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Ungers, Oswald Mathias

Geboren
Kaiseresch, 7. Dezember 1926
Gestorben
Köln, 30. September 2007
Land
Deutschland
Geschlecht
männlich
GND-ID
Weitere Namen
Ungers, Oswald Mathias; Einsiedel, Oswald Mathias
Berufe
Architekt*in; Dozent
Wirkungsorte
Köln, Ithaca (New York), Berlin, Frankfurt (Main)
Zur Karte
Von
Meyer, Ulf
Zuletzt geändert
07.03.2024
Veröffentlicht in
AKL CXI, 2021, 271

VITAZEILE

Ungers, Oswald Mathias (OMU), dt. Architekt, Dozent und Architekturtheoretiker, *12.7.1926 Kaisersesch, †30.9.2007 Köln. Vater des Architekten und Bildhauers Simon U.

LEBEN UND WIRKEN

U. gilt als wichtigster und internat. bekanntester Vertreter der Postmoderne und des Rationalismus in Deutschland. Zu seinen bed. Werken zählen Museen, Messegelände und Wohnhäuser. Er hat als Architekt, Theoretiker und Hochschullehrer eine ganze Generation von Architekten geprägt. - U. studierte 1947-50 an der TH Karlsruhe bei Egon Eiermann Architektur. Nach dem Diplom arbeitete er mit Helmut Goldschmidt zusammen und entwarf zunächst überwiegend Wohnhäuser im Rheinland. Mit 24 Jahren eröffnete U. 1950 sein erstes eig. Architekturbüro in Köln. Es folgten weitere in Berlin (1964), Frankfurt am Main (1974) und Karlsruhe (1983). Er war Prof. an der TU Berlin (1965-67 auch Dekan der Fak. für Archit.), im Jahr 1967 an der Cornell Univ. in Ithaca/New York (1969-75 auch als Chairman of the Dep. of Archit.) und auch an der Harvard Univ. (1973), der Univ. of California in Los Angeles (1974-75), der HS für angew. Kunst in Wien (1979-80) und der KA Düsseldorf (1986-90). U. starb 2007 im Alter von 81 Jahren und ist auf dem Kölner Friedhof Melaten bestattet. - Bis M. der 1960er Jahre baute U. überwiegend Wohngebäude. Zu seinen vielbeachteten Wohnbauten der 1950er und frühen 1960er Jahre gehört sein eig. Haus in Köln-Müngersdorf von 1958/59. Später schuf er auch größere Gebäude wie u.a. einen Hochhauskomplex im Märkischen Viertel in Berlin (Wohnhausgruppe 908, 1962-67). M. der 1960er Jahre nahm seine Bautätigkeit vorübergehend ein abruptes Ende. Der "Bauwirtschafts-Funktionalismus", der die mod. Archit. des Jahrzehnts prägte, wurde - nicht nur von Studenten ab 1968 - zunehmend kritisiert und abgelehnt. In der F. wurde U. zeitweise ein "Papierarchitekt" und beschäftigte sich überwiegend theoretisch mit Archit. und Urbanistik und formulierte seine Gedanken in programmatischen Projekten. Zu den radikalen Entwürfen dieser Zeit zählt das Studentendorf in Enschede von 1964, ein collagenhaft heterogenes Bauensemble aus elementaren Formen wie Quadrat und Kreis bzw. Kubus und Kugel. Inspiriert von zwei Schlüsselwerken der postmodernen Architekturtheorie, Aldo Rossis "L'architettura della città" und Colin Rowes "Collage City", entwickelte U. eine archit. Haltung, die von typologischem Denken und dem Genius Loci geprägt ist. In den 1970er Jahren nahm er an vielen Architekturwettbewerben teil, u.a. für die städtebauliche Neuordnung des Tiergartenviertels in Berlin 1973, die Dt. Botschaft beim Hl. Stuhl in Rom, das Mus. Preußischer Kulturbesitz in Berlin 1965 und Roosevelt Island in New York City 1975. Letzterer Entwurf ist ein Beispiel für U.s Konzept der "Stadt-Ordnung", die den sorgfältigen Umgang mit Fundstücken impliziert. Zu den wichtigsten, wenigen gebauten Werken U.s in den 1970er Jahren zählen die Wohnbebauung Ritterstraße in Marburg 1976 und das BIBA (Bremer Inst. für Produktion und Logistik) der Bremer Univ. von 1977. E. der 1970er wurden wieder mehr Entwürfe von U. umgesetzt, sein internat. Ruf als Theoretiker und Praktiker war zu diesem Zeitpunkt gefestigt. Seine Entwürfe entwickelten sich in Richtung strenger, zeitloser Geometrien. Dabei orientierte sich U. zunehmend an den Prinzipien der Klassik "als zeitgemäßen Ausdruck allg. Ordnungen" und an den Musterbüchern von Jean-Nicolas-Louis Durands, der 1820 ein Werk über "geometrische Urtypen für Bauwerke" publiziert hatte. Auftakt dieser produktiven zweiten Werkphase bildeten die Entwürfe für das Dt. Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt und die Wohnbebauung am Lützowplatz in Berlin (2013 abgerissen). U.s Leitideen "Haus im Haus" und "Stadt in der Stadt" wurden hier exemplarisch studiert. Für das Dt. Architekturmuseum entkernte U. eine Villa am Schaumainkai. An die Stelle der Jugendstil-Interieurs traten weiße, aus dem Quadrat entwickelte Räume, zentriert um einen Turmkant, der in einer 'Urhütte' mit Satteldach in der obersten Etage endete. In den 1980er Jahren entwarf U. eine neue Halle auf dem Frankfurter Messegelände (Messehaus 9) mit Gal. und Torhaus, die als "dialektische Konfrontation zw. Stein und Glas" beschrieben wurde. Das Gebäude für das Alfred-Wegener-Inst. in Bremerhaven von 1986 ist ein rationalistisch transformiertes Schiffsmotiv. Das Polarforschungsinstitut, das selbst viele Schiffe betreibt, fand seinen Sitz in einem Gebäude mit maritimer Ästhetik. Das zweite eig. Wohnhaus von U., die Villa Glashütte in Utscheid (Eifel) von 1997 gilt als das Ergebnis seiner Suche nach dem Ur-Haus. An sein Haus in Köln-Müngersdorf fügte er 1990 seinen privatesten Bau an, eine Bibl. in der Form eines streng klassisch proportionierten Kubus. Kritiker nannten U.s späten Stil "klassizistisch inkarnierte Moderne" (D.Bartetzko, FAZ, 4.10.2007). Die Residenz des dt. Botschafters in Washington von 1994, die auf einem Hügel thront, bildete mit dem Kanzleigebäude, das sein ehem. Prof. Eiermann 1966 entworfen hatte und das als zurückhaltend, aber nicht streng galt, einen interessanten Kontrast. U.s bevorzugte Formen wurden das Quadrat und die Raster-Fassade, wie es beim hermetischen Würfel des Erweiterungsbaus der Hamburger KH Galerie der Gegenwart, der auf einem geböschten Sockel ruht, zu sehen ist. Diese elementaren und vom Zeitgeschmack unabhängigen Gestaltungsmittel wirken teils formalistisch, teils bewirken sie eine "neue Klarheit". Mit dem Neubau des WRM gelang U. 2001 in der Kölner Altstadt ein komplexes Gefüge aus Würfeln, das die Enge der umliegenden Gassen wiederherstellte und zugleich der Kunst Raum schuf. Auch bei dem Schutzgebäude für die antiken Thermen am Trierer Viehmarkt und dem Empfangsgebäude der dortigen Kaiserthermen von 2006 gelang U. eine Verbindung von Alt und Neu, die Einfühlungs- und Durchsetzungsvermögen bezeugt. Das Berliner Pergamon-Mus. wird derzeit posthum mit dem neuen, von U. geplanten vierten Flügel ergänzt. - Bek. Schüler sind Max Dudler, Hans Kollhoff (1946), Jo. Franzke, Christoph Mäckler, Rem Koolhaas, Jürgen Sawade und Eun Young Yi. U. gründete ein "Arch. für Architekturwissenschaft", das seine Architekturbibliothek, seinen Nachlass und eine Slg von Modellen von hist. bedeutsamen Gebäuden in weißem Alabastergips enthält. Schwerpunkte von U.s Bibl. bilden Architekturtraktate sowie Werke zur Perspektive und Farbenlehre. Sie enthält u.a. die Erstausgabe von Vitruvs "De architectura libri decem" von 1495 sowie weitere seltene Buchausgaben. Der Bibliothekskubus in der Belvederestraße in Köln-Müngersdorf steht der Öffentlichkeit für Forschungsarbeiten zur Verfügung.

WERKE

Bad Homurg vor der Höhe: Einfamilienhaus Wokan, 1962. Berlin: Familiengericht Kreuzberg, 1995; Friedrichstadt-Passagen (Quartier 205), 1996; Erweiterung der Messe, 1999; Dorotheenhöfe, 2001; Hugo-Preuß-Brücke, 2004. Bremen: Contrescarpe-Center, 2006. Düsseldorf: Umbau Mus. Kunstpalast, 2000. Frankfurt am Main: Umbau Ikonen-Mus., 1990. Frechen-Bachem: Umbau Haus Bitz, 1991. Karlsruhe: Badische Landesbibliothek, 1991; Bundesanwaltschaft, 1994. Köln: Mehrfamilienhaus, 1951; Kleiderfabrik und Wohnhaus, 1951; Mehrfamilienhaus Riehler Str., 1953; Einfamilienhaus W, 1956; Studentenwohnheim Goldenfelsstr., 1956; Zweifamilienhaus, 1957; Mehrfamilienhaus "H", Schilfweg, 1959; Wohnanlage Asternweg 1966; Mehrfamilienhaus Hansaring (Haus Reimbold), 1967; "Haus ohne Eigenschaften", 1995. Leverkusen: Umbau Schloss Morsbroich, 1985. Oberhausen: Inst. zur Erlangung der Hochschulreife, 1958. Potsdam: Forschungsstelle des Alfred-Wegener-Inst., 1999. Salzburg: Wohnanlage "Forellenwegsiedlung", 1990. Utscheid, Umbau Gemeindehaus, 1998.

SELBSTZEUGNISSE

10 Kapitel über Archit. (K Josef-Haubrich-KH), Köln 1999; Entwerfen mit Vorstellungsbildern, Metaphern und Analogien, in: Archit. 1951-1990, St. 1991; Die Thematisierung der Archit., St. 1983; Quadratische Häuser, St. 1986; Morphologie - City Metaphors, Dd. 1992; mit S.Vieths, La città dialettica, Mi. 1997; Berliner Vorlesungen 1964-65, in: ARCH+197:2006.

AUSSTELLUNGEN

Einzelausstellungen:

1999 Köln, Josef-Haubrich-KH (K) / 2006 Berlin, Neue NG (Retr.).

 

QUELLEN

Weitere Lexika:

M.Emanuel (Ed.), Contemp. architects, N.Y. u.a. 31994; DA XXXI, 1996; Dict. de l'archit. du XXe s., P. 1996; J.S. Curl, A dict. of archit. and landscape archit., Ox. 2006; Kürschners Hb. der Bild. Künstler. Deutschland, Österreich, Schweiz, II, M./L. 2007

 

Gedruckte Nachweise:

K.Frampton, O.M.U.: Work in Progress 1976-1980 (K Inst. for Archit. and Urban Stud.), N.Y. 1981; F.Neumeyer, O.M.U. Archit. 1951-1990, St. 1991; M.Kieren, O.M.U., Z. 1994; G.Brown-Manrique, O.M.U.: A comprehensive bibliogr. 1953-1995, Oxford, OH 1996; M.Kieren, O.M.U., Bauten und Projekte 1990-1997, St. 1998; A.Sieber-Albers/M.Kieren (Ed.), Sichtweisen. Betrachtungen zum Werk von O.M.U, Braunschweig/Wb. 1999; J.Stabenow, Architekten wohnen, B. 2000; A.Lepik (Ed.), O.M.U. Kosmos der Archit., Ostfildern 2006; J.Cepl, O.M.U. Eine intellektuelle Biogr., Köln 2007; Emerging ecologies. Archit. and the rise of environmentalism (K New York, MoMA), Lo. 2023; W.Nerdinger, Archit. in Deutschland im 20.Jh., M. 2023