Fuller, Buckminster (Richard Buckminster), US-amer. Architekt, Ingenieur, Erfinder, Designer, Kartograph, Dichter, *12.7.1895 Milton/Mass., †1.7.1983 Los Angeles.
Fuller, Buckminster
F. stammt aus einer spiritualist. geprägten Fam. Nach eig. Zeugnis treibt ihn in jungen Jahren das Beobachten des Schiffsbaus an der Küste von Maine zur eig. kreativen Tätigkeit. 1913-15 studiert er in versch. Anläufen an der Harvard Univ., Cambridge/Mass., verliert jedoch bald das Interesse an einer regulären akad. Ausbildung. 1915-17 ergreift er versch. Lehrberufe bei Armour and Co., New York. ∞1917 Anne Hewlett, die Tochter des Architekten, Malers und Designers James Monroe Hewlett. Im 1.WK 1917-19 Leutnant in der US Navy; die hier empfangenen Eindrücke von Schiffsingenieurwesen und Navigation prägen das spätere Schaffen; Schiffsbaukomponenten finden sich wiederholt in den späteren Entwürfen. 1919-21 Ass.-Exportmanager bei Armour, 1922 nat. Vertriebsmanager bei der Kelly-Springfield Truck Company. Zur Produktion von Betonblöcken nach der Erfindung des Schwiegervaters betreibt F. 1922-27 zus. mit diesem in Chicago die Fa. Stockade Building Systems. Die hierbei gemachten Erfahrungen mit der Bauindustrie überzeugen ihn von deren Ineffizienz. Der Tod der Tochter 1922, für den er ein Versagen der Gesellschaft mitverantwortl. macht, verändert F.s Weltsicht; erst die Geburt der zweiten Tochter führt 1927 einen erneuten Optimismus herbei, und er verschreibt sich dem Einsatz seiner Energien zum Wohle der Menschheit. 1927-32 Etablierung der 4D Company in Chicago, die sich mit der Entwicklung von vorgefertigten 4D-Wohnstrukturen, die auf der Grundlage industrieller Produktion auch von angelernten Arbeitern konstruiert werden können, beschäftigt. Leichtgewichtig und somit per Luftschiff transportabel, hängen bei diesen autarken Bauten die Fußböden der vorgeschlagenen zehn Geschosse von einem zentralen Mast, der zugleich die bis ins Detail durchdachten Versorgungseinrichtungen aufnimmt. In seinem World Town Plan (1927) sieht F. für die folgenden 80 Jahre die Konstruktion von zwei Milliarden solcher Gebäude vor. Ein 1929 als Minimum Dymaxion House vorgestelltes hexagonales Einfamilienhaus findet reges Interesse in der Öffentlichkeit wie bei Architekten. Dymaxion (eine Wortkombination aus Dynamic, Maximum und Tension) beschäftigt ihn als Konzept auch in der Folgezeit. 1930-34 entstehen Prototypen für ein Dymaxion-Automobil in einer aerodynam. Formgebung, 1943 die segmentiert konstruierte Weltkarte Dymaxion Airocean World. 1931 Forschung bei der Pierce Found., wo er sich u.a. mit der Entwicklung eines vorgefertigten Badezimmers aus gepreßtem Metall beschäftigt (1937 produziert). 1932-36 in Bridgeport/Conn. Gründung der Dymaxion Corporation als Nachf. von 4D. 1936-38 Ass. Dir. of Research, Phelps Dodge Corporation, New York. 1938-40 Beratertätigkeit bei der Zs. Fortune und Untersuchungen zu ökonom. wie materiellen Ressourcen der Weltwirtschaft. 1940-50 zweite Dymaxion-Ges. in Delaware und Massenproduktion von Dymaxion Deployment Units als Nutzbauten für den Kriegseinsatz (z.B. Hospitäler, Radareinheiten u.ä.). 1942-44 Chefingenieur des US Board of Economic Warfare, Washington; 1944 Ass. des stellv. Dir. der US Foreign Economic Administration. F.s Vorschlag der Umnutzung von Flugzeugfabriken zur Konstruktion von Häusern nach dem Krieg führt zur Gründung der Dymaxion Dwelling Machines Corporation (1944-46) in Wichita/Kan. Bereits 1945-46 entsteht in Zusammenarbeit mit der Beech Aircraft Corporation das wegweisende, mit Techniken des Flugzeugbaus gefertigte Wichita House, eine erneut zentral verankerte Rundkonstruktion aus Aluminium; trotz Tausenden von Bestellungen unterbleibt die Massenproduktion. 1946-54 betreibt F. in Wichita eine eig. Forschungseinrichtung (F. Research Found.), in der er seine Ideen zu einer Geodät. Kuppel (Geodesic Dome) präzisiert. Hierbei handelt es sich im Prinzip um eine aus gleichseitigen geometr. Formen (Dreiecke, Quadrate, Hexagone) aufgebaute und zu einer Kugelform (oder Segmenten davon) zusammengefügte Strebenstruktur von großer Stabilität bei geringem Gewicht; die Hülle kann aus vielfältigen Variationen von transparenten oder undurchsichtigen Materialien bestehen. Die Konstruktionsparameter verschieben sich im Lauf der Jahre, die Kugelsegmentform wird in versch. Experimenten aufgegeben und das Prinzip eines variierten triangularen Aufbaus durch komplexere Systeme ersetzt. Die Entwicklung führt 1949 zur Gründung der Geodesics Inc. in Forest Hills/N.Y. 1952 entsteht ein geodät. Restaurant in Woods Hole/Mass. Der Durchbruch der Methode gelingt 1952-53 mit dem Auftrag der Ford Motor Company, den 28 m durchmessenden Hof des Rotunden-Gebäudes der River Rouge Plant in Dearborn/Mich. mit einer geodät. Kuppel zu überspannen. Seit 1956 werden F.s Radarkuppeln von den US-amer. Streitkräften in der Arktis für Frühwarnsysteme eingesetzt. 1954 und 1957 erhält F. auf der Trienn. in Mailand jeweils den Gran Premio für seine Kuppelkonstruktionen. 1954-59 besteht die Synergetics Inc. (Raleigh/N.C.), ab 1957 Plydomes Inc. (Des Moines/Ia.), ab 1959 Tetrahelix Inc. (Hamilton/Ohio). 1959-75 Lehrtätigkeit an der Southern Illinois Univ., Carbondale (1975-83 Prof. Emeritus). Um 1960 konzipiert er die Idee, die gesamte Midtown von Manhattan aus Gründen der Energiekontrolle mit einer geodät. Kuppel zu überspannen. In späteren Jahren tragen prestigeträchtige Umsetzungen der geodät. Kuppel zu seinem internat. Ruhm bei, z.B. die Fabrik der Union Tank Car Company in Baton Rouge/La. (1958; mit 115 m Durchmesser die größte geodät. Kuppel F.s), eine Wetterkuppel auf dem Fujiyama (1973) und die Kuppelkonstruktion Spaceship Earth in Disneyworld, Orlando/Fla. (1982). Das zweifellos spektakulärste und ästhet. gelungenste geodät. Projekt ist der Pavillon der USA auf der Expo '67 in Montreal (1965-67; die Außenhaut durch einen Brand zerst., die Struktur jedoch erhalten). Hier erweitert F. die gigant. Kuppel fast zu einer vollen Kugel, die in ihrer durchsichtigen, glänzenden Erscheinung die Aufmerksamkeit auf sich zieht und während der Expo mit einer Monorailbahn durchfahren werden kann. Ab den 1960er Jahren setzt F. weltweit zu einer rastlosen, fast schon messian. Vortragstätigkeit an. 1962-63 führt sein weitgefaßtes Interessenspektrum zur Berufung als Charles Elliot Norton Prof. of Poetry der Harvard Univ. 1965 proklamiert er in Paris auf dem Treffen der Union internat. des Architectes ein Jahrzehnt wiss. untermauerten Designs zum Wohl der Menschheit (World Design Sc. Decade; 1965-75 Publ. von sieben Dok. von F. und J.McHale). Ab 1967 Präs. der Triton Found. 1969 Architekt des Samuel Beckett Theatre, St. Peters College, Univ. Oxford, 1969-70 baut er das geodät. Auditorium des Kfar Mena Chem Kibbutz in Israel. Seit den 1970er Jahren werden F.s Konzepte von einer umweltbewußten Generation bereitwillig als modellhaft aufgegriffen. 1971 wird er Chefarchitekt des Old Man River Project für die von Umweltschäden bedrohte Stadt East St. Louis/Ill. 1972-83 World Fellow in Residence eines Univ.-Konsortiums am Univ. City Sc. Center in Philadelphia. Ab 1974 als Berater für Architects Team 3 an der Planung des Stadtzentrums von Penang/Malaysia beteiligt. 1979 archit. Partnerschaft mit Shoji Sadao. Insgesamt werden weltweit mehr als 300000 geodät. Kuppeln nach F.s Patent errichtet. Er erhält eine Vielzahl von Ehrendoktoraten und Auszeichnungen. Inspiriert von seinem Lebenswerk wird 1983 in Los Angeles das B.F. Inst. gegründet. - F. ist ein visionärer Denker mit universal ausgerichtetem Verständnis und einem tiefen Gefühl für soziale Verantwortung. Er versteht sich selbst nicht als Architekt und schätzt trad. Architekten eher als Wanddekorateure ein. Er besteht darauf, daß seine Bauten nicht der Endzweck seiner Tätigkeit sind, sondern ein Nebenprodukt des Strebens nach einer Verbesserung der Lebensbedingungen der gesamten Menschheit. Von diesem allumfassenden Standpunkt aus plant er wohl auch die Details seiner Projekte, hat jedoch immer größere Einheiten wie z.B. ganze Stadtstrukturen und deren Transportsystem als Objekte der planenden Voraussicht eines verantwortl. denkenden Entwerfers im Blick. In seinen Bauten sucht er stets mit geringem Aufwand an Rohstoffen ein Maximum von Nutzbarkeit zu erreichen. Eine der Kernfragen, die er Archit.-Studenten stellt, ist: Wie schwer ist Dein Gebäude? Das führt ihn zu einem intensiven Durchdenken der stat. Strukturen und deren Optimierung. Mit einem auf ungekünstelte Funktionalität abzielenden Ansatz steht F. in deutl. Kontrast zu den zeitgleichen, ebenfalls mit Wohnmaschinen auf Autarkie abzielenden, aber stark ästhet. geprägten Vorstößen von Le Corbusier in Europa. Als kompromißloser Verfechter der Maschinenästhetik stellt er das Wertesystem trad. Archit. in Frage und wird zum Vorbild für zahlr. Vertreter einer Ingenieurs-Archit. im 20.Jh., in den 60er Jahren bes. z.B. für Archigram. Ein von Archigram geprägter Architekt wie Nicholas Grimshaw gründet noch seine 2001 realisierte komplexe Anlage des Eden Projekt bei St.Austell/Cornwall auf dem Prinzip von F.s geodät. Kuppeln. Zu den bedeutendsten heute tätigen Architekten, die sich auf F. berufen, zählen Norman Foster und Richard Rogers. Auch bild. Künstler wie der Bildhauer Kenneth Snelson werden von F. stark beeinflußt.
4D, Chicago 1928 (mehrere Repr.); Nine chains to the moon, Ph. 1938; Carbondale, Ill. 1963; F./R.W. Marks, The Dymaxion world of Garden City, N.Y. 1960 (Repr. 1973); Untitled epic poem on the hist. of industrialization, N.Y. 1962; Education automation, Garden City, N.Y. 1963; Ideas and integrities, Englewood Cliffs, N.J. 1963; No more secondhand god, Garden City, N.Y. 1963; F., in: What I have learned, N.Y. 1968; Operating manual for spaceship earth, N.Y. 1969; Utopia or oblivion, Tor. 1969; F. u.a., I seem to be a verb, N.Y. 1970; Earth, Inc., Garden City, N.Y. 1973; F./E.J. Applewhite, Synergetics. Explorations in the geometry of thinking, N.Y. 1975; And it came to pass, not to stay, N.Y. 1976; F./E.J. Applewhite, Synergetics 2. Further explorations in the geometry of thinking, N.Y. 1979; Tetrascroll. Goldilocks and the three bears, N.Y. 1982; Grunch of giants, N.Y. 1983.
Einzelausstellungen:
London: 1962 US-amer. Botschaft; 2000 Design Mus. / 1973 Chicago, Mus. of Sc. and Industry (Wander-Ausst.) / 1977 New York, Ronald Feldman Gall. / 1978 Sarasota (Fla.), Van Wezel Performing Arts Center / 1983 Seattle, Pacific Sc. Center.
Weitere Lexika:
W.D. Hunt, Enc. of Amer. archit., N.Y. u.a. 1980; Macmillan II, 1982; R.J. van Vynckt (Ed.), Internat. dict. of architects and archit., I, Detroit u.a. 1993; M.Emanuel (Ed.), Contemp. architects, N.Y. u.a. 31994; DA XI, 1996; ContempDesigners, 31997; Dict. des architectes, P. 1999; R.Kostelanetz, A dict. of the Avant-Gardes, N. Y. 22000
Gedruckte Nachweise:
J.McHale, R.B.F., N.Y. 1962; S.Rosen, Wizard of the dome. R.B.F., designer for the future, Boston 1969; ArchitForum 216:1972, 49-96; H.Kenner, Bucky. A guided tour of B.F., N.Y. 1973; D.W. Robertson, Mind's eye of R.B.F., N.Y. 1974; A.Hatch, B.F. at home in the universe, N.Y. 1974; E.J. Applewhite, Cosmic fishing. An account of writing synergetics with B.F., N.Y. 1977; A.V. Lord, Pilot for spaceship earth, N.Y. 1978; R.Snyder, B.F. An auto-biogr. monologue/scenario, N.Y. 1980; M.Vance, R.B.F. A bibliogr., Monticello, Ill. 1980; Synergetic stew. Explorations in Dymaxion dining, Ph. 1982; Inventions. The patented works of R.B.F., N.Y. 1983; J.Ward (Ed.), The artifacts of R.B.F. A comprehensive coll. of his designs and drawings in four vol., N.Y. 1984; R.J. Brenneman, F.s earth. A day with Bucky and the kids, N.Y. 1984; E.J. Applewhite (Ed.), Synergetics dict. The mind of B.F., N.Y./Lo. 1986; L.S. Sieden, B.F.s universe. An appreciation, N.Y. 1989; R.Grimaldi, R.B.F. 1895-1983, R. 1990; R.R. Potter, B.F., Englewood Cliffs 1990 (Pioneers in change); M.Pawley, B.F., N.Y. 1991; J.Krausse, Über das Bauen von Weltbildern, Diss. Bremen 1994; J.Baldwin, Bucky works. B.F.s ideas for today, N.Y. 1996; A.Picon (Ed.), L'art de l'ing., P. 1997; J.Krausse/C.Lichtenstein (Ed.), Your private sky. R.B.F. Design als Kunst einer Wiss. (K Zürich), Baden 1999; B.Glasner u.a. (Ed.), Patterns 2. Design, art and archit., Basel u.a. 2008; K.Horsfield/L.Hilderbrand (Ed.), Feedback, Ph. 2006; F.Manacorda/A.Yedgar (Ed.), Radical nature. Art and archit. for a changing planet 1969-2009 (K London), Köln 2009; Emerging ecologies. Archit. and the rise of environmentalism (K New York, MoMA), Lo. 2023.
Onlinequellen:
B.F. Inst., Los Angeles, 2005 (umfangreiche Dokumentation)