Ando, Tadao, jap. Architekt, *13.9.1941 Osaka, lebt ebd.
Ando, Tadao
In jungen Jahren Arbeit als Zimmermann in Osaka, als Architekt Autodidakt. 1965-69 Reisen durch Japan, Europa, die USA, Afrika und Indien, die A. als "spirituelle Wanderung" ansieht, und die er neben der Verbundenheit mit der trad. Archit. seiner Heimatregion Kansai, als Schlüssel zu seinem Œuvre verstanden wissen will. 1969 gründet A. in Osaka das Büro Tadao Ando Architect & Associates. Schon in den ersten Jahren erfahren seine Bauten internat. Aufmerksamkeit und erzielen wichtige Architekturpreise. So erhielt er u.a. 1979 den Annual Prize des Japan Inst. of Architects (JIA) für sein Azuma House (1975-76 Osaka), 1985 die Alvar Aalto Medal, 1995 den Pritzger Prize, 1996 den Praemium Imperiale für Archit., Japan Art Assoc., Tokio, 1997 die RIBA-Gold-Med. for Archit. in Great Britain, 2002 die Gold-Med. des Amer. Inst. of Architects (AIA), 2005 die Gold-Med. der Union Internat. des Architectes (UIA), 2012 den Richard Neutra Award und 2016 den Isamu Noguchi Award. Ehrenmitgliedschaften: 1991 Amer. Inst. of Architects, 1993 Royal Inst. of British Architects (RIBA), 1997 Bund Dt. Architekten (BDA) und 2001 Amer. Acad. Arts and Letters. Lehrtätigkeit: 1987 Yale Univ. in New Haven, 1988 Columbia Univ. in New York, 1990 Harvard Univ. in Boston, 1997-2003 Tokyo University. Bereits in seinem ersten Bau, dem Tomishima House, 1972-73 Osaka, legt A. die prägenden Gestaltungsprinzipien vor, die sein künftiges Werk bestimmen sollen. Auf nur 36 m² errichtet er in unverputztem Stahlbeton einen vierstöckigen Quader, dessen Fassade rechts eine abgeschrägte Ecke aufweist. Hier entsteht im Erdgeschoss die Eingangszone mit Garage, Essküche und Sanitärbereich, darüber sitzt in der Schräge das Fenster, das den Wohnraum im 1. Obergeschoss beleuchtet. Eine weitere Treppe führt in das 2. Obergeschoss mit dem Schlafraum. A. präsentiert also ein wohl organisiertes Tiny House, das drei unabhängige, doch offen verbundene Räume und einen Freisitz beinhaltet, aber nach außen hin fast völlig abgeschlossen ist. Mit dem preisgekrönten Azuma House, 1975-76, vervollkommnet er sein Ideal des Schutzraums im alltäglichen Chaos der Großstadt Osaka, wobei es seine Projektskizze Twin wall, 1975, umsetzt. In die typische Reihung von trad. Einfamilienhäusern schiebt er einen Betonquader, dessen einzige Öffnung nach außen die schlanke, mittige Eingangszone bietet. Diese strenge Fassade weist eine bis dato unbek. Materialethik des Sichtbetons auf, der die beiden Stockwerke durch einen Einschnitt klar definiert und die Tatami großen, glattgeölten Schalplatten als Modul erkennen lässt. Ein strenges Ornament bilden die sich leicht konkav einziehenden Rödellöcher der Schalungsanker, die millimetergenau versetzt sind. In ihrem Minimalismus weist die Fassade doch trad. jap. Zeichen auf, so die dezidierte schwarze Steinstufe in der Eingangszone, die die Idee des "fumi-ishi", also des "Schuhausziehsteins", vermittelt. Aus dem rechteckigen Zwischenbereich zw. Öffentlichkeit und Privatheit führt seitlich eine Tür unmittelbar in den Wohnraum, aus dem man durch eine Glastüre in den rundum geschlossenen, zum Himmel offenen Atriumhof blickt. Jenseits des Hofes schließt der Raum für Essküche und Sanitärbereich an. Eine Treppe im Hof führt zu dem Räumen im 1. Obergeschoss. Weist die Archit. im Inneren die gleichen Gestaltungszüge auf, wie der Außenbau, so sind Erdgeschossräume, Hof und Brücke mit schwarzem Schieferboden ausgelegt, die Schlafräume mit Schiffsparkett. Bereits in diesem frühen Bau achtet A. auf nachhaltige Belüftung ohne Klimaanlage, wenn er in alle vier Räume vier lukenartige Fenster in Bodennähe einsetzt, die kühle Luft zuführen und bei geöffneten Türen die warme Luft abziehen helfen. Bemerkenswert ist die Sorgsamkeit der Tageslichtregie, die A. bei allen Gebäuden walten lässt. Als Beispiel mag das Teehaus gelten, das A. 1983 dem Zwillingspaar der Soseikan und Yamaguchi Houses, 1974-75, in Takarazuka (Hyogo-ken), nördlich von Osaka, zugesellt hat. Hier erhält die Quaderstruktur aus schon beschriebenem, hochqualifiziertem Sichtbeton einerseits eine elaborierte Eingangssituation, andererseits einen abgeschlossenen Vorplatz. Aus dem Eingangskorridor betritt man durch eine fusama-Schiebetür den mit drei tatami ausgelegten Kernraum des kleinen Gebäudes, der von zwei ungleich hohen, bodennahen Fenstern nur wenig beleuchtet wird, andererseits aber über den fusuma-Zugang Licht erhält. Wendet man sich dahin zurück, erkennt man im Zugangskorridor drei bodennahe Fensterluken, sowie an der gegenüberliegenden Wand zwei versetzt angebrachte Betonborde im Stil eines chigai dana-Regals für Teehausutensilien, die bei Doppelschaligkeit der Wand über einen mit satiniertem Glas geschlossenen senkrechten Lichtschlitz sanft erhellt werden. Somit entsteht in dem strengen Betonbau eine transzendente Lichtstimmung, die zur Meditation einlädt und die jener Stimmung gleicht, wie sie etwa das trad. Taian-Teehaus, das Meister Sen-no Rikyū 1582 am Myokian-ji Tempel in Oyamazaki (Kyoto-ken) errichtete. Der wohl berühmteste Wohnhausbau A.s entstand in zwei Schritten für die Modedesignerin Hiroko Koshino, dem Koshino House,1979-84, in Ashiya/Hyogo-ken, am Fuße des Rokkosancho. Teilw. in den baumbestandenen Hang versenkt, liegen zwei Betonquader parallel nebeneinander, zu denen man vom erhöhten Carport hinabschreitet. Links das zweistöckige Wohnhaus mit Arbeits- und Schlafzimmer oben und über eine Treppe erreichbar unten der hochräumige Wohn- und Speisebereich. Rechts davon und durch Treppe und Hof getrennt, der langgezogene einstöckige Gästebereich mit sechs konventartigen Zellen und einem doppeltgroßen tatami-Bereich. Linkerseits geschlossen, öffnet er sich rechts zur Weite des Grundstücks. Die beiden Häuser sind durch einen unterirdischen Korridor verbunden, der auch zu einem später hinzugefügten viertelkreisförmigen Pavillon führt, in dem ein Studio und ein aufwendiges "furo"-Bad untergebracht sind. Mehr eine begehbare Skulptur als Archit. ist der Maditation Space, 1994-95, im Garten des UNESCO-Gebäudes von Paris. Hier kommt als zweites, für A. typisches Element Wasser zum Einsatz, das auf schräger Ebene den 6 m hohen Betonzylinder umspült. Ähnlich dem Azuma House führt ein Betonsteg durch ein schmales Hochrechteck scheinbar ins Dunkle, weist aber auf einen ebensolchen Ausgang Bei seinen Vorhaben beschränkt sich A. keineswegs nur auf die Mat. Beton, Stahl und Glas. Hierbei setzt seine Auseinandersetzung mit dem trad. jap. Holzbau mit dem Japan Pavilion Expo '92, 1989-92, in Sevilla neue Maßstäbe. Das vierstöckige, ganz mit Nadelholzbohlen verkleidete Gebäude erhebt sich auf einer tragenden Betonstruktur. Geschwungene Stahlträger geben die sattelförmige Form des Baus vor, in dessen Inneren 10 Holzschirmkonstruktionen das Dach tragen, das aus einem transparenten Teflongewebe besteht. Die gewölbte Zugangsbrücke (taikobashi) ist als Freitreppe mit Rolltreppenbegleitung ausgelegt. Sie führt auf eine zentrale Plattform mit spektakulärem Blick auf den Guadalquivir Fluss. Hier sind zwei der aufgeständerten Holzschirmkonstruktionen präsent, die trad. jap. Zimmermannskunst und digital generierte Archit. vereinen. In jüngerer Zeit widmete sich A. in Europa der Revaluierung und dem Umbau hist. Baulichkeiten für kult. Zwecke, beginnend mit der Villa Pastega Manera aus der 1. H. des 17. Jh. in Villorba, nördlich von Treviso, die er im Auftrag von Luciano Benetton in zwei Schritten zur Fabrica - Benetton Communication Research Center, 1992-2000, umbaut und erweitert. Solch meisterliche Interventionen in hist. Baulichkeiten gelingen A. dreimal im Auftrag von François Pinault, für dessen Pinault Coll. er in Venedig 2006 den Pal. Grassi modifiziert und 2009 die Punta della Dogana zum Mus. umbaut sowie 2016 in Paris die Bourse de Commerce zur Zentrale der Slg gestaltet. Auch im Bereich der Neubauten bleiben Museumsarchitekturen A.s Königsdisziplin. Mit seinem MAM of Fort Worth, 1997-2002, das den Auftakt zu dem Kulturdreieck der tex. Stadt bildet, und in enger programmatischer und geogr. Verbindung mit Louis Kahns "Kimbel AM" (1966-72) und Philip Johnsons "Amon Carter Mus. of Amer. Art" (1958-61, ‘64, ‘77, ‘99) steht, rückt A. endgültig in den Kreis der Weltarchitekten auf. In der Tat greift er Kahns emblematische Reihung der 16 tonnengewölbten Baukörper auf und reiht seine fünf ebenso, freilich um 90° gedreht. Die Trapezform des Baugrundes durch ein L-förmiges Becken ausgleichend, stellt er fünf Glasquader in Ostwestrichtung nebeneinander, wobei der langgestreckte, erdgebundene Doppelbau im Süden, der von einer mon. Cortenstahlschraube Richard Serras betont wird, Eingangs- und Verteilerebene mit Servicezonen, Auditorium und Haupttreppe beinhaltet, während die drei kürzeren Galeriekuben auf der Wasserfläche zu schweben scheinen. Im Inneren zeigt sich die Lobby von der lichtdurchfluteten Sachlichkeit eines Industriebaus. Das kühle Treppenhaus in Sichtbeton wird durch eine Lichttonne erhellt. Die konsequente Geometrie unterbricht A. nur an zwei Punkten, mit dem angeschnittenen Oval des Cafe Modern, das verglast in die Wasserfläche ragt und mit dem spektakulären ovalen Betonkabinett für Anseln Kiefers Bleiskulptur "Buch mit Flügeln", 1992-94, das sich in die Haupttreppe schmiegt. - So ist der ungewöhnliche und absolut autonome Baukünstler A. bei aller revolutionärer Freiheit im Umgang mit Glas, Stahl, Beton, Licht und Wasser, denen er mit dogmatischer Materialethik einzigartige ästhetische Qualitäten verleiht, der trad. jap. Gebäudephilosophie verbunden. Unter den hervorragenden jap. Architekten bleibt er ein Einzelgänger.
Chohatsusuru hako, To. 1986; T.A. Lectures on archit., To. 1999; Losing battles, after battles. Lectures at the Univ. of Tokyo 2, To. 2001; Hard fought process, Osaka 2007; Details 4, To. 2007; Architect, To. 2008; Recent project, To. 2009; Conversations with students, N.Y. 2012; Recent project 2, To. 2013; Recent project 3, To. 2021.
Einzelausstellungen:
1991 New York, MoMA (K) / Paris: 1993 MNAM (K); 2018 Centre Pompidou / 1993 London, R. Inst. of British Architects (K) / 2000 Naoshima, Contemp. AM (K) / 2002 Fort Worth (Tex.), MAM (K) / 2003 Osaka, Hist. Mus. (K) / 2005 Neuss, Langen Found. (K) / 2014 Williamstown (Mass.), Clark Art Inst. (K).
Thieme-Becker, Vollmer und AKL:
AKL1, 1992.
Weitere Lexika:
ContempArchitects, 1994; Kjellberg, 1994; Dict. de l'archit. du XXe s., P. 1996; Dict. des architectes, P. 1999; DA II, 1996; C.Olmo (Ed.), Diz. dell'archit. del XX sec., I, T. 2000
Gedruckte Nachweise:
Y.Futagawa, T. A, To. 1982; B.Bognar, The architectural review 172:1982(1029)60-70; M.Speidel, Baumeister 81:1984 (11)34-39; K.Frampton (Ed.), T. A. Buildings, projects, writings, N.Y. 1984; G.T. Kunihiro/P.Eisenman, T. A, N.Y. 1989; P.Bertrand, T. A. Das Haus Koshino, Tb. 1990; F.Dal Co, T. A. Le Opere, gli scritti, la critica, Mi. 1994; Y.Futagawa (Ed.), T. A, To. 1995; F.Dal Co, T. A. Complete works, Lo 1995; K.Matsuba, A. Architect, To. 1998; Y.Nussaume, T. A. et la question du milieu, P. 1999; M.Fumo (Ed.), T. A; Casabella 64:2000(682)58-68; M.Webb, The architectural review 210:2001(1256)66-69; M.Furuyama (Ed.), T. A., Bo. 2001; W.Blasner, T. A. Archit. der Stille, Basel 2001; L.Dall’Olio, T. A. Antinomie senza contrasto, T. 2002; R.Morant, The architectural review 214:2003(1278)139-141; K.Frampton, T. A. Light and water, Basel 2003; M.Cambert, Top Jap. architects, Ba. 2005; R.Gregory, The architectural review 218:2005(1305)76-79; P.Chow, ibid. 218:2005(1302)68-71; P.Jodidio, T. A. at Naoshima, N.Y. 2006; M.Zeiger, Museen heute. Neue Häuser für die Kunst, M. 2006; M.Furuyama, T. A. Die Geometrie des menschlichen Raums, Köln 2006; W.Blaser, T. A. Bauen in die Erde, Sulgen 2007; M.Webb, T. A. at the Clarc, Williamstown, Mass. 2008; P.Jodidio, T. A. Modern AM of Fort Worth, N.Y. 2008; F.Dal Co, T. A. per François Pinault, Mi. 2009; P.Jodidio, T. A. Venice, N.Y. 2010; M.Furuyama, T. A. Die Geometrie des menschlichen Raums, Köln 2016; Y.Nussaume, Regard sur l’archit. de T. A, P. 2017; J.Steele, Contemp. Jap. archit., Lo./N.Y. 2017. I.Brnić, Nahe Ferne. Sakrale Aspekte im Prisma der Profanbauten von T. A., Louis Kahn und Peter Zumthor, Z. 2019; R.Ivy, Château La Coste, Lo. 2020; P.Séclier, Atlas T. A, P. 2021; G.Picon, La Bourse de commerce., P. 2021; A.Kofler, Bourse de Commerce - Pinault Coll., P. 2021; M.Bethenod (Ed.), La Bourse de commerce, P. 2021; P.Jodidio, A. Complete works. 1975-today, Köln 2023.
Onlinequellen:
Website A.
Ando, Tadao, jap. Architekt, 20. Jh. Leitet ein Architekten-Büro in Ōsaka. 1980 Award of the Japan Inst. of Architects. Entwürfe für Wohnbauten, z. B. in Hamamatsu (Haus Ishii), Kobe (Terrassenhaus Rokko), Okayama. — In der jap. Archit. der Gegenwart vertritt A. einen Purismus, der an Vorstellungen von Le Corbusier und Ozenfant erinnert. Seine Bauten, in einfachsten geometrischen Formen und aus glatten, am Ort gegossenen Betonplatten ausgeführt, wirken im Äußeren abweisend. Sie offenbaren mit ihrer Einschränkung der Bequemlichkeit eine eher asketische Grundhaltung. Charakteristisch ist ein Wiederholen absolut identischer Raumteile, so daß der Grundriß einer Raum-Formel gleicht. Die Räume im Innern sind durch weitgehende Abstraktion so gestaltet, daß sie Ruhe ausstrahlen und dazu verhelfen, geistige Qualitäten zur Erscheinung zu bringen, seelische Erholung zu fördern. Die Raummitte ist als Ort der Sammlung zu verstehen. Lichtschlitze über den Wänden modulieren die einfallende Helligkeit. Wenige größere Öffnungen dienen als „Bild-Fenster", durch die bunte Ausschnitte der Außenwelt oder das geometrische Bild eines Innenhofs sichtbar werden. Bibliografie: Archit. d'aujourd'hui 28:1980 (211); Artforum 9:1980 (Sept.) 59; T. Azuma, The Japan Architect 55:1980 (Sept.) 5-7; H.Watanabe, From Utopia to the corner drugstore, in: Art News (New York) 81:1982 (Febr.) 122-126, 12 Abb.; M.Speidel, Jap. Architektur. Gesch. und Gegenwart, St. 1983, 112; id., T. A. - Ein neuer Purismus, Baumeister 81:1984 (11) 34-39, 12 Abb.