM. San Francisco, MMA. St. Petersburg, Ludwig-Mus. im Russ. Mus. Toronto, AG of Ontario. Wien, Albertina. Winterthur, KM. Zürich, Daros Coll.

SELBSTZEUGNISSE

H.U. Obrist/D.Elger (Ed.), G.R. Text 1961 bis 2007: Schr., Interviews, Briefe, Köln 2008; I Have Nothing to Say and I'm Saying It, in: Panorama - A Retr. (K Tate), Lo. 2011; Bilder einer Epoche (K Bucerius Kunst Forum), Ha. 2011 (Briefe); G.R. Bilder/Ser. (K Fond. Beyeler), Riehen/Basel 2014 (Interview).

AUSSTELLUNGEN

Einzelausstellungen:

1962 Fulda, Gal. Junge Kunst (mit M.Kuttner; K) / Düsseldorf: 1963 Möbelhaus Berges (mit Fischer); 2005 KS NRW, K20 KS am Grabbeplatz (K); 2024-25 Kunstpalast / München: 1964 Gal. Friedrich & Dahlem; 2009 Haus der Kunst (K); 2013-14 Lenbachhaus (K); 2021 Staatl. GrS. (K) / 1969 Aachen, Zentrum für aktuelle Kunst - Gegenverkehr e.V. (K) / 1972 Utrecht, Hedendaagse Kunst (K) / 1977 Paris, Centre Pompidou (K) / 1989 Krefeld, Haus Esters (K) / 1999 Winterthur, KM (K) / 2008 Köln, Mus. Ludwig (K); Leverkusen, Mus. Morsbroich (K) / 2009 Frankfurt am Main, MMK / 2010 Florenz, Pal. Strozzi / 2011 Hamburg, Bucerius Kunst Forum (K) / Berlin: 2012 (Wander-Ausst.), '23 Neue NG; 2020-21 Max Liebermann Haus (K) / 2013 Turin, Fond. Sandretto Re Rebauden / 2017 Essen, Mus. Folkwang / Dresden: 2020, '23 Albertinum (K); 2022 GG NM / 2020-21 Wien, Bank-Austria-Kunstforum. -

 

Gruppenausstellungen:

1963 Düsseldorf, Kaiserstraße 31A: Demonstrative Ausst. / 2001 Zürich, Daros Exhib.: A.Warhol, S.Polke, G.R. In the power of paint. 1 / 2011 Hamburg, KH: Unscharf nach G.R. / 2019-20 Stuttgart, SG: Die Jungen Jahre der Alten Meister: Baselitz - R. - Polke - Kiefer (Wander-Ausst., K) / 2023-24 Wien, Albertina Modern: Österreich - Deutschland Malerei von 1970 bis 2020 (K) / 2024 Dresden, Dt. Hygiene-Mus.: VEB Museum. (K: S.Mühlenberend u.a.) / 2025 Wien, Albertina Modern: Remix (K); Bonn, KM: From Dawn Till Dusk (K) / 2025-26 Emden, KH und Bietigheim-Bissingen, StG: Dem Himmel so Nah - Wolken in der Kunst.

 

QUELLEN

Weitere Lexika:

Bauer, GEM VII, 1978; ContempArtists, 1983; EAPD, 1989; DA XXVI, 1996; I.F. Walther, Künstler-Lex., in: Kunst des 20. Jh., II, Köln u.a. 1998; R.Mißelbeck (Ed.), Prestel-Lex. der Fotografen, M. u.a. 2002.

 

Gedruckte Nachweise:

J.Roh, Malerei, Collage, Op-Art, Graphik, M. 21974 (Dt. Kunst seit 1960, 1); K.Honnef, G.R., Recklinghausen 1976; Atlas der Fotos, Collagen und Skizzen (K München), Köln 1997; H.Offner (Ed.), Eingegrenzt - ausgegrenzt, B. 2000; B.H.D. Buchloh, in: G.R. Bilder 1996-2001 (K Marian Goodman Gall.), N.Y. 2001; Die Neue NG (K Berlin), B./Köln 2003; G.R. Atlas, the reader (K Whitechapel AG), Lo. 2003; R.Storr, G.R. Doubt and Belief in Paint., N.Y. 2003; Still mapping the moon (K KM), Bonn 2004; G.R. Billede efter billede (K Louisiana), Humlebæk 2005; H.Dickel, Kunst als zweite Natur, B. 2006; art 2007(7)Beilage: documenta 12 von A-Z; Paint it blue. ACT art coll. Siegfried Loch (K Weserburg), Bremen 2007; A.Zweite, G.R. Silikat, Dd. 2007; S.Fleischer/A.N. Werner, Dresdener Kunst-Bll. 51:2008(3)208-219; Abstrakt (K Klagenfurt), Köln 2008; D.Elger, G.R. Maler, Köln 2008; R.Lesso, Art monthly 322:2008/09, 35s.; U.Wilmes, G.R. Zur Entst. der abstrakten Bilder, Köln 2009 (Schr. des G.-R.-Arch. Dresden, 5); B.H.D. Buchloh (Ed.), G.R., C., Mass. 2009; R.Hawker, Oxford Art J. 32:2009(2)263-280; C.Mehring u.a.(Eds.), G.R. early work, 1951-1972, L.A. 2010; C.Belz, G.R. - Paint., Dokumentarfilm, 97 Minuten; R.Schlüter, Art (Ha.) 2011(4)119; S.Strsembski, Kunstchronik 64:2011(5)265-270; D.Elger (Ed.), G.R. Cat. raisonné, 5 Bde, D. 2011-18 (WV); Kunstforum internat. 2012(213); 2012 (215); 2014(224)382-385; L.Smythe, Oxford Art J. 37:2014(3)1-21; R.G./A.Zweite, G.R. - Leben und Werk, M. 2019; R.Unruh, Kunstforum Internat. 304:2025(Juli/Aug.)211-213; R.Ermen, ibid. 305:2025(Sept./Okt.)232-233.

 

Archive:

Dresden, SKS, G.R. Arch.

 

Onlinequellen:

Website R.