Daumier, Honoré, frz. Lithograph, Bildhauer, Maler, Karikaturist, *26.2.1808 Marseille, †10.2.1879 Valmondois/Seine-et-Oise.
Daumier, Honoré
Sohn eines Glasers, der nebenbei Gedichte schreibt und in der vergebl. Hoffnung auf lit. Erfolg nach Paris geht. D. entwickelt sich zunächst autodidakt. zum Künstler; mit außergewöhnl. visuellem Einprägungsvermögen begabt und im Bestreben, zu den versch. gesellschaftl. Schichten der Großstadt Zugang zu finden und sie künstler. darzustellen, identifiziert er sich mit dem Straßengaukler (das Schaustellermilieu zeigt er bereits 1822 in seiner ersten Lith., Le dimanche) und schließl. mit der Gestalt des Don Quichote, dem Protagonisten eines umfangreichen Gem.- und Aqu.-Zyklus' aus dem Spätschaffen. D.s Biogr. ist mangelhaft dok., nur wenige Werke sind dat.; eine Ausnahme bildet das lithogr. Œuvre, das den chronolog. Ablauf einer Entwicklung nachvollziehbar macht, die durch die Vielfalt der künstler. Praxis geprägt ist: Karikatur, Ill., Malerei, Zchng, Plastik. Das Wechselspiel zw. diesen Ausdrucksformen ist ebenso wichtig wie die Erfassung von deren jeweiliger Besonderheit in einem Œuvre, in dem das Bewußtsein vom Medium wesentl. ist. - 1816 trifft D. in Paris ein und wird 1820 zunächst Laufbursche bei einem Gerichtsvollzieher, dann Gehilfe in der Buchhandlung Delaunay im Pal.-Royal. Der Maler, Archäologe und Sammler Alexandre Lenoir, Gründer des Mus. des Mon. franç. und Prof. am Athénée royal des arts, der bereits die lit. Karriere seines Vaters, des Arbeiter Dichters, protegiert hatte, wird nun auch D.s Mentor, dem eine bed., wenn auch nicht deutlich bestimmbare Rolle bei der Herausbildung seiner künstler. Persönlichkeit zufällt. 1822 erste Versuche auf dem Gebiet der Lith.; ab 1825 Ausb. als Lithograph im Atelier des ebenfalls aus Marseille stammenden Portr.-Malers Zéphirin Félix Jean Marius Belliard; Zeichenunterricht in der Acad. Suisse, Besuche im Louvre und Aufnahme von freundschaftl. Beziehungen zu anderen Künstlern, wie z.B. Philippe Auguste Jeanron und Auguste Préault. Die Wende von 1830 leitet mit dem Beginn des Bürgerkönigtums zugleich einen bed. Aufschwung im Presse- und Verlagswesen ein, deren Erzeugnisse nunmehr mit Lith. und Holzstich ill. werden, neuen aus Deutschland und England gekommenen Techniken, die sich inzwischen auch in Frankreich durchgesetzt haben. D. nimmt eine langjährige Tätigkeit als Pressezeichner (mehr als 4000 Lith.) und Illustrator auf (ca. 1000 Hst.), in deren erster Phase 1830-35 die polit. Karikatur dominiert. Zunächst arbeitet er für die von Achille Ricourt hrsg. Zs. La Silhouette, dann für die vom Verleger Charles Philipon gegr., ab Nov. 1830 ersch. Wochenschrift La Caricature und die ab Dez. 1832 von ihm hrsg. Tages-Ztg Le Charivari. D.s Talent als Lithograph zeigt sich von Anfang an; als Stilmittel nutzt er den Kontrast zw. dem intensiv-samtigen Schwarz des weichen Bleistifts und dem Weiß des ausgesparten Bildgrunds und läßt sich dabei durch vielfältige Vorbilder inspirieren: nicht nur Nicolas-Toussaint Charlet und Auguste Raffet, sondern auch Théodore Géricault und Eugène Delacroix, beide Maler-Lithographen, darüberhinaus Francisco de Goya, dessen Malerei und die Aquatinta-Folge Los Caprichos er gleich Delacroix bewundert. Als republikan. Karikaturist engagiert er sich im Kampf "Philipon gegen Philippe" (König Ludwig Philipp), tritt für die Pressefreiheit ein und prangert die Herrschaft des "juste milieu" an. Gargantua ist das berühmtere von zwei Bll., derentwegen er 1832 zu einer sechsmonatigen Haftstrafe im Pariser Gefängnis Ste-Pélagie verurteilt und schließl. in die psychiatr. Klinik von Philippe Pinel eingewiesen wird, wo sich auch Philipon befindet. Die von Charles Ramelet lithographierte Folge L'Imagination gibt einige von D.s frühesten bek. Zeichnungen wieder. Fünf Jahre lang nutzen die Zeichner des "atelier de la Caricature et du Charivari" in einer gemeinschaftl. entwickelten Arbeitsweise die Portr.-Karikatur und die satir. Szene als Artikulationsmittel; Kopf und Körper des Königs gestalten sie nach einer Erfindung von Philipon als Birnen, und D. "met la poire à toutes les sauces" (cf. Baudelaire). Ständige Zielscheibe der Zeichner sind Richter, Parlamentarier und Pairs, deren Portr. D. 1832-35 in leicht zerbrechl. ungebrannten Ton auch als Büsten modelliert hat (Paris, Orsay), Arbeiten, die ihm nun als Vorlage für Lith. mit skulpturalem Char. dienen. Diese nicht, wie häufig behauptet, in der Abgeordnetenkammer, sondern aus dem Gedächtnis modellierten 36 kleinen Büsten sind D.s erste plast. Arbeiten und wurden von Philipon sorgfältig aufbewahrt. Wahrsch. ließ sich der junge D. dabei durch die im Salon 1831 ausgestellten Karikaturen von Jean-Pierre Dantan anregen. Die psycholog. Durchdringung, die freie Modellierweise und die polychrome Bearb. der Oberfläche macht aus D.s Ensemble ein Werk von außerordentl. Kühnheit. An diesen frühzeitigen Modellierversuch scheint D. erst wieder in den 1850er Jahren angeknüpft zu haben mit der bemerkenswerten Statuette Ratapoil und den Reliefs der Fugitifs, die, der Karikatur-Funktion enthoben, als bewundernswerte Äußerungen der "Historien-Skulpt." gelten können: es sind die einzigen D. heute mit Sicherheit zugeschr. Plastiken. Zwar ist nichts über eine Ausb. als Modelleur bek., jedoch waren seine Vertrauten und Bekannten oft Bildhauer: Jean Jacques Feuchère, Adolphe Victor Geoffroy-Dechaume, François Michel Pascal, Préault, später auch Albert-Ernest Carrier-Belleuse. Für die Atelierarbeit bestimmte Gipse, Gruppen und Medaillons: die Skulpt., mitunter der Bildhauer selbst, sind durchgängige Motive in D.s lithogr. und maler. Darst. von Künstler-Ateliers und Sammler-Interieurs und werden schließlich der eigtl. Gegenstand des Bildes L'Atelier du sculpteur (Washington/D.C.). Sein Beitr. zur 1834 von Philipon hrsg. Folge Assoc. mensuelle ist meisterhaft; diese enthält das synopt. Werk Le Ventre législatif, auf dem die meisten der "célébrités du juste milieu" in der Abgeordnetenkammer versammelt sind, und das einhellig verehrte "Historienbild" La rue Transnonain, le 15 avril 1834, das den polit. Skandal aus der Tagesaktualität auf die Ebene eines metaphys. Dramas erhebt und eine der Ikonen des Realismus werden wird (die Abzüge aus der Slg Degas sind im Bes. der Vrg der Freunde D.s). Der Erlaß der Gesetze gegen die Pressefreiheit im Sept. 1835 veranlaßt D., sich wieder auf das Sittenstück und die Ill. zu orientieren; er verspottet das akad. Ideal der sog. großen Kunst (Hist. ancienne) und die Salonmalerei (Salon de 1840). Nach einem Abstecher in die Welt des Kinderbuchs hat er großen Erfolg mit dem Album Robert Macaire (1839), entnommen aus einer Ser. des Charivari, zu der er sich von einer durch den berühmten Schauspieler Frédérick Lemaître verkörperten Theaterfigur anregen ließ, und prangert die Praktiken der Geschäftemacher in Sketchen an, deren Legenden in Dialogform Philipon verfaßt. D. konzipiert umfangreiche satir. Ser. mit soziolog. Bezügen (etwa Les bas-bleus, 1844; Les bons bourgeois, 1846-49; Les Gens de justice, 1845-49), die er bereits 1835 mit den Types parisiens eingeleitet hatte; zudem illustriert er Les Français peints par eux-mêmes (1840-42) sowie versch. Physiologies (1841-42) und Teile des 9.Bandes der Comédie humaine (1846) von Honoré de Balzac, mit dem er häufig verglichen wird. Beobachter nach dessen Art und Flaneur im Stil Baudelaires, erkundet D. in den 1840er Jahren die vielschichtigen Empfindungen des Bürgertums im Sinne eines Projekts, dessen Bedeutung die knappe Ser. Les Cinq Sens (1843) zusammenfaßt, und in einer Folge von Parisbildern, z.T. Nachtszenen, ruft er überdies die Poesie der Stadt-Lsch. und der Quais an der Seine in Erinnerung. Dieses Ambiente und diese Orte finden sich auch in den kleinformatigen Gem. seiner Periode des Quai d'Anjou wieder, auf denen er Schaulustige und Leute aus dem Volk in heroisierenden Silhouetten darstellt. Nach der Heirat 1846 lebt D. in dieser Gegend nahe einer Künstlerkolonie, deren Maler, Bildhauer, Fotografen, Schriftsteller und Dichter seinen Freundeskreis bilden (u. a. Charles-François Daubigny, Geoffroy-Dechaume, Ernest Meissonier, Louis-Charles-Auguste Steinheil und Baudelaire). D.s kleine, oftmals auf Holz und nur für ihn selbst gemalte Bilder zeigen zugleich die Originalität seiner Malweise und eines künstler. Anliegens, das wie losgelöst erscheint vom Zusammenhang mit der Kunst von Zeitgen. und mit der eig. Praxis als Pressezeichner, in der er den Erwartungen der an seinen satir. Stil gewöhnten Leserschaft des Charivari Rechnung trägt. So rufen die Noctambules (Cardiff) Georges Seurat in Erinnerung und läßt Le Fardeau (Prag) an Picasso denken. Mit der mehrfachen Wiederholung eines Themas führt D. als einer der ersten die Ser. in die Malerei ein; dabei geht es einmal um die Wiedergabe von ein und demselben "disegno" auf mehreren Gem. (z.B. die Blanchisseuses, von denen die Fassung im Mus. d'Orsay die vollendetste ist), zum anderen eignet sich die Ser. bes. zum Variieren eines Themas, wobei es vor allem auf darsteller. und stilist. Vielseitigkeit ankommt (bes. bei den wohlbek. Badeszenen, z.B. Le Premier Bain, Detroit/Mich.). Einige Gem. zeigen auch Anklänge an Jacob Jordaens und Rubens. In der Zweiten Republik tritt D. mit seiner Malerei erstmalig an die Öffentlichkeit: 1848 nimmt er am Skizzen-Wettb. um die Figur der Republik teil; als einziger Kritiker wird Champfleury auf seine Einsendung aufmerksam; D. folgt jedoch nicht dem Vorschlag, seine Skizze (Paris, Orsay) ins Großformat umzusetzen. Er erhält auch zwei staatl. Aufträge für relig. Komp.: ein Martyre de St Sébastien (die endgültige Fassung, enttäuschend in Anbetracht des Versuchs, mit Delacroix zu wetteifern, wurde in der Kirche von Lesges/Aisne wiedergefunden, heute Soissons) und eine Madeleine au désert; dazu liefert er nur die Skizze, die er 1863 durch die großformatige, in Anlehnung an Rubens ausgef. Zchng Triomphe de Silène ersetzt (Calais). Die republikan. Zeit liefert D. auch die Gelegenheit, in einigen berühmt gewordenen Bll. die polit. Karikatur wieder aufzunehmen (u.a. in dem von Jules Michelet bewunderten Dernier conseil des ex-ministres, ersch. im Charivari vom 9.3.1848), während seine Sittenstücke von gestenreicher Dynamik erfüllt sind - wahrsch. ein Echo (z.B. Divorceuses, Le Charivari vom 4.8.1848) auf den Kampfgeist von 1848 und die Begeisterung am Geschehen auf den Barrikaden, von denen sich D. auch, jedoch in völlig anderer Weise, in der Zchng in Oxford und dem Gem. in Washington zum Thema L'Emeute inspirieren läßt. Die Kampagne zu den Präsidentschaftswahlen E.1848 geht mit einem erneuten Aufschwung der antibonapartist. Karikatur einher. Mit der akut werdenden Gefahr der Restauration des Kaiserreichs geht Le Charivari von Aug. 1850 bis 2.12.1851 in die Offensive; D. verschreibt sich voll und ganz der polit. Karikatur und erfindet mit Ratapoil den personifizierten Archetypus eines polit. Konzepts: den "demi-solde", Soldat im Wartestand mit herabgesetzter Besoldung, der als bonapartistischer Eiferer dem heraufziehenden Kaiserreich mit dem Knüppel in der Hand den Weg bereitet. Anders als bei den Büsten gingen hier die Lithographien der Statuette voraus, die, von Michelet bewundert, im März 1851 modelliert wurde. Das "Modell" wird jetzt von D. auf neue Weise genutzt: Ratapoil nimmt seine endgültige Gestalt an, während die Lith. nunmehr die Bewegung einer bereits als expressionistisch anzusehenden Skulptur analysieren, die, weit entfernt von der bürgerl.-romant. Statuette, aus der sie hervorging, die finsteren Machenschaften des polit. Geschäfts mit unerbittlicher Grausamkeit zu Protokoll nimmt. Nach dem Fall des Kaiserreichs greift D. die mittlerweile mit dem gestürzten Herrscher identifizierte Figur in der Lith. wieder auf. Geoffroy-Dechaume hatte einen Abguß des Orig. aus ungebranntem Ton angefertigt, das dabei zerst. wurde. Madame D. hielt die Gipsfassung, die daraus hervorging (Buffalo, Albright Knox AG), während der gesamten Dauer des Zweiten Kaiserreichs in einer Strohhülse für Weinflaschen versteckt. Erst 1878 ist die Statuette einen Monat nach Eröffnung von D.s Ausst. in der Gal. Durand-Ruel wieder zu sehen; drei postume Abgüsse werden danach angefertigt. - In der außergewöhnl. Verbindung von Malerei, Bildhauerei und Zchng ist das Werk Fugitifs eine der bedeutendsten Ser. D.s; als Variationen zu einem Thema konzentriert er sich bei den Reliefs und Gem. auf intime persönl. Themen und Gedanken. Die Datierung ist zwar unsicher, doch bieten die von General Louis Eugène Cavaignac geführte Niederschlagung des Aufstands nach den Junitagen von 1848, die damit in Verbindung stehenden Verschleppungen, die bed. demograph. Bewegungen und der Einwandererstrom nach Paris in den 1850er Jahren eine plausible Erklärung für die Entstehungs-Gesch. dieser Werke. Schwieriger ist zu erkennen, ob die Gem. (London, NG; Minneapolis/Minn., Inst. of Arts; Paris, Petit Pal., Winterthur, KM) vor den Reliefs entstanden oder umgekehrt. Zu den beiden Gipsfassungen, urspr. Les Emigrants gen., im Ausst.-Kat. von 1878 jedoch eindeutig als Fugitifs bez. und vor 1862 von Geoffroy-Dechaume gegossen (Canberra, NG of Australia; Paris, Orsay), gehört noch ein erst kürzl. entdecktes Fragm. (Orsay) vom linken Teil der Komposition. Tatsächlich zeigen die drei Reliefs aufeinanderfolgende, ständig veränderte Zustände des verschollenen Originals. Analog zu den Gem. haben sie keinerlei spezifischen Zeitbezug und erinnern somit an das universelle Schicksal der Heimatlosen und des Landes Verwiesenen. Mit diesem Bemühen, von anonymem Leid zu zeugen, kommt D. Jean-François Millet und Alexandre-Gabriel Decamps nahe, zugleich verweist er hier bereits auf die soziale Mystik der Skulptur eines Jules Dalou. Das Gem. Ecce homo (Essen), auf dem der dornenbekrönte, leidende Christus von der Menge verspottet wird, gehalten in einem an Rembrandt erinnernden Helldunkel, das nimbusartig von einem seltsamen inneren Licht belebt erscheint, ist ein Meisterwerk, das D. für sich selbst geschaffen hat und in dem er sich auf mystische Weise mit der einsamen und schemenhaften Erscheinung des "Jésus le montagnard" identifiziert, einer für Bildmedien und Debatten der Zeit von 1848 so charakterist. Gestalt, die hier zugleich zu einer Metapher des Künstlers wird. Als nämlich mit Cham und Charles Vernier eine neue Generation von Zeichnern hervortritt und dem Charivari eine eher konformist., ja geradezu reaktionäre Richtung gibt, beginnt eine Entfremdung zw. D., der Redaktion und den Lesern, die im März 1860 mit D.s Entlassung durch Philipon ihren Höhepunkt findet. Dadurch finanziell stark in Bedrängnis geraten, fertigt D. ab A.der 1860er Jahre, bes. ab 1864 sehr vollendete Aqu. für Händler und Kunstfreunde. Bei diesen durchweg sign. "Artikeln" greift er, mitunter nach eig.Lith. und Hst., auf populäre Motive aus der Welt der Justiz und Szenen in Eisenbahnwaggons zurück, so z.B. bei den im Auftrag des Kunsthändlers Lucas für den US-amer. Eisenbahnmagnaten Walters ausgef. Zchngn (Baltimore/Md., Walters AG). Weitere Zchngn, deren Datierung wiederum problemat. ist, wirken eher skizzenhaft oder fixieren flüchtig auf der Vorder- oder Rückseite eines Bl. die Idee zu einer Komposition. Die atypische Dimension seiner Malerei äußert sich weiterhin im Laufe der 1860er Jahre in kraftvollen Werken wie L'Homme à la corde (zwei Fassungen in Ottawa und Boston/Mass.) und Au théâtre (Cincinnati/Ohio). 1862 vom Karikaturisten und Fotografen Etienne Carjat als Lithograph der Ztg Le Boulevard eingestellt, gestaltet D. 11 hervorragende Bll., die von so verschiedenartigen Malern wie G.Courbet, E.Degas, P.Cézanne und P.Picasso bewundert wurden. Im Dez. 1863 Rückkehr zum Charivari; D. behält die einmal angenommene freie Strichführung bei und lithographiert in einer flüssigen, den derzeit ebenfalls gefertigten Aqu. nahestehenden Weise. Die mittelmäßige Qualität der in der Ztg abgedruckten Lith. steht im Kontrast zu den hochwertigen Probedrucken vor der Schrift, bisweilen mit hschr. Legenden versehen, die bei den Sammlern bes. begehrt sind (Croquis à l'Exposition, Paris, ENSBA). D.s maler. und zeichner. Œuvre ist in große themat. Zyklen gegliedert: Rechtssprechung, Theater, Trinker, Eisenbahnwaggons 3.Kl. (cf. Ottawa, New York), Gaukler, Ringer, Kunstfreunde, Künstler. Während er sich in der Karikatur nur selten an lit. Vorlagen orientiert, läßt er sich in der Malerei von lit. Stoffen von Jean de La Fontaine (bereits im Salon 1850-51, Le Meunier, son fils et l'âne, Priv.-Bes.), Molière und Miguel de Cervantes anregen. D. widersteht der Versuchung, der lit. Vorlage exakt zu folgen und rankt stattdessen eine Art Legende um bed. zeitlose, tragikom. Helden der von ihm bewunderten Schriftsteller. Dem Paar Crispin et Scapin (Paris, Orsay), deren Gesichter verzerrte, grinsende Masken sind und die auf befremdl. Art "di sotto" vom Rampenlicht angestrahlt werden, folgt das Paar Don Quichotte et Sancho Pança (cf. u.a. München), mit dem D. die eig. doppelte Identität zusammenfaßt: die des Karikaturisten, der der Schwerfälligkeit der Körper treu bleibt und sich zum Komischen wie Grotesken hingezogen fühlt, und die des Malers und Bildhauers, der sich bei der Suche nach einem Ideal verzehrt, dessen "fahrender Ritter" er ist. - Eine letzte Periode polit. Freiheit öffnet sich mit dem "Empire libéral", angekündigt durch die Wahlen vom Mai 1869. D. findet hier Gelegenheit, sich mit den Wahlsitten zu befassen. Nach dem Zusammenbruch des Regimes 1870 läßt sich der Lithograph D. von der "Année terrible" zu einem Defilee von trag. Visionen und Allegorien inspirieren, die mit dem Gillotage-Verfahren in nur mäßiger Qualität wiedergegeben werden; sie zeigen den Triumph des Todes und die "pauvre France abbattue", ein schmerzerfülltes Vaterland, dessen in Trauer gehüllte Silhouette das Totenfeld beherrscht. Versch. Bll. mit allegor. Gestalten aus der Tierwelt bieten vehement, aber auch pathet. eine bildkünstler. Interpretation des Gedichtes Châtiments von Victor Hugo. Ab ca. 1872 erblindet D. allmählich; bis ans Lebensende wird er von Camille Corot unterstützt, der für den verarmten Freund ein Haus in Valmondois kaufte. - Die Rezeption von D.s Œuvre litt darunter, daß er allg. allzu sehr mit der Karikatur in Verbindung gebracht wurde. Die bes. Vertrautheit mit diesem Aspekt seiner Kunst hat im breiten Publikum - nicht jedoch bei den Künstlern, wie Degas, Manet, Cézanne und Toulouse-Lautrec bis zu Picasso und Rouault - lange Zeit den Blick auf die außerordentl. Modernität seiner Auffassung von Lith. verstellt, die sich in der Kunst der Einstellung auf den Gegenstand und der Fragmentierung der Komp., in Kontrast- und Lichteffekten, in der Verwendung von leeren Stellen und Aussparungen, in der Expressivität des dynam. Strichs und in der Melancholie des Lächelns aussprach. D.s kraftvolles und atypisches bildhauer. Schaffen, das, mehr noch als seine Malerei auf den privaten Bereich beschränkt, ihm als Experimentierfeld diskontinuierlicher, aber meisterhafter plast. Erfahrungen diente, wurde von Degas und A.Rodin bewundert. Bis gegen Ende seines Lebens wurden diese Arbeiten nie öff. ausgestellt, und nur selten waren Gem. D.s auf dem Pariser Salon zu sehen (1849, 1850-51, 1861, 1869). Sein künstler. Œuvre, das erstmalig 1878 bei der Retr.-Ausst. in der Pariser Gal. Durand-Ruel in ganzer Breite gezeigt wurde, erscheint heute als essentiel für das Verständnis der Kunst des 19. gegenüber der des 20.Jh., der Herausbildung der Abstraktion, birgt jedoch weiterhin Rätsel und ungelöste Fragen. Eine minutiöse Analyse der graph. und maler. Techniken sowie der Zusammenhänge zw. Vorder- und Rückseiten bei den Zchngs-Bll. würde zur Erweiterung des gegenwärtigen Kenntnisstandes beitragen. Die seit E.des 19.Jh. auftauchenden Fälschungen (Gem., Zchngn, Skulpt. nach Lith. [cf. Wasserman, im Ausst.-Kat. Cambridge 1969] und Hschn.) sind der postume Preis für D.s Berühmtheit.
Druckgraphik: WV cf. Delteil, 1925/26, 1930; Bouvy, 1933; Saint-Guilhem/Schrenk, 1978. - Gem. und Zchngn: WV cf. Maison, 1968; Georgel/Mandel, 1973. - Auswahl:
Einzelausstellungen:
Paris: 1878 Gal. Durand-Ruel: Expos. des peint. et dessins de H.D. (K mit Biogr. von Champfleury); 1901 EcBA: D., par le Syndicat de la presse artist. (K Vorw.: G.Geffroy); 1934 Mus. de l'Orangerie: H.D. peint., aqu., dessins (K: C.Sterling; Vorw.: A.de Monzie, Einf.: C.Roger-Marx); BN: H.D. lith., gravures sur bois, sculpt. Cinquante ans de blanc et de noir (K: J.Laran/J.Adhémar); 1996-97 Assemblée nat., und Brüssel, St-Denis: D. et les parlementaires / 1969 Cambridge (Mass.), Fogg AM: D. Sculpt. A critical and comparative study (K: J.L. Wasserman) / 1974 Berlin: H.D. und die ungelösten Probleme der bürgerl. Ges. (K) / 1979 Washington (D.C.), NG of Art (K: J.R. Kist); Los Angeles, County Mus. of Art: D. in retrospect, 1808-1879 (K: A.Mongan); Hannover, Wilhelm-Busch-Mus.: H.D. 1808-1879. Bildwitz und Zeitkritik (K: G.Langemeyer); Marseille, Mus. Cantini: D. et ses amis républicains (K: M.Latour) / 1980-81 Münster u.a.: La caricature. Bildsatire in Frankreich 1830-1835 aus der Slg von Kritter (Wander-Ausst.) / 1988 Venedig, Mazzotta: H.D. il ritorno del Barbari europ. e "selvaggi" nella caricatura (K: A.Stoll); Saint-Denis, MAH: D., scènes de la vie conjugale / 1989 Santa Barbara (Calif.), Mus. of Art: The charged image. French lithographic caricature 1816-1848 (K: B.Farwell) / 1990 Vermont, Middlebury College: Women in D.s caricature (K: K.Powell/E.C. Childs) / 1993 New York, Metrop. Mus.: D. drawings (K ed. C.Ives/M.Stuffmann/C.Sonnabend; Mitwirkung K.Herding/J.Wechsler) / 1998 L'Isle-Adam, MAH Louis Senlecq: De plâtre et d'or: Geoffroy-Dechaume, sculpteur romantique de Viollet-le-Duc (K: F. Chappey/A. Couffy) / 1998 Mailand, Electa: D. Scènes de vie et vie de scènes (K: J.Zugazagoitia; Spoleto Festival) / 1999-2000 Ottawa, NG of Canada; Paris, Grand Pal.; Washington (D.C.), Phillips Coll.: D. 1808-1879 (Wander-Ausst.; K: H.Loyrette/M.Pantazzi/S.Le Men/E.Papet/M.Melot/D.Lobstein [umfangreiche Bibliogr.]) / 2024 Frankfurt am Main, Städel / 2024-25 Köln, WRM (K). -
Thieme-Becker, Vollmer und AKL:
ThB8, 1913
Gedruckte Nachweise:
Umfangreiche Bibliogr. cf. Provost/Childs, 1989, und D., 1808-1879 (K Wander-Ausst.), 1999. - WV und Referenzwerke: L.Delteil, Le peintre graveur ill. XIXe et XXe ss., XX-XXIV bis, P. 1925/26; Taf.; XXIX bis, P. 1930; E.Bouvy, D. L'œuvre gravé du maître, P. 1933; M.Gobin, D. sculpteur (1808-1879), Genève 1952 (mit Kat. und Ill. des plast. Œuvres); K.E. Maison, H.D. Cat. raisonné of the paint., watercolours and drawings, I-II, Lo. 1968; P.Georgel/G.Mandel, Tout l'œuvre peint de D., P. 1973; F.Saint-Guilhem/K.Schrenk, H.D. L'œuvre lithogr., P. 1978 (dt. Ausg.: H.D. das lithograph. Werk. Mit einem Essay von Charles Baudelaire, I-II, B./M. 1979); L.Provost (Ed.)/E.L. Childs (Einf.), H.D. A thematic guide to the œuvre, N.Y./Lo. 1989. - Schriftsteller über D.: C.Baudelaire, Quelques caricaturistes franç., Présent, rev. europ. 1857(Okt.; Nachdruck in: Curiosités esthétiques 1868); Champfleury (Pseud. von J.Husson), Hist. de la caricature mod., P. [ca. 1865]; Duranty, GBA 1878(Mai-Juni); P.Valéry, D., P. 1938; P.Cailler, D. raconté par lui-même et par ses amis, Genève 1945; H.James, D., caricaturist, Lo. 1954 (Nachdruck eines Art. aus C.Mag. 1890); M.Hannoosh, Baudelaire and caricature. From the comic to an art of modernity, University Park, Pa. 1992. - Weitere Lit.: A.Alexandre, H.D., l'homme et l'œuvre, P. 1888; A.Rümann, D. als Illustrator. Drei Jahrzehnte frz. Bürgertums, M. 1919; J.Adhémar, H.D., P. 1954; W.Balzer, Der junge D. und seine Kampfgefährten. Polit. Karikatur in Frankreich, 1830 bis 1835, D. 1965; O.W. Larkin, D. Man of his time, N.Y. 1966; H.P. Vincent, D. and his world, Evanston 1968; T.J. Clark, The absolute bourgeois. Artists and politics in France, 1848-1851, Lo. 1973 (Nachdruck Pr. 1982); D. et les origines du dessin de presse, Hist. et critique des arts 1978(Sonder-Nr; bes.: K.Schrenk, Le mouvement artist. au sein de l'opposition à la Monarchie de Juillet, 67-96; H.Deinhardt, D. et sa représentation de la foule mod., 97-113); Nouv. de l'estampe 1979(46/47, Sonder-Nr); R.Passeron, D. témoin de son temps, Fribourg 1979; J.Wechsler, A human comedy. Physiognomy and caricature in 19th c. Paris, Lo./N.Y. 1982; U.E. Koch/P.-P. Sagave, Le Charivari. Die Gesch. einer Pariser Tages-Ztg im Kampf um die Republik (1832-1882), Köln 1983; Presse et caricature, Cah. de l'Inst. d'hist. de la presse et de l'opinion, Univ. Tours, 1983(6); J.Cuno, Charles Philipon and La Maison Aubert. The business, politics and public of caricature in Paris 1820-1840, Diss. Harvard Univ., Cambridge, Mass. 1985; P.Vaisse, Considérations sur la Seconde République et les BA, in: 1848, Jg. 1985, 59-85; M.-C. Chaudonneret, La figure de la République. Le concours de 1848, P. 1987; Die Karikatur zw. Republik und Zensur, ed. R.Rütten/R.Jung/G.Schneider, Marburg 1991 (frz. Ausg.: La caricature entre République et censure [Kolloquium Frankfurt am Main 1998], ed. P.Régnier, Lyon 1997); A.Le Normand-Romain, D., les parlementaires. Portr. des célébrités du juste-milieu, P. 1993; B.Laughton, H.D., New Haven 1996 (frz. Ausg. Saint-Ouen-L'Aumône 1997); Zeitzeiger. Plakate aus zwei Jh. (K Dt. Plakat-Mus. Essen), Mainz 2007; J.Restorff, Kunstforum Internat. 301:2025(März)254-256
Daumier, Honoré, Maler, Lithograph und Bildhauer, geb. angeblich am 26. 2. 1808, nach neueren Forschungen jedoch 1810, in Marseille, † in Valmondois am 10. 2. 1879. Sein Vater, Jean-Baptiste D., von Beruf ein Glasermeister, der heimlich Verse schrieb, siedelte um 1816 nach Paris über, wo er literarischen Erfolg erhoffte. Von dem früh hervortretenden zeichnerischen Talent seines Sohnes hielt er nicht viel. So debütiert der Knabe bei einem Advokaten als Laufbursche u. tritt dann bei einem Buchhändler in die Lehre, bis er es endlich durchsetzt, daß er bei einem gewissen Lenoir das Zeichnen lernen darf. Der Erfolg des Unterrichts ist gering. Kurz entschlossen läßt er sich von einem Kameraden, Ramelet, die Handgriffe beim Lithographieren zeigen u. arbeitet nun für Verleger Vignetten, Notentitel u. dergl. Mit seinem Verdienst wird er die Hauptstütze seiner in großer Armut lebenden Familie. Kurze Zeit studiert er zwischendurch im Atelier Eug. Boudin's; wichtiger für seine Entwickelung ist das Zeichnen nach antiken Plastiken im Louvre gewesen: das primäre Interesse für die Form im Sinne des Bildhauers charakterisiert D.s ganze Produktion. In diesen wenigen Jahren seiner ersten Anfänge zeichnet u. malt er auch nach dem lebenden Modell. Seitdem hat dieser große Realist nur mehr aus dem Gedächtnis gearbeitet. - Um 1829 veröffentlicht D. seine ersten Lithographien: Sittenstücke im Stil der Grandville, Traviés, Monnier, napoleonische Soldaten in der Art des Charlet, von dessen solider, wenn auch trockener Zeichnung D. wohl am meisten profitiert hat. Einige Blätter satirisch-politischen Inhalts erregen die Aufmerksamkeit Charles Philipon's, der im November 1830 die Wochenschrift "Caricature" als Kampforgan gegen das Bürgerkönigtum gegründet hatte, und von 1831 an wird D. ständiger Mitarbeiter. In diesem Moment beginnt die mehr als 40jährige Laufbahn D.s als eines satirischen Chronisten des politischen und sozialen Lebens in Paris u. Frankreich. Die erste charakteristische Arbeit D.s erschien in der Caricature von 1832, die "Masques", ein Blatt mit 15 Porträts zeitgenössischer Politiker in der Art antiker Theatermasken (sign., wie auch einige andere Arbeiten aus dieser Zeit, mit dem Pseudonym "Rogelin"). Technisch noch unfrei, verraten sie doch schon den späteren glänzenden Physiognomiker: charakteristische Partien der Köpfe werden ins Groteske übertrieben, und in dem neuen Organismus wird das Wesentliche eines Menschen, ja einer Gattung, zwar als Zerrbild, doch nicht weniger wahr, dargestellt. In demselben Jahr karikiert D. Louis-Philippe als Rabelais' Gargantua und wird wegen Majestätsbeleidigung auf 6 Monate ins Gefängnis geschickt. :Nber diese Porträtkarikaturen fanden Beifall, u. D. arbeitete weiter. In dieser Zeit formte er während der Sitzungen der Deputiertenkammer kleine Büsten der Abgeordneten in Ton als Modelle für seine eiligen Zeichnungen. So entstand 1834 das große Blatt "Le Ventre Législatif", die Minister u. Abgeordneten während der Sitzung in grotesken Zerrbildern, als erstes einer Folge von Blättern in großem Format u. sorgfältigerem Druck, die Philipon unter dem Titel "Association mensuelle lithographique" erscheinen ließ. Es folgten dann (sämtlich berühmte Stücke) die Karikaturen: "Ne vous y frottez pas!" (ein Buchdrucker in drohender Stellung zum Schutz der Preßfreiheit), "Enfoncé La Fayette" (Louis-Philippe als Leichenbitter) u. das furchtbare Blatt "La Rue Transnonain" (vier während des Aufstands von 1834 von den Soldaten ermordete Personen in einer Portierloge; die Platte wurde beschlagnahmt u. vernichtet, die Abdrucke gehören zu den Seltenheiten in D.s Oeuvre). - In das Jahr 1835 fällt der Erlaß der Septembergesetze gegen die Presse, damit das Verbot der politischen Satire und das Ende der "Caricature". Nun betritt D. das andere Feld seiner Tätigkeit als Karikaturist: er wird der Geschichtsschreiber des Bürgertums seiner Zeit in dem schon 1832 von Philipon als illustrierte Tageszeitung gegründeten "Charivari". Wie er vorher den Kampf gegen die politische Korruption in der Ära Louis-Philippes geführt hatte, so deckte er nun die Schäden in der bürgerlichen Gesellschaft auf. Zunächst wandte er sich gegen die Schar der Börsenspekulanten und Industrieritter. Damals spielte der Schauspieler Frédérick Lemaire die höchst charakteristische Rolle des "Robert Macaire", eines Gründers u. Börsenschwindlers. Philipon griff die Figur auf, schrieb eine Anzahl witziger Dialoge, und D. zeichnete von 1836 bis 1838 in zwei Serien zusammen 120 Blatt, die unter dem Titel "Caricaturiana" erschienen u. einen ungeheuren Erfolg hatten. Eine andere sehr bekannte Serie entstand im Anfang der 40er Jahre, die "Histoire ancienne", in der die Götter und Helden Griechenlands unter allerlei Anspielungen auf die Zeitgeschichte in grotesken Situationen auftreten. Den Kleinbürger von Paris, den "Bourgeois", und dann die Schar der Besitzlosen und Elenden schildert er in zahlreichen Serien, die unter Titeln wie "Bohémiens de Paris", "Les Baigneurs", "Les Baigneuses", "Les Bons Bourgeois" usw. in den 40er Jahren herauskamen. Wieder andere Serien beschäftigen sich mit den Blaustrümpfen, den "Femmes savantes", und endlich geht er den "Gens de Justice" zu Leibe, den Richtern und Advokaten, modernen Auguren in ihrer volksverderberischen Tätigkeit. - Diese unpolitische Produktion währt bis zum Revolutionsjahr 1848, dem Geburtsjahr der Republik. Nun wendet er sich wieder der politischen Satire zu. Wiederum zeichnet er in der Öffentlichkeit bekannte Persönlichkeiten, Deputierte u. Mitglieder der Nationalversammlung ("Les Représentants Représentés", "Idylles Parlamentaires", "Physiognomies de l'Assemblée"), unter denen die Köpfe von Thiers, Jules Favre und Victor Hugo erscheinen. Eine andere Serie, die "Actualités", umfaßt nach Champfleury mehr als 1000 Blatt (bis 1871). Hier tritt von 1848 bis 1851 die populäre Figur des Doktor Mimi Véron auf. Und in den 50er Jahren erfindet er den "Ratapoil", das Zerrbild der napoleon. Königsidee. 1866 verließ D. den Stoffkreis des bürgerlichen Lebens ganz, um sich nur noch der politischen Satire zu widmen, von der die-Kriegsjahre 1870/71 noch bedeutende Zeugnisse brachten. - D. hat im Verlaufe seines langen Schaffens als Karikaturist mehrmals die Handschrift gewechselt. In seinen frühen Arbeiten handhabt er die Technik der Lithographie noch traditionell; er liebt es, breite tonige Flächen von feinstem Grau bis zu tiefstem Schwarz ineinander zu verweben. Allmählich wird aus dieser säuberlichen Malerei eine impressionistische Skizzenkunst. Zunächst läßt er den einzelnen Strich sichtbar werden, kom biniert die Flächen in härteren Kontrastei von Schwarz und Weiß, die Darstellung wird dramatisch. Dann, seit 1848, löst er die Flächen ganz in Linien auf, immer mehr kürzt er die schon aphoristische Sprache seiner Zeichnung ab, bis er in seiner reifsten Zeit (in der Mitte der 60er Jahre) nur noch in Kurven und Spiralen die Formen andeutet. Er erreicht so in Schwarz und Weiß die Illusion größter Farbigkeit. Der große Katalog Delteils notiert 3958 Platten dès Lithographen D. Man weiß, daß er unter dem Zwang dieser riesenhaften, fast journalistischen Produktion für den Tagesbedarf litt. Zwar war er sich bewußt, daß er die Karikatur immer in der künstlerischsten Weise geübt, daß er sie als Gattung sozusagen kunstfähig gemacht hatte, seine große Sehnsucht aber richtete sich schon früh nach der hohen Kunst, zu der ihm der Zwang einer eiligen Produktion vergänglicher Werte den Weg versperrte. Er sah, wie seine Jugendfreunde, die Rousseau, Diaz, Corot, und dann die Kameraden seiner Mannesjahre, die Millet, Courbet, Daubigny, sich neben ihm frei entwickelten und zu hoher Schätzung gelangten. So hoch die Künstler und Kenner (Delacroix kopierte begeistert seine Zeichnungen) sein Schaffen auch werteten, in der Öffentlichkeit galt er immer nur als der geistreiche Amuseur, den man auch als Maler nicht ernst nahm. Einmal (1862) versuchte er, sich von der Last des Karikaturenzeichnens frei zu machen und löste die Verbindung mit dem Charivari. In dieser Zeit entstanden die meisten seiner Aquarelle, die er, um mit seiner Frau sein Leben zu fristen, um ein Geringes verschleuderte. Aber er hatte mit diesen freien Arbeiten keinen Erfolg und war schon 1865 gezwungen, wieder unter das Joch zurückzukehren. Im Frühjahr 1878, noch zu D.s Lebzeiten, veranstalteten seine Freunde Daubigny, Jules Dupré, Geoffroy-Dechaume u. a. unter dem Vorsitz Victor Hugos eine Kollektivausstellung seiner Gemälde, Entwürfe und Skizzen bei Durand-Ruel. Man wollte dem Künstler, der damals schon leidend und halb erblindet war, auch eine materielle Unterstützung zuführen. Der künstlerische Erfolg stellte sich ein, man brachte aber nicht einmal die Kosten der Veranstaltung auf. Die "Exposition Centennale" von 1900 sicherte endlich D.s hoher Kunst die allgemeine Schätzung, und die Ausstellung seines gesamten Oeuvre 1901 in der Ecole des B.-Arts wurde zu einem künstlerischen Ereignis von größter Wirkung. Seitdem rangiert D. unbestritten unter den bedeutendsten Künstlern Frankreichs im 19. Jahrhündert. - Die Entwickelung des Malers D. ist fast unkontrollierbar. Zu den frühesten Bildern gehören das Atelierinterieur der Sammlung Rouart und das Porträt Théodore Rousseaus im Louvre, beide nach 1830 entstanden. Es lassen sich noch einige kleinere Bilder um diese beiden gruppieren, und man wird sie vielleicht als bescheidene Versuche auffassen gegenüber dem, was er später als ein Meister zu sagen hatte. Aber schon ist die Hand, die so bewußt die Kreide zu führen wußte, auch in der Malerei sicher. 1848 konkurrierte er mit 500 Bewerbern um die Allegorie der "Republik" (jetzt in der Samml. Moreau-Nélaton im Louvre), u. trat so als Maler zum erstenmal vor die Öffentlichkeit, bereits als ein fertiger Künstler. Das Bild stellt ein junges üppiges Weib dar, in antikem Gewand auf einem Thron, die Trikolore in der Hand. An ihren Brüsten trinken zwei Knaben, ein dritter, der in einem Buch liest, sitzt zu ihren Füßen. Die Geschlossenheit der großen Formen dieser Figur erinnern an Plastik. Man denkt an Michelangelo und unter den Malern an Delacroix. Der Vortrag basiert auf dem Ausgleich von Hell und Dunkel, die Farbe tritt hier, wie überhaupt in dem malerischen Oeuvre D.s, nur als ein begleitender. Reiz auf. 1849 sandte er dem Salon ein Bild "Le Meunier, son fils et l'äne", nach Lafontaines Fabel (verschollen, eine Skizze dazu in der Samml. Muther, eine spätere Variante bei Gallimard). Aus derselben Zeit stammt "Les voleurs et l'âne", ebenfalls nach Lafontaine (im Luxembourgmus.). Im Salon von 1851 erschien außer dem Karton "Silène", einem Hauptwerk D.s (Kohlezeichnung, Mus. Calais), eine erste Fassung (vielleicht das Bild der Samml. Görg in Reims) des Themas: Don Quixote und Sancho Pansa, das ihn viel beschäftigt hat. Klossowski zählt 27 Gemälde und Studien auf, die dieses Motiv behandeln; eines dieser Werke befindet sich in der Nationalgalerie zu Berlin, ein anderes wurde 1912 von der k. k. Staatsgalerie zu Wien erworben. Außer Lafontaine und Cervantes war es besonders noch Molière, dessen Stoffe D. am meisten beschäftigten ("Scapin" i. d. ehem. Slg Rouart; "Le Malade itnaginaire" der Samml. Bureau). Er liebte die abenteuerlichen Existenzen, die Straßenkomödianten, Seiltänzer, Ringer, die "Saltimbanques" u. die Ärmsten der großen Stadt, denen er so oft auf seinen Streifzügen begegnete ("Les Lutteurs", Samml. Sarlin; "Le Repos des Saltimbanques", Samml. Joubert; "Les Laveuses du Quai d'Anjou", Samml. Charles Desouches; "La Blanchisseuse", im Salon von 1861, jetzt Samml. Gallimard; "Le Fardeau", zuletzt auf der Berliner Sezessionsausstellung 1911; "Waggon troisième Classe", bei Gallimard und Durand-Ruel). Man kennt von ihm Bade- und Atelierszenen, Interieurstücke ("L'amateur d'estampes" bei Viau und Esnault-Pelterie; der "Kupferstichliebhaber" in der Kunsthalle, Mannheim), Szenen aus dem Theater ("Das Drama" in der Berliner Nationalgalerie; "au théâtre français" bei Durand-Ruel und Rouart), Schilderungen aus der Welt der Richter und Advokaten ("Trois avocats" bei Rouart, "Après l'audience" bei Esnault-Pelterie), endlich die Darstellungen der Christuslegende von Rembrandtscher Größe ("Christus mit Jüngern" im Rijksmus., Amsterdam; "Ecce homo" im Folkwangmus., Hagen) u. die Porträts von Berlioz in Versailles u. J. Michelet in Mannheim (Ksthalle). - Von D., dem Bildhauer, existieren die schon oben erwähnten 36 bemalten Tonbüsten französischer Deputierten aus dem Jahre 1832, im Besitz von Herrn Philipon, dem Enkel Ch. Philipons. Sie sind in sehr schlechtem Zustand. Dann die Statuette des "Ratapoil", auf Staatskosten in Bronze gegossen (ein Exemplar im Luxembourgmus.), und endlich das Bas-Relief "Die Emigranten" (Ton, im Besitz v. Herrn Geoffroy-Dechaume, dem Sohn des Bildhauers, Freundes von D.). - Gegen das Ende seines Lebens erreichten D. noch allerlei Ehrungen. 1870 bot man ihm das Kreuz der Ehrenlegion an, das er ausschlug. Von der 3. Republik erhielt er eine kleine Pension durch Corots Vermittelung, der ihn zudem mit der Schenkung des von D. bewohnten Landhauses in Valmondois überrascht hatte. Immerhin war das finanzielle Ergebnis dieses arbeitsreichen Lebens so gering, daß er, da die Mittel zur Bestattung fehlten, auf Staatskosten beerdigt werden mußte. Der Leichnam wurde später exhumiert und am 14. 4. 1880 auf dem Friedhof Père Lachaise beigesetzt. - Porträts D.s existieren von Feuchères (ein Jugendbildnis, Lithogr.), Corot (eins aus dem Jahre 1836, im Musée de la Ville de Paris, u. ein Altersbildnis in der Sammlung Viau), dann von Henri Monnier, Valloton u. a., außerdem ein Selbstporträt im Alter (Lithographie). - Eine Büste D.s von Geoffroy-Dechaume und eine Marmorplatte mit Inschrift wurden von einem lokalen Komitee auf der Place Publique in Valmondois im August 1907 aufgestellt. - Das Leben und das Werk D.s haben in z. T. sehr umfangreichen Monographien vor allen Arsène Alexandre, Champfleury und neuerdings Klossowski kommentiert, der auch einen kritischen Katalog der Gemälde und Studien gibt. Der große Katalog der sämtlichen Lithographien erschien 1904 und stammt von Hazard und Delteil. Champfleury, Hist. de la Caricature mod. 1866, 2. Aufl. 1872; Notice biograph. im Katalog der "Expos. d. Peintures et Dessins de H. 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