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Böhm, Gottfried

Geboren
Offenbach, 23. Januar 1920
Gestorben
Köln, 9. Juni 2021
Land
Deutschland
Geschlecht
männlich
GND-ID
Weitere Namen
Böhm, Gottfried
Berufe
Bildhauer*in; Architekt*in
Wirkungsorte
Köln, Neviges (Rheinland), Düsseldorf, Wigratzbad (Allgäu), Bergisch-Gladbach
Zur Karte
Von
Fußbroich, Helmut
Zuletzt geändert
13.09.2024
Veröffentlicht in
AKL XII, 1996, 137 s; Vollmer I, 1953, 247

VITAZEILE

Böhm, Gottfried, dt. Architekt, Bildhauer, *23.1.1920 Offenbach/Main, †9.6.2021 Köln, lebte ebd. Jüngster von drei Söhnen des Kirchenbaumeisters Dominikus B., Vater der Architekten Markus B. (*17.3.1953 Köln), Paul B. (*16.10.1959 Köln), Peter B. (*24.12.1954 Köln) und Stephan B. (*16.6.1950 Köln).

LEBEN UND WIRKEN

Stud.: 1942-47 Archit. an der TH München bei Adolf Abel, Robert Vorhölzer und Hans Döllgast, zugleich Bildhauerei an der ABK München bei Josef Henselmann und Bernhard Bleeker; als Glasmaler Autodidakt. 1946 Dipl.; 1948 Heirat mit der Architektin Elisabeth Haggenmüller. 1947/50 Architekt im Büro des Vaters, 1950 in der von Rudolf Schwarz geleiteten Wiederaufbaugesellschaft der Stadt Köln. 1951 ca. sechs Monate im Büro von Cajetan Baumann in New York, wo er prägende Begegnungen mit Ludwig Mies van der Rohe, Walter Gropius und Philip Johnson hat; anschl. Studienreise durch die USA. Ab 1952 wieder Architekt im väterlichen Büro, das er 1955 übernimmt. Lehrtätigkeit: 1963-85 Lehrstuhl für Stadtbereichsplanung und Werklehre an der Rhein.-Westfäl. TH Aachen; 1983 und '86 Seminar am Massachusetts Inst. of Technology in Cambridge/Mass.; 1985 Univ. of Pennsylvania, Philadelphia; 1988 Washington Univ., St. Louis. Seit 1968 Mitgl. der AK Berlin; 1976 Mitgl. der Dt. Akad. für Städtebau und Landesplanung; seit 1983 der Acad. d'Archit., Paris; 1986 der Accad. Pontificia ad Pantheon, Rom. Ausz.: Architekturpreis des Bundes Dt. Architekten 1967 Köln, 1968 Münster, 1971 Düsseldorf; 1968 Eduard von der Heydt-Preis der Stadt Wuppertal; 1974 Kunstpreis der AK, Berlin; 1975 Großer Preis des Bundes Dt. Architekten, Bonn; 1977 Prof. h.c. der Univ. Nac. "F.Villarreal", Lima; 1982 Grande Med. d'or de l'Acad., Paris; 1982 Honorary Fellow of AIA, USA; 1985 Fritz-Schumacher-Preis für Archit., Hamburg; 1985 Dr.h.c. der TU München; 1986 Jay Pritzker Archit. Prize, New York als erster dt. Architekt; 1993 Großer Kulturpreis der Stiftung des Rhein. Sparkassen- und Giroverbandes zur Förderung rhein. Kulturgutes. - B. übernimmt seine Auffassung vom liturgiebezogenen Kirchenraum von seinem Vater. Er durchbricht schon in seinen ersten Kirchenbauten das von seinem Vater vertretene Prinzip des konzentrischen Raumes, indem er den Laienraum und den Altarbezirk im Zentralbau verbindet. Es folgen Kirchenräume, in denen der Altarbezirk dem Laienraum auf einer gemeinsamen Achse gegenübersteht. Der Altar steht auf einem mehrstufigem Podium und wird durch Stützenstellungen oder durch Überbauten sowie durch die Lichtführung betont. Taufe und Eucharistie bilden die Pole der Raumachse. Am Außenbau markieren Rundtürme die Kultstellen. Weil sie oft mit spitzen Kegeln enden, erinnern die Kirchen an orientalische Bauten. Oftmals verglast B. eine Wand völlig und gestaltet sie auch. Mitunter bezieht er die Architekturteile (z.B. die Schale einer Apsis oder ein Portal) in eine Glaswand ein. Um 1960 verwendet B. Sichtbeton, es beginnt für ihn die Periode der plastisch verstandenen Sakral- und Profanbauten: schiefwinklige Grundrisse und Außenwände, die einer auf den Altar gerichteten Bewegung folgen. Weil Außenwände in versch. tiefe und hohe raumhaltige Schalen aufgelöst werden und jegliche Teilung im Inneren vermieden ist, entsteht ein vielräumiger Einraum. Durch mehrere Achsenbezüge erhalten die Räume eine eigene Bewegtheit. Diese wird vom Deckenfaltwerk übernommen, das wie die Wände aus Sichtbeton gegossen ist und oft seinen höchsten Punkt über dem Altar hat. Die Lichtführung vermittelt diesen Kirchenräumen kryptisch introvertierte Gestimmtheit und steht im Dienste der Raumsymbolik. Mit den gefalteten Wänden und ihren rhomboiden, auftürmenden Deckflächen sind diese Kirchenbauten meist Metaphern des Zeltes oder des (Wein-)Berges. Ihren Höhepunkt findet diese expressive kristallin-plastische Archit. in der Kirche zu Neviges, die auch verdeutlicht, wie B. das äußere Umfeld ins Innere hineinnimmt. Die Kirche präsentiert sich als geschlossener, überdachter und öff. (Versammlungs-) Platz, die ins Innere die Pflasterung des Außenbereichs und die Außenlaternen übernimmt. War es zunächst der Wechsel vom roten Ziegel zum grauen Beton, der manchen Bauten dieser Periode Farbigkeit gab, so erscheint 1967 erstmals an der Kirche von Düsseldorf-Garath sowohl außen als auch innen Farbe als aufgetragenes, fassendes Element. Zunächst nur für die Deckenkonstruktion verwendet, tritt Stahl nach 1967 als Bauelement häufiger in Erscheinung. Zusammen mit Glas und mit der verputzten Wand wird es zum Charakteristikum der dritten Periode im Schaffen B.s. Der insgesamt nachlassenden Auftragslage im dt. Kirchenbau ist es zuzuschreiben, dass nur die Kirche zu Wigratzbad/Allgäu als signifikantes Bauwerk dieser Periode zu nennen ist. Unter weitgehendem Verzicht auf Stein hat B. für die 19 zeltartigen sechsseitigen Elemente, aus denen sich der Gesamtraum fügt, ausschl. farbig gefassten Stahl zus. mit Glas verwendet. B. versteht seine Kirchen als ein Gesamtkunstwerk und übernimmt deshalb auch deren Ausstattung. - Die ersten Profanbauten B.s lassen seine Auseinandersetzung mit Mies van der Rohe erkennen. In den beiden folgenden Perioden kennzeichnen die Charakteristika seiner Sakral- auch seine Profanbauten. Sie sind sorgsam mit ihrem städtebaulichen Umfeld verwoben. In der zweiten Periode geben abgefaste Kanten und Ecken, vor- und zurückspringende und in der Form wechselnde Elemente den Bauten ein Höchstmaß an Plastizität; filigranes Gitterwerk bezieht er in die Gliederung seiner Fassaden mit ein. Durchgänge, Außengänge und -treppen, Balkone, Loggien, Nischen und Erker, Terrassen, Arkaden, Kolonnaden und Pergolen dienen sowohl der optischen Belebung als auch der funktionalen Erschließung der Architektur. Immer mehr übernimmt die Farbe, aufgetragen oder als Fassung des dem Bau vor- oder eingeblendeten Metalls, die Aufgabe, die dem Beton eigene optische Schwerfälligkeit zu mindern. Die Profanbauten der dritten Periode sind vom Wechsel von Geschlossenheit und Transparenz gekennzeichnet, der auf der alternierenden Verwendung von Blei und Glas oder/und gefasstem Stahl gründet. Im Inneren werden die techn. Einrichtungen offen gezeigt und durch Farbe der Funktion nach unterschieden. Nach 1985 bereichert und erweitert er mehr und mehr seine Räume mittels Trompe-l'œil-Malerei, die sein Sohn Peter ausführt. - B.s Architektur ist ein sinnenanregender, plastischer Charakter eigen. Sie ist bestimmt von differenzierter Komplexität bei außergewöhnlicher Klarheit, die einen Anteil an Verspieltheit nicht ausschließt. Hierarchie, Rhythmus, Proportion und Maß sind selbstverständliche Elemente seines Schaffens - Baumasse und Raum bedingen einander und vermitteln ein im spannungsreichen Wechsel von außen und innen getragenes intensives Erlebnis der Räume. Mit der Farbe verleiht B. seinen Bauten die für ihn typische "Wärme". Zugleich haben alle konstruktiven Elemente auch eine dekorative Funktion. Weil seine Archit. konsequent vom Menschen ausgeht und auf diesen gerichtet ist, sind B.s städtebauliche Beiträge immer vom Gedanken des Straßen- und des Platzraumes getragen. Die von ihm entworfenen Wohnblöcke löst er in überschaubare Wohnquartiere auf, die Nachbarschaft lebbar machen. Sein ausgeprägtes Einfühlungsvermögen, das von einem hohen Empfinden für die jeweilige Aufgabe und die Besonderheiten des Ortes begleitet wird, erweist sich sowohl bei der Integration von Neu- und Altbau als auch bei vorbildlich zu nennenden Renovierungen.

WERKE

Aachen, Rhein.-Westfäl. TH: Transformatorenstation, 1984. Bad Kreuznach: Kauzenburg, Renovierung mit Restaurantneubau, 1969/76. Bergisch Gladbach: Rathaus, 1962/64. - Kinderdorf, 1963/65. - Herz-Jesu-Kirche, 1958. Berlin: Reichstagskuppel (Gutachten zur Renovierung, 1988; Überarbeitung mit Entwurf eines Neubaus, 1989/1993; Gutachten zum Umbau als Bundestag, 1990). - Fasanenplatz, Wohnungsbau, 1984. Bielefeld: Univ., 1968 (Wettb.-Entwurf). Bonn: Theater der Stadt, 1959 (Wettb.-Entwurf). - B.-Bad-Godesberg: Godesburg mit Restaurant und Hotel, Renovierung mit Neubauten, 1960/61; Fußgängerzone, 1974. Braunschweig: Neckermann-Kaufhaus, Fassadenrenovierung, 1975. Dortmund: Univ., 1968 (Wettb.-Entwurf). Düsseldorf: Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik, 1969. - Kirche St. Matthaeus mit Altenheim St. Hildegardis, 1970. Eichstädt, Hohe Domkirche: Renovierung und Umbau, 1972. Hamburg: Hanse Arena, 1991 (Wettb.-Entwurf). Kassel: Kirche St. Maria-Königin, 1958/59. Kettwig: Kirche St. Matthias mit Gemeindezentrum, 1977 und 1983; Kirche St. Paul, 1975. Köln: Kapelle St. Kolumba, 1949/50. - Kirche St. Gertrud, 1962/65. - Musik-HS, 1969 (Wettb.-Entwurf). - Wallraf-Richartz-Mus./Mus. Ludwig, 1979 (Wettb.-Entwurf). - Gestaltung des Heumarkts mit Hotel und Rautenstrauch-Joest-Mus. (Entwurf), 1980/90. - K.-Chorweiler: Wohnquartier, 1966/75. - K.-Deutz: Techn. Rathaus, 1974 (Wettb.-Entwurf); Arena, 1990 (Wettb.-Entwurf). - K.-Ehrenfeld: St. Anna, 1955 (mit D.Böhm); DITIB-Zentralmoschee (zus. mit Paul Böhm, begonnen 2009). - K.-Melaten: Kirche Christi Auferstehung, 1968/70. - K.-Mülheim: Kirche St. Theresia, 1955. - K.-Porz-Zündorf: Wohnquartier, 1973. - K.-Rheinkassel: Wohnquartier, 1981. - K.-Weiß: Wohnhaus G.B., 1955. Liau/Formosa: Gemeindezentrum Ching, 1955/61. Los Angeles: Walt Disney Concert Hall, 1988 (Wettb.-Entwurf). Luxembourg: Dt. Bank, 1988-91. Mannheim: Univ.-Bibl., 1987. Mettmann-Hochdahl-Sandheide: Kirche St. Heilig Geist, 1971. München: Wohnhaus Dr. P.Böhm, 1966. Neviges: Wallfahrtskirche, 1962/64. Ota/Japan: Ota Hall (Entwurf 1991, in Planung). Paderborn: Diözesan-Mus., 1969/71. Rheinberg: Stadthaus, 1977/80. Saarbrücken: Kirche St. Albert, 1951; Schloß, Mittelpavillon, Neubau, 1987. Saarlouis: Kirche St. Ludwig, 1965. Stuttgart: Züblin-Haus (Verwaltungsbau), 1981/84; Theaterpavillon, 1983/84. Trier, Hohe Domkirche: Renovierung, 1969/75 (zus. mit Nikolaus Rosiny). Wesseling: Rathaus, Entwurf, 1969. Wigratzbad/Allgäu: Wallfahrtskirche Maria vom Sieg, 1972/76. Berlin, Tauentzienstr.: Warenhaus Peek &Cloppenburg, 1995 eröffnet. Potsdam: Hans Otto Theater, 2006 eröffnet.

SELBSTZEUGNISSE

Die Gewebedecke, in: Neue Baumethoden (Aufbau Sonder-H. 8), St. 1949, 5-12; G.B./N.Rosiny, Gedanken der Architekten zu den Umbau- und Renovierungsarbeiten, in: F.Ronig (Redaktion), Der Trierer Dom, Neuss 1980, 441-446; Über meine Architekturauffassung, in: J.Joedicke (Ed.), Archit. der Zukunft - Zukunft der Architektur, St. 1982; S.Raèv (Ed.), G.B. Vorträge - Bauten - Projekte, St. 1988; Dt. Bank Luxembourg, Luxembourg 1992.

AUSSTELLUNGEN

Einzelausstellungen:

Köln: 1979 Artothek; 1995 MAK / 1984 Bielefeld, KK: Zusammenhänge / 1992 Bonn: Der Architekt G.B. Zchngn und Modelle / 1994 Bielefeld, Kunsthalle: Böhm: Väter und Söhne. Archit.-Zchngn von Dominikus, G., Stephan, Peter und Paul B. / 2005 Frankfurt am Main: Dt. Archit.-Mus. (K).

 

QUELLEN

Thieme-Becker, Vollmer und AKL:

Vo1, 1953.

 

Gedruckte Nachweise:

W.Weyres, Neue Kirchen im Erzbistum Köln 1945-56, Dd. 1957; W.Schlombs, Das Münster 13:1960(1)1-56; F.Kreusch, Neue Kirchen im Bistum Aachen 1930-60, Mönchengladbach 1961; A.Belt, Das Münster 15:1962(1)1-24; A.Hoff, Das Münster 20:1967(5)333-348; R.Granz, Die Zeit v. 22.6.1973; H.Schnell, Der Kirchenbau des 20. Jh. in Deutschland. Dokumentation, Darst., Deutung, M./Z. 1975; id., Das Münster 30:1977(1)1-9; P.M. Bode, a + u - Archit. and Urbanism 1978(3)37-60; S.Raèv, Das Kunstwerk 32:1979(2-3)31-37; M.Sack, Die Zeit v. 14.3.1980; id., G.B. Bauten und Projekte 1950-80, Köln 1982; M.Sack, Häuser 1983(1)87-98; U.Weisner (Ed.), Zusammenhänge, Der Architekt G.B. (Kat.), Bielefeld 1984; Das Züblin-Haus, St. 1985; V.Darius, Der Architekt G.B. Bauten der 60er Jahre, Dd. 1988 (Diss., M. 1983); U.Weisner, Archit. im Detail : Heinz Bienefeld - G.B. - Karljosef Schattner, Bielefeld 1989; M.Sack, Die Zeit v. 17.4.1989; M.Speidel, a + u - Archit. and Urbanism 1990(9)51-128; B.Kauhsen (Ed.), Architektur-Zusammenhänge. Festschr. für G.B., M. 1990; B.Kahle, Dt. Kirchenbaukunst des 20. Jh., Darmstadt 1990; S.Raèv/H.M.Schmidt/R.Müllejahns, Der Architekt G.B. Zchngn und Modelle, Köln 1992; a + u - Archit. and Urbanism 1994(9); U.Weisner (Ed.), Böhm: Väter und Söhne. Archit.-Zchngn von Dominikus, Gottfried, Stephan, Peter und Paul Böhm, Bielefeld 1994; W.Nerdinger, Archit. in Deutschland im 20.Jh., M. 2023

 


VOLLMER

Böhm, Gottfried, dtsch. Bildhauer u. Entwurfzeichner für Glasmalerei, *1920 Offenbach a. M., ansässig in Köln. Sohn des Dominikus. Lit.: D. Münstei, 2 (1948/49) 201, 204.