Baumeister, Willi, dt. Maler, Grafiker, Zeichner, Bühnenbildner, Kunstheoretiker, *22.1.1889 Stuttgart, †31.8.1955 ebd.
Baumeister, Willi (1889)
Lehre als Dekorationsmaler. Stud.: ab 1905 Akad. Stuttgart, Zeichenklasse bei Robert Poetzelberger und Komposition bei Adolf Hölzel; Privatstunden bei Josef Kerschensteiner. 1907 Bekanntschaft mit Otto Meyer-Amden und Oscar Schlemmer, mit dem er zeitlebens befreundet bleibt. 1911 in Paris Mitarb. im Cercle Internat. des BA. Danach in Stuttgart, 1912/13 in Amden/Schweiz tätig. 1918 nimmt er das durch den Krieg unterbrochene Stud. wieder auf, 1922 verlässt er die Akad. Stuttgart. Ab 1928 Lehrtätigkeit an der Kunstgewerbeschule Frankfurt/Main (Gebrauchsgrafik, Typografie, Stoffdruck; ab 1930 auch Weberei, Fotografie). Ab 1930 Mitgl. der Pariser Künstlergruppe Cercle et Carré, 1931 der von Naum Gabo und Antoine Pevsner gegr. Nachfolgeorganisation Abstraction-Création. 1933 Entfernung aus dem Lehramt. Rückkehr nach Stuttgart. 1941 Ausstellungsverbot. 1943 Übersiedlung nach Urach. 1946 Berufung an die Akad. Stuttgart, 1951 deren stellvertretender Dir. 1950 verteidigte B. zu den "Darmstädter Gesprächen" die mod. Kunst. - B. gilt als einer der wichtigsten Vertreter der abstrakten Malerei der europ. Nachkriegszeit. In seinen frühen Jahren entstanden spätimpressionistische Landschaften und Bildnisse. Bereits 1914 erhielt er zus. mit Oscar Schlemmer und Hermann Stenner den Auftrag zu einem Wandfries in der Haupthalle der Kölner Werkbund-Ausst. Ab 1919 entstanden sog. "Mauerbilder", die von B. als Teile einer nicht vorhandenen Archit. konzipiert waren und deren Name bewusst auf den Gegensatz zum Staffeleibild hinweist. Es sind klar gegliederte Arbeiten, in denen farbige und reliefartige Flächen nebeneinander gestellt werden, oder in denen auf geometrische Grundformen reduzierte menschliche Figuren auftauchen. Der Bildgrund dieser Arbeiten wurde durch Beimengungen von Sand und Kitt plastisch strukturiert, die Arbeiten selbst nach dem Prinzip der Collage komponiert. Das Interesse an Textur und Oberflächengestaltung behielt B. bis zum Lebensende bei. Ab 1919 gestaltetet er auch mehrfach Bühnenbilder für Stuttgarter Theater. 1921 entwickelte er mechanisch bewegte Bilder, die er "Mechano" nannte. 1923/24 entstanden Arbeiten, die als "Maschinenbilder" und "Mensch und Maschine" bekannt wurden und die mit den Bildern des befreundeten Fernand Léger vergleichbar sind. In den 20er Jahren arbeitete B. auch als Ausstellungsgestalter, als Typograf, beschäftigte sich mit der Farbgebung von Archit. und gestaltete Bühnenaustattungen. Ab 1930 entstanden abstrakte Kompositionen auf Sandgrund, in denen er seine gegenstandsfreien Bildvorstellungen weiterentwickelte, jedoch noch Anklänge an Figürliches beibehielt (Stehende Fig. mit blauer Fläche, 1933; Sportler, Serie auf Sandgrund, 1934/35). Um seine Arbeiten vor dem Zugriff der Nationalsozialisten zu schützen, schickte er 1937/38 zahlr. Bilder dem Basler Kunst-Verein. In der 1938 entstandenen Bildreihe "Ideogramme" formulierte B. zu Chiffren reduzierte organische Urformen. 1938-40 entstanden die "Eidos"-Bilder, in denen weiche vegetabile Formen und organ. Elemente, die auch antropomorphe Assoziationen zulassen, die früheren exakten geometrischen Formen ersetzen (Eidos V, 1939; Steingarten, 1939). An die Stelle der groß gesehenen, meist horizontal gelagerten Zeichen tritt nun deutlichere Kleinteiligkeit und Komplexität des Formenvokabulars. Aus seiner Beschäftigung mit prähistorischer Malerei und dem generellen Interesse an der Magie in der Kunst von Naturvölkern in den 30er und 40er Jahren schuf er ab 1940 Werke, in denen ethnologische Schriftzeichen und zeichenhafte Formen das Bild beherrschen (Abu Sin, 1940; Afrikan. Tanz I, 1942). In diesen Gem. werden meist in dunklen Erdfarben gehaltene Formen auf einen helleren, dicken, reliefartigen Grund gebettet. 1943 entstanden umfangr. Illustrationszyklen zum Gilgamesch-Epos, zum AT (Ester; Saul) und zu Shakespeares Sturm. In den Arbeiten nach Kriegsende wird die Palette heller, die Bilder - metaphysische Landschaften - werden heiterer. Ein spielerischer Zug charakterisiert den Form- und Farbenreichtum. Die Werke des letzten Lebensjahrzehnts bauen einerseits auf das bereits früher entwickelte Formenrepertoire auf, andererseits geht B. ab 1953 mit den Serien Montaru, Montari und Aru neue Wege der Abstraktion. In diesen Bildreihen füllen monochrome, schwarze oder weiße große Formen das Format fast bis zum Rand - kleinteilige, meist in den Grundfarben gehaltene Formen und Linien umgeben sie, oder dringen stellenweise in die monochromen Farbkörper ein. Zeitlebens hat B. in Tagebuchaufzeichnungen und Schriften über seine Arbeitsweise und seine künstlerischen Vorstellungen reflektiert. Zw. 1943/44 entstand das Ms. seiner Schrift Das Unbekannte in der Kunst, die 1947 erstmals publ. wurde. Darin plädiert er für eine ethisch motivierte, gegenstandsfreie Kunst. B. gehört damit neben Paul Klee und Wassily Kandinsky zu den wichtigsten Künstler-Theoretikern in Deutschland.
Das Unbekannte in der Kunst, St. 1947 (3. Aufl., Köln 1988); Warum ich gegenstandslosmale, Kunst 48:1949/50(9)325 ss.; Bekenntnis zur absoluten Malerei, Das mod. Dtld, St. 1952, 54 ss.; H.Spielmann (Hrsg.), Zimmer- und Wandgeister, Anm. zum Inhalt meiner Malerei, Ein Fragm. aus dem Nachlaß...und damit zusammenhängende Briefe, Jb. der Hamburger Kunst-Slgn 12:1967, 121 ss.
Einzelausstellungen:
1922 Hannover, Gal. von Garvens / Stuttgart: 1923 Kunstkabinett Friedrichsplatz; 1951 Gal. Lutz & Meyer; 1954, '79 (Kat.) Württ. Kunst-Ver.; 1956, '66 (Kat.), '70 (Kat.) SG; 1963, '69 (Kat.), '89 (Kat.) Gal. der Stadt / 1924 Dresden, Gal. Ernst Arnold / Paris: 1927 Gal. d'Art Contemp.; 1930 Gal. Bonaparte; 1939, '50 Gal. Jeanne Bucher; 1966 Goethe-Inst.; 1967 MNAM (Kat.) / Berlin: 1929 Gal. Alfred Flechtheim; 1952 Gal. Springer; 1956 Haus am Waldsee; 1965 Akad. (Kat.); 1972, '89 NG (Kat.) / 1930 Düsseldorf, Gal. Flechtheim (Kat.) / Köln: 1931 Gal. Becker-Neumann; 1955 Gal. Ferdinand Möller; 1965 Wallraf-Richartz-Mus. (Kat.) / London: 1933 Mayos Gall.; 1956 Inst. of Contemp. Arts / 1935, '57 Mailand, Gall. Il Milione / Rom: 1935 Gall. Bragalia; 1963 Gall. La Medusa (Kat.); 1971 Gall. Naz. d'Arte Mod. (Kat.) / Wuppertal: 1947 Städt. Mus.; 1952 KH; 1959 Kunst- und Mus.-Ver. / München: 1947 Gal. Günther Franke (Kat.); 1951 Mod. Gal. Otto Stangl; 1958 Kunstkabinett Klihm; 1977 Staatl. Graph. Slgn (Gilgamesch); 1977 (Kat.), '86 Gal. Gunzenhauser / 1948, '52 Venedig, Bienn. / Braunschweig: 1948 Gal. Otto Ralfs; 1977 KV (Kat.) / Frankfurt: 1948 Frankfurter Kunst-Kab.; 1972 Städel (Kat.) / New York: 1952 Hacker Gall.; 1956 Kleemann Gall.; 1978 Leonard Hutton Gall. (Kat.) / Mannheim: 1953 Gal. Rudolf Probst; 1969 KV; 1980 Städt. KH (Kat.) / 1956 Amsterdam, Sted. Mus.; Hannover, Kestner-Ges.; Hamburg, KV / 1957 Johannesburg, Egon Guenther Gall.; Ulm, Städt. Mus. und Kunst-Ver. / 1958 Wien, Gal. nächst St.Stefan / 1961 Hagen, Karl-Ernst-Osthaus-Mus. / 1965 Karlsruhe, Bad. KV / 1966 Genf, Mus. d'Art / 1968 Basel, Gal. Beyeler (Kat.) / 1971/72, '75 Tübingen, KH (Kat.) / 1971 Augsburg, Kunst-Ver. und Städt. Kunst-Slgn (Kat.) / 1972 Lübeck, Overbeck-Ges. / 1975 Lille, Mus. des BA (Kat.); Ludwigshafen, Städt. Kunst-Slgn (Kat.); Bonn, Gal. Hennemann (Kat.) / 1979 Bad Säckingen, Trompeterschloß (Kat.) / 1981 Kopenhagen, Mus. for Kunst / 1982 Helsinki, Goethe-Inst. / 1983 Strasbourg, Mus. d'Art Mod. (Kat.); Brüssel, Mus. d'Ixelles (Kat.) / 2018-19 Friedrichshafen, Zeppelin-Mus. / 2020-21 Stuttgart, KM (mit Adolf Hölzel und Fritz Seitz) / 2023-24 Chemnitz, Mus. Gunzenhauser.
Gruppenausstellungen:
2022 Bonn, Bundes-KH: Das Gehirn in Kunst & Wiss. (K) / 2024 Dortmund, Dt. Fußball-Mus.: In Motion - Kunst und Fußball (K).
Thieme-Becker, Vollmer und AKL:
Vo1, 1953; Vo5, 1961. Kindler, ML I, 1964; C.Naylor, Contemp. artists, Lo. 1977; Herder Lex. der Kunst, II, Freiburg 1987; Künstler, Krit. Lex. der Gegenwartskunst, M. 1988. -
Gedruckte Nachweise:
P.F. Schmidt, W.B., Das Kunst-Bl. 5:1921(9)276 ss.; K.S. Dreier, B., Mod. Art 40:1926; Ch.Zervos, W.B., Cahiers d'Art 2:1927(1)6; W.Graeff (Hrsg.), W.B., St. 1927; W.Wolfradt, W.B., Cicerone 21:1929(10)287 ss.; W.Grohmann, W.B., P. 1931; id. Das Werk 18:1931(7)196-202; E.Vietta, Der späte B., Kunst 1948(1)97; Ch.Zervos, Notes sur W.B., Cahiers d'Art 24:1949(2)342 ss.; Das Menschenbild in unserer Zeit, Darmstädter Gespräch, Darmstadt 1950, 1355 ss.; H.Hildebrandt, Mag. of Art 45:1952(4)154 ss.; W.Grohmann, W.B., St. 1952; F.Roh (Hrsg.), Das Kunstwerk 7:1953(5)61; E.Vietta, W.B.s Montaru-Bilder, ibid. (3/4)106; J.A. Thwaites, W.B., Art Digest 28:1954(1)12, 27; F.Roh, W.B., Magie der Form, Baden-Baden 1954; H.Die, Ein Filmüber W.B., Die Weltkunst 24:1954(23)2; Das Kunstwerk 8:1954(4)93 (W.B.-Film); M.Seuphor, Exit W.B., Aujourd'hui 1955(5)15; Die Weltkunst 25:1955(18)8 (Nekr.); H.Spielmann, W.B., Das graph. Werk, I, Die Serigraphien, Jb. der Hamburger Kunst-Slgn 8:1963, 85 ss.; W.Grohmann, W.B., Leben und Werk, Köln 1963; H.Spielmann, W.B., Das graph. Werk, Ill., Lith., Rad., original-graph. Plakate, Hschn. von HAP Grieshaber nach Bildern von W.B., Jb. der Hamburger Kunst-Slgn 10:1965, 113 ss.; id., Das graph. Werk III, ibid. 11:1966, 119 ss.; id., Ungedruckte Ill. von W.B., Neu-Isenburg 1969; Arntz-Bull., 1975; W.Haftmann (Einf.), W.B., Gilgamesch, Köln 1976; Mus. Ludwig, Kunst des 20.Jh., Köln 1979; R.R. Beer, W.B.s Shakespeare-Einhorn, Graph. Kunst 17:1981(2)48; W.Schmalenbach, Bilder des 20.Jh., M. 1986; D.J. Ponert, W.B., Werk-Verz. der Zchngn, Gouachen und Collagen, Köln 1988; H.-D. Mück, B., Schlemmer und die Üecht-Gruppe, Kat., Bonn 1989; K.Herberts (Hrsg.), Modulation und Patina, St. 1989; W.Kermer, W.B., Typographie und Reklamegestaltung, St. 1989; 100 Jahre W.B., Sindelfingen 1989; R.Hirner-Schüssele, Von der Anschauung zur Formfindung, Stud. zu W.B.s Theorie mod. Kunst, Diss. Tübingen, Worms 1990; G.Bott, Figuration und Bildformat, zur Auflösung des Bildbegriffs in der Malerei W.B.s, Diss. Bochum, Ffm. 1990; M.Seidel, Kunstforum Internat. 281:2022(Mai-Juni)264-266